Aber alsbald erschien ein Gerichtsbote mit einem großen, rotversiegelten Briefe.
Meyhöfer fluchte und trank mehr denn je, und das Ende vom Liede war, daß er zur Zahlung sämtlicher Kosten und eines Schmerzensgeldes verurteilt wurde. Nur mit knapper Not glitt er an einer Gefängnisstrafe vorbei.
Seit diesem Tage wollte er die »schwarze Suse« nicht mehr vor Augen sehen. Sie wurde in den hintersten Schuppen gebracht und stand dort in Verborgenheit manches Jahr hindurch, ohne daß eines Menschen Blick auf sie fiel.
Nur Paul nahm von Zeit zu Zeit heimlich den Schlüssel des Schuppens und schlich zu dem schwarzen Ungetüm hinein, das ihm lieber und lieber wurde und ihm schließlich wie eine stumme, arg verkannte Freundin erschien. Dann betastete er die Schrauben und die Ventile, kletterte längs dem Schornstein in die Höhe und setzte sich rittlings auf den Kessel – oder er hängte sich an das große Triebrad und versuchte es durch seiner Arme Kraft in Schwung zu setzen. Aber schlaff wie ein Leichnam bewegte er sich nur so weit, als es geschoben wurde, dann stand es wieder still.
Und wenn er sich müde gearbeitet hatte, faltete er die Hände, und traurig zu dem toten Rade emporblickend murmelte er: »Wer wird dich wieder lebendig machen?«
7
Als Paul vierzehn Jahre alt war, beschloß sein Vater, ihm zum Konfirmandenunterricht zu schicken.
»Etwas Rechtschaffenes wird er in der Schule doch nicht lernen,« sagte er, »Zeit und Geld sind bei ihm weggeworfen. Daher soll er rasch eingesegnet werden, damit er sich in der Wirtschaft nützlich machen kann. Was Besseres als ein Bauer wird sowieso nicht aus ihm werden.«
Paul war's zufrieden, denn ihn verlangte danach, einen Teil der Sorgen, die die Mutter drückten, auf seine Schultern zu nehmen. Er gedachte eine Art von Inspektor aus sich zu machen, der den fehlenden Herrn zu jeder Zeit ersetzte und selber Hand anlegte, wo die Knechte ein gutes Beispiel brauchten. Er versprach sich von seiner Tätigkeit den Beginn einer neuen, segensreichen Zeit, und wenn er nachts im Bette lag, träumte er von wogenden Weizenfeldern und blitzblanken, massiven Scheuern. Immer mehr festigte sich in ihm der Entschluß, all seine Kraft daran zu wenden, um den verlotterten Heidehof zu Ehren zu bringen. Die Brüder sollten einst von ihm sagen können: »Er ist doch zu etwas nütze gewesen, wenn er uns auch auf unseren glänzenden Bahnen nicht hat folgen können.«
Ja, die Brüder! Wie groß und wie vornehm waren die inzwischen geworden! Der eine studierte Philologie, und der andere war als Lehrling in ein angesehenes Bankgeschäft eingetreten. Trotz der guten Tante brauchten beide Geld, viel Geld, weit, weit mehr, als der Vater ihnen schicken konnte. Auch für sie versprach sich Paul mit seinem Übertritt in die Wirtschaft den Beginn einer sorgenfreien Zeit. Alles überschüssige Geld sollte ihnen geschickt werden, und er, o, er würde schon sparen und sorgen, auf daß sie frei von Not und Bedrängnis weiterschreiten könnten nach ihren erhabenen Zielen.
Mit diesen frommen Gedanken trat Paul den Weg zur ersten Religionsstunde an. – Es war an einem sonnigen Frühlingsmorgen zu Anfang des Monats April.
Das junge Gras auf der Heide leuchtete in grünlichen Lichtern, Wacholder und Erika trieben neue, weiche Spitzen, am Waldesrand blühten Anemonen und Ranunkeln. – Ein warmer Wind zog über die Heide ihm entgegen, er hätte laut aufjauchzen mögen, und das Herz ward ihm schwer vor lauter Lust.
»Es muß ein Trauriges im Werke sein,« sagte er sich, »denn so froh darf man sich auf Erden nicht fühlen.«
Vor dem Pfarrgarten stand eine Reihe von Fuhrwerken, die er nur zum geringsten Teil kannte. Auch vornehme Karossen waren darunter. – Mit stolzem Lächeln saßen die Kutscher mit ihren blanken Röcken auf dem Bocke und warfen geringschätzige Blicke um sich herum.
In dem Garten war eine große Kinderschar versammelt. Die Knaben gesondert und die Mädchen auch. Unter den Knaben befanden sich die beiden Brüder, von denen er früher so viel hatte leiden müssen und die seit einem Jahr die Schule nicht mehr besuchten. Sie kamen sehr freundlich auf ihn zu, und während der eine ihm die Hand zum Gruße reichte, stellte ihm der andere von hinten ein Bein.
Von den Mädchen gingen einige Arm in Arm in den Gängen spazieren. Sie hatten sich um die Taille gefaßt und kicherten miteinander. Die meisten waren ihm fremd, einige schienen besonders vornehm, sie trugen feine graue Regenmäntel und hatten Federhüte auf dem Kopfe. Ihnen mußten die Karossen draußen gehören.
Er sah auf seine Jacke herunter, um sich zu vergewissern, daß er sich nicht zu schämen brauchte. Sie war von feinem schwarzen Tuche, aus einem alten Fracke des Studenten gefertigt, und schien so gut wie neu, nur daß die Nähte ein wenig glänzten. Alles in allem: er brauchte sich nicht zu schämen.
Die Glocke ertönte. Die Konfirmanden wurden in die Kirche gerufen. – Paul fühlte sich frei und fromm, als ihn die feierliche Dämmerung des Gotteshauses umfing. – Er dachte nicht mehr an seine Jacke, die Gestalten der Knaben ringsum wurden wie Schatten.
Zu beiden Seiten des Altars waren Bänke aufgestellt. Rechts sollten die Knaben, links die Mädchen ihre Plätze erhalten.
Paul wurde in die hinterste Reihe gedrängt, wo die Kleinen und die Armen saßen.
1 comment