Das Schriftliche machst du bei mir; so wird es uns beiden leichter. – Du weißt ja, Mama, daß Max von Trenk am Nervenfieber darniederlag! – Heute mittag kommt Hänschen Rilow von Trenks Totenbett zu Rektor Sonnenstich, um anzuzeigen, daß Trenk soeben in seiner Gegenwart gestorben sei. – »So?« sagt Sonnenstich, »hast du von letzter Woche her nicht noch zwei Stunden nachzusitzen? – Hier ist der Zettel an den Pedell. Mach, daß die Sache endlich ins reine kommt! Die ganze Klasse soll an der Beerdigung teilnehmen.« – Hänschen war wie gelähmt.
FRAU GABOR. Was hast du da für ein Buch, Melchior?
MELCHIOR. »Faust.«
FRAU GABOR. Hast du es schon gelesen?
MELCHIOR. Noch nicht zu Ende.
MORITZ. Wir sind gerade in der Walpurgisnacht.
FRAU GABOR. Ich hätte an deiner Stelle noch ein, zwei Jahre damit gewartet.
MELCHIOR. Ich kenne kein Buch, Mama, in dem ich soviel Schönes gefunden. Warum hätte ich es nicht lesen sollen.
FRAU GABOR. – Weil du es nicht verstehst.
MELCHIOR. Das kannst du nicht wissen, Mama. Ich fühle sehr wohl, daß ich das Werk in seiner ganzen Erhabenheit zu erfassen noch nicht imstande bin ...
MORITZ. Wir lesen immer zu zweit; das erleichtert das Verständnis außerordentlich!
FRAU GABOR. Du bist alt genug, Melchior, um wissen zu können, was dir zuträglich und was dir schädlich ist. Tu, was du vor dir verantworten kannst. Ich werde die erste sein, die es dankbar anerkennt, wenn du mir niemals Grund gibst, dir etwas vorenthalten zu müssen. – Ich wollte dich nur darauf aufmerksam machen, daß auch das Beste nachteilig wirken kann, wenn man noch die Reife nicht besitzt, um es richtig aufzunehmen. – Ich werde mein Vertrauen immer lieber in dich als in irgend beliebige erzieherische Maßregeln setzen. – – Wenn ihr noch etwas braucht, Kinder, dann komm herüber, Melchior, und rufe mich. Ich bin auf meinem Schlafzimmer.
Ab.
MORITZ. – Deine Mama meinte die Geschichte mit Gretchen.
MELCHIOR. Haben wir uns auch nur einen Moment dabei aufgehalten!
MORITZ. Faust selber kann sich nicht kaltblütiger darüber hinweggesetzt haben!
MELCHIOR. Das Kunstwerk gipfelt doch schließlich nicht in dieser Schändlichkeit! – Faust könnte dem Mädchen die Heirat versprochen, könnte es daraufhin verlassen haben, er wäre in meinen Augen um kein Haar weniger strafbar. Gretchen könnte ja meinethalben an gebrochenem Herzen sterben. – Sieht man, wie jeder darauf immer gleich krampfhaft die Blicke richtet, man möchte glauben, die ganze Welt drehe sich um P ... und V ...!
MORITZ.
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