Still blutet eine Stirne,

Den Vater schirmt das Mädchen mit dem Leib,

Die Bleiche drückt er auf den Schemel nieder,

Ein Richter, kehrt zu seinem Lied er wieder:

»Nimm deinen Stift, mein Kind, und schreib!

 

Zur Stunde, da des Lasterkönigs Knechte

Umwandern, die Entheiliger der Nächte...

Zur Stunde, da die Hölle frechen Schalls

Aufschreit, empor zu den erhabnen Türmen...

Zur Stunde, da die Riesenstadt durchstürmen

Die blut'gen Söhne Belials...«

 

So sang mit wunder Stirn der geisterblasse

Poet. Verschollen ist der Lärm der Gasse,

Doch ob Jahrhundert um Jahrhundert flieht,

Von einem bangen Mädchen aufgeschrieben,

Sind Miltons Rächerverse stehn geblieben,

Verwoben in sein ewig Lied.[219]

 

Der Daxelhofen

Den Hauptmann Daxelhofen

Bestaunten in der Stadt Paris

Die Kinder und die Zofen

Um seines blonden Bartes Vlies –

Prinz Condé zog zu Felde,

Der Hauptmann Daxelhofen auch,

Da fuhr am Bord der Schelde

Der Blitz und quoll der Pulverrauch.[219]

 

Die Lilienbanner hoben

Sich sachte weg aus Niederland

Und schoben sich und schoben

Tout doucement zum Rheinesstrand.

»Herr Prinz, welch köstlich Düften!

So duftet nur am Rhein der Wein!

Und dort der Turm in Lüften,

Herr Prinz, das ist doch Mainz am Rhein?

 

In meinem Pakt geschrieben

Steht: Ewig nimmer gegens Reich!

So steht's und ist geblieben

Und bleibt sich unverbrüchlich gleich!

Ich bin vom Schwabenstamme,

Bin auch ein Eidgenosse gut,

Und daß mich Gott verdamme,

Vergieß ich Deutscher deutsches Blut!

 

In Mainz als Feind zu rücken

Reißt mich kein Höllenteufel fort,

Betret ich dort die Brücken,

So sei mir Hand und Schlund verdorrt!

Nicht dürft ich mich bezechen

Mit frommen Christenleuten mehr!

Mein Waffen lieber brechen,

Als brechen Eid und Mannesehr!«

 

»La, la«, kirrt Condé, »ferner

Dient Ihr um Doppel-Tripellohn.«

Da bricht vorm Knie der Berner

In Stücke krachend sein Sponton,

Dem Prinzen wirft zu Füßen

Die beiden Trümmer er und spricht:

»Den König laß ich grüßen,

Das deutsche Reich befehd ich nicht!«[220]

 

Ein Pilgrim

(Epilog)

 

's ist im Sabinerland ein Kirchentor –

Mir war ein Reisejugendtag erfüllt –

Ich saß auf einer Bank von Stein davor,

In einen langen Mantel eingehüllt,

Aus dem Gebirge blies ein harscher Wind –

Vorüber schritt ein Weib mit einem Kind,

Das, zu der Mutter flüsternd, scheu begann:

»Da sitzt ein Pilgerim und Wandersmann!«

 

Mir blieb das Wort des Kindes eingeprägt,

Und wo ich neues Land und Meer erschaut,

Den Wanderstecken neben mich gelegt,

Wo das Geheimnis einer Ferne blaut,

Ergriff mich unersättlich Lebenslust

Und füllte mir die Augen und die Brust,

Hell in die Lüfte jubelnd rief ich dann:

»Ich bin ein Pilgerim und Wandersmann!«

 

Es war am Comer- oder Langensee,

Auf lichter Tiefe trug das Boot mich hin

Entgegen meinem ew'gen, stillen Schnee

Mit einer andern lieben Pilgerin –

Rasch zog mir meine Schwester aus dem Haar,

Dem braungelockten, eins, das silbern war,

Und es betrachtend, seufzt ich leis und sann:

»Du bist ein Pilgerim und Wandersmann.«

 

Mit Weib und Kind an meinem eignen Herd

In einer häuslich trauten Flamme Schein

Dünkt keine Ferne mir begehrenswert,

So ist es gut! So sollt es ewig sein...

Jetzt fällt das Wort mir plötzlich in den Sinn

Der kleinen furchtsamen Sabinerin,

Das Wort, das nimmer ich vergessen kann:

»Da sitzt ein Pilgerim und Wandersmann«

 

Biographie

1825

11. Oktober: Conrad Meyer wird in Zürich als erstes Kind des Juristen und Historikers Ferdinand Meyer und seiner Frau Elisabeth, geb. Ulrich, geboren. Er wird streng protestantisch erzogen.

1829

Der Vater wird in den Großen Rat des Kantons Zürich gewählt.

1830

Ferdinand Meyer steigt zum Regierungsrat auf.

1831

Freundschaft mit Johanna Spyri.

1832

Ferdinand Meyers scheidet aus der Regierung aus.

1833

Der Vater wird Lehrer am Gymnasium in Zürich, das Conrad Ferdinand Meyer besuchen wird.

1840

Tod des Vaters.

1843

Meyer reist nach Lausanne, wo er dort Privatstunden in Französisch und Italienisch nimmt.

Beginn der autodidaktischen historischen und literaturwissenschaftlichen Studien.

Bekanntschaft mit dem Maler Paul Deschwanden und dem Historiker Louis Vuillemin.

1844

Rückkehr nach Zürich, wo er die Reifeprüfung ablegt.

Meyer immatrikuliert sich der Mutter zuliebe an der Züricher Universität zum Jurastudium, das er jedoch bald wieder aufgibt.

1845

Umzug mit der Mutter und der Schwester nach Stadelhofen.

Liebe zu Marie Burckhardt.

1848

Meyer bemüht sich um eine künstlerische Ausbildung, jedoch ohne Erfolg.

Autodidaktische Studien.

Der Rückzug aus sozialen Kontakten führt zur Isolation Meyers.

1852

Sommer: Meyer wird mit Depressionen in die Nervenheilanstalt Préfargier bei Neuenburg eingeliefert.

1853

Freundschaft mit der Oberschwester Cécile Borrel.

Nach seiner Entlassung aus der Nervenklinik geht Meyer nach Neuenburg.

März: Umsiedlung nach Lausanne, wo er u.a. als Geschichtslehrer im Blindeninstitut arbeitet (bis Dezember).

Enger Kontakt zu Louis Vuillemin, der ihn zur Übersetzung von Constantin Thierrys »Récits des Temps Mérovingiens« anregt, an der er bis 1855 arbeitet.

Dezember: Meyer kehrt zurück nach Zürich.

1855

Auf die Fürsprache Louis Vuillemins hin ernennt der Züricher Präsident der »Allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz«, der Historiker Georg von Wyss, Meyer zum Sekretär der Gesellschaft.

Die Thierry-Übersetzung »Erzählungen über die Geschichte Frankreichs« erscheint (ohne Nennung des Übesetzers).

1856

Tod Antonin Mallets, eines geistig zurückgebliebenen begüterten Genfers, der von der Familie Meyer betreut worden war. Er vermacht sein Vermögen der Familie. Durch diese Erbschaft ist Meyers finanzielle Unabhängigkeit gesichert.

September: Freitod der Mutter.

1857

März bis Juni: Reise nach Paris.

Sommer: Zusammen mit Betsy Aufenthalt in Engelberg und Planung einer Italienreise.

Oktober: Besuch in München.

1858

März bis Juni: Mit Betsy Reise nach Italien, wo sie Siena, Florenz und vor allem Rom besuchen.

1859

Nach der Rückkehr arbeitet Meyer als Übersetzer in Zürich.

1860

Übersiedlung nach Lausanne, wo er sich an der Universität habilitieren möchte.

1861

Rückkehr nach Zürich.

1864

»Zwanzig Balladen von einem Schweizer« erscheinen anonym und auf Meyers eigene Kosten gedruckt.

1865

Veröffentlichung von Gedichten im »Stuttgarter Morgenblatt«.

»Der Himmlische Vater, sieben Reden von Ernest Naville«, von Meyer zusammen mit der Schwester Betsy übersetzt, erscheint.

Meyer lernt den Leipziger Verleger Hermann Haessel kennen, der alle weiteren Schriften Meyers veröffentlicht und ihn als Autor in Deutschland durchsetzt.

1866

Sommer: Aufenthalt mit Betsy im Oberengadin und im Veltlin.

Arbeit an »Georg Jenatsch«.

1867

Die »Balladen von Conrad Ferdinand Meyer«, eine unveränderte Ausgabe der Balladen von 1864 mit neuem Titel, erscheinen.

Um Verwechslungen mit einem gleichnamigen Züricher Schriftsteller zu vermeiden, nimmt er den Namen des Vaters als zweiten Vornamen an und nennt sich nun Conrad Ferdinand Meyer.

Sommeraufenthalt und Wanderungen mit Betsy im Oberengadin.

1868

Frühjahr: Umzug mit der Schwester nach Seehof bei Küsnacht.

1869

»Romanzen und Bilder« (Gedichte, vordatiert auf 1870).

1870

Freundschaft mit Georg von Wyss, dem Kunsthistoriker Johann Rudolf Rahn und dem Rhetoriker Adolf Calmberg sowie mit François und Eliza Wille, in deren Haus Züricher Künstler und Gelehrte verkehren.

1871

Die historische Verserzählung »Huttens letzte Tage«, eine Reverenz an die Lebensleistung eines patriotisch gesinnten Deutschen, erscheint (vordatiert auf 1872).

Winter: Reise nach München, Innsbruck, Verona und Venedig.

1872

März: Übersiedlung in den Seehof in Meilen.

»Engelberg« (Epos).

1873

»Das Amulett« (Novelle).

1874

In der Zeitschrift »Die Literatur. Wochenschrift für das nationale Geistesleben der Gegenwart« erscheint Meyers auf historischen Quellen beruhender Roman »Georg Jenatsch. Eine Geschichte aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges« (Buchausgabe in 2 Bänden 1876), an dem er zehn Jahre gearbeitet hatte.

Bekanntschaft mit der Tochter eines Oberst Luise Ziegler.

1875

5. Oktober: Heirat mit Luise Ziegler.

Hochzeitsreise über die französische Riviera nach Korsika, wo sie den Winter verbringen.

1876

Das Ehepaar Meyer zieht nach Wangensbach bei Küsnacht, während Betsy zu einer Freundin in die Toscana übersiedelt.

1877

Meyer zieht mit seiner Frau nach Kilchberg, wo er ein Bauernhaus gekauft hat.

Im »Züricher Taschenbuch auf das Jahr 1878« erscheint mit »Der Schuß von der Kanzel« Meyers einzige humoristische Novelle, die zu einem seiner beliebtesten Werke wurde.

1879

Geburt der Tochter Camilla.

Meyers Novelle »Der Heilige« erscheint in der »Deutschen Rundschau«.

1880

Die Universtität Zürich verleiht Meyer den Ehrendoktortitel.

1881

In der »Deutschen Rundschau« erscheint unter dem Titel »Das Brigittchen von Trogen« Meyers Novelle »Plautus im Nonnenkloster«.

1882

Der Band »Gedichte« erscheint. Er enthält Balladen über historische Persönlichkeiten, Stimmungslyrik und symbolistische Bildlyrik sowie einige Liebesgedichte.

»Gustav Adolfs Page« (Novelle, vordatiert auf 1883).

»Kleine Novellen« (4 Bände, 1882–83).

1883

»Die Leiden eines Knaben« (Novelle).

1884

»Die Hochzeit des Mönchs« (Novelle).

1885

»Die Richterin« (Novelle).

»Novellen« (2 Bände).

1887

»Die Versuchung des Pescara« (Novelle).

Schwere Erkrankung der Halsorgane mit Atemnot. Depressionen.

1888

Kuraufenthalt in Gottschalkenberg.

1889

Langsame Erholung von der Krankheit.

1891

Die letzte Arbeit Meyers, die Novelle »Angela Borgia« erscheint.

Meyer erkrankt zusätzlich an einem Augenleiden. Die Depressionen verstärken sich.

1892

Juli: Meyer wird in die Heilanstalt Königsfelden im Aargau gebracht.

1893

September: Rückkehr nach Kilchberg, wo ihn Luise bis zu seinem Tod pflegt.

1898

28. November: Meyer stirbt an einem Herzschlag.

 

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Bibliographische Angaben

Conrad Ferdinand Meyer: Gedichte. Ausgabe 1892

Vollständiger, durchgesehener Neusatz mit einer Biographie des Autors bearbeitet und eingerichtet von Michael Holzinger.

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Conrad Ferdinand Meyer (Fotografie von C. Ruf in Zürich, nicht datiert)

ISBN 978-3-8430-2338-2

 

Historische Angaben

Ausgabe letzter Hand: Gedichte von Conrad Ferdinand Meyer. Fünfte vermehrte Auflage, Leipzig (H. Haessel) 1892. – Die Gedichte entstanden zwischen 1860 und 1892.

 

Textgrundlage

Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Vollständiger Text nach den Ausgaben letzter Hand. Mit einem Nachwort von Erwin Laaths, München: Winkler, 1968.

 

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