Die Zeit war so anmutig; an den Häuserreihen glänzte weißer Tag, in den grünen tauigen Gärten bunter Morgen, selber sein Vieh wurde poetisch und trabte ungeheißen, weil es seinem Stalle nahe und aus dem herrnhutischen hungrig kam. – Der Notarius sang laut im Fluge des Schimmels. Im ganzen Fürstentum stand kein Ich auf einem so hohen Gehirnhügel als sein eigenes, welches daran herab wie von einem Ätna in ein so weites Leben voll morganischer Feen hineinsah, daß die blitzenden Säulen, die umgekehrten Städte und Schiffe den ganzen Tag hängenblieben in der Spiegelluft.
Unter dem Tore befragte man ihn, woher? »Von Haßlau«, versetzte er entzückt, bis er den lächerlichen Irrtum eilig umbesserte und sagte: »Nach Haßlau.« Das Pferd regierte wie ein Weiser sich selber und brachte ihn leicht durch die bevölkerten Gassen an den Stall, wo er mit Dank und in Eile abstieg, um sofort seine »chambre garnie« zu beziehen. Auf den hellen Gassen voll Feldgeschrei, gleichsam Kompaniegassen eines Lustlagers, sah ers gern, daß er seinen Hausherrn, den Hofagent Neupeter, kaum finden konnte. Er gewann damit die Zeit, die verschüttete Gottes-Stadt der Kindheit auszuscharren und den Schutt wegzufahren, so daß zuletzt völlig dieselben Gassen ans Sonnenlicht kamen, ebenso prächtig, so breit und voll Paläste und Damen, wie die waren, durch welche er einmal als Kind gegangen. Ganz wie zum ersten Male faßte ihn die Pracht des ewigen Getöses, die schnellen Wagen, die hohen Häuser mit ihren Statuen darauf und die flitternen Opern- und Galakleider mancher Person. Er konnte kaum annehmen, daß es in einer Stadt einen Mittwoch, einen Sonnabend und andere platte Bauerntage gebe, und nicht jede Woche ein hohes Fest von sieben Feiertagen. Auch sehr sauer wurd' es ihm zu glauben – sehen mußt' ers freilich –, daß so gemeine Leute wie Schuhflicker, Schneidermeister, Schmiede und andere Ackerpferde des Staats, die auf die Dörfer gehörten, mitten unter den feinsten Leuten wohnten und gingen.
Er erstaunte über jeden Werkeltagshabit, weil er selber mitten in der Woche den Sonntag anhabend – den Nanking – gekommen war; alle große Häuser füllte er mit geputzten Gästen und sehr artigen Herren und Damen an, die jene liebe-winkend bewirteten, und er sah nach ihnen an alle Balkons und Erker hinauf. Er warf helle Augen auf jeden vorübergehenden lackierten Wagen und auf jeden roten Schal, auf jeden Friseur, der sogar werkeltags arbeitete und tafelfähig machte, und auf den Kopfsalat, der im Springbrunnen schon vormittags gewaschen wurde, anstatt in Elterlein nur sonntags abends.
Endlich stieß er auf die lackierte Türe mit dem goldgelben Titelblatt »Material-Handlung von Peter Neupeter et Compagnie« und ging durch die Ladentüre ein. Im Gewölbe wartete er es ab, bis die hin-und herspringenden Ladenschürzen alle Welt abgefertigt hätten. Zuletzt, da endlich nach der Ancienneté der Mahlgäste auch seine Reihe kam, fragte ihn ein freundliches Pürschchen, was ihm beliebe. »Nichts«, versetzte er so sanft, als es seine Stimme nur vermochte, »ich bekomme hier eine chambre garnie und wünsche dem Hrn. Hofagenten mich zu zeigen.« Man wies ihn an die Glastüre der Schreibstube. Der Agent – mehr Seide im Schlafrock tragend als die Gerichtsmännin im Sonntagsputz – schrieb den Brief-Perioden gar aus und empfing mit einem apfel-roten und – runden Gesichte den Mietsmann.
Der Notarius gedachte wahrscheinlich, mit seinem Roßgeruch und seiner Spießgerte zu imponieren als Reiter; aber für den Agenten – den wöchentlichen Lieferanten der größten Leute und den jährlichen Gläubiger derselben – war ein Schock berittener Notarien von keiner sonderlichen Importanz.
Er rief ganz kurz einem Laden-Pagen herrisch zu, den Herrn anzuweisen. Der Page rief wieder auf der ersten Treppe ein bildschönes nettes, sehr verdrüßliches Mädchen heraus, damit sie den Herrn mit der Spießgerte bis zur vierten brächte. Die Treppen waren breit und glänzend, die Geländer figurierte Eisengirlanden, alles froh erhellt, die Türschlösser und Leisten schienen vergoldet, an den Schwellen lagen lange bunte Teppiche. Unterwegs suchte er die Stumme dadurch zu erfreuen und zu belohnen, daß er sanft ihren Namen zu wissen wünschte. Flora heißet der Name, womit das schöne mürrische Ding auf die Nachwelt übergeht.
Die chambre garnie ging auf. – Freilich nicht für jeden wäre sie gewesen, ausgenommen als chambre ardente; mancher, der im Roten Hause zu Frankfurt oder im Egalitäts-Palaste geschlafen, hätte an diesem langen Menschen-Koben voll Ururur-Möbeln, die man vor dem glänzenden Hause hier zu verstecken suchte, vieles freimütig ausgesetzt. Aber ein Polymetriker im Göttermonat der Jugend, ein ewig entzückter Mensch, der das harte Leben stets, wie Kenner die harten Kartons von Raffael bloß im (poetischen) Spiegel beschauet und mildert – der an einer Fischer-, Hunds- und jeder Hütte ein Fenster aufmacht und ruft: ist das nicht prächtig draußen? – der überall, er sei im Eskurial, das wie ein Rost, oder in Karlsruh, das wie ein Fächer, oder in Meinungen, das wie eine Harfe, oder in einem Seewurm-Gehäuse, das wie eine Pfeife gebauet ist, die Sommerseite findet und dem Roste Feuerung abgewinnet, dem Fächer Kühlung, der Harfen Töne, der See-Pfeife desfalls – Ich meine überhaupt, ein Mensch wie der Notarius, der mit einem solchen Kopfe voll Aussichten über die weite Bienenflora seiner Zukunft hin in den Bienenkorb einfliegt und einen flüchtigen Überschlag des Honigs macht, den er darein aus tausend Blumen tragen wird, ein solcher Mensch darf uns weiter nicht sehr in Verwunderung setzen, wenn er sogleich ans Abend-Fenster schreitet, es aufreißet und vor Floren entzückt ausruft: »Göttliche Aussicht! Da unten der Park – ein Abschnitt Marktplatz – dort die zwei Kirchtürme – drüben die Berge – Wahrlich sehr schön!« – Denn dem Mädchen wollt' er auch eine kleine Freude zuwenden durch die Zeichen der seinigen.
Er warf jetzt sein gelbes Röckchen ab, um als Selbstquartiermeister in Hemdärmeln alles so zu ordnen, daß, wenn er von der verdrüßlichen Erscheinung vor dem Stadtrate nach Hause käme, er sogleich ganz wie zu Hause sein könnte und nichts zu machen brauchte als die Fortsetzung seines Himmels und seinen Streckvers und etwas von dem abgekarteten Doppelroman. Den Abhub der Zeit, den Bodensatz der Mode, den der Agent im Zimmer fallen lassen, nahm er für schöne Handelszeichen, womit der Handelsmann eine besondere Sorgfalt für ihn offenbaren wollen. Mit Freuden trug er von zwölf grünen, in Tuch und Kuhhaar gekleideten Sesseln die Hälfte – man konnte sonst vor Sitzen nicht stehen – ins Schlafgemach zu einem lackierten Regenschirm von Wachstuch und einem Ofenschirm mit einem Frauen-Schattenriß. Aus einer Kommode – einem Häuschen im Haus zog er mit beiden Händen ein Stockwerk nach dem andern aus, um seine nachgefahrne fahrende Habe dareinzuschaffen. Auf einem Teetischchen von Zinn konnte alles Kalte und das Heiße getrunken werden, da es beides so kühlte. Er erstaunte über den Überfluß, worin er künftig schwimmen sollte. Denn es war noch eine Paphose da (er wußte gar nicht, was es war) – ein Bücherschrank mit Glastüren, deren Rahmen und Schlösser ihm, weil die Gläser fehlten, ganz unbegreiflich waren, und worein er oben die Bücher schickte, unten die Notariats-Händel – ein blau angestrichener Tisch mit Schubfach, worauf ausgeschnittene bunte Bilder, Jagd-, Blumen- und andere Stücke, zerstreuet aufgepappet waren, und auf welchem er dichten konnte, wenn ers nicht lieber auf einem Arbeitstischchen mit Rehfüßen und einem Einsatz von lackiertem Blech tun wollte – endlich ein Kammerdiener oder eine Servante, die er als Sekretär an den Schreibtisch drehte, um auf ihre Scheiben Papier, eine feine Feder zur Poesie, eine grobe zum Jus zu legen. Das sind vielleicht die wichtigern Pertinenzstücke seiner Stube, wobei man Lappalien, leere Markenkästchen, ein Nähpult, einen schwarzen basaltenen Kaligula, der aus Brustmangel nicht mehr stehen konnte, ein Wandschränklein u.s.w. nicht anschlagen wollte.
Nachdem er noch einmal seine Stiftshütte und deren Ordnung vergnügt überschauet und sich zum Fenster hinausgelegt und unten die weißen Kiesgänge und dunkeln vollaubigen Bäume besehen hatte: machte er sich auf den Weg zum Vater und freuete sich auf den Treppen, daß er in einem so kostbaren Hause ein elendes Wohn-Nest besitze. Auf der Treppe wurde er von einem hellblauen Kuvert an die Hofagentin festgehalten. Es roch wie ein Garten, so daß er bald auf der Duftwolke mitten in die niedlichsten Schreibzimmer der schönsten Königinnen und Herzoginnen und Landgräfinnen hineinschwamm; indes hielt ers für Pflicht, durch das Ladengewölbe zu gehen und das Kuvert redlich mit den Worten abzugeben: hier sei etwas an Madame.
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