Auch die andern stützten sich auf ihre Wanderstäbe, des Erfolges gewärtig. Und nach einer Weile fuhr der Kopf eines Mannes durch die Fensteröffnung mit weißer Linnenmütze und gutmütigen, noch etwas verschlafenen Augen und sah uns der Reihe nach voll Verwunderung an. »Ah, meine Herre«, sagte er dann, »Se send ja scho früeh auf!«
»Ja, Meister, und wir sind schon von Stuttgart kommen!«
»Ei der Tausend, scho vo Stuegert? Des wär!«
»Ja freilich; aber saget, sind denn die Wecken fertig? Wir haben Hunger!«
»No net, ihr Herre, aber bald! Send Se no so guet und ganget Se derweil in d'Stube!«
Und rasch war die Haustür geöffnet, und wir traten in ein großes Zimmer, in dessen Verlängerung wir auf den Backofen sahen. Ein köstlicher Duft strömte von dort auf uns zu, und in Erwartung der Wecken setzten wir uns auf die Holzbänke, die um einen groben Tisch an der Wand entlangliefen. Der Meister ging zwischen uns und dem Ofen hin und wider, bald aber schüttete er aus seiner weißen Schürze einen Haufen Wecken vor uns hin und schob ein großes hölzernes Salzfaß, das auf dem Tische stand, in unsere Nähe. Ha, wie uns die in Salz getauchten Wecken schmeckten, und wie taschenspielerartig wir sie verschwinden ließen! Auch Marx hielt tapfer mit, und seine blaßgelben Wangen röteten sich von dem warmen Brote. Noch einmal mußte der Meister Sukkurs aus dem Ofen holen, dann blieb er am Tische stehen und sah vergnüglich unserer Mahlzeit zu.
»Liebwerter Meister«, sagte Franz, als alles gesättigt war, und sah ihn zärtlich an, indem er sich den Schnurrbart wischte: »Sie glauben nicht, welche Saukerle in Ihrer Zunft sind, selbst wenn man ihnen tausend Schaben totschlägt! Sie aber haben sich der unzeitigen Gäste wie ein Vater angenommen; dafür soll Ihnen auch ein Hochgenuß bereitet werden. Wir gehören nämlich zu dem immer seltener werdenden Orden der fahrenden Sänger!« Damit griff er in die Tasche, reichte uns die Stimmen, dann bewegte er die Hand: »Eins, zwei!«, und »Tropfen von Tau!« klang es; wir sangen, der Meister faltete die Hände über seinem Bauch, lächelte uns an und taktierte schließlich mit dem Kopfe.
»Schön; aber schön!« sagte er endlich, »no der Tenor«, und er sah mit bescheidener Schlauheit zu uns auf, »der Tenor kommt mir e bissele schwach für!«
Marx strich sein dunkles Haar sich von den Schläfen; denn er war der Tenor. »Das macht der Text, Meister«, sagte er, »das darf man nur so spinnewebenartig singen, wenn's nicht zerreißen soll.«
»Gut gebrüllt, Löwe«, murmelte Franz.
»Ja freile«, sagte der Bäcker; »die Herre verstandet des besser, und schön isch gewea, des laß i mir net nemme! Mer hänt hie au en G'sangverein, aber der goht no im Sommer manchmal furt, wisset Se, wenn's e Fahnenweih oder so ebbes geit. I g'hör au derzue, weil i zu dene Ausflug d' Wecke und d' Hörnle liefere mueß.«
Ein schelmisches Lächeln lief über das hübsche Antlitz unseres Dirigenten. »Nun, Meister«, sagte er, »wir müssen weiter, aber wir sollen unsere Wecken noch bezahlen!«
Aber der gute Mann wehrte mit beiden Händen ab: »Descht mei Sach. 's ischt alles scho in Richtigkeit, und jetzt danki ebe reacht schöa für den schöne Morgegrueß!« Und somit geleitete er uns zur Haustür.
»Ein prächtiger alter Herr«, sagte Franz, da wir draußen auf der Gasse standen; »das Frühstück hätten wir uns ersungen, wo kriegen wir nun den Kaffee? Die geretteten dreizehn reichen dazu nicht.«
Es gab ein Hin- und Widerreden, ich wollte nach Haus, aber ich wurde überstimmt. Marx zog seine Uhr. »Nordischer Siebenschläfer!« rief er und wies gen Osten in eine Nebengasse, »sieh nur, wie dort die Sonne schon am Himmel tanzt! Im nächsten Dorfe lebt mir ein Gastfreund, das heißt: ein Krugwirt, der mich im Frühjahr auf seinem Wagen ein Stück Weges mitnahm und mich dann mit einem Schnaps traktierte; dort laßt uns um den Kaffee singen!«
»Akzeptiert! Vorwärts zum Kaffee!« rief Franz, und wir schritten alle die buckelige Straße hinunter. Es war noch erste Morgenstille, die Schatten der alten Häuser lagen auf den feuchten Steinen, nur am Markte rauschte ein Brunnen aus drei kleinen Röhren, und aus dem Fenster eines oberen Stockwerks sah ein Mädchen auf uns herab, das braune Haar um die verschlafenen Augen, einen Besenstock in der Hand.
Marx streckte die Arme gegen uns: »Halt!« sagte er leise, »Franz, die Stimmen.«
Im Augenblicke standen wir um den Brunnen, und: »Eins, zwei! – – Tropfen von Tau!«
Die Dirne sah lachend zu uns nieder und drückte sich den Besenstock ans Herz; wir aber warfen die Augen zu ihr empor und sangen nicht ohne Innigkeit das Stück zu Ende. »Leb wohl, schönes Kind!« rief Marx, da wir die Stimmen wieder abgaben, »leb wohl, und laß den Tag dir Süßes bringen!«
»Leb wohl! Leb wohl!« riefen auch wir andern, und sie nickte noch einmal, blutrot in ihrem schmucken Angesicht, und verschwand im Dunkel des Gemaches. Wir aber schritten bald zum Tor hinaus, die Lerchen sangen schon, und wie leise Melodie tönte das Rauschen der Rems zu uns herüber. »Linele!« murmelte Marx und ließ den Kopf auf die Brust sinken.
»Was, Linele? Hieß die Linele? Bist du auch hier bekannt?« frug Franz.
»Ei was, ich sprach nur zu mir selber.«
»So? – Nun, Lavendel, das mußt du nächstes Mal dabeisagen. Übrigens scheinst du dich mit sträflichen Geheimnissen zu befassen!«
Marx tat, als ob er nichts gehört habe, und ging strack voran. Bald hatten wir ein Dorf erreicht – den Namen habe ich vergessen –, in der offenen Tür eines Hauses, unter einem Schilde mit einem roten Ochsenkopf, stand, von den schrägen Sonnenstrahlen angeschienen, ein grauköpfiger Mann in Hemdsärmeln und mit weißer Zipfelmütze. »Mein Gastfreund«, sagte unser Halbfranzose, und »Grieß Gott, Herr Marx!« rief der Wirt und streckte ihm die runde Hand entgegen und schüttelte sie kräftig. »Wisset Se no, wia mer mit anander g'fahre send? Se hent wölle nach Stuegert aufs Konservatori! Wo kommet Se denn ietzt gar so früeh scho her? Aber wöllet die Herre net rei'spaziere? D' Luft goht kuel vom Tal her.«
Wir traten in die große leere Gaststube, Franz warf seinen Ziegenhainer auf den Tisch und sagte mit Würde: »Drei Glas Pomeranzen, Herr Wirt.«
Ich erschrak: »O weh, unsere armen dreizehn!« Aber Franz hatte in diesen Dingen stets die Oberleitung.
Der Wirt hantierte schon an seinem Flaschenbort und setzte die Gläser vor uns auf den Tisch. »No«, sagte er zu Marx, »wie goht's? Was machet Se denn? Se send e bißle schmäler worren do rum«, und er strich sich mit dem Finger um seine runden Backen.
Marx nahm sein Glas und nippte: »Ach, Herr Wirt, das ist vom selben, mit dem Sie mich dazumal erquickten. Ja, mich anlangend«, fuhr er fort, »wir drei, wie Sie uns hier sehen, gehören zu dem jetzt so seltenen Orden der fahrenden Sänger, aber wir hoffen frischen Schwung hineinzubringen.«
»Des wär! Ei, was Se saget!« sagte der Wirt und schaute uns mit unglaublich dummen Augen an.
»Sie scheinen Zweifel zu hegen, lieber Mann«, nahm jetzt Franz das Wort und sah ihn mit Würde durch seine Brille an; »es ist Ihnen auch nicht gerade zu verdenken, aber – liebe Sangesbrüder, habt die Güte!« Und er verteilte wiederum die Stimmen.
»Ei was, machet Se koine G'schichte!« rief unser Wirt; »i han jo net da mindeschte Zweifel.«
Aber schon taktierte Franz: »Eins, zwei!« und »Tropfen von Tau!« scholl es in so reinem Dreiklang; ich weiß nicht, half uns der Morgen, der so hell in die Fenster schien; mir war, wir hätten's niemals noch so schön gesungen.
Der Wirt hatte beide Hände auf den Tisch gestemmt und sah uns bewegungslos mit seinen runden Augen an. »Noi, so was!« rief er. »Ebbes so Schönes! Wo hent Se des denn profitiert? Aber halt!« Und er schlug mit der Faust auf den Tisch. »I hol mei Weib! Ah, wia di jung gwea isch, hot se au g'sunge wie a Lerchele! Und mei Tochter, dia hot Klavierstund beim Lehrer hie. Gelt, so singet's uns no emol!«
Er wollte davontraben, aber Franz hielt ihn zurück. »Warten sie, Herr Wirt, wir singen's Ihnen schon gern noch einmal wieder; aber, wissen Sie, hier? In der ordinären Gaststub? Es geht schon auf fünf Uhr, es könnten Leute kommen – das paßt sich nicht für unsern Stand.«
»Ja, ja«, sagte der Wirt, »i hör, i begreif scho, aber kommet Se no nauf in die ober' Stub, in unser guete Stub, da wird's schon gehe!«
Franz warf uns einen triumphierenden Blick zu, und der Wirt führte uns eine Treppe hinauf in eine leidlich möblierte Stube mit niedriger Decke, worin sich außer den Bildern von König und Königin auch eine Art von hartem Sofa vorfand. Dann lief er fort und kam bald mit einer sauberen Fünfzigerin und einem etwa zehnjährigen Mädchen in die Stube.
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