– – Nun aber beschau mich und die Jünglingsrosen – das Männermark – die Reisebräune – die Augenflammen – das volle Leben: was fehlt mir? Was dir fehlet – etwas zu leben. Notar, ich bin nicht sehr bei Geld.«

»Desto besser«, versetzte Walt so gleichgültig, als kenn' er das Schöpfrad aller Virtuosen ganz gut, das sich immer zu füllen und zu leeren, eigentlich aber nur durch beides umzuschwingen sucht, »ich habe auch nichts, doch haben wir beide die Erbschaft«... Er wollte noch etwas Freigebiges sagen, aber Vult unterfuhr ihn: »Ich wollte vorhin nur andeuten, Freund, daß ich mithin in Ewigkeit nie mich in verlorner Sohnes-Gestalt vor die Mutter stelle – und vollends vor den Vater! – Freilich, könnt' ich mit einer langen Stange von Gold in die Haustüre einschreiten! – Bei Gott, ich wollte sie oft beschenken – ich nahm einmal absichtlich Extrapost, um ihnen eine erkleckliche Spiel-Summe (nicht auf der Flöte, sondern auf der Karte erspielt) zugleich mit meiner Person schneller zu überreichen; leider aber zehr' ichs gerade durch die Schnelle selber auf und muß auf halbem Weg leer umwenden. Glaub es mir, guter Bruder, ob ichs gleich sage. Sooft ich auch nachher ging und flötete, das Geld ging auch flöten.«

»Immer das Geld!« sagte Walt, »die Eltern geht nur ihr Kind, nicht dessen Gaben an; könntest du so scheiden und zumal die liebe Mutter in der langen nagenden Sorge lassen, woraus du mich erlöset?« – »Gut!« sagt' er. »So mög' ihnen denn durch irgendeinen glaubwürdigen Mann aus Amsterdam oder Haag, etwan durch einen Hrn. van der Harnisch, geschrieben werden, ihr schätzbarer Sohn, den er persönlich kenne und schätze, emergiere mehr, habe jetzt Mittel und vor tausenden das Prä und lange künftig an, so wie jetzt aus. Ach was! Ich könnte selber nach Elterlein hinausreiten, Vults Geschichte erzählen und beschwören und falsche Briefe von ihm an mich vorzeigen – die noch dazu wahre wären –, nämlich dem Vater; die Mutter, glaub' ich, erriete mich, oder sie bewegte mich, denn ich liebe sie wohl kindlich! – Scheiden, sagtest du? Ich bleibe ja bei dir, Bruder!«

Das überfiel den Notarius wie eine versteckte Musik, die an einem Geburtstage herausbricht. Er konnte nicht aufhören, zu jubeln und zu loben. Vult aber eröffnete, warum er dableibe, nämlich erstlich und hauptsächlich, um ihm als einem arglosen Singvogel, der besser oben fliegen als unten scharren könne, unter dem adeligen Inkognito gegen die sieben Spitzbuben beizustehen; denn, wie gesagt, er glaube nicht sonderlich an dessen Sieg.

»Du bist freilich«, versetzte Walt betroffen, »ein gereiseter Weltmann, und ich hätte zu wenig gelesen und gesehen, wollt' ich das nicht merken; aber ich hoffe doch, daß ich, wenn ich mir immer meine Eltern vorhalte, wie sie so lange angekettet auf dem dunstigen Ruderschiffe der Schulden ein bitteres Leben befahren, und wenn ich alle meine Kräfte zur Erfüllung der Testaments-Bedingungen zusammennehme, ich hoffe wohl, daß ich dann die Stunde erzwinge, wo ihnen die Ketten entzweigeschlagen und sie auf ein grünes Ufer einer Zuckerinsel ausgeschifft sind und wir uns alle frei unter dem Himmel umarmen. Ja ich hatte bisher gerade die umgekehrte Sorge für die armen Erben selber, an deren Stelle ich mich dachte, wenn ich sie um alles brächte; und nur die Betrachtung machte mich ruhig, daß sie doch die Erbschaft, schlüg' ich sie auch aus, nicht bekämen und daß ja meine Eltern weit ärmer sind und mir näher.«

 

»Der zweite Grund«, versetzte Vult, »warum ich in Haßlau verbleibe, hat mit dem ersten nichts zu tun, sondern alles bloß mit meiner göttlichen Windmühle, die der blaue Äther treibt, und auf welcher wir beide Brot – du erbst indes immer fort –, soviel wir brauchen, mahlen können. Ich weiß nicht, ob es sonst nicht noch für uns beide etwas so Angenehmes oder Nützliches gibt als eben die Äthermühle, die ich projektieren will; die Frisiermühlen der Tuchscherer, die Bandmühlen der Berner, die Molae asinariae oder Eselsmühlen der Römer kommen nicht in Betracht gegen meine.«

Walt war in größter Spannung und bat sehr darum. »Droben bei einem Glas Krätzer«, versetzte Vult. Sie eilten den Hügel auf zum Wirtshaus. Drinnen taten sich schon an einem Tische, der die Marschalls-, Pagen- und Lakaientafel war, schnelle Freßzangen auf und zu. Der Wein wurde auf einen Stuhl gesetzt ins Freie. Das weiße Tischtuch ihres verschobenen Soupers glänzte schon aus der wandlosen Stube herab. Vult fing damit an, daß er dem Modelle der künftigen Äthermühle das Lob von Walts gestrigen Streckversen vorausschickte – daß er sein Erstaunen bezeugte, wie Walt, bei sonstigem Überwallen im Leben, doch jene Ruhe im Dichten habe, durch welche ein Dichter es dem Wasserrennen der Bayerinnen gleichtut, welche mit einem Scheffel Wasser oder Hippokrene auf dem Kopfe unter der Bedingung wettlaufen, nichts zu verschütten, und daß er fragte, wie er als Jurist zu dieser poetischen Ausbildung gekommen.

Der Notarius trank mit Geschmack den Krätzer und sagte, zweifelnd vor Freude: wenn würklich etwas Poetisches an ihm wäre, auch nur der Flaum einer Dichterschwinge, so käme es freilich von seinem ewigen Bestreben in Leipzig her, in allen vom Jus freigelassenen Stunden an gar nichts zu hangen, an gar nichts aufzuklettern als am hohen Olymp der Musen, dem Göttersitze des Herzens, wiewohl ihm noch niemand recht gegeben als Goldine und der Kandidat; »aber, guter Vult, scherze hier nicht mit mir. Die Mutter nannte dich schon früh den Spaßer. Ist dein Urteil Ernst?« – »Ich will hier den Hals brechen, Tabellio«, versetzte Vult, »bewunder' ich nicht dich und deine Verse aus voller Kunstseele. Hör erst weiter!«

»Ach warum werd ich denn so überglücklich? (unterbrach ihn Walt und trank). Gestern find' ich den Plato, heute dich, gerade zwei Nummern nach meinem Aberglauben. Du hörtest gestern alle Verse?« – Mitten unter dem heftigen Auf- und Abschreiten suchte er immer das Wirtskind, das im Hofe unter der Baute von Kartoffeln-Samenkapseln furchtsam aufguckte, jedesmal sehr anzulächeln, damit es nicht erschräke.

Vult fing, ohne ihm zu antworten, sein Mühlen-Modell folgendermaßen vorzulegen an, sehr unbesorgt, wie jeder Reisende, über ein zufälliges fünftes Ohr:

»Andächtiger Mitbruder und Zwilling! Es gibt Deutsche. Für sie schreiben dergleichen. Jene fassen es nicht ganz, sondern rezensieren es, besonders exzellenten Spaß. Sie wollen der poetischen Schönheitslinie ein Linienblatt unterlegen; dabei soll der Autor noch nebenher ein Amt haben, was aber so schlimm ist, als wenn eine Schwangere die Pocken zugleich hat. Die Kunst sei ihr Weg und Ziel zugleich. Durch den jüdischen Tempel durfte man nach Lightfoot nicht gehen, um bloß nach einem andern Orte zu gelangen; so ist auch ein bloßer Durchgang durch den Musentempel verboten. Man darf nicht den Parnaß passieren, um in ein fettes Tal zu laufen. – Verdammt! Laß mich anders anfangen! zanke nicht! Trinke! – Jetzt:

 

Walt!

 

Ich habe nämlich auf meinen Flötenreisen ein satirisches Werk in den Druck gegeben als Manuskript, die grönländischen Prozesse in zwei Bänden anno 1783 bei Voß und Sohn in Berlin.