In ihrer jungen Brust gegen einander ankämpfend, wogten tausend nie zuvor gekannte süße und bittre Empfindungen und machten sie verstummen; Freude über Ottokars Wiederbegegnen, Schmerz, daß er sie gar nicht bemerkte, und dazu das herbe Gefühl des Alleinseyns, mitten unter fröhlichen Menschen. Noch nie war Gabriele sich selbst so unbedeutend erschienen, nie zuvor hatte sie Demüthigung vor Zeugen, Unzufriedenheit mit sich selbst wie heute empfunden, und es gelang ihr nur mit großer Anstrengung, sich zum tröstenden Selbstbewußtseyn endlich wieder empor zu ringen und den festen Entschluß zu fassen, äußere Zufälligkeiten nicht höher zu stellen als deren eigentlicher Standpunkt es fordert. Eine unaussprechliche Sehnsucht nach ihrer Mutter ergriff ihr tief verwundetes Gemüth, wie ein müdes Kind weinte sie sich endlich spät in den Schlaf; aber alle die vielen neuen Gestalten des vergangnen Abends umschwirrten sie noch im ängstlichen Traume, und zwischen ihnen hindurch tönte tröstend Ottokars Stimme, mit der er die Worte sprach: »Ich bitte für das junge Fräulein, sie hat wahrlich nicht Unrecht!«

 

Ehe wir Gabrielen auf ihrem fernern Lebenspfade begleiten, wird es nöthig seyn, den Leser zu ihrer früheren Jugendgeschichte zurückzuführen und ihn mit ihren Eltern bekannt zu machen.

Ihr Vater, Baron Aarheim, war schon im frühen Jünglingsalter unumschränkter Gebieter seiner eignen Thaten und eines sehr bedeutenden Vermögens geworden. Er verbrachte seine Jugend theils auf Reisen, theils an Höfen auswärtiger Fürsten, und fand überall die Aufnahme, zu welcher Rang, Reichthum und eine ausgezeichnet vortheilhafte Gestalt ihn berechtigten. Durch keinen äußern Zwang zurückgehalten, stürzte er sich in den Strudel des großen Lebens, suchte rastlos alle Genüsse, gab sich ohne Maaß und Ziel allen Freuden hin, welche es bietet, bis er, erschöpft und abgestumpft, im reifern Alter des ewig wiederkehrenden Einerleis überdrüssig ward und ihm entsagte, um ernstern Plänen zu folgen. Herrschsucht und Ehrgeiz traten jetzt in seinem Gemüth an die Stelle der Sucht nach ewigem Wechsel des Vergnügens; die Gunst des Fürsten, an dessen Hofe er eben lebte, zeichnete ihn vor allen andern aus und steigerte seinen Wunsch nach dem nächsten Platz neben dem Thron bis zur Leidenschaft, indem sie ihm ein Recht darauf zu geben schien. Anfänglich war es, als ob das Glück sein Streben begünstigen wollte; er erklimmte eine Stufe nach der andern, stieg immer höher und höher; aber das Gelingen machte ihn unvorsichtig, es schläferte seine Wachsamkeit ein, Feinde, die er gar nicht beachtete, arbeiteten im Verborgnen ihm entgegen; und so ward auch ihm das Schicksal, das schon so viele in seiner Lage traf, er fiel plötzlich, als er am sichersten zu stehen glaubte, und um so tiefer, je höher er gestiegen war.

Aarheims Fall zerriß die Verbindung mit der Tochter eines großen, glänzenden Hauses, wenig Tage vor dem zur Vermählungsfeier bestimmten, und als er Besinnung genug gewann, um sich zu schauen, sah er sich furchtbar verlassen. Kein einziger Freund war ihm geblieben, seine Jugend früh und längst an ihm vorüber geschwunden, den größten Theil seines Vermögens hatten seine frühere Lebensweise und seine spätern großen Pläne verzehrt, seine Gesundheit war zerrüttet, er selbst erkannte in sich nur noch den Schatten von dem, was er einst gewesen war.

Sein Gemüth erstarrte in bitterm Haß, in tiefer Verachtung aller Menschen, vor allem der Frauen, und er schwur sich selbst, jeden geselligen Umgang so viel möglich Zeitlebens zu meiden. Von seinen vielen Gütern war ihm nur sein Stammgut geblieben, es lag tief im Gebirge, im Gebiet eines andern Fürsten; dorthin beschloß er vor dem Anblick der Welt zu fliehen, die ihn so unbarmherzig gemißhandelt hatte. Er raffte die Trümmern seiner übrigen Habe zusammen und eilte, sich in die tiefste Einsamkeit zu vergraben, in welcher nur demüthige Diener und zitternde Unterthanen seine Umgebung bildeten. So lebte er mehrere Jahre und ward mit jedem Tage härter, schroffer und finsterer.

Der Brief eines Verwandten erinnerte ihn endlich einmal an die Außenwelt, die er so gern ganz vergessen hätte; es fiel ihm ein, daß sein noch immer sehr beträchtliches Gut Mannlehn war, und nach seinem Tode an einen entfernten Vetter fallen müsse, den er allein schon deshalb als seinen ärgsten Feind betrachtete, ohne ihn weiter zu kennen. Er war es leider gewohnt worden, von allen Menschen das Aergste zu vermuthen, und ahnete also auch bei seinem muthmaßlichen Erben das sehnlichste Verlangen nach seinem baldigen Tode, vielleicht gar Pläne, ihn zu beschleunigen; daher beschloß er plötzlich, sich noch im Spätherbst seines Lebens zu vermählen, um seinem Agnaten diese Hoffnung und Freude zu verderben.

Seine Wahl fiel auf Augusten von Rohrbach, die elternlos und arm auf einem kleinen Gute unfern Schloß Aarheim einsam traurige Tage bei einer alten Tante verlebte. Er hatte das Fräulein nie gesehen, ehe er um ihre Hand sich bewarb, aber der Ruf ihrer Schönheit und der unermüdeten Geduld, mit der sie den Launen einer höchst wunderlichen Frau sich fügte, war bis in seine Einsamkeit gedrungen, und dies hinlänglich, ihn für sie zu bestimmen. An Liebe glaubte er nicht und war weit entfernt, sie zu fordern; ihm genügte Gehorsam von seiner künftigen Gattin, und diesen zweifelte er nicht unter solchen Umständen zu erlangen oder zu erzwingen.

Auguste von Rohrbach war in frühester Kindheit zur mutterlosen Waise geworden; ihr Vater hatte sie erzogen. Sein diplomatischer Beruf erlaubte ihm keinen festen Wohnsitz, sondern trieb ihn rastlos durch fast alle die glänzendsten Städte Europens; doch ließ er sich dadurch nicht hindern, seinem einzigen Kinde die möglichste Sorgfalt zu weihen. Ueberallhin mußte Auguste ihrem Vater folgen, und sobald ihr Alter es erlaubte, benutzte er alle Gelegenheiten, ihr in jeder Stadt, wo sie längere Zeit lebten, die besten Lehrer zu verschaffen, um sie in allen, ihrem Geschlechte zusagenden Wissenschaften und Künsten unterrichten zu lassen.

Die freigebige Natur hatte das Kind nicht nur mit einer höchst anmuthigen Gestalt ausgestattet, sie begünstigte es auch mit seltenem Talent und schneller Fassungsgabe. Und so geschah es denn gar bald, daß Auguste der Stolz ihres Vaters ward, ein Kleinod, mit dem er gern bei jeder Gelegenheit prunkte und auf dessen seltnen Werth er große Pläne für kommende Zeiten erbaute. So wie sie älter ward, suchte er alle ihre Vorzüge ins hellste Licht zu stellen; kein Schmuck, der ihre schöne Gestalt erheben konnte, war ihm zu kostbar, überall mußte das junge Mädchen vor den erlesensten Zirkeln ihr musikalisches Talent üben, im einzelnen Tanz oder durch die zu jener Zeit als etwas ganz neues bewunderten Attitüden der Lady Hamilton die Zuschauer entzücken, und auf alle Weise bestmöglichst glänzen und schimmern.

Bei dieser Erziehung wäre Auguste eine eitle Thörin geworden, wenn nicht zum Glück den Kindern auffallende Fehler ihrer Eltern oft zu schützenden Warnern auf ihrem Lebenswege würden, besonders wenn sie sich durch sie in ihrer angebornen Eigenthümlichkeit behindert fühlen. Dies war eben bei Augusten der Fall. Bis zur Furchtsamkeit bescheiden, kostete es ihr, als ganz jungem Mädchen, manche heiße, bittre Thräne, wenn sie auf Befehl ihres Vaters vor großen Gesellschaften mit ihren Künsten auftreten mußte. Späterhin gewann sie freilich durch lange Gewohnheit mehr Muth, aber auch hellern Beobachtungsgeist. Das heimliche, neidische Hohnlächeln der Anwesenden und deren leise geflüsterten Anmerkungen entgingen Augustens Scharfblick nicht, obgleich ihr Vater nichts davon ahnete. Diesen blendete der rauschende Beifall, welchen alle die Herren und Damen seiner Tochter um so reichlicher zollten, je schärfer sie, von ihm unbeachtet, die Geißel der Kritik über sie schwangen. Auguste wagte es nicht, gegen ihren Vater ihre Bemerkungen laut werden zu lassen, er war zu glücklich in seiner Verblendung, als daß es sie nicht hätte schmerzen sollen, ihn daraus zu wecken; aber innerlich fühlte sie sich durch diese Falschheit seiner vorgeblichen Freunde oft schmerzlich verwundet. Sie selbst ward indessen wenigstens dadurch in der anspruchlosen Bescheidenheit erhalten, zu welcher ihr ganzes Wesen sich ohnehin neigte, und ihr tiefes Erröthen bei jedem laut ausgesprochnen Lobe zeigte deutlich, wie wenig sie sich bewußt war, es zu verdienen.

Ihre reine, schöne Natur wäre dennoch vielleicht dem ewigen Entgegenarbeiten des eitlen Vaters erlegen, doch frühe Liebe erhob sich ihr zum Schutzgeist. Rein und innig loderte die stille Flamme heißer Neigung zu einem edeln jungen Manne in ihrer jungen Brust, ihr selbst fast unbekannt und nur im Schmerz der Trennung sich zuerst ihr ganz offenbarend.

Ihr Geliebter war Sekretär bei der Legation ihres Vaters und in seinem Hause, zum Theil mit Augusten erzogen. Er lebte mit ihr unter einem Dache, theilte mit ihr alle ihre Freuden, half ihr bei ihren musikalischen Uebungen, war am Tische und auf Reisen überall in ihrer Nähe. Was konnten beide mehr vom Schicksal zu erlangen wünschen? Sie waren glücklich wie Kinder, die sich des heutigen Tages freuen, ohne dabei an morgen zu denken.

Augustens Vater aber dachte nicht nur an heut und morgen, sondern auch an alle, diesen folgende Tage und Jahre. Ein Zufall entdeckte ihm das Geheimniß der Liebenden, es stimmte nicht zu seinen hohen Plänen mit der einzigen, glänzend erzognen Tochter, aber er schwieg dazu, weil er das menschliche Herz genug kannte, um zu wissen, daß hier mit Einreden wenig abgeändert werden würde. Er handelte lieber, wie er es gewohnt war, sobald sein Vortheil es heischte, kalt und ruhig, besonnen und sicher.