Ich nahm an den Fahrten
mehrerer Walfischfänger in die Nordsee teil; ich ertrug freiwillig
Kälte, Hunger und Durst und versagte mir den Schlaf; ich arbeitete
zuweilen härter als der letzte Matrose und widmete dann meine
Nächte dem Studium der Mathematik, der Medizin und jenen
physikalischen Disziplinen, von denen der Seefahrer Nutzen erwarten
darf. Zweimal ließ ich mich als gemeiner Matrose auf einem
Grönlandfahrer anwerben und entledigte mich erstaunlich gut meiner selbstgewählten Aufgabe. Ich
muß gestehen, ich empfand einen gewissen Stolz, als mir der Kapitän
die Stelle eines ersten Offiziers auf seinem Schiffe anbot und mich
allen Ernstes beschwor, zu bleiben. So hoch hatte er meine Dienste
schätzen gelernt.
Habe ich es also nicht verdient, liebe Margarete, eine große
Aufgabe zu erfüllen? Ich könnte ein Leben voll Reichtum und Luxus
führen, aber ich habe den Ruhm den Annehmlichkeiten vorgezogen. O
möchte mir doch eine ermunternde Stimme sagen, was ich zu erwarten
habe! Mein Mut ist groß und mein Entschluß steht fest; aber mein
Selbstvertrauen hat oft gegen tiefste Entmutigung anzukämpfen. Ich
habe eine lange, schwierige Reise vor mir, deren Anforderungen
meine ganze Kraft beanspruchen, und ich soll ja nicht nur mir
selbst den Mut erhalten, sondern auch noch den anderer
anfeuern.
Gegenwärtig haben wir die für das Reisen in Rußland
vorteilhafteste Jahreszeit. In Schlitten fliegt man pfeilschnell
über den Schnee. Die Kälte ist nicht lästig, wenn man sich genügend
in Pelze gehüllt hat, und das habe ich mir schon angewöhnt. Denn es
ist ein bedeutender Unterschied, ob Du an Deck spazieren gehst oder
stundenlang unbeweglich auf einen Sitz gebannt bist, so daß Dir das
Blut tatsächlich in den Adern erstarrt. Ich habe absolut nicht den
Wunsch, auf der Poststraße zwischen Petersburg und Archangel zu
erfrieren.
Dorthin will ich in vierzehn Tagen oder drei Wochen abreisen.
Ich beabsichtige, dort ein Schiff zu mieten und unter den an die
Walfischfängerei gewöhnten Leuten die nötige Anzahl von Matrosen
anzuwerben. Ich werde kaum vor Juni abfahren können. Aber wann
werde ich zurückkehren? Wie könnte ich wohl diese Frage
beantworten, liebste Schwester? Wenn ich Erfolg habe, können viele,
viele Monate, vielleicht Jahre vergehen, ehe wir uns wiedersehen.
Wenn es mißlingt, sehen wir uns vielleicht eher wieder oder nie
mehr.
Leb wohl, Margarete. Der Himmel schenke Dir seinen reichen Segen
und schütze mich, daß es mir auch fernerhin vergönntsei, Dir meine Dankbarkeit für all Deine Liebe und
Güte zu beweisen.
Stets Dein treuer
Bruder
R. Walton.
An Frau Saville, London
Archangel, 28. März
18..
Wie langsam hier doch die Zeit vergeht, mitten in Eis und
Schnee! Der zweite Schritt zur Ausführung meines Planes ist getan.
Ich habe ein Schiff gemietet und bin daran, meine Matrosen zu
heuern. Die, welche ich schon angeworben habe, scheinen mir Leute
zu sein, auf die man sich verlassen kann und die unbegrenzten Mut
besitzen.
Aber etwas fehlt mir, Margarete, ein Freund. Wenn ich von dem
Enthusiasmus meiner Erfolge glühe, dann habe ich keinen Menschen,
mit dem ich meine Freude teilen kann; und habe ich Mißerfolge, dann
ist niemand da, der mir zuspricht und mich wieder aufmuntert. Ich
werde meine Gedanken dem Papier anvertrauen, das ist wenigstens
etwas; aber immerhin ist es doch ein armseliges Mittel zur Aufnahme
unserer Gefühle. Ich bedürfte eines Mannes, einer gleichfühlenden
Seele. Du wirst mich vielleicht sentimental schelten, aber ich kann
nichts dafür, ich brauche einen Freund. Ich habe niemand um mich,
der, zugleich vornehm und mutig, gebildet und verständig, von
denselben Neigungen wie ich, imstande wäre, meinen Plänen
zuzustimmen oder davon abzuraten. Welch guten Einfluß könnte ein
solcher Freund auf Deinen armen Bruder haben! Ich bin zu unüberlegt
und verliere bei Schwierigkeiten zu rasch die Geduld.
Was helfen aber alle Klagen? Auf dem weiten Ozean werde ich
ebensowenig einen Freund finden wie hier in Archangel mitten unter
Kaufleuten und Seefahrern. Nicht als ob ich sagen
möchte, daß diese rauhen Naturen ohne
jegliches menschliche Fühlen wären. Mein Leutnant zum Beispiel ist
ein Mensch von außerordentlichem Mut und unvergleichlicher
Tatkraft, geradezu begierig nach Ruhm. Oder wenn ich mich
deutlicher ausdrücken muß, begierig, in seinem Beruf Hervorragendes
zu leisten. Er ist Engländer und hat sich mitten in seinem Berufe,
fern von aller Kultur, einige feine menschliche Regungen zu
bewahren gewußt. Ich lernte ihn zuerst an Bord eines
Walfischfängers kennen. Da er hier in Archangel keine geeignete
Beschäftigung zu haben schien, war es mir ein leichtes, ihn für
mich zu gewinnen.
Der Maat ist ein Mann von vorzüglichen Anlagen und auf dem
Schiffe beliebt wegen seiner Milde und der vornehmen Behandlung der
Mannschaft. Dieser Umstand, verbunden mit seiner untadeligen
Ehrlichkeit und seinem rücksichtslosen Mut, brachten mich zu dem
Entschluß, den Mann anzuwerben. Meine einsam verbrachte Jugend, der
Einfluß, den Du in meinen späteren Jahren auf mich geübt, haben
mein Gemüt derart verfeinert, daß mir der übliche rohe Ton an Bord
ein Greuel ist; ich habe ihn von jeher für unnötig gehalten.
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