Kirchenumbau

 

(Bei modernem Gutswechsel)

 

Spricht der Polier: »Nu bloß noch das eine:

Herr Schultze, wohin mit die Leichensteine?

Die meisten, wenn recht ich gelesen habe,

Waren alte Nonnen aus ›Heiligen Grabe‹.«

 

»Und Ritter?«

 

»Nu Ritter, ein Stücker sieben,

Ich hab ihre Namens aufgeschrieben,

Bloß, wo sie gestanden, da sind ja nu Löcher:

1 Bredow, 1 Ribbeck, 2 Rohr, 3 Kröcher,

Wo soll'n wir mit hin? wo soll ich sie stell'n? «

 

»Stellen? Nu gar nich. Das gibt gute Schwelln,

Schwellen für Stall und Stuterei,

Da freun sich die Junkers noch dabei.«

 

»Und denn, Herr Schultze, dicht überm Altar

Noch so was vergoldigt Kattolsches war,

Maria mit Christkind ... Es war doch ein Jammer.«

 

»Versteht sich. In die Rumpelkammer!«

6. Wie man's machen muß

 

Zwei- oder dreimal mußt' er vor's Messer,

Dann war er durch und ein Durchschnittsassesser.

 

Im übrigen war er ein Pfiffikus:

»Eine Spezialität man wählen muß.«

 

Und endlich hat er sich entschieden:

›Das Durchfahrtsrecht in Krieg und Frieden.‹

 

Er las dreiunddreißig fremde Werke,

Broschüren wurden seine Stärke.

 

Traten dann Konferenzen zusammen

Und stand der Streit in hellen Flammen

 

Und kam's, daß man keinen Ausweg sah,

So hieß es: »Ist kein Dalberg da?

 

Warum uns zanken, quälen, schlagen,

Assessor Null wird uns alles sagen.«

 

Und wirklich, Null wird zugezogen,

Es legen sofort sich des Streites Wogen,

 

Ein Titel schreitet jetzt vor ihm her,

Null ist schon lange Null nicht mehr.

 

Jüngstens empfing er den siebenten Orden,

Ist aber drum nicht schöner geworden.

7. Erfolganbeter

 

Nie hab' ich ein dummeres Stück gelesen.

»Das Haus ist ausverkauft gewesen.«

 

Farbe, Linien, alles verschwommen.

»Die Jury hat es angenommen.«

 

Ein Skandal ist seine Art zu leben.

»Der Botschafter hat ihm ein Fest gegeben.«

 

Glauben Sie mir: er ist ein Kujon.

»Hat aber eine Taler-Million.«

8. Such nicht, wie's eigentlich gewesen

 

Such nicht, wie's eigentlich gewesen,

Wolle nicht in den Herzen lesen.

 

Sieht's freundlich aus, nimm's freundlich an,

Nimm den Biedertuer als Biedermann.

 

Alle Flügelmänner auf Sammellisten,

Nimm sie hin als Musterchristen.

 

Wenn sie nur geben beim Liebeverkünden,

Forsche nicht nach den letzten Gründen.

9. Nur nicht loben

 

Schreibt wer in Deutschland historische Stücke,

So steht er auf der Schiller-Brücke.

 

Macht er den Helden zugleich zum Damöte,

So heißt es: Egmont, siehe Goethe.

 

Schildert er Juden, ernst oder witzig,

Ist es Schmock oder Veitel Itzig.

 

Schildert er einige hübsche Damen,

Heißt es: Dumas ... Ehebruchsdramen.

 

Jeder Einfall, statt ihn zu loben,

Wird einem andern zugeschoben.

 

Ein Glück, so hab' ich oft gedacht,

Daß Zola keine Balladen gemacht.

Dolor Tyrannus

 

Und Dolor Tyrannus also sprach:

»Ihr lieben Ärzte, gemach, gemach,

Immer enger wollt ihr mich umziehn

Mit Opium, Morphium, Kokaïn,

Immer reicher stellt sich euch zur Wahl

Äther, Chloroform, Chloral,

Und doch, ob Brom, ob Jod, ob Od,

Der Schmerz ist ewig wie der Tod.«

 

 

Schlaf

Nun trifft es mich, wie's jeden traf,

Ich liege wach, es meidet mich der Schlaf,

Nur im Vorbeigehn flüstert er mir zu:

»Sei nicht in Sorg', ich sammle deine Ruh',

Und tret' ich ehstens wieder in dein Haus,

So zahl' ich alles dir auf einmal aus.«

 

 

Ausgang

Immer enger, leise, leise,

Ziehen sich die Lebenskreise,

Schwindet hin, was prahlt und prunkt,

Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,

Und ist nichts in Sicht geblieben

Als der letzte dunkle Punkt.

 

 

Butterstullenwerfen

Es fliegt ein Stein (die Hand warf ihn gut)

Kräftig, waagrecht über die Flut.

 

Eine Säule steigt auf, und der Sonne Schein

Malt einen Regenbogen hinein.

 

Und weiter, ein zweites und drittes Mal,

Erhebt sich der siebenfarbige Strahl.

 

Aber je weiter vom Ufer entfernt,

Der Stein im Fluge das Fliegen verlernt.

 

Eine Schwere zieht ihn, es ebbt seine Kraft,

Der Strahl ermattet und erschlafft.

 

Ein Kräuseln noch einmal, ein Tropfen blinkt,

Und dann Ruh' und Stille – der Stein versinkt.

 

 

Meine Gräber

Kein Erbbegräbnis mich stolz erfreut,

Meine Gräber liegen weit zerstreut,

Weit zerstreut über Stadt und Land,

Aber all in märkischem Sand.

 

Verfallene Hügel, die Schwalben ziehn,

Vorüber schlängelt sich der Rhin,

Über weiße Steine, zerbröckelt all,

Blickt der alte Ruppiner Wall,

Die Buchen stehn, die Eichen rauschen,

Die Gräberbüsche Zwiesprach tauschen,

Und Haferfelder weit auf und ab –

Da ist meiner Mutter Grab.

 

Und ein andrer Platz, dem verbunden ich bin:

Berglehnen, die Oder fließt dran hin,

Zieht vorüber in trägem Lauf,

Gelbe Mummeln schwimmen darauf.

Am Ufer Werft und Schilf und Rohr,

Und am Abhange schimmern Kreuze hervor,

Auf eines fällt heller Sonnenschein –

Da hat mein Vater seinen Stein.

 

Der Dritte, seines Todes froh,

Liegt auf dem weiten Teltow-Plateau,

Dächer von Ziegel, Dächer von Schiefer,

Dann und wann eine Krüppelkiefer,

Ein stiller Graben die Wasserscheide,

Birken hier, und da eine Weide,

Zuletzt eine Pappel am Horizont,

Im Abendstrahle sie sich sonnt.

Auf den Gräbern Blumen und Aschenkrüge,

Vorüber in Ferne rasseln die Züge,

Still bleibt das Grab und der Schläfer drin –

Der Wind, der Wind geht drüber hin.

 

 

Am Jahrestag

(27. September 1888)

 

Heut ist's ein Jahr, daß man hinaus dich trug,

Hin durch die Gasse ging der lange Zug,

Die Sonne schien, es schwiegen Hast und Lärmen,

Die Tauben stiegen auf in ganzen Schwärmen.

Und rings der Felder herbstlich buntes Kleid,

Es nahm dem Trauerzuge fast sein Leid,

Ein Flüstern klang mit ein in den Choral,

Nun aber schwieg's – wir hielten am Portal.

 

Der Zug bog ein, da war das frische Grab,

Wir nächsten beide sahen still hinab,

Der Geistliche, des Tages letztes Licht

Umleuchtete sein freundlich ernst Gesicht,

Und als er nun die Abschiedsworte sprach,

Da sank der Sarg, und Blumen fielen nach,

Spätrosen, rot und weiße, weiße Malven,

Und mit den Blumen fielen die drei Salven.

 

Das klang so frisch in unser Ohr und Herz,

Hin schwand das Leid uns, aller Gram und Schmerz.

Das Leben, war dir' s wenig, war dir' s viel?

Ich weiß das eine nur, du bist am Ziel,

In Blumen durftest du gebettet werden,

Du hast die Ruh' nun, Erde wird zu Erden,

Und kommt die Stund' uns, dir uns anzureihn,

So laß die Stunde, Gott, wie diese sein.

 

 

Die Frage bleibt

Halte dich still, halte dich stumm,

Nur nicht forschen, warum? warum?

 

Nur nicht bittre Fragen tauschen,

Antwort ist doch nur wie Meeresrauschen.

 

Wie's dich auch aufzuhorchen treibt,

Das Dunkel, das Rätsel, die Frage bleibt.

 

 

Trost

Tröste dich, die Stunden eilen,

Und was all dich drücken mag,

Auch das Schlimmste kann nicht weilen,

Und es kommt ein andrer Tag.

 

In dem ew'gen Kommen, Schwinden,

Wie der Schmerz liegt auch das Glück,

Und auch heitre Bilder finden

Ihren Weg zu dir zurück.

 

Harre, hoffe. Nicht vergebens

Zählest du der Stunden Schlag,

Wechsel ist das Los des Lebens,

Und – es kommt ein andrer Tag.

 

 

Zuspruch

Such nicht immer, was dir fehle,

Demut fülle deine Seele,

Dank erfülle dein Gemüt.

Alle Blumen, alle Blümchen,

Und darunter selbst ein Rühmchen,

Haben auch für dich geblüht!

 

 

Es kribbelt und wibbelt weiter

Die Flut steigt bis an den Ararat,

Und es hilft keine Rettungsleiter,

Da bringt die Taube Zweig und Blatt –

Und es kribbelt und wibbelt weiter.

 

Es sicheln und mähen von Ost nach West

Die apokalyptischen Reiter,

Aber ob Hunger, ob Krieg, ob Pest,

Es kribbelt und wibbelt weiter.

 

Ein Gott wird gekreuzigt auf Golgatha,

Es brennen Millionen Scheiter,

Märtyrer hier und Hexen da,

Doch es kribbelt und wibbelt weiter.

 

So banne dein Ich in dich zurück

Und ergib dich und sei heiter;

Was liegt an dir und deinem Glück?

Es kribbelt und wibbelt weiter.

 

 

Publikum

Das Publikum ist eine einfache Frau,

Bourgeoishaft, eitel und wichtig,

Und folgt man, wenn sie spricht, genau,

So spricht sie nicht mal richtig.

 

Eine einfache Frau, doch rosig und frisch,

Und ihre Juwelen blitzen,

Und sie lacht und führt einen guten Tisch,

Und es möchte sie jeder besitzen.

 

 

Zum Namenstag meiner Enkelin

(Nach dem Französischen: Le boulanger fait un gâteau)

 

Der Bäcker bringt dir Kuchenbrot,

Der Schneider einen Mantel rot,

Der Kaufmann schickt dir, weiß und nett,

Ein Puppenkleid, ein Puppenbett

Und schickt auch eine Schachtel rund

Mit Schäfer und mit Schäferhund,

Mit Hürd' und Bäumchen, paarweis je,

Und mit sechs Schafen, weiß wie Schnee,

Und eine Lerche, tirili,

Seit Sonnenaufgang hör' ich sie,

Die singt und schmettert, was sie mag,

Zu meines Lieblings Namenstag.

 

 

Was mir gefällt

Du fragst: ob mir in dieser Welt

Überhaupt noch was gefällt?

Du fragst es und lächelst spöttisch dabei.

 

»Lieber Freund, mir gefällt noch allerlei:

Jedes Frühjahr das erste Tiergartengrün,

Oder wenn in Werder die Kirschen blühn,

Zu Pfingsten Kalmus und Birkenreiser,

Der alte Moltke, der alte Kaiser,

Und dann zu Pferd, eine Stunde später,

Mit dem gelben Streifen der ›Halberstädter‹;

Kuckucksrufen, im Wald ein Reh,

Ein Spaziergang durch die Läster-Allee,

Paraden, der Schapersche Goethekopf

Und ein Backfisch mit einem Mozartzopf.«

 

 

Afrikareisender

» ... Meine Herren, was soll dieser ganze Zwist,

Ob der Kongo gesund oder ungesund ist?

Ich habe drei Jahre, von Krankheit verschont,

Am grünen und schwarzen Graben gewohnt,

Ich habe das Prachtstück unsrer Gossen,

Die Panke, dicht an der Mündung genossen

Und wohne nun schon im fünften Quartal

Noch immer lebendig am Kanal.

Hier oder da, nah oder fern

Macht keinen Unterschied, meine Herrn,

Und ob Sie's lassen oder tun,

Ich gehe morgen nach Kamerun.«

 

 

Der echte Dichter

(Wie man sich früher ihn dachte)

 

Ein Dichter, ein echter, der Lyrik betreibt,

Mit einer Köchin ist er beweibt,

Seine Kinder sind schmuddlig und unerzogen,

Kommt der Mietszettelmann, so wird tüchtig gelogen,

Gelogen, gemogelt wird überhaupt viel,

»Fabulieren« ist ja Zweck und Ziel.

 

Und ist er gekämmt und gewaschen zuzeiten,

So schafft das nur Verlegenheiten,

Und ist er gar ohne Wechsel und Schulden

Und empfängt er pro Zeile 'nen halben Gulden

Oder pendeln ihm Orden am Frack hin und her,

So ist er gar kein Dichter mehr,

Eines echten Dichters eigenste Welt

Ist der Himmel und – ein Zigeunerzelt.

 

 

Unsre »deutsche Frau«

Hierlandes ist unsre »deutsche Frau«

Noch immer aus Friesack oder Bernau,

Nur dem Kleinen gilt ihre Respektbezeigung,

Aus Not nicht, nein, aus purer Neigung,

Uralte Themen uralter Epochen

Werden am liebsten durchgesprochen:

Die Küche, die Wäsche, die Wohnung – und dann

(Unerschöpfliches Thema) »mein Mann, mein Mann«.

 

»Mein Mann ist eigentlich viel zu gut,

Und kommt er mal gegen mich in Wut,

Ist es immer bloß wegen der dummen Dinger,

Denen sieht er alles durch die Finger;

Eine Vierzehnjährige nennt er ›Sie‹,

Mittwochs hat er Skatpartie.

Da würd' ich nun gern ins Theater gehn,

Aber, am Ende, was soll man sehn?

›Sodoms Ende‹ gilt ja für unmoralisch,

Schiller ist mir zu theatralisch

Und macht immer schöne Worte nur –

Das Beste bleibt doch freie Natur:

Am Großen Stern auf den Kaiser warten,

Konzert im Zoologischen Garten,

Flamingo, Büffel, Pelikan,

Und Abends (zum Spargel) kommt ›mein Mann‹

Und Rudolf auch, und die Zeit vergeht,

Und der liebe Mond am Himmel steht.«

 

 

Brunnenpromenade

Als ich ankam, Johannistag war grade,

Gleich ging ich auf die Brunnenpromnade.

Kaum wollt' ich meinen Augen traun,

So viel des Herrlichen war da zu schaun,

Eine lange Reihe der schönsten Damen,

Wer zählt die Völker, wer nennt die Namen!

 

Eine ganz Teint und Taille war,

Aschblond das schlicht gescheitelte Haar,

Blendende Zähne, feines Kinn,

Typus einer Engländerin,

Aber solcher, die palankin-überdacht

Weit draußen ihre Tage verbracht,

In Hongkong oder Singapor

(Ihr Diener Malaie halb, halb Mohr),

Und neben ihr plaudert ein junger Lord

Von Lachsfang im Stavanger-Fjord,

Alles albionmäßig abgestempelt,

Die Beinkleider unten umgekrempelt.

 

Es plätschert der Springbrunn, es duften die Blumen,

Fremd blicken die Bonnen und Kindermuhmen,

Noch fremder die Ammen; die Badekapelle

Spielt eben eine Wagnerstelle,

Lohengrin-Arie, jetzt laut, jetzt leis,

Die Damen schließen einen Kreis,

Und in den Kreis, auf den Schlag des Gong,

Tritt jetzt die Schönheit der Saison.

Ihr Aug' ist wie getaucht in Glut,

Rot ist ihr Kleid und rot ihr Hut,

Ein Hut, wie die Kirchenfürsten ihn tragen,

Breitkrempig, ein Schleier umgeschlagen,

Der Schleier auch rot – am Arme Korall'n,

Rot alles, worauf die Blicke fall'n,

Eine Römerin (flüstert man) soll es sein,

Andre sagen: aus Frankfurt am Main.

 

Und herwärts wogt es und wieder zurück,

Auf Wagner folgt ein ungrisch Stück,

Ein Czardas, und auf dem bewässerten Rasen

Blitzt es wie von Goldtopasen;

Überirdisch, ein paradiesisch Revier,

Und die Frage kommt mir: »Was willst du hier?«

Eine Freiin grüßt mich ... doch, wer sie nicht kennte,

Die Macht der höheren Elemente!

 

Nun ist die erste Woche dahin,

Verändert schon fühl' ich Herz und Sinn,

Und eh' eine zweite Woche vergangen,

Ist es nahzu vorbei mit meinem Bangen;

Mummenschanz alles und Fastnachtsorden,

Selbst der rote Hut ist mir komisch geworden,

Ob aus Rom oder Frankfurt – ich seh' in Ruh'

Jetzt lieber dem Paukenschläger zu,

Der kränklich und mürrisch und doch begeistert

Auch Becken noch und Triangel meistert;

Zu Schemen ist plötzlich alles verschwommen,

Ich bin wieder zu mir selbst gekommen,

Und während mir Scheuheit und Demut entschlummern,

Zähl' ich mich zu den »besseren Nummern«.

 

 

Aber wir lassen es andere machen

Ein Chinese ('s sind schon an 200 Jahr)

In Frankreich auf einem Hofball war.

Und die einen frugen ihn: ob er das kenne?

Und die andern frugen ihn: wie man es nenne?

»Wir nennen es tanzen«, sprach er mit Lachen,

»Aber wir lassen es andere machen.«

 

Und dieses Wort seit langer Frist,

Mir immer in Erinnerung ist.

Ich seh' das Rennen, ich seh' das Jagen,

Und wenn mich die Menschen umdrängen und fragen:

»Was tust du nicht mit? Warum stehst du beiseit'?«

So sag ich: »Alles hat seine Zeit.

Auch die Jagd nach dem Glück. All derlei Sachen,

Ich lasse sie längst durch andere machen.«

 

 

König Karl der Zweite von Engelland

König Karl der Zweite von Engelland

Bei Mit- und Nachwelt in Ungunst stand;

In jedem Geschichtsbuch ist zu lesen,

Er sei durchaus vom Übel gewesen

Und habe das denkbar Schlimmste verbrochen:

Nie was Kluges getan, nie was Dummes gesprochen.

 

Ach König Karl von Engelland,

Einen kenn' ich, der hebt für dich die Hand,

Einen kenn' ich, der sich zu sagen erdreistet,

Du hast das denkbar Größte geleistet.

Denn immer zu tun, was klug und weise,

Wie sehr ich diese Kunst auch preise,

Sie muß ihr Auge doch niederschlagen

Vor der höheren Kunst, nie was Dummes zu sagen.

 

 

Contenti estote

Tieck, jung noch, kam zum alten Reil.

»Herr Geheimrat, ich leide schon eine Weil',

Eigentlich hab' ich immer gelitten-

Ich möchte mir Ihren Rat erbitten.«

 

»›Nun, lassen Sie hören, lieber Tieck,

Vielleicht Migräne, vielleicht Kolik?

Sie schütteln den Kopf. Vielleicht was am Herzen

Oder an der Leber? Haben Sie Schmerzen?‹«

 

»Nicht eigentlich das. Wohl mal, daß es sticht,

Aber wirkliche Schmerzen hab' ich nicht.«

 

»›Sehr erfreulich. Und wenn ich's damit nicht traf,

Wie steht's mit der Hauptsach'? Wie steht's mit dem Schlaf?‹«

 

»In dem Punkt zähl' ich mich zu den Gesunden,

Ich schlafe doch mindestens meine neun Stunden.«

 

»›Vortrefflich. So bleibt uns als letztes Gebiet

Nur noch die Verdauung; wie ist der Apptit?‹«

 

»Auch damit geht es; ich kann nicht klagen,

Ja, ich glaube, mein Bestes ist der Magen;

Oft wenn ich erschöpft bin – mit Freunden bei Tische,

Gleich hab' ich wieder die volle Frische.«

 

Da lachte boshaft der alte Reil.

»›Lieber Tieck, mit Ihnen hat es nicht Eil',

Appetit und Schlaf und keine Schmerzen,

Da danken andere Gott im Herzen,

Ihre Krankheit ist nichts als ein krankhaft Verlangen,

Es ist Ihnen immer zu gut gegangen,

Ein bißchen mehr Sorge bei schmalerem Brote,

Das fehlt Ihnen, Freund. Contenti estote.‹«

 

 

In memoriam Nicolai

Verhaßt ist mir alle Philisterei,

Weiß mich auch leidlich davon frei,

Nur den unbedingten Begeisterungsschritt

In Sachen der Kunst, den mach' ich nicht mit, –

Hab' ich's zu kalt oder hab' ich's zu heiß,

So fühl ich: auch Kunst hat ihren Preis.

Italien ... das Auge wird mir hell..

Bellin, Giorgione, Raffael,

Aber wenn ich durch schreckensvolle Nächte

Gekämpft mit dem Heerwurm höllischer Mächte,

Kann ich am Morgen, um anzubeten,

Nicht weihevoll vor die »Assunta« treten,

Dann schweigen in mir alle höh'ren Register,

Nicolai werd' ich und Urphilister,

Und tiefer als in das Grab des Busento

Versinkt mir das ganze Cinquecento.

 

 

Verzeiht

Verzeiht den Anekdotenkram

Und daß niemals ich einen »Anlauf« nahm,

Auch niemals mit den Göttern grollte,

Nicht mal den Staat verbessern wollte,

Nicht mal mit »sexuellen Problemen«

Gelegenheit nahm mich zu benehmen.

 

Der faßt es so, der anders an,

Man muß nur wollen, was man kann,

Mir würde der Weitsprung nicht gelingen,

So blieb ich denn bei den näheren Dingen,

Drei Schritt bloß – – ich weiß, es ist nicht viel,

Aber Freude gibt jedes erreichte Ziel.

 

 

Geschichtschreibung

»Bei hellem Tageslichte

Hab' ich es anders gesehn.«

»Gewiß. Geschichten und Geschichte

Wachsen und wechseln schon im Entstehn!«

 

 

Ikarus

Immer wieder dieselbe Geschichte:

Siege, Triumphe, Gottesgerichte.

 

Wem jeder Sprung, auch der kühnste, geglückt,

Der fühlt sich dem Gesetz entrückt,

Er ist heraus aus dem Alltagstrott,

Fliegen will er, er ist ein Gott;

Er fällt dem Sonnengespann in die Zügel, –

Da schmelzen dem Ikarus die Flügel,

Er flog zu hoch, er stürzt, er fällt,

Ein neu Spektakelstück hat die Welt,

Eben noch zum Himmel getragen ...

Apollo, zürnend, hat ihn erschlagen.

 

 

Ja, das möcht' ich noch erleben

 

Eigentlich ist mir alles gleich,

Der eine wird arm, der andre wird reich,

Aber mit Bismarck – was wird das noch geben?

Das mit Bismarck, das möcht' ich noch erleben.

 

Eigentlich ist alles soso,

Heute traurig, morgen froh,

Frühling, Sommer, Herbst und Winter,

Ach, es ist nicht viel dahinter.

 

Aber mein Enkel, so viel ist richtig,

Wird mit nächstem vorschulpflichtig,

Und in etwa vierzehn Tagen

Wird er eine Mappe tragen,

Löschblätter will ich ins Heft ihm kleben –

Ja, das möcht' ich noch erleben.

 

Eigentlich ist alles nichts,

Heute hält's, und morgen bricht's,

Hin stirbt alles, ganz geringe

Wird der Wert der ird'schen Dinge;

Doch wie tief herabgestimmt

Auch das Wünschen Abschied nimmt,

Immer klingt es noch daneben:

Ja, das möcht' ich noch erleben.

 

 

Man hat es oder hat es nicht

Nur als Furioso nichts erstreben

Und fechten, bis der Säbel bricht,

Es muß sich dir von selber geben –

Man hat es oder hat es nicht.

 

Der Weg zu jedem höchsten Glücke,

Wär' das Gedräng auch noch so dicht,

Ist keine Beresina-Brücke –

Man hat es oder hat es nicht.

 

Glaub nicht, du könnt'st es doch erklimmen

Und Woll'n sei höchste Kraft und Pflicht,

Was ist, ist durch Vorherbestimmen –

Man hat es oder hat es nicht.

 

 

Dreihundertmal

Dreihundertmal hab' ich gedacht:

Heute hast du's gut gemacht,

Dreihundertmal durchfuhr mich das Hoffen:

Heute hast du ins Schwarze getroffen,

Und dreihundertmal vernahm ich den Schrei

Des Scheibenwärters: »Es ging vorbei.«

Schmerzlich war mir's dreihundertmal –

Heute ist es mir egal.

 

 

Fritz Katzfuß

Fritz Katzfuß war ein siebzehnjähr'ger Junge,

Rothaarig, sommersprossig, etwas faul,

Und stand in Lehre bei der Witwe Marzahn,

Die geizig war und einen Laden hatte,

Drin Hering, Schlackwurst, Datteln, Schweizerkäse,

Samt Pumpernickel, Lachs und Apfelsinen

Ein friedlich Dasein miteinander führten.

Und auf der hohen, etwas schmalen Leiter,

Mit ihren halb schon weggetretnen Sprossen,

Sprang unser Katzfuß, wenn die Mädchen kamen

Und Soda, Waschblau, Grieß, Korinthen wollten,

Geschäftig hin und her.

Ja, sprang er wirklich?

Die Wahrheit zu gestehn, das war die Frage.

Die Mädchen, deren Schatz oft draußen paßte,

Vermeinten ganz im Gegenteil, er »nöle«,

Sei wie verbiestert und durchaus kein »Katzfuß«.

Im Laden, wenn Frau Marzahn auf ihn passe,

Da ging' es noch, wenn auch nicht grad' aufs beste,

Das Schlimme käm' erst, wenn er wegen Selter-

Und Sodawasser in den Keller müsse,

Das sei dann manchmal gradzu zum Verzweifeln,

Und wär' er nicht solch herzensguter Junge,

Der nie was sage, nie zu wenig gebe,

Ja, meistens, daß die Waagschal' überklappe,

So wär's nicht zu beleben.

Und nicht besser

Klang, was die Herrin selber von ihm sagte,

Die Witwe Marzahn. »Wo der dumme Junge

Nur immer steckt? Hier vorne muß er flink sein,

Doch soll er übern Hof und auf den Boden,

So dauert's ewig, und ist gar Geburtstag

Von Kaiser Wilhelm oder Sedanfeier

Und soll der Stock' raus mit der preuß'schen Fahne

(Mein sel'ger Marzahn war nicht für die deutsche),

Fritz darf nicht 'rauf – denn bis Dreiviertelstunden

Ist ihm das Mind'ste.«

So sprach Witwe Marzahn.

Und kurz und gut, Fritz Katzfuß war ein Rätsel,

Und nur das Eine war noch rätselvoller,

Daß, wie's auch drohn und donnerwettern mochte,

Ja, selbst wenn Blitz und Schlag zusammenfielen,

Daß Fritz nie maulte, greinte, wütend wurde;

Nein, unverändert blieb sein stilles Lächeln

Und schien zu sagen: »Arme Kreaturen,

Ihr glaubt mich dumm, ich bin der Überlegne.

Kramladenlehrling! Eure Welt ist Kram,

Und wenn ihr Waschblau fordert oder Stärke,

Blaut zu, so viel ihr wollt. Mein Blau der Himmel.«

 

So ging die Zeit, und Fritz war wohl schon siebzehn;

Ein Oxhoft Apfelwein war angekommen

Und lag im Hof. Von da sollt's in den Keller.

Fritz schlang ein Tau herum, und weil die Hitze

Groß war und drückend, was er wenig liebte,

So warf er seinen Shirting-Rock beiseite,

Nicht recht geschickt, so daß der Kragenhängsel

Nach unten hing. Und aus der Vordertasche

Glitt was heraus und fiel zur Erde. Lautlos.

Fritz merkt' es nicht. Die Witwe Marzahn aber

Schlich sich heran und nahm ein Buch (das war es)

Vom Boden auf und sah hinein: »Gedichte.

Gedichte, erster Teil, von Wolfgang Goethe.«

Zerlesen war's und schlecht und abgestoßen

Und Zeichen eingelegt: ein Endchen Strippe,

Briefmarkenränder, und als dritt' und letztes

(Zu glauben kaum) ein Streifen Schlackwurstpelle,

Die Seiten links und rechts befleckt, befettet,

Und oben stand, nun was? stand »Mignonlieder«,

Und Witwe Marzahn las: »Dahin, dahin

Möcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.«

 

Nun war es klar. Um so was träg und langsam,

Um Goethe, Verse, Mignon.

Armer Lehrling,

Ich weiß dein Schicksal nicht, nur eines weiß ich:

Wie dir die Lehrzeit hinging bei Frau Marzahn,

Ging mir das Leben hin.