Und ich versagte meine Hilfe. – Es scheint, daß auch andere Geschlechtsgenossen von dem Hochmut des Hofes nicht frei waren.
2. Kinderleben in Kreuzburg.
Liebe alte Stadt! Es ist lange her, daß ich dich nicht gesehen habe, vieles hat sich an dir verwandelt, du bist jetzt Knotenpunkt von zwei Eisenbahnen, die Zahl der Einwohner ist zweimal so groß, als in meiner Kinderzeit, und stärker arbeitet in dir der Verkehr und das Geräusch des Tageslebens. Dem bejahrten Mann aber ist dein Bild, wie du vor sechzig Jahren warst, fester im Gedächtnis geblieben, als vieles andere, was ihm das spätere Leben entgegentrug.
Die Stadt liegt im Flachlande in einer weiten Lichtung, die Wälder sind klein geworden, aber die Kiefern fassen den Horizont noch immer mit einem dunklen Saume ein, und die Stadt ist deutsche Grenzstadt geblieben nicht nur gegen Polen, auch gegen den oberen Teil von Schlesien, denn auch nach dieser Seite beginnen gleich hinter der Stadt Dörfer mit polnisch redenden Landleuten.
Daß die Stadt als eine wehrhafte Grenzfeste erbaut worden, das war nach fünfhundertfünfzig Jahren noch überall zu erkennen. An der einen Ecke hatte auf kleiner Erhöhung die Burg der Kreuzherren gestanden, noch war der Raum abgeschlossen, darin ein Amtshaus, in dessen Räumen die königlichen Behörden ihre Aktenschränke aufgestellt hatten, und neben diesem ein alter viereckiger Ziegelturm, verfallen und unbenutzt, den zu besteigen verboten war. Ost sah der Knabe neugierig und scheu nach der Höhe zu einem wilden Strauch empor, zu welchem die Vögel den Samen an eine Fensteröffnung getragen hatten. Der Zufall hatte gefügt, daß auf derselben Stätte, wo einst die Ordensbrüder ein Hospital für arme Kranke unterhalten hatten, durch Friedrich den Großen ein Landarmenhaus für die Provinz Schlesien errichtet worden war; dicht neben dem Hofraum des Amtshauses erhob sich der mächtige Bau hoch über die Bürgerhäuser.
Doch Burg und Stadt waren nicht nur durch Mauer, Graben und Erdwall beschirmt gewesen, noch fester durch einen großen Teich und sumpfigen Wiesengrund, welcher einem Heerhaufen den Zugang nur auf der Landstraße gestattete.
Die beiden Tore der Stadt, das deutsche und polnische, standen noch mit ihren engen Gewölben, die Torflügel wurden jede Nacht geschlossen und durch Wächter behütet, aber sie öffneten sich bereitwillig dem verspäteten Reisenden. Während meiner Kinderzeit wurden sie niedergelegt und der breitere Zugang mit einem Gattertor versehen. In der Mitte der Stadt lag der große Ring, ein viereckiger Markt, in den die vier Hauptstraßen mündeten. In des Ringes Mitte stand das alte Rathaus und das Viereck der zwölf Häuser, welche in alter Zeit das Verkaufsrecht gehabt hatten. Abseits vom Markte war der Kirchhof mit der evangelischen Kirche. Nach demselben Plane sind mit Abweichungen in Einzelheiten die meisten Städte Schlesiens erbaut. Nicht alle. Es gibt auch solche mit häuserfreiem Marktplatz; offenbar entnahmen die erfahrenen Städtegründer des Mittelalters ihre Baurisse wenigstens zwei verschiedenen Überlieferungen. Ein wasserreicher Bach, die Stober, lief an einer Seite innerhalb der Stadtmauer dahin, dort hatten die Färber und Gerber ihre Stege und eine große Wassermühle arbeitete mit mehreren Rädern. Die Zeit hatte der Stadt genommen und gegeben, wiederholte Brände hatten die alten Straßen niedergelegt, fremdes Kriegsvolk hatte in jedem Jahrhundert geplündert, verwüstet, zerstört, aber alles Unglück der Vergangenheit war durch die unablässige Tätigkeit kleiner Bürger überwunden worden. Die niedrigen Häuser auf dem Markt und in den Hauptstraßen waren von Ziegeln und sorgfältig getüncht, auch vor den Toren mehrte sich die Zahl der sauberen Steinhäuser mit rotem Dach.
Zweimal in der Woche füllte sich der Markt mit den Wagen der Landleute, dann sah man ein Gewühl geschäftiger Menschen, kleine struppige Pferde, zahllose Getreidesäcke, die Bauerfrauen der nahen polnischen Dörfer in ihrer auffallenden Tracht, jüdische Händler, die sich gleich Aalen zwischen den Wagen hindurchwanden, und die Ratsdiener, wie sie im Amtseifer die Stöcke schwangen, um Ordnung zu erhalten.
Am Sonntag trug die Stadt ihr Festkleid, die großen runden Kiesel, mit denen der Markt und die Straßen gepflastert waren, erwiesen die höchste Glätte und Sauberkeit, welche ihnen möglich war. Von dem niedrigen Turme der Stadtkirche riefen die Glocken feierlich zu Kirche, und es war eine vergebliche Sehnsucht der Kinder, in die Blechmütze hinauf zu kriechen, die man dem alten Turm aufgesetzt hatte. In der Kirche war alles schmucklos, die weißgetünchten Wände vergraut und fleckig, nur um das Kanzeldach saßen dicke Rokoko-Engel aus Stuck in Weiß und Gold, ein wenig beschädigt, und mich dünkt, einem war die Trompete, die er blasen sollte, abgebrochen. An die kahle Wand war eine große Holztafel befestigt, auf welcher die Namen der Krieger aus dem Kirchspiel standen, welche in den Freiheitskriegen geblieben waren. Alles war wohl früher stattlicher und geschmückter gewesen, jetzt aber fehlte das Geld. Zwischen den Pfeilern ragten Holzgalerien, welche zum großen Teil nach altem Herkommen den einzelnen Handwerken gehörten; dicht neben der Kanzel war der Ratschor, darin saß ganz vorn der Vater und neben ihm der kleine Sohn so nahe dem Onkel Pastor, daß es möglich gewesen wäre, diesem mit leiser Stimme guten Morgen zu sagen, wenn die Würde des Ortes solche Höflichkeit erlaubt hätte.
Außerhalb der Stadtmauer aber dehnt sich weithin das Flachland, auf der deutschen und auf der polnischen Seite läuft die Straße wohl eine halbe Meile zwischen kleinen Häusern der Vorstadt und den Bauernhöfen der Kämmereidörfer, dann endet sie in tiefem Sande, denn Kunststraßen gibt es noch nicht in der Gegend. Am äußersten Ende der Menschenwohnungengegen den Wald liegt von niedriger Mauer umgeben ein Kirchhof der Dorfgemeinde mit einer kleinen Kapelle. In dem wilden Hollunderbusch, der über die Mauer ragt, erspäht der Knabe das Nest eines Singvogels, es ist der letzte kleine Haushalt freundlicher Vögel, welche bei den Menschen wohnen. Von da waten Pferde und Menschen schwierig zwischen einzelnen kleinen Kiefern vorwärts. Der Sand ist heiß und bei jedem Schritt versinkt der Fuß bis über die Knöchel, es ist eine kleine Wüste, aber die Füße stapfen mutig in dem weichen Boden, denn dahinter liegt der Wald mit seinem Schatten und dem lockenden Geheimnis, das um ihn schwebt. Weit zieht sich der Forst entlang, zuerst dürftiges Niederholz, hier und da wächst ein Wacholderstrauch und etwas Moos in kleiner Niederung. Im Hochwalde aber ist der Grund glatt und braun von gefallenen Nadeln, Baumwurzeln laufen über den Fußsteig und da wo Regen von den Nadeln niederrieselt, haben sich wilde Beeren mit ihrem dunklen Laube angesiedelt. Gelbe Stämme und dunkle Föhrengipfel erfüllen die Luft mit würzigem Waldduft. Hier ist es still, nur zuweilen schreit der Häher und ein Krähenschwarm, der über den Bäumen fliegt.
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