– Nun setzte der Spieler seine Flöte ab, stieß mit rauher, heiserer Stimme ein paar schmutzige Worte hervor, goß gierig den Branntwein hinunter, der ihm von den Umstehenden gereicht wurde, und begann, mit den Füßen den Takt schlagend, einen Gassenhauer zu spielen, den die Zuhörer mit Brüllen begleiteten.
Da floh Paul zur Schenke hinaus und lief und lief, daß ihm Hören und Sehen verging, als hätte er Angst, zur Besinnung zu kommen. –
Als er allein auf der Heide war, über welche die Stürme dahinsausten, und von deren Rande ein schwefelgelber Streifen abendlichen Lichtes ihm entgegenleuchtete, da hielt er inne, schlug die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich. – –
In dem Winter, der nun folgte, stellte Paul sein Pfeifen gänzlich ein, und noch mehr war ihm das Flötenspiel verleidet. Wenn er daran dachte, stand das Bild jenes Verworfenen vor seinen Augen, der ihm seine Sehnsucht entheiligt hatte.
Elsbeth sah er fortan nicht mehr. Mit Beginn der kalten Jahreszeit war die Religionsstunde aus der Kirche in das Pfarrhaus verlegt worden, und da sich in ihm kein Raum vorfand, der sämtliche Konfirmanden hätte fassen können, so wurden Knaben und Mädchen gesondert unterrichtet. Bisweilen zwar sah er Elsbeths Wagen an sich vorüberfahren, aber sie selbst war so sehr in Pelze und Tücher vermummt, daß von ihrem Gesicht nichts zu erkennen war. Er wußte nicht einmal, ob sie ihn bemerkt hatte.
Zu derselben Zeit hatte er vielen Ärger mit den Brüdern Erdmann, die ihn bis aufs Blut zu quälen wußten. Er war vollständig wehrlos ihnen gegenüber, denn jeder einzelne hatte doppelt soviel Kraft als er; auch griffen sie ihn immer zu zweien an, und während der eine ihn festhielt, zwackte ihn der andere. Nicht, daß die beiden von Grund aus boshafte Geschöpfe gewesen wären, im Gegenteil, gegen die anderen wußten sie Wohlwollen und Großmut zu üben, aber gerade seine stille, in sich versunkene Natur war ihnen in tiefster Seele verhaßt. Sie schalten ihn einen Mucker, einen Kopfhänger, und wenn sie ihn geprügelt hatten, sagten sie: »So, nun zeig uns an, das würde prächtig zu dir passen.«
Sein Groll gegen die Widersacher schwoll höher und höher. Oft machte er sich Vorwürfe, daß er sich feige und ehrlos betrage, und beschuldigte sich niedriger, knechtischer Gesinnung. Eines Tages, als er auf dem beschneiten Hofe hin und her lief, redete er sich so sehr in Zorn hinein, daß er beschloß, sich jener bösen Brüder zu entledigen, und wenn es sein eigen Leben kostete. – Er lief in den Stall, wo der Schleifstein stand, taute das in der Bütte gefrorene Wasser auf und schärfte sein Taschenmesser, bis es einen Streifen dünnsten Seidenpapiers durchschnitt. Als er aber am nächsten Montag aufs neue durchgeprügelt wurde, fand er nicht den Mut, es aus der Tasche zu ziehen, und mußte sich aufs neue ob seiner Feigheit Vorwürfe machen. Er verschob es auf das nächste Mal – aber dabei blieb es.
Auch von dem Vater hatte er vieles zu erdulden. Der trug sich neuerdings wieder mit großen Plänen, und wenn er das tat, fühlte er sich stets sehr erhaben und war auf Paul, den er um seines kleinlichen Sinnes willen verachtete, besonders schlecht zu sprechen.
»Warum ist auf den Jungen nicht der leiseste Funken meines Genies übergegangen?« sagte er. »Wie schön könnte ich ihn dann zum Handlanger für meine Pläne erziehen! Aber er ist zu stupide – Hopfen und Malz sind an ihm verloren.«
Er hatte jetzt die Absicht, zur Ausbeutung seines Moores eine Aktiengesellschaft zu gründen, große Kapitalien aufzubringen und sich selbst zum Direktor mit soundsoviel tausend Talern Gehalt ernennen zu lassen. Er fuhr allwöchentlich zwei- bis dreimal zur Stadt und war oft am zweiten Tage noch nicht zu Hause.
»Es hält schwer,« sagte er dann, wenn er seinen Rausch ausgeschlafen hatte, »aber ich werde die Filze schon 'rankriegen. Auch der Douglas, der Protz, muß mir bluten. Wenn ich nur wüßte, wie ich ihn mir einmal greifen könnt'? Helenental betrete ich nie wieder, schon um nicht zu sehen, wie der Kerl es hat verwahrlosen lassen – denn das hat er jedenfalls – und in der Stadt bekomme ich ihn nie zu sehen. Aber bluten – bluten muß er. Wenn er nicht einen Scheffel Aktien zeichnet, soll ihn der Teufel holen.«
Frau Elsbeth hörte das alles traurig an, ohne ein Wort zu sagen, Paul aber pflegte hinterher heimlich den Schlüssel des Schuppens vom Brette zu nehmen, um mit der »schwarzen Suse« stumme Zwiesprach zu halten. Er hatte nun einmal den Glauben, daß von ihr die Rettung käme.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Als die Osterfeiertage vorüber waren, wurde der Religionsunterricht aufs neue in die Kirche verlegt. Knaben und Mädchen kamen nach halbjähriger Trennung wieder zusammen.
Elsbeth hatte sich während des Winters sehr verändert. Sie sah nun beinahe aus wie eine erwachsene Dame. Sie trug ein halblanges Kleid und hatte das Haar über der Stirn in Löckchen aufgelöst.
Paul grüßte sie sehr beklommen; ihm war zumute, als paßte er nicht mehr zu ihr – aber sie stand von ihrem Sitze auf, ging ihm drei Schritte entgegen und drückte ihm vor aller Augen herzlich die Hand.
In der darauffolgenden Stunde wurde unter den Knaben ein Blatt herumgereicht, das viel Heiterkeit erregte. Es trug die von allerhand Schnörkeln umgebenen Worte:
»Als Verlobte empfehlen sich:
Paul Meyhöfer,
Elsbeth Douglas.«
Die Schrift war die des jüngeren Erdmann. Pauls Hand suchte nach seinem Messer; für einen Moment war ihm zumute, als könnte er es hier mitten in der Kirche gegen seinen Nachbarn zücken; er zerrte ihm das Blatt aus der Hand und riß es in Fetzen.
Elsbeth sah verwundert zu ihm herüber, und der Pfarrer rief ihn zur Ruhe. Nun erschrak er über seine eigene Kühnheit. Die Erdmänner mußten ihm wohl angemerkt haben, daß er in diesem Punkt nicht mit sich scherzen lasse, und machten keinen ferneren Versuch, ihn mit Elsbeth aufzuziehen ...
Am letzten Sonntag vor Pfingsten war die Einsegnung.
1 comment