Da ist ein Halunke im Dorfe, ein armer geistesschwacher Kretin, halb blind und ganz taubstumm, August sein Name, und mir sonst als Charakter ziemlich verdächtig, der hat zu Protokoll gegeben, daß er das Mädchen im Mondschein von ihres Vaters Dach kletternd und im Walde laufend gesehen habe. Seine Mutter hat ihn geprügelt, und jedesmal, wenn ihn seine Mutter geprügelt hat, so hat sich der Hydrocephalus, der Wasserkopf und der Kropfmensch, in den Schutz der Eilike begeben, das heißt unter einem überhängenden Stein im Busch hinter ihrem Hause seine Zuflucht genommen. Er sagt nun aus, die Eilike sei an ihm vorbeigeschlüpft, und ich glaube nicht, daß der Tölpel dieses Mal lügt. Fort ist sie, und dann ist am Morgen Querian zu mir gekommen – seit langer Zeit zum erstenmal am hellen Tage hat er sich aus seiner Höhle erhoben – und hat seine Fräulein Tochter von mir zurückverlangt. Da hat es Auftritte gegeben in der Idylle bei der Witwe Bebenroth und auf der Dorfgasse, die mir den Aufenthalt auf Patmos für alle Zeiten verleidet haben. Der ganze liebenswerte Ort ist zu einem Tollhause geworden, und alles Bergmannsvolk hat für den primus inter pares, für meinen Freund Querian, Partei genommen. Wahrhaftig, da leben wir mitten im erleuchteten neunzehnten Jahrhundert und erleben es, daß einem die Tierheit, der Unverstand die Tor mit den Köpfen einrennen und Recht verlangen für ihren weisen Meister! Sie nennen ihn wirklich und wahrhaftig ihren weisen Meister, und sie haben vor meiner justizrätlichen, whistklub- und landtagswahlfähigen Nase auf den Tisch geschlagen und es sich verbeten, daß ich mich in – ihre Angelegenheiten mische! Sie haben behauptet, ich habe das Kind fortgeschickt; und Querian, selbstverständlich Methode in seinen Wahnsinn bringend, hat mich sehr verständig gefragt, ob ich in der Tat nicht die Absicht habe, mich in seinen Haushalt einzumischen und ihn in dem Seinigen zu stören. – Nun komme einer einem Narren wie er mit der Kreisdirektion und der Polizei! – Dem Vorsteher muß ich es lassen, er hat sich als ein vernünftiger Beamter gezeigt, und auf einen Teil der Bauern konnten wir gleichfalls zählen als verständige Männer. So haben wir den Wald abgesucht bis zum gestrigen Abend, die Eilike jedoch nicht gefunden. Und nun sitzt der Querian wieder und hat sich noch fester verbollwerkt in seiner Behausung, und die Bergleute haben die heillose Geschichte unter die Erde getragen und verarbeiten sie da weiter. Frau Salome, in dem Augenblick, wo Sie als klare israelitische Baronin und europäische Bankierswitwe und ich als hannoverscher Justizrat hier am hellen Tageslichte verhandeln, wird da unten in der Tiefe auch verhandelt, und wenn sie uns nicht eine Kompanie Musketiere schicken, ist kein Gedanke daran, daß wir den Querian in ein Asyl für Nervenkranke und die Eilike in unsere Hände und ein Erziehungsinstitut für junge Damen besserer Stände kriegen. Alles unterirdische Volk ist für Querian, die Waldarbeiter sind schwankend, und nur die Bauern, wie gesagt, sind zum Teil für uns, wollen aber natürlich erst wissen, was der Herr Kreisdirektor zu der verfluchten Geschichte sagt. Jawohl, die zuständige Behörde da unten in der Stadt wartet ab, daß ihre Landdragoner nach Hause kommen, und hier sitze ich. Mein Reittier steht in der Goldenen Forelle, und mein Brief an Peter von Pilsum befindet sich auf der Eisenbahn, auf der Reise nordwestwärts. Sollte man da nun nicht selber rappelig werden, zumal an einem solchen mörderlichen Tage, wo die Wendekreise des Krebses und des Steinbocks sich einem im Hirnkasten zu schneiden scheinen und einem der Gleicher grade üb er die Nase herunterläuft?!«
»Die Unglücklichen!« seufzte die Frau Salome, und sie meinte den Vater und das Kind in dem aufgeregten Dorfe hinter den Bergen. »Was für einen Rat wollen Sie von mir in dieser traurigen Sache? Nehmen Sie mich mit sich; ich werde sogleich den Befehl geben, anzuspannen, und wir können auf der Stelle abfahren. Ich will mit dem unseligen Menschen reden; ich will ihn sehen; – oh, ich weiß, ich kenne ja noch gar nichts von ihm! Sie haben mir von ihm gesprochen, aber von seinem Leben, seinen Anfängen und seinem Entwicklungsgange kaum etwas erzählt, Scholten.«
»Da ist eben wenig zu erzählen, gute Frau. Ich, Schwanewede und Querian sind sämtlich aus Quakenbrück, drei Wiedehopfe aus einem Neste – Schulgenossen, Jugendgenossen. Studienfreunde, wir alle drei zusammen –, aber drei geborstene Töpfe machen keinen ganzen und heilen. Jeder von uns ist seine eigenen Wege gegangen, und hier sind wir angekommen; jeder mit seinem Sprunge vom Henkel bis zum Boden, und nur ich von der alten Drahtbinderin Notwendigkeit für den ferneren notdürftigen Lebensküchengebrauch notdürftig konserviert. Ich nehme es nicht zu sehr übel, wenn Sie mich für den Vernünftigsten von den drei edeln Quakenbrückern halten wollen. Daß ich Jurist bin, wissen Sie; Schwanewede hat Theologie studiert und Querian eigentlich alles und die Bildhauerei noch obendrein. Da er der Begabteste von uns war, so fuhr die Welt natürlich am schlimmsten mit ihm. Um irgendeinen Halt zu haben, heiratete er und hat sein Weib bald genug in lauter Liebe und Zärtlichkeit zu Tode gequält. Ja, Frau, ich lasse meinen Esel in der Goldenen Forelle an der Krippe, und Sie lassen anspannen, und wir fahren zusammen. Sie sollen Querian sehen und mit ihm reden. Als er in die Welt fiel, purzelte er auf den Rücken wie ein Käfer. Er hat auch sechs Beine oder Krallen wie ein Käfer, und damit zappelt und greift er in der Luft umher und hat es immer noch nicht aufgegeben, den Halm zu finden, an dem er sich aufrichten könne. Bis dato ist er auf dem Rücken liegengeblieben und hat jenen Halm oder Strohhalm nicht gefaßt. Im fünfzehnten oder sechzehnten Jahrhundert würde er vielleicht ein großer Mann geworden sein, ein Alchimist und Archimedikus am Hofe von Burgund, ein Professor zu Bologna, Prag oder Wittenberg oder ein fürtrefflicher Skulptor in der Bauhütte des Kölner Domes.
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