Sie stehen mir da viel zu eng in Verbindung mit den Herrschaften hier unter Ihren Füßen, hundert Klafter tief in der Erde –«
»Und so glauben Sie freundlichst, man habe mich meiner Frau Mutter vor sechzig Jahren als Wechselbalg in die Wiege gelegt, und der richtige, ehelich erzeugte junge Scholten – anderthalb Fuß hoch – trete im Mondschein Hexenringe in das grüne Gras und vermelke den Bauern mit einem so gesegneten Durst die Kühe, daß die Butter da unten in den Städten der Ebene um fünf Groschen aufschlägt. Danke gehorsamst.«
Die schöne Dame lachte; aber da in diesem Augenblick ein Häher sich über ihr in einem Baumwipfel niederließ und hell herniederkreischte, so benutzte der Justizrat auch das und diesen Vogel noch zu seiner Gegenrede.
»Darf ich die Herrschaften miteinander bekannt machen«, sagte er mit einer Verbeugung und einem Blick nach dem Buchenzweig in der Höhe: »Mein Gevatter, Herr Markwart, aus dem Geschlecht Corax, Glandarius in der Familie genannt – Frau Baronin Salome von Veitor, Bankierswitwe aus Berlin, Millionärin und unzufriedene Weltbürgerin in den Kauf – reitet vortrefflich, nimmt sich ausgezeichnet aus zu Maultier auf einem Felsvorsprung unter den germanischen Buchen und Tannen, würde jedoch unter den Palmen des Orients, auf einem Dromedar, sich –«
»Noch viel besser ausnehmen. Ei, lieber Justizrat, Sie waren ja nie in Palästina und können also durchaus nichts davon wissen, wenn Ihnen nicht irgendeine Erinnerung an einen Holzschnitt nach irgendeinem Bilde von Horace Vernet im Gedächtnis hängen blieb. Aber Sir Moses Montefiore sah mich auf dem Berge Karmel und war in der Tat entzückt. Ich kann Ihnen nur raten –«
»Sich in Ihrem deutschen Philisterbewußtsein zurechtzufinden und gemütlich einzurichten. Liebe Freundin, ich freue mich unendlich, Ihnen begegnet zu sein oder haben wenn ich jedoch durch den fortwährenden Umgang mit mir selber grenzenlos langweilig geworden sein sollte, so lassen Sie's nur nicht mich entgelten; – sonst aber, wie befinden sich Euer Gnaden?«
»Durch den fortwährenden Verkehr mit der Welt durchaus nicht verwöhnt, momentan sehr wohl. Bester Scholten, ich habe Sie bereits gesucht, das heißt ich habe die letzten Wochen durch fort und fort gehofft, Euch Sonderlichsten der Sterblichen an einer Wendung des Weges zu treffen. Nun haben wir hier freilich die rechte Stelle getroffen, um uns in der gewohnten Weise zu grüßen und die Wahrheit zu sagen oder allerlei Wahrheiten, wie man da unten im flachen Lande sich ausdrückt.«
Der Justizrat war so nahe als möglich getreten und hatte dem Maulesel der schönen Jüdin die Hand auf die Kruppe gelegt:
»Wird das auch heut abend zu einer Ofengabel oder einem Besenstiel?«
Die Baronin lachte:
»Ei, Herr, Sie haben es ja selber bemerkt, daß wir uns unter den germanischen Buchen- und Tannenbäumen befinden. Was habe ich mit euren Mysterien und Mythologien zu schaffen? Da wir zu Hause keine Ofen hatten, so kannten wir wahrscheinlich auch keine Ofengabeln, und über die Art der Zimmer- und Gassenreinigung zu Jerusalem sind eure Gelehrten auch noch nicht ganz einig. Auf dem Toten Meere tanzten wir leichtfüßig über dem Salz-, Schwefel- und Asphaltschaum; bleibt mir gefälligst mit eurer Bratäpfel- und Singende-Teekessel-Dämonologie vom Leibe. Wie wäre es aber, wenn Sie trotz alledem endlich einmal wieder eine Tasse Tee bei mir trinken würden?«
Der Justizrat schien die letzte Frage gänzlich zu überhören.
»Götterblut!« murmelte er. »Beim Atemholen des Archipelagos, ich brauche ihr den Puls nicht zu fühlen! Ichor!«
»Was soll das bedeuten?« rief die Frau Salome. »Sie reden mit sich selber! Weshalb reden Sie nicht mit mir? Ihr Umgang scheint Sie freilich arg verzogen zu haben.«
»Hm, Sie haben recht, Gnädige. Was beliebten Sie zu sagen?«
»Ich lud Sie zu einer Tasse Tee ein, mein braver germanischer Waldspuk.«
»Und ich würde die Einladung selbstverständlich mit Vergnügen annehmen, wenn nicht heut abend vielleicht bei mir jemand zu Gaste wäre, den ich nicht gern allein am Tische sitzen lassen möchte. Wenn Sie aber eine neue Probe deutschen Spuks haben wollen, schöne semitische Zauberin, so rate ich Ihnen väterlich, mit mir zu reiten und meine Bewirtung anzunehmen. Über die letztere sollen Sie sich verwundern, und gewissen Leuten kann man keine angenehmere Gabe bieten als einen echten und gerechten Grund zur Verwunderung.«
Die Baronin Salome lachte erst, seufzte aber gleich darauf und sagte:
»So ist es.«
»Nun?«
»Ist vielleicht Freund Schwanewede aus Pilsum unterwegs?«
»Dem bin ich einen Besuch schuldig und Sie desgleichen, liebe Frau, Ich habe Sie auf einen neuen Spuk eingeladen, Baronin, und wiederhole meine Einladung.«
»Und ich nehme sie an, mein väterlicher Wundermann; die Sonne steht noch ziemlich hoch, und ich finde nachher auch wohl in einer Sternennacht den Weg durch den Wald nach Hause. Levate la tenda! Ich bin wirklich neugierig auf das, was Sie mir zeigen wollen.«
»Sie und Ihr Tier werden dann und wann vor einer Schneise oder einem sonstigen Holzwege nicht zurückschrecken, und so reicht die Zeit für alles.«
»So denn hinein in das Geheimnis!« rief die Dame und ließ ihren Maulesel auf die Straße zurücktreten.
Es war ein hübsches Bild, wie die drei jetzt zusammen fürbaß zogen, der Esel, die schöne Jüdin und der Justizrat Scholten.
Viertes Kapitel
Daß der Justizrat die Gegend genau kannte, wurde bald recht deutlich. Er führte, und der Esel folgte.
Ihr Weg ging nun eine kurze Strecke auf der Landstraße hin; dann schlug der Alte einen Nebenpfad über die baumlose, mit Felsentrümmern übersäte Lehne ein und benutzte einen Waldarbeitersteig, der sie in den dunkeln Tannenwald niederführte. Nun benutzten sie einen durch den Sommer ausgetrockneten Bergbach als Weg und gelangten erst nach längeren Mühseligkeiten und Beschwerden in eine Schneise, die es dem Justizrat erlaubte, neben dem Maultier und dem Knie der Frau Salome einherzugehen. Sobald ihm das möglich geworden war, geriet er mit der Dame in ein Gespräch, das selbstverständlich seinen Anfang aus der landschaftlichen Umgebung entnahm.
»Jetzt treibe ich mich nun schon wieder an die sechs Wochen in diesen Bergen umher«, sagte die Baronin.
»Und zwar mit dem Gefühl, durchaus nicht dahinein zu gehören«, meinte Scholten.
»Da das über unsere Willkür hinausliegt, halte ich mich nicht für verpflichtet, Ihnen eine Antwort zu suchen. Sonst aber stehe ich mich durchschnittlich recht gut mit den Höhen und Tiefen, den Bäumen und Wassern und allen lebendigen Geschöpfen, Sie eingeschlossen, Scholten.«
»Das soll nun keine Antwort sein?« brummte Scholten und fügte erst nach einer geraumen Pause hinzu: »Also Euer Gnaden haben sich den Stimmungen Ihrer Umgebung wieder nach Möglichkeit angepaßt?«
»Das ist der rechte Ausdruck! Wir passen uns den Stimmungen dessen, was uns umgibt, an, und ein Geschäft ist es – ein Tun, eine Arbeit, während welcher wir uns mehr Melancholie als Behagen aus Sturmwind und Stille, aus Regen und Himmelblau, aus Sonne und Schatten spinnen. Wenn einmal das Zünglein der Waage einsteht, dann –«
»Nun, dann?«
»Sehen Sie doch die Nase, die uns der alte Steinklotz dort aus dem Gebüsch dreht! Scholten, der Kerl hat eine fast ärgerliche Ähnlichkeit mit Ihnen. Nehmen Sie es nicht übel, aber Sie müssen mich unbedingt noch einmal hierherführen. Ich muß diesen Burschen zeichnen!«
»Das ist nicht der erste Esel, den ich Ihnen gehalten habe, während Sie sich derartigen artistischen Versuchen hingaben«, sagte Scholten; doch die Frau Salome neigte sich aus ihrem Reitsattel und rief:
»Glück auf, Großpapa Granit! Nicht wahr, es ist zu lächerlich, zu dumm, daß das närrische Menschenvolk hierherkommt und meint, du solltest dich seinen Grillen bequemen und deine Stimmung der seinigen anpassen? Hat er genickt, lieber Freund?«
Der Alte lächelte:
»Wohl möglich. Sie haben wohl schon ehedem die Steine zum Nicken gebracht.«
Nun lachte die schöne Frau:
»Wahrlich! In den Tagen, da uns das noch Spaß machte!« Doch da der Hochwald um sie her augenblicklich sehr dicht und dunkel wurde, so schien sie sich ebenso augenblicklich der Stimmung, die er verlangte, zu fügen, und zu ihrem Begleiter sich niederbeugend und die Hand auf seine Schulter legend, sagte sie:
»Mein Freund, nickendes Gestein droht mit Einsturz. Unsere eigenen Wälle brechen über uns zusammen. Und manchmal wird man lebendig von ihnen begraben. Führt Ihr Weg nicht bald wieder in die Sonne?«
»Nun so nach und nach«, sagte der Justizrat verdrießlich.
»Übrigens reicht die Beleuchtung wohl noch hin, daß Sie sich meine Physiognomie dabei betrachten können. Sagen Sie, Sie närrische Judenmadam, sehe ich so aus, als ob ich mir durch sentimental-klägliche Redensarten die Laune verderben ließe? Da müssen Sie doch sich einen anderen Jeremias suchen und sich mit ihm auf die Trümmer von Jeruscholajim setzen. Ich habe beide Rechte studiert und dies und das noch dazu, bin dreimal meiner exakten Lebensphilosophie halber relegiert worden und nachher nur aus Gnaden zum Examen zugelassen.
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