(›Ich erstaune ganz‹, sagte Walt verehrend.) Ich würde dich inzwischen ohne Grund mit Lügen besetzen, wenn ich dir verkündigen wollte, die Bekanntmachung dieser Bände hätte etwan mich oder die Sachen selber im geringsten bekanntgemacht. Nimmt man sechs oder sieben Schergen, zugleich Schächer und Schächter, aus – und hier fallen zwei auf die Allgem. deutsche Bibliothek, die also wohl einer sind –, so hat leider keine Seele die Scripta getadelt und gekannt. Es ist hier – wegen deiner Ungeduld nach der versprochenen Äthermühle – wohl nicht der Ort, es glücklich auseinanderzusetzen warum; – habe genug, wenn ich dir schwöre, daß die Rezensenten Sünder sind, aber arme, echte Gurkenmaler, die sich daher Gurken herausnehmen, Grenzgötter ohne Arme und Beine auf den Grenzhügeln der Wissenschaften, und daß wir alle hinauf und hinab florieren würden, gäb' es nur so viele gute Kunstrichter als Zeitungen, für jede einen, so wie es wirklich so viele meisterhafte Schauspieler gibt als – eine in die andere übergerechnet – Truppen.

Es ist eine der verwünschtesten Sachen. Oft rezensiert die Jugend das Alter, noch öfter das Alter die Jugend, eine Rektors-Schlafhaube kämpfet gegen eine Jünglings-Sturmhaube –

Wie Kochbücher arbeiten sie für den Geschmack, ohne ihn zu haben –

Solchen Sekanten, Kosekanten, Tangenten, Kotangenten kommt alles exzentrisch vor, besonders das Zentrum; der Kurzsichtige findet nach Lambert7den Kometenschwanz viel länger als der Weitsichtige –

Sie wollen den Schiffskiel des Autors lenken, nämlich den ordentlichen Schreib-Kiel, sie wollen den Autor mit ihrem Richterstabe, wie Minerva mit ihrem Zauberstabe den Ulysses, in einen Bettler und Greis verkehren –

Sie wollen die erbärmlichsten Dinge bei Gott – (Des Notars Gesicht zog sich dabei ins lange, weil er wie jeder, der nur gelehrte Zeitungen hält, aber nicht macht und kennt, von einer gewissen Achtung für sie, vielleicht gar einer hoffenden, nicht frei war.) Indes jeder Mensch – fuhr jener fort – sei billig; denn ich darf nicht übersehen, daß es mit Büchern ist wie mit Pökelfleisch, von welchem Huxham dartat, daß es zwar durch mäßiges Salz sich lange halte, aber auch durch zu vieles sogleich faule und stinke Notarius, ich machte das Buch zu gut, mithin zu schlecht.« –

»Du wimmelst von Einfällen (versetzte Walt); scherzhaft zu reden, hast du so viele Windungen und Köpfe wie die lernäische Schlange.«

»Ich bin nicht ohne Witz«, erwiderte Vult in vergeblicher Absicht, daß der Bruder lache, »aber du reißest mich aus dem Zusammenhang. – Was kann ich nun dabei machen? Ich allein nichts; aber mit dir viel, nämlich ein Werk; ein Paar Zwillinge müssen, als ihr eigenes Widerspiel, zusammen einen Einling, ein Buch zeugen, einen trefflichen Doppel-Roman. Ich lache darin, du weinst dabei oder fliegst doch – du bist der Evangelist, ich das Vieh darhinter – jeder hebt den andern – alle Parteien werden befriedigt, Mann und Weib, Hof und Haus, ich und du. – Wirt, mehr Krätzer, aber aufrichtigen! – Und was sagst du nun zu diesem Projekt und Mühlengang – wodurch wir beide herrlich den Mahlgästen Himmelsbrot verschaffen können, und uns Erdenbrot, was sagst du zu dieser Musenroß-Mühle?« – Aber der Notar konnte nichts sagen, er fuhr bloß mit einer Umhalsung an den Projektmacher. Nichts erschüttert den Menschen mehr – zumal den belesenen – als der erste Gedanke seines Drucks. Alte tiefe Wünsche der Brust standen auf einmal aufgewachsen in Walten da und blühten voll; wie in einem südlichen Klima fuhr in ihm jedes nordische Strauchwerk zum Palmenhain auf; er sah sich bereichert und berühmt und wochenlang auf dem poetischen Geburtsstuhl. Er zweifelte in der Entzückung an nichts als an der Möglichkeit und fragte, wie zwei Menschen schreiben könnten, und woher ein romantischer Plan zu nehmen sei.

»Geschichten, Walt, hab' ich auf meinen Reisen an 1001 erlebt, nicht einmal gehört; diese werden sämtlich genommen, sehr gut verschnitten und verkleidet. Wie Zwillinge in ein Dintenfaß tunken? Beaumont und Fletcher, sich hundsfremd, nähten an einem gemeinschaftlichen Schneider-Tische Schauspiele, nach deren Naht und Suturen noch bis heute die Kritiker fühlen und tasten. Bei den spanischen Dichtern hatte oft ein Kind an neun Väter, nämlich eine Komödie, nämlich Autoren. Und im ersten Buch Mosis kannst du es am allerbesten lesen, wenn du den Professor Eichhorn dazu liesest, der allein in der Sündflut drei Autoren annimmt, außer dem vierten im Himmel. Es gibt in jedem epischen Werke Kapitel, worüber der Mensch lachen muß, Ausschweifungen, die das Leben der Helden unterbrechen; diese kann, denk' ich, der Bruder machen und liefern, der die Flöte bläset. Freilich Parität, wie in Reichsstädten, muß sein, die eine Partei muß so viele Zensoren, Büttel, Nachtwächter haben als die andere. Geschieht nun das mit Verstand, so mag wohl ein Werk zu hecken sein, ein Ledas-Ei, das sich sogar vom Wolfischen Homer unterscheidet, an dem so viele Homeriden schrieben und vielleicht Homer selber.« –

»Genug, genug«, rief Walt. »Betrachte lieber den himmlischen Abend um uns her!« In der Tat blühten Lust und Lebens-Lob in allen Augen. Mehrere Gäste, die schon abgegessen, tranken ihren Krug im Freien, alle Stände standen untereinander, die Autoren mitten im tiers-état. Die Fledermäuse schossen als Tropikvögel eines schönen Morgens um die Köpfe. An einer Rosenstaude krochen die Funken der Johanniswürmlein. Die fernen Dorfglocken riefen wie schöne verhallende Zeiten herüber und ins dunkle Hirtengeschrei auf den Feldern hinein. Man brauchte so spät auf allen Wegen, nicht einmal in dem Gehölze, Lichter, und man konnte bei dem Schein der Abendröte die hellen Köpfe deutlich durch das hohe Getreide waten sehen. Die Dämmerung lagerte sich weit und breit nach Westen hinein, mit der scharfen Mond-Krone von Silber auf dem Kopfe; nur hinter dem Hause schlich sich, aber ungesehen, die große hohle Nacht aus Osten heran. In Mitternacht glomm es leise wie Apfelblüte an, und liebliche Blitze aus Morgen spielten herüber in das junge Rot. Die nahen Birken dufteten zu den Brüdern hinab, die Heu-Berge unten dufteten hinauf. Mancher Stern half sich heraus in die Dämmerung und wurde eine Flug-Maschine der Seele.

Vult vergabs dem Notar, daß er kaum zu bleiben wußte. Er hatte so viele Dinge und unter ihnen den Krätzer im Kopfe; denn in diesem entsetzlichen Weine, wahrem Weinbergs-Unkraut für Vult, hatte sich der arme Teufel – dem Wein so hoch klang wie Äther – immer tiefer in seine Jahre zurückgetrunken, ins 20te, 18te und letzlich ins 15te.

Auf Reisen trifft man Leute an, die darauf zurückschwimmen ins erste Jahr, bis an die Quelle. Vormittags predigen es die Äbte in ihren Visitationspredigten: werdet wie die Kinder! Und abends werden sie es samt dem Kloster, und beide lallen kindlich.

»Warum siehst du mich so an, geliebter Vult?« sagte Walt. »Ich denke an die vergangenen Zeiten«, versetzte jener, »wo wir uns so oft geprügelt haben; wie Familienstücke hängen die Bataillenstücke in meiner Brust – ich ärgerte mich damals, daß ich stärker und zorniger war und du mich doch durch deine elastische wütige Schnelle aller Glieder häufig unterbekamst.