Ich kann die Gefühle nicht beschreiben, die ich dabei empfand. Sie waren ein Gemisch von Lust und Schmerz, wie ich es noch nie kennen gelernt hatte, so ganz anders als Hunger oder Durst, Kälte oder Hitze. Jedenfalls waren sie seltsam und überwältigend, so daß ich mich vom Fenster zurückziehen mußte.

Bald darauf kam der junge Mann nach Hause, auf dem Rücken eine große Ladung Holz. Das Mädchen ging ihm entgegen, half ihm seine Bürde abnehmen und legte einen Teil des Holzes ins Feuer. Dann gingen sie zusammen in eine Ecke des Zimmers und er zeigte ihr einen großen Laib Brot und ein Stück Käse. Sie schien darüber erfreut und begab sich in den Garten, um einige Wurzeln und Kräuter zu holen. Diese legte sie dann in Wasser und stellte dieses auf das Feuer. Während sie in dieser Weise beschäftigt war, ging der junge Mensch in den Garten hinaus und grub dort eifrig Wurzeln aus. Längere Zeit war vergangen, da kam das junge Mädchen und ging mit ihm wieder zurück ins Haus.

Der alte Mann war unterdessen nachdenklich dagesessen; als aber seine Hausgenossen eintraten, ward seine Miene wieder fröhlicher und sie setzten sich alle miteinander an den Tisch, um zu essen. Die Mahlzeit war bald zu Ende. Während das Mädchen das Zimmer in Ordnung brachte, ging der Greis, auf den jungen Mann gestützt, im Sonnenschein spazieren. Es war ein merkwürdiger Kontrast zwischen den beiden Menschen. Der Alte im Silberhaar mit seinen guten, liebenvollen Zügen, der Junge, hoch und schlank gewachsen, mit seinem feinen, ebenmäßigen Gesicht. Seine Augen allerdings und seine Haltung ließen erkennen, daß er sehr traurig und niedergeschlagen war. Der Greis kehrte dann in sein Haus zurück, während der Jüngling mit Werkzeug es war anderes als das, das er morgen getragen – sich auf die Felder begab.

Rasch brach die Nacht herein; aber zu meinem Erstaunen bemerkte ich, daß die Bewohner des Hauses ein Mittel besaßen, das Licht des Tages zu ersetzten, indem sie Wachskerzen anzündeten. Auch machte es mir große Freude, denn nun konnte ich die Leute länger aus meinem Schlupfwinkel beobachten. Der Alte nahm wieder sein Instrument zur Hand, dessen Töne mich schon am Morgen so entzückt hatten. Als er geendet hatte, geschah etwas, was ich nicht begriff. Der junge Mensch wiederholte in einemfort monotone Laute, die es an Schönheit und Harmonie weder mit der Musik des Greises noch mit dem Gesang der Vögel aufnehmen konnten. Später kam ich darauf, daß er laut vorlas, aber damals hatte ich noch keine Ahnung von dem Geheimnis der Buchstaben und Worte.

Die Familie blieb noch einige Zeit beisammen, dann löschte der Alte das Licht und sie begaben sich, wie ich vermutete, zur Ruhe.

Kapitel 12

 

Ich lag auf meinem Stroh, konnte aber nicht schlafen. Ich mußte über das nachdenken, was ich den Tag über gesehen und gehört hatte. Das, was mir besonders zu denken gab, waren die liebenswürdigen Manieren dieser Leute. Ich sehnte mich danach, mit ihnen in Verbindung zu treten, aber ich wagte es nicht. Nicht umsonst erinnerte ich mich der barbarischen Behandlung, die mir in der vergangenen Nacht von Seite der Dorfbewohner zuteil geworden war. Zunächst beschloß ich, in meinem Schuppen zu bleiben und sie noch genauer zu beobachten.

Am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, waren die Leute schon munter. Das Mädchen brachte wieder das Haus in Ordnung und bereitete eine Mahlzeit. Nachdem diese eingenommen war, ging der Jüngling fort.

Der Tag spielte sich in derselben Weise ab wie der vorhergehende. Der Jüngling war die meiste Zeit außerhalb des Hauses beschäftigt, während das Mädchen sich innerhalb desselben zu schaffen machte. Der Alte, der, wie ich bemerkte, blind war, verbrachte seine Zeit, indem er auf seinem Instrument spielte oder nachdenklich im Zimmer saß. Es war schön anzusehen, welche Liebe und Verehrung die jungen Menschen dem Greise zuteil werden ließen. Sie pflegten ihn mit zarter Hingabe und wurden durch sein gütiges Lächeln belohnt.

Ganz glücklich schienen sie jedoch nicht zu sein, denn öfter sah ich die beiden jungen Leute weinen. Ich konnte es mir nicht erklären, jedenfalls aber empfand ich tiefes Mitleid mit ihnen. Wenn schon solche Geschöpfe unglücklich waren, ist es nicht verwunderlich, daß ich, der ich einsam und häßlich war, noch viel mehr litt. Aber warum waren sie unglücklich? Sie besaßen ein herrliches Haus (wenigstens schien es mir herrlich) und alles, was sie bedurften. Sie hatten Feuer, um sich daran zu wärmen, wenn sie froren, und köstliche Speisen, wenn sie Hunger hatten. Sie waren schön gekleidet, und was noch besser ist als alles andere, sie waren nicht allein, sondern freuten sich gegenseitig ihrer Gesellschaft.