Von da beginnen die Erinnerungen des Sohnes.

Seit alter Zeit waren in der Familie wegen des Minorates die Geburtsjahre des Vaters und des Hofsohnes durch einen Zeitraum von 40, ja von 50 Jahren getrennt; auch später setzte sich dies Verhältnis fort, mein Vater war, obgleich ältester Sohn 37, ich bin 42 Jahr jünger als der Vater, und seit der Geburt meines Vaters sind jetzt, wo ich dies schreibe, 112 Jahre vergangen.

Aber zu dem alten Scholzenhose in Schönwald bestand auch bei Lebzeiten meines Vaters ein gutes Verhältnis. Der Vater, welcher von den Geschlechtsgenossen als ältester der Familie betrachtet wurde, besuchte zuweilen den Hof, und ich erinnere mich aus früher Kinderzeit noch deutlich, wie er in dem alten Balkenhause am weißen Holztische saß, ihm gegenüber die breitschulterige Gestalt des Hofbesitzers. Dieser war jener jüngste Bruder, für den der Großvater zur Zeit Friedrichs II. lange das Gut verwaltet hatte; jetzt aber war dem Gutserben das mächtige Haupt von einer Fülle schneeweißen Haares eingefaßt. Im Hofe wurde gerade damals gegenüber dem hölzernen Wohnhaus ein neuer Ziegelbau aufgeführt, denn der Alte wollte seinem Sohn das Gut übergeben und sich auf den Auszug setzen. Sein Sohn, von stärkerer Lebenskraft und klugem Bauernverstand, wurde im Kreise ein einflußreicher Mann, er war auch ein unternehmender Landwirt, der als einer der ersten in der Gegend die Wasserröste des Flachses einführte. In lebendiger Erinnerung ist mir der letzte Besuch auf dem Hofe, den wir abstatteten, als ich von der Universität zurückgekehrt war und mich zum akademischen Lehramt vorbereitete. Mein Vater ließ den Wagen vor dem Hoftor halten und wir traten durch die Nebenpforte ein. Am Brunnen stand die Tochter des Hauses, eine zierliche Gestalt in der Dorftracht, sie hatte den Arm über den Eimer auf dem Brunnentroge gelegt und lauschte vorgebeugt den Worten eines hübschen jungen Mannes in städtischer Kleidung. Es war der Schullehrer des Dorfes. Beide waren in so warmer Unterhaltung, daß sie unser Kommen erst bemerkten, als wir dicht neben ihnen standen. Der glänzende Blick, die geröteten Wangen und der Schatten von Betrübnis, welcher das unschuldige Antlitz des Mädchens überflog, als sie uns endlich erblickte, bewiesen, daß wir störend gekommen waren. Der junge Mann verschwand, der Hausherr wurde vom Felde geholt und der Besuch verlief in gebührender Weise mit Kaffee und Besichtigung des Hofes. Zuletzt führte der Wirt die Gäste mit Selbstgefühl zu dem massiven Getreidespeicher, den er sich mitten im Hofe erbaut hatte. Wir stiegen die Treppe zum Schüttboden hinan und er zeigte den großen Weizenvorrat, einige hundert Scheffel, die ganze Ausbeute des vergangenen Jahres, von der er sich noch nicht getrennt hatte, obgleich die neue Ernte nahe bevorstand. Er ließ die gelben Körner nachlässig von der Schaufel rinnen, wie der Geldmann eine Handvoll Goldstücke aus seinem Kasten hebt und fallen läßt, und frug bedächtig nach unserer Meinung, ob wohl der Preis des Weizens nach der Ernte steigen werde. Da er mir die Ehre erwies, sich dabei an mich zu wenden, so kramte ich vergnügt junge Weisheit aus, die ich im Hause des Amtsrats Koppe zu Wollup eingesammelt hatte, indem ich die Bedenken dagegen vorführte, daß der Landwirt überhaupt in solcher Weise spekuliere. Er hörte mich geduldig an, indem er stolz auf seinen Haufen sah. Als ich am Abend mit dem Vater wieder im Wagen saß, sagte dieser: deinem Rate wird er nicht folgen, denn die Hoffnung eines möglichen Gewinnes ist durch das ganze Jahr seine heimliche Freude. Darauf begann ich von der Base und dem Schullehrer, und bat den Vater, bei Gelegenheit ein gutes Wort für die jungen Leute einzulegen; aber ich erhielt zur Antwort, das wäre ganz vergebens, es wäre gegen alles Herkommen und der Stolz des Hofes würde das nie gestatten. Ihr ist bestimmt, einen Hofwirt zu heiraten, auch wenn es ein alter Witwer sein sollte. Und ich zürnte dem harten Bauernhochmut.

Doch war der Schullehrer nicht der einzige ungehörige Gesell, der sich auf dem Hof zeigte. Als wir mit dem Scholzen durch die Wirtschaft gingen, kamen zwei Gestalten zum Vorschein, Männlein und Fräulein, beide in städtischer Tracht, die sehr verbraucht aussah. Sie blieben nebeneinander in der Entfernung stehen wie zwei Samojeden, welche darauf warten, den Zuschauern vorgeführt zu werden. Der Hofherr sah mit kaltem Blick nach ihnen hin und sagte, mit nachlässiger Handbewegung vorstellend: »Es ist der Sohn des Dichters Müllner, seine Frau ist eine Verwandte der meinen, sie leben jetzt bei uns.« Darauf ergab sich, daß es dem Herrn Müllner im Leben mit nichts geglückt war und daß er als Schiffbrüchiger in der Scholtisei einen Nothafen gefunden hatte. Die Gastfreundschaft versagte der Hof dem angeheirateten Mann nicht, aber die Behandlung war abfällig. Da der Hausherr sich nachher erkundigte, was denn eigentlich an dem Vater des Verwandten gewesen sei, berichtete ich so viel Rühmliches von diesem, als ich nach Wahrheit vermochte. Als aber vor unserem Abschiede der Samojede noch einmal herantrat und mir im Vertrauen erzählte, daß er von seinem Vater noch einige Kisten mit Briefen und Handschriften, den ganzen literarischen Nachlaß besitze, ob ich diese Sachen nicht durchsehen und vielleicht herausgeben wolle, da kam er nicht an den Rechten. Denn ich empfand schon damals starke Mißachtung gegen die gesamte Schnitzelliteratur, selbst wenn sie den Papierkorb größerer Männer ausräumt, als Adolf Müllner zu seiner Zeit gewesen war.