Es ist schade um ihn; ich versichere es Sie, Frau Salome! Im Gefolge Eurer Königlichen Majestät von Saba würde er sich auch gar nicht übel ausgenommen haben – er hat eine leichte Hand und schneidet ausgezeichnet gut Krähenaugen aus; auf der Universität hat er sie mir oft ausgeschnitten. Ach, wie es jetzt ist, wird ihm wohl kein Hofmarschallamt bei seinem Begräbnis eine Hofkutsche nachschicken! Ja, lassen Sie anspannen, Frau Salome, und fahren Sie mit mir zu meinem armen Freunde Querian!«

»Wie ist er in dieses Dorf gekommen?«

»Grade wie Sie auf diesen Vorsprung des Gebirges, Frau Salome. Sie bewohnen hier die Villa Veitor, weil Ihnen der Lärm, der Geruch und die Verwirrung dort in den Städten der Menschen zuviel werden. Er hatte wohl noch zwingendere Gründe. Mit einem goldenen Löffel schöpfte er nicht vom süßen Brei dieser besten Welt. Ei, und die Tollen sind schlau! Es geht eigentlich nichts über die List der Wahnsinnigen, und es ist ein großes Glück für uns, daß sie selten so heimtückisch sind wie die vernünftigen Leute. Querian ging nur schlau den Leuten durch, die ihm nicht gefielen; – habe ich Ihnen nicht gesagt, daß die größere Hälfte des Volkes hier auf ihn schwört?«

Die Baronin zog die Glocke und befahl, den Wagen hervorzuziehen und die Pferde anzuschirren. Der Justizrat Scholten lobte noch einmal den Wein, das Wasser und den Eiskeller seiner Gastfreundin, dann sprach er mit gedrücktem Tone:

»Ich warne Sie, Liebste. Es gibt keine gefährlicheren Verbindungen als mit Menschen, welche die Rolle, die sie nur spielen sollen, ernst nehmen. Mit dem mächtigen Kaiser Octavianus Augustus ließ sich vortrefflich auskommen und höchst angenehm verkehren; aber mit dem armen hintersinnigen Schlucker, meinem Freunde Ernestus Querianus, läßt sich verdammt schlecht Kirschen essen. Wer bürgt Ihnen dafür, beste Frau, daß nicht die Verflechtungen und Verpflichtungen, in welche Sie vielleicht durch diese Fahrt geraten, Ihnen die Sommerfrische hier an den Bergen ganz so verleiden, wie sie mir bereits zuwider gemacht worden ist?! Ist's die Witterung oder etwas anderes – ich traue dem Tage nicht.«

»Ich bin aus Affrontenburg und fürchte mich vor keinen Verwicklungen.«

»Schön«, sagte der alte Scholten. »Neulich traf ich da unten im Kurgarten eine recht patriarchalische Familie, deren greisendes Oberhaupt eben einen von einem jüngeren Sprößling unter dem Nebentische zwischen den Füßen der Nachbarschaft gefundenen Silbergroschen mit hundert Prozent Agio bezahlte. Lange hat mir nichts so wohl gefallen. So richtet man in der richtigsten Weise für alle Vorkommnisse des Lebens ab! Die liebe Familie war auch aus Berlin, Frau Salome! Eine sehr christliche Familie, Euer Gnaden.«

»Seien Sie nicht allzu unvorsichtig, Scholten!« sagte die schöne Frau lächelnd. »Sie wissen, ich beiße, wenn man die Hand zu vermessen in mein gläsern Haus und Gefängnis steckt.«

»Beißen Sie!« rief Scholten. »Davor fürchte ich mich auch nicht; ich kenne den Saft, der in die zierlichen Wunden fließt. ›Sie alter Schmeichler, Sie!‹ werden Sie sagen; nicht wahr, Frau Salome? Übrigens wartet der Wagen, und wir können abfahren.«

Dem stellte sich noch ein Hindernis entgegen.

 

Elftes Kapitel

 

Ein Hindernis konnte man es eigentlich nicht nennen; es war vielmehr ein Begebnis, das sie noch aufhielt. Sie waren aus dem Saal auf den kiesbedeckten Rundplatz der Hinterseite des Hauses hinabgestiegen, wo der leichte, offene Wagen sie an der Veranda erwartete. Seltsamerweise schien das ganze Hauspersonal sich diesmal für die Abfahrt der Herrin außergewöhnlich zu interessieren. Es hatte jedoch einen andern Grund, daß jedermann seine Beschäftigung unterbrochen oder ganz aufgegeben hatte.

»Bei der Hitze solch eine Vergnügungsfahrt!« ächzte der Justizrat mit einem anklägerischen Aufblicke zum erbarmungslosen verschleierten Blau über seinem Kopfe.

»Wollen Sie ein Exemplar der ›Odyssee‹ mit auf den Weg haben?« fragte die Baronin lächelnd. »Das ist immer kühl und erfrischt euch germanische Gemüter. Ich meinesteils versetze mich einfach in der Phantasie nach Judäa, wo sie an die Wüste Edom stößt – das kühlt auch.«

Sie setzte eben den Fuß auf den Wagentritt, als sie von ihrem Gärtner angesprochen wurde.

»Gnädige Frau, wir haben jetzt endlich unsern Gartendieb. Er soll uns hoffentlich von nun an nicht mehr durch die Hecken brechen. Im Waschhause haben wir ihn in Numero Sicher unter Schloß und Riegel, und in der Mooshütte habe ich ihn beim Fittich genommen. Solch eine Frechheit! Denken Sie, er lag und schlief, so voll gefressen hatte er sich in den Kirschen.«

»Haltet ihm eine Rede, Friedrich; gebt ihm einen kleinen Denkzettel und laßt ihn laufen«, meinte Scholten. »Selbst einen Mordbrenner sollte man bei einer solchen Temperatur nicht vor Gericht schleppen.«

»Es ist kein Er; es ist eine Sie, Herr Justizrat.«

»Eine Sie?« fragte die Baronin. »Dann wollen wir doch die Verbrecherin sehen, Scholten. Schließen Sie einmal das Waschhaus auf und bringen Sie uns das arme Ding her, Fritz. Ich will nicht umsonst den Blutbann auf meinem Gebiet ausüben. Gütiger Himmel, sind denn die Kirschen schon genießbar? Ich würde es mir nie vergeben, wenn sich jemand die Ruhr auf meinem Grund und Boden holte.«

Im Haufen hatten sich die Leute auf die Waschhaustür gestürzt, und inmitten des Haufens geführt, erschien die Sünderin, die man in der Mooshütte schlafend gefangen hatte.

»Ich traue meinen Augen nicht!« rief der Justizrat Scholten.

»Das Kind?« rief die Frau Salome.