Er hatte auf einen Erben seines alten Namens und seines Stammgutes gehofft, und suchte nicht den Unmuth über die getäuschte Erwartung seiner Gemahlin schonend zu verhehlen. Jahre vergingen, Gabriele blieb das einzige Kind, und der Vater blickte nie mit Liebe, oft mit verbißnem Zorn auf sie herab.
Augustens unaussprechliche Milde, ihre unermüdete, allen Wünschen des Barons zuvorkommende Sorgfalt für ihn, siegten doch endlich einigermaaßen über sein von der Welt verwahrlosetes Gemüth. Ihm war jetzt zu wohl in seinem Hause geworden, als daß er die Urheberin dieses ihm bis jetzt unbekannt gebliebnen behaglichen Zustandes nicht hätte von den übrigen Menschen unterscheiden sollen. Zwar blieb er hart und kalt im Leben wie zuvor, aber er duldete Augustens stilles Walten, in seinem Schloß sowohl als auf seinem Gute, und ließ ihr schweigend die Freiheit, das Schicksal seiner Unterthanen auf manigfache Weise zu erleichtern. Allmählig ward sein Vertrauen zu ihr immer größer, so daß er ihr zuletzt die ganze Verwaltung seiner Geschäfte allein übertrug, allem menschlichen Umgang, außer mit ihr und den ihn zunächst umgebenden Dienern, völlig entsagte und sich auf den entferntesten Flügel des weitläuftigen Schlosses zurückzog, wo er sich eine von allen übrigen Bewohnern desselben ganz abgesonderte Wohnung einrichten ließ.
Eine von seinen Vorfahren vor langer Zeit gesammelte Bibliothek war in der von ihm erwählten gänzlichen Abgeschiedenheit der einzige Zeitvertreib, welcher sich dem Baron gewissermaaßen entgegendrängte. Zuerst bewog ihn Langeweile, die alten Bücher zu mustern und zu ordnen, aus welchen sie bestand; bald aber zog ihn der Inhalt eines Theils derselben unwiderstehlich an. Eine sehr vollständige große Sammlung alter alchymistischer Schriften, gedruckt und im Manuskript, war ihm in die Hände gefallen; er hatte sie Anfangs nur aus bloßer Neubegier durchblättert, aber diese Blätter fingen bald an, ihn immer ernstlicher zu beschäftigen, so daß er zuletzt mit unermüdetem Eifer sie Tag und Nacht studirte und alles Uebrige dabei vergaß, bis ihm die Möglichkeit, mit der Natur in ihrem geheimsten Walten zu wetteifern, völlig erwiesen schien.
Schon lange hatte er mit einem, aus gekränktem Stolz und Mitleid gemischten bittern Gefühl auf seine Gemahlin und seine Tochter geblickt, wenn er bedachte, daß diese nach seinem Tode Schloß Aarheim verlassen müßten, und in einer, wenn auch nicht hülflosen, doch gegen jetzt sehr beschränkten Lage zurückbleiben würden. Nun, da die Möglichkeit, Gold zu machen, ihm immer deutlicher, ja zuletzt zur Gewißheit ward, regte sein alter eingeschlummerter Ehrgeiz aufs neue die Flügel. Schon sah er im Geist Gabrielen zur reichsten Erbin von Europa erhoben, um deren Hand einst Fürsten werben würden. Im voraus genoß er den hohen Triumph über seine Feinde, die ihn in den Staub getreten zu haben wähnten, aus dem er jetzt zu ihrer Beschämung glorreich empor zu steigen hoffte, und er beschloß, sein ganzes übriges Leben an dieses große Ziel zu setzen, zu dessen Erreichung ihm nichts zu kostbar schien.
Er ließ dicht neben seinem Zimmer ein eignes Laboratorium erbauen, in welchem er sich unablässig mit alchymistischen Versuchen beschäftigte, wenn er nicht über den Schriften brütete, die ihm jetzt als das Höchste erschienen. Den Seinigen ward er nur bei der Mittagstafel sichtbar und saß selbst dann stumm und in Gedanken verloren, ohne auf irgend etwas zu achten, was um ihn her geschah. Niemand im Hause konnte den eigentlichen Zweck seines Strebens nur ahnen, denn er arbeitete immer bei verschloßnen Thüren, und nahm nur im äußersten Nothfall einen alten Diener zur Hülfe, der gar nicht wußte, was er that, indem er seinem Herrn bei alchymistischen Prozessen Handreichung leistete. Auguste selbst durfte nie die Schwelle der Zimmer ihres Gemahls betreten. Sie glaubte mit allen übrigen Hausgenossen, daß der Baron sich mit Erfindung neuer Färbestoffe beschäftige, denn er selbst hatte auf eine geschickte Weise diese Meinung zu veranlassen gewußt. Herzlich gern gönnte sie ihm diese harmlose Beschäftigung, ohne weiter darüber zu grübeln, und war nur besorgt, jede Störung mit verdoppelter Aufmerksamkeit von ihm abzuwenden.
Auguste erfreute sich jetzt der glücklichsten Zeit ihres Lebens. Jede Stunde des Tages durfte sie ungehindert dem Liebling ihrer Seele weihen, nie störte die Außenwelt sie in dieser süßen Beschäftigung, denn kein Besuch betrat jemals das Schloß, und die alte Tante war bald nach ihrer Verheirathung gestorben.
Die kleinen Sorgen für das Hauswesen hatte Frau Dalling anfangs redlich mit ihr getheilt, zuletzt sie deren völlig enthoben. Diese wackere, nicht ungebildete Frau war noch vor Gabrielens Geburt in Augustens Dienste getreten und hatte bald nicht nur Vertrauen sondern auch Achtung und Liebe ihrer Herrschaft und der übrigen Hausgenossen sich erworben. Sogar der finstre, strenge Gebieter Aller bemerkte ihre treuen Dienste nicht ohne Wohlgefallen. Frau Dalling selbst hing mit der treusten Liebe an ihrer freundlichen Herrin und dem holdseligen Kinde, und hätte im Fall der Noth ihr Leben für beide willig geopfert.
Den schwachen Lebensfunken, mit welchem Gabriele zur Welt kam, konnte nur Mutterliebe und die sorgsamste Pflege vor frühem, völligen Erlöschen bewahren; sehr langsam wuchs sie kräftiger heran und ward endlich ein zwar gesundes, aber kein blühendes Kind. Ihre ganze Erscheinung hatte etwas ätherisches. Wenn das kleine zierliche Geschöpf durch den Garten hüpfte, die vollen, goldnen Locken um den blendend weißen Hals flogen, das dunkelbraune Auge fröhlich blitzte, und ein blasses Roth das einer weißen Rosenknospe ähnliche Gesichtchen sanft überhauchte; dann glich es mehr der Elfenkönigin Titania, als einem sterblichen Wesen. So blieb Gabriele bis in ihr sechzehntes Jahr, dem Ansehen nach völlig ein Kind. Die köstlichsten Blumen zögern ja immer am längsten, ehe sie die schützende Knospe durchbrechen.
Wehmüthig bange sah Auguste dem Zeitpunkt entgegen, in welchem der goldne Traum der Kindheit dem ihr vom Himmel zum Trost gesandten Engel entschweben mußte; sie suchte ihn so lange als möglich zu entfernen; aber das ohne alle Gespielen ihres Alters, einzig bei dieser Mutter aufwachsende Mädchen reifte im Innern weit früher heran als im Aeußern.
Augustens Natur war die reinste, alles opfernde Liebe. Schüchtern geworden in der ihr so unfreundlichen Welt, hatte sie sich immer tief verborgen gehalten, und nur gestrebt, alles, was sie berührte, unbemerkt zu beglücken, bis sie in Gabrielen ein Wesen fand, bei dem es Pflicht ward, sich unverschleiert zu zeigen. Nun ward die mütterliche Liebe in ihrem so lange verwaist gebliebenen Gemüth zur hell lodernden Flamme der Leidenschaft. Sie zog Gabrielen mit sich in ihre schöne innerliche Welt, dort lebten Mutter und Tochter ein, allen Uebrigen verborgenes, engelgleiches Leben, in gegenseitigem Verstehen, wie diese Erde es selten birgt. Vertrauen auf Gott, Muth und Ergebung zum Schutz gegen die unvermeidlichen Stürme des Lebens wußte Auguste frühe dem jungen Herzen ihrer Tochter einzuflößen. Gabriele lernte von ihr, stilles Dulden, bei festem Anhalten an das Rechte, als der Frauen höchste Pflicht erkennen; aber in wehmüthig vertrauten Stunden lernte sie auch von der Mutter, daß nur in der Brust des Weibes stille, durch sich selbst beglückte und beglückende Liebe wohnt, die selten echte Gegenliebe findet, und ihrer auch nicht bedarf, um des Lebens höchste, schönste Blüthe zu seyn.
Fröhlich suchte Auguste nun alles wieder hervor, was sie früher im Geräusch der ihr jetzt so fernen Welt erlernt hatte, um auch äußerlich ihren Liebling damit zu schmücken. Sie brachte dadurch in ihre düstre Einsamkeit ein wunderliches Feenleben voll Wechsel und Glanz, von dem, außer der vertrauten Frau Dalling niemand etwas ahnen konnte. In den ausländischen Sprachen, die der Mutter während ihres langen Aufenthalts in fremden Ländern so geläufig als die eigne geworden waren, lernte Gabriele sich mit Leichtigkeit ausdrücken.
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