Oktober 1066
(Nach dem Altenglischen)
König Harald, Boten sandt' er aus
An die Küste, die sollten erkunden,
Ob Herzog Wilhelm und sein Heer
Den Weg übers Meer gefunden.
Und am dritten Tag, der Nebel lag
Übers Land in breiten Schichten,
Da waren die Boten wieder daheim,
Und der eine begann zu berichten:
»Die Klippe von Hastings, wohl war sie steil,
Und das Meer, wohl hat es gebrandet,
Vergebens die Brandung, vergebens der Stein,
Herzog Wilhelm ist gelandet.
Seine Rüstung ist wie von Silber und Gold,
Sein Antlitz ist wie von Eisen,
Aber sein Heer, dem schlottern die Knie,
Das wird fliehn und den Rücken uns weisen.
Seine Ritter sehn hohl und hager drein,
Wie in mönchisch Grübeln verloren,
Sie haben nicht Kinn- und nicht Backenbart,
Sind alle geschabt und geschoren.1
Im ganzen Normannenlager gibt's
Nur Beten und Messesingen,
Das ganze Heer ist ein Priesterheer,
Und du wirst es im Spiele bezwingen.«
König Harald aber, er sah vor sich hin,
In finstres Sinnen verloren,
Dann sprach er: »Ich weiß, sie fechten wie wir,
Obwohl sie geschabt und geschoren.«
Fußnoten
1 They were all shaven and shorn.
Von der schönen Rosamunde
(Romanzen-Zyklus)
Rosamunda – Rosa mundi
(Rosamundes Grabschrift)
Erstes Kapitel
Wie König Heinrich Rosamunden findet
Der König Heinrich jagt im Wald
Mit Hof- und Jagdgesinde,
Es führt sein Ritt ihn alsobald
Auf eine weiße Hinde;
Und nach, durch Ginster und durch Porst,
Spornt er sein Roß, bis tiefer Forst
Das Tier in Schutz genommen.
Des Weges bar, durch Strauch und Dorn
Lenkt Heinrich jetzt den Schecken
Und ruft Hallo und stößt ins Horn,
Um Gegengruß zu wecken;
Wohl hört er, wie das Birkhuhn schwirrt,
Wie über ihm die Taube girrt,
Doch nichts von Hornesklängen.
Der Tag ist heiß. Es weht kein Hauch,
Und Roß und Reiter dürsten,
Kein Quell ist da, kein Brombeerstrauch
Beut seine Frucht dem Fürsten;
Der denkt wohl: »Wenn ich Wasser hätt',
So wahr ich ein Plantagenet,
Ich wög' es auf mit Golde.«
Da schnaubt sein Scheck, und noch einmal,
Wie wenn er Obdach wittert –
Und sieh, ein Schloß im Sonnenstrahl
Hell durch die Zweige zittert.
Schon halten Roß und Mann davor,
Und gastlich öffnet sich das Tor
Dem ungekannten Ritter.
Und in die Hall' voll Waffenprunk
Ist Heinrich jetzt getreten
Und hat um Wasser, einen Trunk,
Den Graubart drin gebeten;
Der aber spricht: »An Cliffords Schwell'
Labt man den Gast mit andrem Quell –
Schaff' Wein uns, Rosamunde!«
Und alsobald die junge Maid
Ergreift die güldnen Kannen,
Sie grüßt den Gast in Sittsamkeit
Und schwebet leicht von dannen;
Ihr Haar ist blond, ihr Wuchs ist schlank,
Und Heinrich weiß der Irrfahrt Dank
Um solchen Findens willen.
Und jetzund wieder in den Saal
Tritt sie nach kurzem Gange,
Rot glüht der Wein im Goldpokal,
Und rot glüht ihre Wange;
Sie beut den Trunk mit Sitten dar,
Dem König aber wird fürwahr,
Als hätt' er schon getrunken.
Und als er trinkt, da trinkt er nicht
Mit Lippe nur und Kehle,
Da trinkt sein Aug' ihr Angesicht
In seine tiefste Seele;
Und eh' die Maid sich abgewandt,
Ergreift er ihre weiße Hand,
Zum Danke sie zu küssen.
Da schau, von Simses Stuck und Kalk,
Gespornt an jedem Hacken,
Schießt Rosamundens Edelfalk
Auf seiner Herrin Nacken;
Er bläht sich auf in Tück' und Trutz
Und hebt den Sporn zu Schirm und Schutz,
Voll Eifersucht im Herzen.
Doch ob er zürnt und ob er wetzt,
Den Kühnen zu verjagen –
Die Hand, sein Todfeind küßt sie jetzt
Trotz seiner Flügel Schlagen;
Schön Rosamunde schenkt ihm ein,
Und selig blickt der König drein,
Wie nie in seinem Leben.
Und auch dem Alten wird so warm,
An hebt ein tapfres Zechen,
Es zuckt ihm schier durch Herz und Arm,
Als sollt' er Lanzen brechen,
Den Goldpokal, er stampft ihn auf,
Als wär's ein alter Degenknauf,
Und Blut statt Wein im Becher.
Der König schaut's und lohnt ihm drauf
Mit festlichen Turnieren,
Und gibt noch Schlachten in den Kauf
Mit Schotten und mit Iren;
Und wie so Strauß an Strauß sich drängt,
Da wohl an jedem Worte hängt
Die schöne Rosamunde.
Der alte Clifford aber längst
Den Becher still umkrampfte,
Er hört's nicht mehr, wie Heinrichs Hengst
Den Douglas einst zerstampfte;
Wohl aber, als der König schweigt,
Murrt er, sein Haupt in Gram geneigt:
»Daß einen Sohn ich hätte!«
Da auf vom Sitze springt sein Gast
Und ruft: »Der ist gefunden!
Gib mir das Kleinod, das du hast,
Die Hand von Rosamunden!
Zu gutem Schwert und gutem Roß
Ein junges Herz und altes Schloß,
Das ist es, was ich biete.«
Der Alte sieht sein Kind erglühn
Vor Scham und Freud' im Bunde;
Er weiß, wenn so die Rosen blühn,
Ward's Lenz im tiefsten Grunde.
So spricht er denn: »Mein Kind sei dein,
Und morgen soll die Hochzeit sein –
Wir brauchen keine Gäste!«
Zweites Kapitel
Wie König Heinrich Rosamunden gen Woodstock führt
Am dritten Tag, vor Cliffords Schloß
In abendlicher Stunde,
Hebt König Heinrich auf sein Roß
Die schöne Rosamunde.
Vom Priester gestern ward die Braut
Dem Ritter Woodstock angetraut –
So nannte sich der König.
Sie reiten in die Nacht hinein
Durch Tannenwald und Eichen,
Noch vor des Frührots erstem Schein
Schloß Woodstock zu erreichen.
Im Laube spielt des Mondes Licht –
Sie schaun sich still ins Angesicht,
Und haben keine Worte.
Es regt sich nichts, nicht Blatt, nicht Ast,
Kein Ton von Nachtigallen,
Es glaubt das Ohr, es höre fast
Die Mondesstrahlen fallen;
So klar-durchsichtig ist die Luft,
Man sieht der Nachtviole Duft
Wie Wölkchen aufwärts steigen.
Der Wald, im Silberglanze, weckt
Des jungen Weibes Bangen,
Die Zweige hat er ausgestreckt,
Als wollt' er sie umfangen.
Sie denkt an manche alte Mär',
Und, ob im Zauberwald sie wär',
Wohl zuckt's durch ihre Seele.
Doch bald an Heinrichs Brust, so warm,
Wird bar sie jeden Kummers,
Und zwiefach ruht sie jetzt im Arm
Des Gatten und des Schlummers;
Mit Schleiern deckt der Mond sie zu,
Und Heinrich wacht ob ihrer Ruh,
Als gält' es seine Krone.
Sie träumt, und mit dem Rot der Scham
Schmückt ihr der Traum die Wangen,
Bis plötzlich, schneller als es kam,
Das Rot dahingegangen.
Sie zittert, windet sich und ringt,
Und aus der tiefsten Seele dringt
Es bang, wie Schrei des Todes.
Auf fährt sie jäh und starrt zur Seit',
Wie fremd auf ihren Gatten,
Bis vor der lichten Wirklichkeit
Entfliehn die Traumesschatten;
In Heinrichs Aug' ein selig Schaun
Löst bald ihr Bangen all und Graun
In Tränen auf und Lächeln.
»Mir träumte – spricht sie jetzt – ich ging
Im Walde Beeren naschen,
Auf flog ein bunter Schmetterling,
Dem folgt' ich, ihn zu haschen;
Mir war so froh, so leicht zu Sinn,
Ich lief nicht mehr, ich flog dahin,
Von Duft und Klang getragen.
Da plötzlich vor mir standest du,
Geschmückt mit goldner Spange,
Und neben dir, in satter Ruh,
Lag glitzernd eine Schlange;
Du schautest ängstlich, ob sie schlief,
Und sprachst dann leis: ›Ihr Schlaf ist tief –
O komm, daß ich dich küsse!‹
Noch hing, an Leib und Seele frisch,
Ich fest an deinem Munde,
Da hob, aufbäumend mit Gezisch,
Die Schlange sich vom Grunde;
Ihr Haupt glich einem bösen Weib,
Sie schlang um mich den Schuppenleib
Und drückte mich zu Tode.«
Wohl füllten sie mit Angst und Scheu
Des Bilds Erinnerungen,
Und als sie schweigt, da hält aufs neu
Den Gatten sie umschlungen;
Sie küßt ihn heiß, mit Allgewalt,
Doch Heinrichs Kuß ist eiseskalt,
Und seine Lippe zittert.
Und erst als Cliffords schönes Kind
Ihn wie aus Traum gerüttelt,
Da spricht er: »Laß, der Morgenwind
War's, der mich kalt durchschüttelt;
Doch schau, die Sonne kommt herauf,
Und dort das Schloß mit Turm und Knauf
Ist Woodstocks alt Gemäuer.«
Drittes Kapitel
Von der Königin Leonore
Des König Heinrichs Königin,
Die böse Leonore,
Sie starrt in finstrem Sinnen hin
Auf Towers Hof und Tore;
Sie sandte sieben Boten aus,
Doch keiner kehrte noch nach Haus,
Der sichre Kunde brächte.
Sie sandte sieben Boten aus,
Die sollten rings erkunden,
Ob wo, in eines Köhlers Haus,
Der König Schutz gefunden;
Doch hofft sie still, daß rot von Blut
Im tiefsten Waldesgrund er ruht,
Von Mörderhand erschlagen.
So hofft und träumt die Königin
An hohen Fensters Flügel
Und greift in ihrem stolzen Sinn
Schon nach der Herrschaft Zügel;
Wohl sagt sie sich: ›Du hoffst zu viel!‹
Doch ist das nur ein Gaukelspiel,
Um so das Glück zu kirren.
Da sprengt der Sieben einer vor,
Weiß von des Renners Schaume,
Und sieh, die böse Leonor'
Fährt auf aus ihrem Traume;
In tollem, aberwitz'gem Spott
Fleht, gotteslästernd, sie zu Gott
Um eine blut'ge Locke.
Der Diener naht, sein Herze freut
Sich, arglos, seiner Kunde:
»Der König lebt, ich sah ihn heut
In früher Morgenstunde.
Er hielt vor Woodstocks altem Schloß
Und hob ein blasses Weib vom Roß –
Ihr Haar war lang und golden.«
»Daß du an ihrem goldnen Haar
Im nächsten Walde hingest,
Du Schurke, der du lerchenklar
Dein Rabenliedlein singest!
Wer gab dir nur die freche Stirn,
Daß du der buhlerischen Dirn'
Vor Unsrem Ohr gedenkest!«
Und Rachepläne röten jetzt
Die Stirne ihr, die blasse,
All, was sie sinnt, ist wie gewetzt
An eifersücht'gem Hasse.
Scharf stechend fällt in ihren Saal
Die Sonne; jeden einzlen Strahl
Möcht' sie zum Stoße zücken!
»Doch nein, es fall' kein Tropfen Blut,
Kein nutzlos Blutvergeuden,
Sie lebe, lebe wohlgemut
All ihren süßen Freuden;
Doch nimmt sie je das Abendmahl,
Gedrückt von ihrer Sünden Zahl,
Mein Priester soll's ihr reichen.«
Sie spricht's und schlingt in stiller Lust
Die Fäden ohne Säumen,
Dieweil in Woodstock, Brust an Brust,
Noch ihre Opfer träumen:
Dort Frühling noch und Sonnenlicht,
Hier aber türmen hoch und dicht
Sich schon die Wetterwolken.
Viertes Kapitel
König Heinrich und Rosamunde in Woodstock
Schloß Woodstock ist ein alter Bau
Aus König Alfreds Tagen,
Man sieht es weithin stolz und grau
Die Tannen überragen;
Zu Füßen ihm ein Garten liegt,
Wie wohl ein blühend Kind umschmiegt
Das Knie des Ältervaters.
Der Garten ist an Blumen reich,
An Quellen und an Bronnen,
Und auf dem Rasen, teppichgleich,
Tanzt gern das Licht der Sonnen;
Doch finster an des Gartens Saum
Drängt sich urplötzlich Baum an Baum
Zu mächt'gem Forst zusammen.
In seine Tiefen glückt es nicht
Der Sonn' ihr Licht zu senden,
Nur knisternd durch die Zweige bricht
Der Hirsch von sechzehn Enden;
Scheu folgt das Elen seiner Bahn,
Und kreischend lockt der Auerhahn
Herab vom Tannengipfel.
Am Waldrand, in des Gartens Näh',
Ist eine offne Stelle:
Es glitzert dort, halb Teich, halb See,
Im Sonnenstrahl die Welle;
Viel Erlen stehn am Uferrand,
Und wo die Quelle küßt den Sand,
Da sprießen blaue Blumen.
Und hier im duft'gen Wiesengrund,
Wo Wald und See sich grüßen,
Da sitzt die schöne Rosamund
Zu König Heinrichs Füßen:
Es ruht ihr Haupt auf seinem Schoß,
Und ihre Augen, blau und groß,
Schaun lächelnd in die seinen.
Ein frischer Bronnen ist ihr Mund,
Und Heinrichs Lippen senken,
Wie Krüge, tief sich auf den Grund,
Um so sein Herz zu tränken;
Doch wie solch Trunk ihn auch erquickt,
Aus seinen Augen finster blickt
Von Zeit zu Zeit die Seele.
Das junge Weib, es bangt und blaßt
Vor seines Auges Schatten,
Und sieh', ihr eignes Herz erfaßt
Der Trübsinn nun des Gatten;
Sie weint und ruft in bittrem Harm:
»Ist auch die Liebe selbst zu arm,
Ein ganzes Glück zu schaffen!
Was soll nur, Heinrich – spricht sie fort –
Der Ernst in deinen Zügen?
Sag', will mein schlichtes Liebeswort
Dir fürder nicht genügen?
Ach, als ich dir mein Herze gab,
Gab ich dir all mein Gut und Hab –
Ich hab' nichts mehr zu geben.«
Sie spricht's, und sieh, ein Tropfen warm
Rollt über Heinrichs Wange:
Er preßt sie fester in den Arm
Und küßt sie heiß und lange;
Dann spricht er: »Was mir raubt die Ruh,
Du reines Herz, das bist nicht du,
Das ist mein bös Gewissen.«
Er legt sie auf den Blumenplan,
Und kniend vor der Armen
Ruft er: »Was ich dir angetan,
Des woll' sich Gott erbarmen!
Ich, der gefreit um deine Hand,
Bin König über Engelland
Und Leonorens Gatte.«
Da flieht die letzte Rose scheu
Von Rosamundens Wangen,
Der König aber hält aufs neu
Voll Inbrunst sie umfangen;
Laut ruft er: »So du kannst, vergib,
Und sei mein Leben, sei mein Lieb,
So treu, wie ich dich liebe!«
Wohl durch die Tränen leuchtet da
Ihr Auge wie die Sonne:
Was immer sei, er liebt sie ja,
Und das allein ist Wonne.
Sie spricht: »Dein bin ich alle Zeit,
Und kostet's meine Seligkeit,
Es soll kein Tod uns trennen!«
Da heben ringsum alsobald
Die Vöglein an zu singen,
Es will das Rauschen in dem Wald
Wie Orgelton erklingen.
Der König still sein Liebchen preßt,
Und seiner Seele Hochzeitsfest
Hat nur der Wald vernommen.
Fünftes Kapitel
Wie König Heinrich gen London zieht
Noch blitzt die Sonne kaum ins Tal,
Auf Woodstocks Turm und Tannen,
Da zieht im ersten Morgenstrahl
Der König schon von dannen;
Ihn grüßend von des Söllers Rand
In weißem, flatterndem Gewand
Steht Cliffords schöne Tochter.
Wie Marmor leuchtet in die Au
Ihr Nacken, der entblößte,
Mit Perlen schmückt der Morgentau
Ihr Haar, das aufgelöste.
Sie blickt herab, er blickt hinauf,
Und jeder möcht' in heißem Lauf
Dem eignen Blicke folgen.
Wie ausgesetzte Schiffer bang
Am Felsenufer harren
Und auf das flücht'ge Schiff noch lang
Sehnsücht'gen Auges starren –
So blickt vom Turm jetzt in den Wald
Auf Heinrichs schwindende Gestalt
Die schöne Rosamunde.
Er aber gleicht dem Schiffer gut,
Dem nichts das Auge feuchtet,
Solang' ihm noch durch Sturm und Flut
Des Liebchens Fenster leuchtet.
Nun aber wird's ihm bang fürwahr:
Noch einmal blitzt ihr goldnes Haar,
Es blitzt – und ist verschwunden.
Doch Waldesduft und Morgenschein
Sind keine Grillenfänger,
Und auch des Königs Traurigsein,
Sie dulden es nicht länger.
Tautropfen glänzen hier und dort,
Die Sonne sieht's und küßt sie fort –
Sie will heut keine Tränen.
Die Lerchen flattern her und hin,
Und Heinrich hört sie singen:
»Nur frischer Mut und froher Sinn
Darf in den Himmel dringen.«
Des Waldes Tauben girren laut:
»Ein Herz, das liebt und Gott vertraut,
Lacht wie die Maiensonne.«
Da denkt der König: ›Sei gescheit
Und laß all trübes Sinnen!
Der Trennung Zeit ist böse Zeit,
Doch wird sie drum verrinnen.
Traun, wer nicht will von dannen gehn,
Der bringt sich selbst ums Wiedersehn –
All Leid hat seine Freude.‹
Er denkt's; und als an Wald und Sumpf
Er jetzt vorübertrottet,
Da wähnt er wohl mit Stiel und Stumpf
Die Sorgen ausgerottet;
Manch Lied ihm aus der Kehle schallt –
Bis nun durch Londons Gassen hallt
Der Hufschlag seines Schecken.
Schon kauern rings die Häuser, dicht
Gehüllt in nächt'ges Dunkel,
Nur hier und dorten glüht ein Licht,
Wie bösen Aug's Gefunkel.
Das finstre Bild der Königin
Tritt da vor Heinrichs Seele hin
Und löscht die heitren Bilder.
Und alsobald durchklirrt sein Schritt
Des Towers Hof und Tore,
Und aus der Hall' entgegen tritt
Sein Weib ihm, Leonore.
Sie spricht und blickt ihn tückisch an:
»Willkomm, willkomm, Herr Jägersmann,
Nach manchem Tag willkommen!
Ich wett', du hast wie Ritter Jürg
Lindwurm und Molch getötet,
Zehn Meilen Forst, des bin ich Bürg',
Hast du mit Blut gerötet;
Wie, oder hätt' im Woodstock-Gau
Waldfräulein dich und Heidefrau
Bis diesen Tag bewirtet?«
Der König drauf: »Waldfräulein frisch,
Wohl hab' ich das gefunden,
Und Speis' und Trank von ihrem Tisch,
Die machten mich gesunden;
Doch frägst du nach dem Heideweib?
Ihr glühes Aug', ihr welker Leib
Ist andren Orts zu finden.«
Der König spricht's, ein leiser Spott
Fliegt über seine Züge;
Dann ruft er stolz: »Verhüt' es Gott,
Daß ich dich feig belüge!
Ich schulde dir nicht Treu' noch Dank:
Waldfräulein blond, Waldfräulein schlank
Ist Cliffords schöne Tochter.«
Er spricht's, und als in Haß und Zorn
Jetzt ihre Augen blitzen,
Da ruft er laut: »Es soll kein Dorn
Je ungestraft sie ritzen!
Dein Blick ist Dolch, dein Wort ist Gift –
Und wenn des Himmels Blitz sie trifft,
Du stirbst, denn du bist schuldig!«
Der König spricht's; er tritt heran
Zu hohen Fensters Nische
Und zieht in langen Zügen dann
Die Nachtluft ein, die frische;
Sein Aug' ist trüb, sein Herz ist fern –
Hernieder blickt der Abendstern,
Wie Rosamundens Auge.
Sechstes Kapitel
Wie König Heinrich gen Frankreich zieht und was weiter geschah
Und Heinrich, sieben Tage lang
Hält's ihn in Londons Mauern;
Wohl mocht' ihm jeder Stunde Gang
Wie Lauf des Jahres dauern;
Nun aber hält's ihn länger nicht,
Und schüttelnd ab all Last und Pflicht,
Fliegt er zu Lohn und Liebe.
Daheim sein Thron und Herrscheramt
Ward Kerker ihm und Frone:
Nur hier, wo Seel' in Seele flammt,
Trägt Zepter er und Krone.
Hier ist er reich, dort ist er arm –
Ein einzig Herze, treu und warm,
Ist mehr als Erd' und Himmel.
So flieht die Zeit. Des Herbstes Näh'
Färbt kaum die Bäume gelber,
Da kommt in seinem Kleid von Schnee
Auch schon der Winter selber;
Doch immerdar, wie Sturm auch tost,
Des Königs Ziel, des Königs Trost
Bleibt Woodstock allerwegen.
Und Frühling wird's: Schneeglöckchen nickt
Mit freundlicher Gebärde,
Das schüchtern stille Veilchen blickt
Blauäugig aus der Erde;
Und wie so drauß es grünt und blüht,
Da immer festre Kreise zieht
Schloß Woodstock um den König.
Heut aber trug ihn heim sein Roß,
Schon hält's im Tower stampfend,
Da sprengt ein Ritter durch das Schloß,
Vom langen Ritte dampfend;
Noch hemmt er kaum des Renners Lauf,
Da klingt es schon: »Auf, König, auf!
In Frankreich loht Empörung.«
Der König hört's; sein Streitroß wild
Besteigt er statt des Schecken,
Er läßt mit Schienen sich und Schild
Von Kopf zu Fuß bedecken;
Er stülpt den Helm auf sein Barett
Und steckt, als ein Plantagenet,
Den Busch davor von Ginster.
Der Hengst springt an, schon dröhnt und hallt
Der Hof von Rosseshufen,
Da seinen Diener, treu und alt,
Läßt König Heinrich rufen;
Herab vom Rosse spricht er laut:
»Gen Woodstock, eh' der Morgen graut,
Bring deines Königs Grüße.«
Er spricht's, und durch den Tower hin
Ist kaum er jetzt gezogen,
Da tritt glührot die Königin
Zurück von Fensters Bogen;
Sie hat des Gatten Wort erlauscht,
Und ihres Kleides Seide rauscht
Mitzürnend in ihr Murmeln.
Dann spricht sie laut: »Und will, Gesell',
Mein Gold dich nicht bestechen,
So gibt's im Wald manch gute Stell',
Um, was nicht biegt, zu brechen:
Kein Wörtlein von des Königs Gruß,
Noch, daß im fernen Land sein Fuß,
Darf je nach Woodstock dringen.
Wohl wie nach Speis' in Hungersnot
Wird sie nach Botschaft bangen,
Es soll kein Bröcklein Trostesbrot
Je zu ihr hin gelangen;
Ich bring' ein köstlich Gift ihr bei,
Das Zweifelgift an seiner Treu –
Das muß das Herz ihr brechen.«
Sie spricht's, und schreitet durch den Saal
Und kann nicht Ruhe finden:
Sie sieht in Ungewißheitsqual
Ihr Opfer schon sich winden;
Sie lacht: »Nun, Rosamunde fein,
Laß sehn, das wird ein Probestein
Für so ein Herz voll Liebe!«
Siebentes Kapitel
Wie Rosamunde hofft und harrt
Durch Woodstocks Laubengänge hin,
In heller Mittagsstunde,
Zieht nassen Aug's in trübem Sinn
Die schöne Rosamunde;
Sie tritt zu einer Ros' heran
Und pflückt sie und zerpflückt sie dann –
Ein Tropfen fällt hernieder.
Da plötzlich springt – den dürren Leib
Behängt mit schmutz'gen Loden,
Rasch in den Gang ein Bettelweib,
Als wüchs' es aus dem Boden;
Sie kreischt in widerlichem Ton:
»Gib nur die Hand, ich weiß es schon,
Du willst vom Liebsten wissen.«
Sie nimmt die Hand und drückt sie nun –
Auf schreit Schön-Rosamunde;
Die Alte murmelt: »Soll ich's tun?
Kein Lauscher in der Runde!«
Dann aber läßt die Hand sie frei
Und spricht wie mitleidsvoll: »Vorbei!
Betrogen, Kind, betrogen!«
Das Bettelweib, kaum daß sie's sprach,
Ist wieder sie verschwunden,
Schön-Rosamunde starrt ihr nach,
Gelähmt und schreckgebunden;
In Lüften eine Lerche singt –
Sie hört es nicht, im Ohre klingt
Das Sprüchel ihr der Hexe.
Achtes Kapitel
Ein Sturm
Der Sturm will jagen: auf fährt er vom Sitz
In seinem zerklüfteten Schlosse,
Er ruft seinen Diener, den flüchtigen Blitz,
Und schwingt sich jauchzend zu Rosse;
Dann probt er die Kraft seiner nervigen Hand
Und schleudert die Tanne, die vor ihm stand,
Gleich einem Ball in die Lüfte.
Die Jagd hebt an: vom Felsenhorst
Stürzt er mit klaffender Meute
Und spürt in Schluchten und Urwaldforst
Nach tausendjähriger Beute.
Von Norden her saust er und braust er heran,
Und jetzt durch Woodstocks mächtigen Tann
Schrillt seine gellende Pfeife.
Es ächzt und stöhnt der geschüttelte Wald –
Umsonst, ihn rettet kein Jammern!
Wie fest die Eiche sich klammert und krallt,
Zerbrochen werden die Klammern.
Und was von der Hand des Sturmes nicht fällt,
Das wird vom Speere des Blitzes zerspellt –
Tot liegen die Riesen des Waldes.
Und weiter geht es auf schnaubendem Roß,
Die Hufe stampfen und schlagen,
Verhängten Zügels an Woodstock-Schloß
Will er vorüber jagen:
Sieh, da stutzt er – an Söllers Rand
Steht ein Mädchen und hebt die Hand
Und ruft: »O komm, o rette!«
»O komm, o rette!« Er fängt es auf
Und trägt es fort in die Lüfte;
Mit Donnerstimme auf seinem Lauf
Ruft er's in Wälder und Klüfte;
Der schäumenden See jetzt schrillt er's ins Ohr,
Und die Wasser der Tiefe steigen empor
Und horchen: »O komm, o rette!«
»O komm, o rette!« An Frankreichs Strand
Gellt es der fliegende Reiter;
Die Städte hindurch, hin über das Land
Braust er weiter und weiter;
Da flattert's wie Linnen auf offenem Feld,
Und lauter an König Heinrichs Zelt
Ruft er: »O komm, o rette!«
Der König hört's; der rüttelnde Sturm
Entriß ihn finsterem Traume:
Er sah einen nagenden Totenwurm
An einem blühenden Baume –
Er denkt des Traumes und steigt zu Schiff,
Ihn kümmert nicht Woge, ihn kümmert nicht Riff,
Er hört nur: »Rette, rette!«
Neuntes Kapitel
Rosamundens Tod
Im Woodstock-Forst, nach Sturmesnacht,
Herrscht wieder tiefes Schweigen,
Nur einz'le Tropfen fallen sacht
Von Blättern jetzt und Zweigen;
Und leis nur durch die Wipfel zieht
Von Zeit zu Zeit ein Klagelied
Um die geliebten Toten.
Am Waldrand, in des Gartens Näh',
Ist eine off'ne Stelle:
Es glitzert dort, halb Teich, halb See,
Im Mondlicht jetzt die Welle;
Viel Erlen stehn am Uferrand
Und wo die Welle küßt den Sand,
Da sprießen blaue Blumen.
Und hier im duft'gen Wiesengrund,
Wo Wald und See sich grüßen,
Da sitzt die schöne Rosamund'
Den Erlen jetzt zu Füßen;
Es ruht ihr Haupt auf feuchtem Moos,
Und ach, ihr Aug' ist tränenlos
Von vielem, vielem Weinen.
Wohin sie blickt, da wächst ihr Weh
Vor ihres Glückes Zeugen:
Nur tiefer müssen Wald und See
Die Tiefgebeugte beugen;
Und hier, wo Schwur um Schwur erscholl,
Durchzuckt sie's nun verzweiflungsvoll:
»Belogen und betrogen!«
Gen Himmel starrt ihr blaß Gesicht;
Dann, mit erhobnen Armen,
Ruft laut sie: »Gott, ich trag' es nicht –
Ach, üb' ein mild Erbarmen!«
Und alsobald, an tiefster Stell',
Auf Sees mondbestrahlter Well',
Treibt still die Lebensmüde.
Wie blond Gelock der Wasserfee
Durchfurcht ihr Haar die Fluten,
Und wie sie treibt, da scheint ihr Weh
Sich schmerzlos zu verbluten;
Im Tod versöhnt mit ihrem Leid,
Spricht still sie: »Dein in Ewigkeit!«
Und sinkt dann in die Tiefe.
Am dritten Tag, auf Malv' und Mohn,
Da liegt in Sarges Grunde,
Mit Wangen, deren Rot entflohn,
Die schöne Rosamunde;
Um ihre Lippen spielt es mild,
Und wie ein lächelnd Kindesbild
Schläft ihren Schlaf die Tote.
Zu Seiten ihr, ohn' Unterlaß
Und auf und ab im Saale,
Schwingt Knabenhand das Weihrauchfaß,
Gemäß dem Rituale;
Zu Häupten liest – gebückt und alt,
Von härenem Gewand umwallt –
Der Priester seine Messen.
Zu Füßen aber, schattengroß
Im Abendsonnenscheine,
Steht König Heinrich, regungslos,
Gleich einem Bild von Steine;
Sein Aug' ist starr, doch durch sein Herz
Zieht dieses Lebens höchster Schmerz:
Der Schmerz um alles Leben.
Bannockburn
Robert Bruces Ansprache vor der Schlacht
24. Juni 1314
(Nach Robert Burns)
Schotten, schwört und tretet her.
Wallace führt euch nimmermehr,
Aber ich zu Ruhm und Ehr',
Oder auch zum Tode.
Drüben Englands ganze Macht.
Nutzt die Stunde. Noch vor Nacht
Ist geschlagen unsre Schlacht.
England, England, wahre dich.
Ist ein Sklav' in unsren Reih'n?
Drängten Feige sich hinein?
Will wer Schelm und Schurke sein?
Schurke, Schelm, steh' auf und flieh'.
Wer für Schottlands Thron und Erben
Mit dem Schwerte wagt zu werben,
Frei will leben, frei will sterben,
Tret' heran und steh' zu mir.
Unsre Kinder aus den Ketten
Brit'scher Tyrannei zu retten,
Woll'n wir in den Tod uns betten –
Unsre Söhne seien frei.
Heut der Knechtschaft letzter Tag.
Unserer schott'schen Schwerter Schlag
Englands Heer vernichten mag.
Laßt uns frei sein oder fall'n.
Archibald Douglas
»Ich hab' es getragen sieben Jahr
Und ich kann es nicht tragen mehr,
Wo immer die Welt am schönsten war,
Da war sie öd' und leer.
Ich will hintreten vor sein Gesicht
In dieser Knechtsgestalt,
Er kann meine Bitte versagen nicht,
Ich bin ja worden alt.
Und trüg' er noch den alten Groll,
Frisch wie am ersten Tag,
So komme, was da kommen soll,
Und komme, was da mag.«
Graf Douglas spricht's. Am Weg ein Stein
Lud ihn zu harter Ruh,
Er sah in Wald und Feld hinein,
Die Augen fielen ihm zu.
Er trug einen Harnisch, rostig und schwer,
Darüber ein Pilgerkleid –
Da horch, vom Waldrand scholl es her.
Wie von Hörnern und Jagdgeleit.
Und Kies und Staub aufwirbelte dicht,
Her jagte Meut' und Mann,
Und ehe der Graf sich aufgericht't,
Waren Roß und Reiter heran.
König Jakob saß auf hohem Roß,
Graf Douglas grüßte tief,
Dem König das Blut in die Wange schoß,
Der Douglas aber rief:
»König Jakob, schaue mich gnädig an
Und höre mich in Geduld,
Was meine Brüder dir angetan,
Es war nicht meine Schuld.
Denk nicht an den alten Douglas-Neid,
Der trotzig dich bekriegt,
Denk lieber an deine Kinderzeit,
Wo ich dich auf den Knien gewiegt.
Denk lieber zurück an Stirling-Schloß,
Wo ich Spielzeug dir geschnitzt,
Dich gehoben auf deines Vaters Roß
Und Pfeile dir zugespitzt.
Denk lieber zurück an Linlithgow,
An den See und den Vogelherd,
Wo ich dich fischen und jagen froh
Und schwimmen und springen gelehrt.
O denk an alles, was einsten war,
Und sänftige deinen Sinn,
Ich hab' es gebüßet sieben Jahr,
Daß ich ein Douglas bin.«
»Ich seh' dich nicht, Graf Archibald,
Ich hör' deine Stimme nicht,
Mir ist, als ob ein Rauschen im Wald
Von alten Zeiten spricht.
Mir klingt das Rauschen süß und traut,
Ich lausch' ihm immer noch,
Dazwischen aber klingt es laut:
Er ist ein Douglas doch.
Ich seh' dich nicht, ich höre dich nicht,
Das ist alles, was ich kann,
Ein Douglas vor meinem Angesicht
Wär' ein verlorener Mann.«
König Jakob gab seinem Roß den Sporn,
Bergan ging jetzt sein Ritt,
Graf Douglas faßte den Zügel vorn
Und hielt mit dem Könige Schritt.
Der Weg war steil, und die Sonne stach,
Und sein Panzerhemd war schwer,
Doch ob er schier zusammenbrach,
Er lief doch nebenher.
»König Jakob, ich war dein Seneschall,
Ich will es nicht fürder sein,
Ich will nur warten dein Roß im Stall
Und ihm schütten die Körner ein.
Ich will ihm selber machen die Streu
Und es tränken mit eig'ner Hand,
Nur laß mich atmen wieder aufs neu
Die Luft im Vaterland.
Und willst du nicht, so hab' einen Mut,
Und ich will es danken dir,
Und zieh dein Schwert und triff mich gut
Und laß mich sterben hier.«
König Jakob sprang herab vom Pferd,
Hell leuchtete sein Gesicht,
Aus der Scheide zog er sein breites Schwert,
Aber fallen ließ er es nicht.
»Nimm's hin, nimm's hin und trag' es neu
Und bewache mir meine Ruh',
Der ist in tiefster Seele treu,
Wer die Heimat liebt wie du.
Zu Roß, wir reiten nach Linlithgow,
Und du reitest an meiner Seit',
Da wollen wir fischen und jagen froh,
Als wie in alter Zeit.«
Der letzte York
Lancaster herrscht, der Kampf ist aus, die rote Rose hat gesiegt,
Die weiße Rose, Blatt um Blatt, auf zwanzig blut'gen Feldern liegt,
Ein einz'ger nur, des Clarence Sohn, deß Herzblut nicht zu Boden floß,
Im Tower sitzt Graf Edward York, des alten Hauses letzter Sproß.
Er sitzt im Tower Jahre schon, am selben Gitterfenster schier,
Wo seinen Vater man ertränkt (er wollt' es so) in Malvasier,
Der Junge hat vom Alten her ererbt den immer leichten Sinn,
Er rechtet mit dem Leben nicht, und wie es fällt, so nimmt er's hin.
Die Drehbank kürzt ihm seinen Tag, es surrt das Rad, es klingt sein Lied,
Des Morgens ist er arbeitsfroh, des Abends ist er arbeitsmüd',
Er wirft sich auf sein Lager hin, hat festen Schlaf und guten Traum –
Daß er ein Sproß vom Hause York, der letzte Sproß, er weiß es kaum.
Es surrt das Rad; da rasselt's drauß' und klirrt im Schloß, Flurlicht fällt ein,
Sieh, der Lancasterkönig selbst, Herr Heinrich Tudor, tritt herein.
Er spricht: »Grüß Gott dich, Vetter York, nimm dieses Schwert und diesen Helm
Und drunten nimm mein bestes Roß – der Perkin Warbec ist ein Schelm!
Der Perkin Warbec ist ein Schelm, die blöde Menge läuft ihm zu,
Das macht, er nennt sich Edward York und lügt und prahlet: er sei du;
Der Dieb, er stiehlt mir meinen Schlaf, doch ich zerreiß' ihm seine List.
Komm mit und sprich zu allem Volk und zeig', daß du – du selber bist.«
Sie reiten durch das Tower-Tor, auf Platz und Straße wogt es rings,
Das ist er! raunt die Menge rechts, das ist er! raunt die Menge links,
Er hört es nicht – das Puppenspiel trieb ihm ins Antlitz Grimm und Glut,
Mit eins lebendig worden ist in ihm das alte Königsblut.
Er grüßt nicht rechts, er grüßt nicht links, er starrt nur schweigend vor sich hin –
Graf Edward York, wo blieb dein Erb', des Vaters immer leichter Sinn?
Sie reiten still bis Ludgate-Hill, der König flüstert: »Vetter, hier!«
Der aber schweigt und murmelt erst am Tower-Tor: »Das denk' ich dir.«
Und eh' die Nacht am tiefsten sinkt, ist seines Kerkers Zelle leer,
Ein Strick, aus Tüchern festgeknüpft, weht weiß im Winde hin und her,
Und eh' des andern Tages Schein noch hell in seine Zelle fällt,
Da tritt er schon, Helm auf dem Haupt, in Perkin Warbecs flatternd Zelt.
Er spricht: »Du nennst dich Edward York, und Edward York so nenn' ich mich,
Wer von uns zwei'n der rechte sei, beim ew'gen Gott, das findet sich,
Doch, daß du meinen Namen stahlst und mit ihm würfelst um den Thron,
Heut dank' ich's dir aus voller Brust, 'genüber diesem Tudor-Hohn.
Entgegen ihm! Und siegen wir, so trägst du Englands Krone mit!« –
Sie zogen aus und stritten gut, doch Heinrich Tudor besser stritt,
Er schlug zurück die Stürme all, Graf Edward tat den letzten Sturm,
Und eh' die Nacht am tiefsten sank, saß er aufs neu im Tower-Turm.
Der Morgen kommt; da rasselt's drauß' und klirrt im Schloß, Flurlicht fällt ein,
Sieh, des Lancasterkönigs Freund in rotem Mantel tritt herein.
Er spricht: »Grüß Gott dich, Edward York. Was ich dir tuen muß, vergib,
Doch will ich's tun mit fester Hand und treffen dich auf einen Hieb. «
Sie schreiten durch das Tower-Tor, auf Platz und Straße wogt es rings,
Das ist er! raunt die Menge rechts, das ist er! raunt die Menge links,
Er grüßt nach rechts, er grüßt nach links, er starrt nicht länger vor sich hin,
Graf Edward York hat wieder ganz des Vaters immer leichten Sinn.
Sie schreiten still bis Ludgate-Hill, auf ragte da das Blutgerüst,
Graf Edward York, zum letzten Mal hat er das Kruzifix geküßt,
Die Lerchen stiegen himmelan, die Glocken klangen dumpf und matt,
Und rot von Blut zu Boden fiel der weißen Rose letztes Blatt.
Johanna Gray
Lady Gray fährt auf vom Schlummer (der Morgen dämmerte kaum):
»Gott woll' uns nicht versuchen! Ich hatt' einen bösen Traum.
Ich sah einen Purpurmantel treiben auf offner Flut –
Ich bückte mich nach dem Mantel, da war es mein eigen Blut.«
Sie spricht's. Auf klingt vom Hofe verworrener Stimmen Schall,
Sieben Reiter steigen vom Rosse und schreiten in die Hall',
Sie harren entblößten Hauptes, Lady Gray tritt vor sie hin,
Sie sprechen aus einem Munde: »Wir grüßen dich, Königin!«
»Und starb mein Herr und König, was sucht ihr die Erbin hie?
Die Erbin seiner Krone, das ist Prinzessin Marie!«
Da sprach der sieben einer, der stolze Northumberland:
»Wir wollen keine Papistin auf dem Throne von Engelland.«
»Und wollet ihr nicht Maria, welch Recht auch immer sie hätt',
So lebt Anna Bulens Tochter, Prinzessin Elisabeth!« –
»Anna Bulen war ein Buhlweib«, rief da Northumberland,
»Wir wollen keinen Bastard auf dem Throne von Engelland!«
»Und weigert ihr beiden die Krone, Elisabeth und Marie,
So traget die Krone selber, ich aber trage sie nie.«
Da lachte der stolze Herzog: »Täubchen, schlag ein, schlag ein,
Der Habicht ist über der Taube, du sollst unsre Königin sein.«
Sie legten ihr um den Mantel, sie hoben sie leicht aufs Roß,
Ihrer Locken goldne Fülle über den Purpur floß,
Sie rief ihr Hausgesinde: »Lebt wohl und gedenket mein!«
Sie sprengte weinenden Auges in den lachenden Morgen hinein.
Und als sie kamen gen London, horch, Glocken- und Feierklang,
Sie sprach: »Wer ist gestorben? Wer tut seinen letzten Gang?«
Northumberlands Stirn erblaßte, die eben so rot noch glomm:
»Die Glocken gelten dir selber und klingen willkomm, willkomm!«
Und als sie kamen zur City, bis nieder gen Tempel- Bar,
Einen goldnen Schlüssel reichte die goldne Stadt ihr dar –
Ein Kranz von dunklen Eichen umfaßte des Goldes Glanz,
Sie rief: »Mein ist der Schlüssel!« Sie dachte: ›Mein ist der Kranz!‹
Und als sie kamen zum Tower und die Zugbrück' niederschlug,
Da bäumte hochauf ihr Leibroß, das sonst so sicher sie trug,
Northumberland riß es am Zügel – wie hat da das Roß geschäumt;
Sie streichelte seinen Nacken: »Ich weiß, warum du gebäumt.«
Sie trat in die Krönungshalle, Bischöfe waren bereit,
Zwei Lords mit Zepter und Krone standen an Thrones Seit',
Sie nahm die Perlenkrone und fragte: »Wer trug sie schon?«
Die Lords verneigten sich beide: »Es ist Anna Bulens Kron'!«
Und nieder aus der Halle schritt sie zur Tower-Kapell',
Inbrünstig warf sie sich nieder an Altars heiliger Schwell',
Auf stand sie leichteren Herzens; noch einmal sah sie herab:
»Auf wessen Grabstein kniet' ich?« »Es ist Anna Bulens Grab.«
Und draußen im Hof des Towers, da lagen weiße Stein',
Alle gefügt zum Kreise, drauf fiel der Sonnenschein,
Sie trat in die schimmernde Rundung: »Gnädige Königin, um Gott,
Auf diesen weißen Steinen stand Anna Bulens Schafott.«
Und als das Wort gesprochen, da horch, Trompetenklang,
Über des Towers Zugbrück' der Rappe Marias sprang,
Maria Tudors Rappe – seht, wie sie im Sattel sitzt!
Eines Scheiterhaufens Flamme aus ihrem Auge blitzt.
Sie hebt sich rasch aus dem Sattel, nach wallt ihrer Schleppe Samt,
(Lady Gray, wo sind deine Freunde? tot oder zum Tode verdammt!) –
Sie schreitet hinan zum Throne, triumphierend schaut sie drein,
Ihre festen Schritte sprechen: Diese Stufen sind mein.
Lady Gray erwacht im Kerker, sie spricht: »Gott Ehr' und Preis! «
Drei Tage kommen und gehen, die Steine sind nicht mehr weiß,
Die Steine sind schwarz verhangen, eine Leiter muß Treppe sein,
Zwei lächelnde Augen sprechen: Diese Stufen sind mein.
Sie neigt sich vor dem Volke: »Gott segne die Königin!«
Sie neigt sich zum Gebete: »Mein Heiland, nimm mich hin!«
Sie neiget sich zum dritten – da war das Beil bereit – –
Lady Gray trägt ihren Purpur an Anna Bulens Seit.
Maria Stuart
(Romanzen-Zyklus)
Ich habe menschlich, jugendlich gefehlt,
Die Macht verführte mich, ich hab' es nicht
Verheimlicht und verborgen, falschen Schein
Hab' ich verschmäht mit königlichem Freimut.
Das Ärgste weiß die Welt von mir, und ich
Kann sagen, ich bin besser als mein Ruf.
1. Maria Stuarts Weihe
Schloß Holyrood ist öd' und still,
Der Nachtwind nur durchpfeift es schrill,
Es klirrt kein Sporn in Hof und Hall',
Nur finstres Schweigen überall.
Da plötzlich schwebt, in luft'gem Gang,
Ein hohes Weib die Hall' entlang:
Ihr klares Aug' strahlt ewig-jung
Vom Feuer der Begeisterung.
Zu Häupten ihr glüht Sternenschein,
Ihr Haar ist gold – wer mag sie sein?
Sie kommt und bringt ihr Angebind
Im Saale drin dem Königskind.
Das Königskind, das heißt Marie;
Wie Liedeszauber umklingt es sie,
Als, neigend über die Wiege sich,
Die Muse spricht: »Ich weihe dich!«
Sie sprach es kaum, da – still und stumm
Entschwebet schon sie wiederum,
Und lachend schlüpfen lust'ge zwei
Jetzt in die Tür, an ihr vorbei.
Die eine trägt zu buntem Tand
Einen Pfauenfächer in blitzender Hand,
Es knistert die Seide, es bauscht ihr Kleid,
Das war die Dame Eitelkeit.
Die andre, frech und üppig gar,
Trägt langes, aufgelöstes Haar,
Ihr Aug' ist schwarz, nackt ihre Brust,
Das war die Dirne Sinnenlust.
Sie neigen beide zur Wiege sich
Und kichern hell: »Wir weihen dich!«
Da huscht, und ihre Wang' erblaßt,
Rasch in den Saal ein dritter Gast.
Wie Schatten schleicht er an der Wand,
Sein Kleid ist rot, rot seine Hand,
Er schaut sich um, sein Auge sticht,
Und messerscharf ist sein Gesicht.
Er neigt sich jetzt und spricht das Wort:
»Ich weihe dich zu Blut und Mord!«
Auf schreit im Schlaf das Königskind,
Und heller draußen pfeift der Wind.
Der Gast ist fort, doch her und hin
Wirft banger Traum die Schläferin.
Geweiht fürs Leben schlummert sie,
Die schöne schottische Marie.
2. David Rizzio
Herr Darnley reitet in den Wald, Lord Ruthven ihm zur Seite;
Herr Darnley spricht: »Was frommt es mir, daß in den Lenz ich reite?
Ich ritt hinaus, ein Schreckgespenst mir aus dem Sinn zu schlagen,
Ihr aber, Ruthven, hastet Euch, ins Feuer Öl zu tragen.«
Lord Ruthven streicht den roten Bart, als sei er des zufrieden,
Er schweigt und denkt nur: ›Wenn es heiß, soll man das Eisen schmieden‹;
Seit an Marias Ohr er frech ein Liebeswort verloren,
Hat er der schönen Königin im Herzen Haß geschworen.
Er spricht kein Wort, beredter spricht sein Lächeln jetzt und Schweigen,
Er sieht, von Schritt zu Schritt, das Blut in Darnleys Wange steigen;
Der ruft: »Sing aus dein Rabenlied, und spricht's wie deine Blicke,
Verdamm mich Gott, wenn ich den Fant nicht in die Hölle schicke! «
Lord Ruthven streicht den roten Bart; in heuchelndem Erstaunen
Spricht er: »Mein König zweifelt noch an dem, was alle raunen,
Er weiß nicht, was ein jeder weiß von Schottlands Königsstuhle,
Daß Heinrich Darnleys ehlich Weib des David Rizzio Buhle!«
Herr Darnley kehrt gen Edinburg, er hält vor seinem Schlosse:
»Lord Ruthven – spricht er – so's beliebt, bleibt Ihr mein Jagdgenosse,
Der Fuchs ist schlau, doch bärg' er sich in ihres Kleides Falten,
Ich jag' ihn auf, noch heute nacht will meinen Schwur ich halten.«
Es glänzt der festgeschmückte Saal von Rittern wohl und Frauen,
Vor allen ist Maria doch als Königin zu schauen,
Sie läßt die Zeit bei Spiel und Tanz in raschem Flug enteilen,
Und nur ihr Gatte zögert noch, des Festes Lust zu teilen.
Die Kerzen und die Wangen glühn vor Freuden um die Wette,
Es schreitet an Lord Seytons Hand Maria zum Bankette,
Der Becher schäumt, Maria winkt, ein Saitenspiel zu bringen,
Ihr Liebling Rizzio nimmt es hin und hebet an zu singen:
Der König zog in finstrem Sinn
Hinaus mit seinem Trosse;
Nach blickt die schöne Königin
Dem Reiter und dem Rosse.
Und als des Waldes Laub und Moos
Den König kaum erlaben,
Da lockt sie schon auf ihren Schoß
Den blonden Edelknaben.
Sie streicht sein Haar, sie küßt so heiß
Die Lippen ihm und Wangen,
Die aber sind heut kalt wie Eis
Und atmen kein Verlangen.
Sie flüstert: »Lieber Knabe mein,
Halt fester mich in Armen,
Wir wollen eins zur Stunde sein,
Das wird dein Herz erwarmen.«
Er aber spricht: »Mag heute nicht
Fest herzen dich und pressen,
Ich hatt' zur Nacht ein Traumgesicht,
Das kann ich nicht vergessen:
Es trat der König vor mich hin,
Als ich dich wollte küssen;
Mir ist so bang, lieb' Königin,
Als würd' ich sterben müssen ...«
»So stirb, du buhlerischer Tor!« Herr Darnley ruft's dazwischen,
Es fegt im Nu sein Zornesblick die Gäste von den Tischen,
»Stirb denn und dank's im Tode mir, daß ich mit guter Klinge
Zu deinem bösen Bubenlied das letzte Verslein singe.«
Es packt den Sänger Todesangst: in namenlosem Leide
Hält fest er, wie ein zitternd Kind, sich an Marias Kleide,
Die tritt, halb Furcht halb Zorn im Blick, hervor, ihn zu bewahren,
Umsonst, schon ist des Königs Schwert ihm durch die Brust gefahren.
Es hält, die lange Nacht hindurch, Maria Totenwache,
Zum ersten Mal durchzieht ihr Herz der heiße Wunsch nach Rache;
Die Morgensonne sah den Schwur auf ihrer Lippe beben –
Herr Darnley hat des Sängers Tod bezahlt mit seinem Leben.
3. Maria und Bothwell
König Darnley liegt erschlagen,
Graf Bothwell hat es getan;
Sechs Lords von Schottland tragen
Die Leiche nach Sankt Alban,
Sie stellen bei Fackelscheine
Den Sarg an den Altar hin –
Von Trauernden fehlt nur eine,
Maria, die Königin.
Die sitzet daheim im Schlosse,
In funkelnder Nische des Saals,
Auf dem Sammetpfühl ihr Genosse
Ist der Mörder ihres Gemahls;
Dem Lande kleidet die Trauer,
Der Königin kleidet die Lust,
Kalt-heiße Wonneschauer
Durchrieseln ihre Brust.
Sie spricht verlockenden Schalles:
»Nun komm und küsse dich rot,
Ich danke dir alles, alles,
Mein Leben und – seinen Tod;
O schau nicht so fragend und bange,
Schau lieber wie sonst mich an,
Leg ab die blasse Wange –
Getan ist, was getan.«
Die Kerzen brennen wie lüstern
Und geben schwülen Hauch,
Immer leiser wird das Flüstern,
Nun schweigt das Flüstern auch,
Ihr Atem lodert zusammen,
Wie Glut und Glut sich mischt,
Bis mählich in Flackerflammen
So Lust wie Licht erlischt.
Still wird's; nur Mondeslichter
Durchhuschen noch bleich den Saal,
Es schlummern, wie Totengesichter,
Graf Bothwell und sein Gemahl.
Sie schlummern; des Windes Weise
Erstirbt im hohen Kamin,
An den Wänden, hastig-leise,
Schatten vorüberfliehn.
Und hastiger wird ihr Treiben,
Schon graut und dämmert der Tag,
Da schlägt's an die klirrenden Scheiben
Wie flatternder Flügelschlag;
Auf fahren die zwei vom Kissen,
Verstört an Haar und Sinn;
Im Traume ward wach ihr Gewissen,
Und es murmelt die Königin:
»Hilf, Himmel, ich sah die Meinen
Landflüchtig, der Zügel beraubt,
Der fallenden Krone des einen
Nach rollte sein fallendes Haupt,
Und wie Donner durch meine Seele
Ging zürnend das alte Lied:
Ich räch' alle Schuld und Fehle
Bis in das vierte Glied.«
Maria hat es gesprochen,
Graf Bothwell hört es kaum,
Seine Schläfe pulsen und pochen,
Er denkt an den eigenen Traum,
Er spricht unter Starren und Stocken:
»Sie grüßte, dann betete sie,
Ab schnitt ihr der Henker die Locken –
Ach, deine Locken, Marie.«
Graf Bothwell hat es gesprochen,
Maria hört ihn kaum,
Ihre Schläfe pulsen und pochen,
Sie denkt an den eigenen Traum,
Stumm blicken die Buhlergatten
Sich an so blaß, so bang –
König Darnleys blutiger Schatten
Schreitet den Saal entlang.
4. Der sterbende Douglas
(Schlacht bei Langside. 1568)
Die Heere stießen aneinander; der Tag ist heiß, der Himmel finster,
Vom Hufschlag dröhnt weithin die Heide, rot tropft der Tau vom schwarzen Ginster;
Es blickt die schottische Maria von nahen Schlosses Fensterbrüstung,
Ihr Auge haftet auf dem Kampfe, doch in dem Kampf auf einer Rüstung.
Dem jungen Douglas folgt ihr Auge; sie fühlt ihr Herze höher schlagen,
Er ist's, der sechzehnjährige Knabe, der aus dem Kerker sie getragen,
Er ist's, der ihr ein Heer geworben, und durfte doch um eins nicht werben,
Drum wirbt er jetzt um seinen Frieden und um das Glück, für sie zu sterben.
Wen tragen aus dem Kampfgetümmel sie dort auf zweiggeflochtner Bahre,
Das Antlitz weiß, und schwarz die Rüstung, und rot von Blut die blonden Haare?!
Der Douglas ist's: Erfüllung wurde des Hoffnungslosen einz'gem Hoffen,
Es hat ein Schwert von Murrays Mannen ins tiefste Leben ihn getroffen.
Da liegt er, auf gewirktem Teppich, jetzt an des alten Schlosses Stufen,
Maria neigt sich zu ihm nieder, ein Priester wird herbeigerufen;
Der reicht den Kelch ihm unter Tränen, er aber segnet diese Stunde,
Hätt' langsam sonst verbluten müssen an seines Herzens stiller Wunde.
Die Brust wird kalt, es stockt sein Atem, sein Auge scheint vom Tod geschlossen;
Maria küßt die bleiche Stirne, die schon so frühe Ruhm genossen:
Da spielt um seinen Mund ein Lächeln, auf glimmt ein letzter Lebensfunken,
Dann ist er in Marias Arme zu letztem Schlaf zurückgesunken.
Marie Duchatel
(Aus der Zeit Maria Stuarts)
»Welchen Hofstaat bringt unsre Königin mit?«
»Sie bringt mit ihre vier Marien,
Ihre vier Marien von Frankreich her,
Die müssen mit ihr ziehn.
Die müssen ihr plätten und glätten das Bett
Und warten auf der Schwell',
Ich kenne die jüngste, die schönste,
Das ist Marie Duchatel.«
Marie Duchatel sprang ans Ufer,
Im Winde flog ihr Haar,
Der König sah Marie Duchatel
Und wie schön und wie schlank sie war.
Marie Duchatel sprang in den Bügel,
Ihr Haar war blond und licht,
Der König sah Marie Duchatel,
Die andern sah er nicht.
Marie Duchatel sprang aus dem Sattel,
Und zur Kirche schritten sie hin,
Der König sah Marie Duchatel,
Viel mehr als die Königin.
Und eh' drei Wochen waren ins Land,
Da sangen sie laut und hell:
Was sind alle Mädchen am Hofe
Gegen Marie Duchatel.
Und eh' drei Monde waren ins Land,
Da sangen sie, groß und klein:
Ach, ohne Marie Duchatel
Könnten wir gar nicht sein.
Marie Duchatel, Marie Duchatel,
Wolle nicht in den Garten gehn,
Der König ist da, und die Nacht ist nah,
Und du kannst nicht widerstehn!
Nun pflücket sie heimlich vom Klosterbaum
Und ringt ihre Hände wund,
Doch das Leben unterm Herzen
Wird lebendiger jede Stund'.
Und endlich hinaus zum Strande
Schleicht sie und trägt ihr Kind:
»Nun schwimme oder sinke!«
Flüstert sie in den Wind. –
Am andern Morgen läuft's auf und ab:
»Wisset ihr, was geschah?
Marie Duchatel hat ein Kleines,
Und das Kleine ist nicht da.«
Und die Königin ruft Marie Duchatel,
Die zittert und kommt geschwind:
»Ich hörte zu Nacht was wimmern!
Sag an, wo ist dein Kind?«
»Ich habe kein Kind, Mylady,
Denket nicht so schlecht von mir,
Ich hatte Stiche und Schmerzen
Unterm Herzen hier.«
»Und hattest du Stiche und Schmerzen,
Wohlan, heut bist du gesund,
Bring mir meinen Mantel von Scharlach,
Wir reiten noch diese Stund'.
Wir reiten von Schloß Stirling
Bis Edinburg ohne Müh,
Und in Edinburg gibt's Hochzeit
Morgen in aller Früh.«
Die Königin stieg zu Rosse,
Ihre Herren und Damen mit,
Sie ritten all im Trabe,
Marie Duchatel ritt im Schritt.
»Haltet an, liebe Herren und Damen,
Ich kann nicht folgen mehr!«
Sie hörten's und sprengten weiter,
Sie ritt seufzend hinterher.
Und als sie kam zum Tore,
Da wußten sie's schon in der Stadt,
Alle Mädchen und Frauen schluchzten,
Sooft sie gegrüßet hat.
»Was weinet ihr, liebe Frauen?
Kommt mit, es soll Hochzeit sein.« –
Sie schüttelten ihre Köpfe
Und traten ins Haus hinein. –
Am Nordertor, wo das Zollhaus steht,
Da saßen sie zu Gericht,
Sie war erst sechzehn Jahre,
Es konnte sie retten nicht.
Durchs Südertor, am andren Tag,
Ein Zug und ein Karren schlich,
Marie Duchatel wollte lächeln
Und weinte doch bitterlich.
Sie kamen an den Hügel:
»Leb wohl, liebe Königin,
Von deinen vier Marien
Geht eine nun dahin.
Oft hab' ich dich angekleidet
Und dir das Bett gemacht,
Daß es so kommen würde,
Das hab' ich nie gedacht.
Oft hab' ich dir mit Goldband
Dein Scharlachmieder gesäumt,
Von diesem Tag und dieser Stund',
Ach, hab' ich nie geträumt.
Ihr Schiffer und ihr Matrosen,
Wenn ihr zu Schiffe geht,
Erzählt kein Wort in Frankreich
Von allem, was ihr nun seht.
Erzählt nicht meiner Mutter
Von dem Brett, auf dem ich stand,
Und nichts von meinem Tode
Und nichts von meiner Schand'.
Ach, meine arme Mutter,
Als in der Wieg' ich lag
Und du mich herztest und küßtest,
Wie fern war dieser Tag!«
Sir Walter Raleighs letzte Nacht
Sir Walter Raleigh sitzt und sinnt im Tower,
Vergittert ist sein Fenster, Erz die Tür,
Als sie sich schloß, schloß sich für ihn das Leben,
Wenn sie sich öffnet, öffnet sie der Tod.
Ihm lacht kein Gnadenstrahl; Tyrannenhaß
Hat ihm auf Hochverrat das Wort gedeutet:
»Der Menschen Recht war vor dem Recht der Stuarts,
Und Kön'ge sind von Gott, nicht selber – Gott.«
Die Nacht ist da. Mitleidig durch die Scheiben
Blickt nur der Mond, und nur der Stunde Schlag
(Trotz bietend dem Verbot des Kerkermeisters)
Ruft dem Gefangnen zu: noch lebt die Zeit!
Sir Walter aber, auf die weiße Hand
– Blauadrig längst von Sorg' und Last der Jahre –
Stützt er sein Haupt, und hastig weiter spürend
Auf oft betretner Fährte des Gedankens,
Vergißt er, traumverloren, Zeit und Welt;
Er steigt ins eigne Herz hinab und schreibt:
Willkommen mir, zu scheiden
Von Leben und von Welt,
Mag keinen Gast beneiden,
Den's hier zurücke hält:
Arm sind des Lebens Feste,
Rings abgestandner Wein –
Das Höchste und das Beste
Wie niedrig und wie klein!
Des Hofes Glanz und Schimmer
Blinkt nur wie faules Holz,
Die Kirche lebt vom Flimmer
Und wird vor Demut stolz;
Des Reichen Opferbringen,
Des Mut'gen Märtyrtum,
Der Quell, daraus sie springen,
Heißt Sucht nach Ehr' und Ruhm.
Des Klugen Witz verschwendet
Der Worte viel – um nichts;
Die Weisheit wird geblendet
Vom Glanz des eignen Lichts;
Selbst du, des Weltgewimmels
Gepriesenste, o Kunst,
Es zeugt dich statt des Himmels
Die Mode und die Gunst.
Der Glauben ist veraltet,
Die Lieb' ist eitel Lust,
Ergebung kniet und faltet
Nur, weil es heißt: »Du mußt!«
Die Treu' ging längst verloren
In Schein und Lug und Trug,
Das Glück wird blind geboren;
Ich hab' des Spiels genug.
Willkommen mir, zu scheiden
Von Leben und von Welt,
Mag keinen Gast beneiden,
Den's hier zurücke hält:
Wem's Leben viel gegeben,
Dem gab es Müh und Not,
Der Tod nur ist das Leben,
Und alles Leben – Tod.
Sir Walter schrieb's; ein seltsam Testament,
Mehr eine Beichte als ein letzter Wille.
Da – während noch der gleichgesinnte Spruch
›Die Welt ist eitel‹ durch das Herz ihm klingt –
Erfaßt ihn jener Spottgeist, der es liebt,
In Widerspruch uns mit uns selbst zu bringen,
Der neben unsre Demut, unsren Glauben
Als immer fert'ges Fragezeichen tritt
Und, wo voll Mitgefühls wir weinen wollen,
Uns höhnisch zuruft: »Tor, so lache doch!«
Der Geist erfaßt ihn – und Sir Walters Auge
Hinzwingend auf den Demantring am Finger,
Durchstreicht er ihm die Weisheit dieser Stunde
Und gibt des Lebens Torheit ihm zurück.
Sein Aug' wird hell, Sir Walter sieht nur eins:
Den Sonnentag, der diesen Ring ihm brachte.
Zu Windsor war's, inmitten Waldeslust,
Durchs Eichenlaub floß goldne Mittagssonne,
Und wo die Jagd all ihre Schätze häufte,
Wo hundertfach der Hirsch im Blute lag,
Im Aug' des Rehs die Todesträne blinkte
Und wo der wilde Eber, nun so zahm,
Der Furchen keine mehr im Erdreich riß,
Da wuchs – als hätt' samt seinen Jagdgesell'n
Sich Robin Hood ins Riedgras hin gelagert –
Auf grünem Plan ein Festmahl aus der Erde:
Mit duft'gem Moose war der Tisch gedeckt,
Am Jagdspieß briet das Rundstück und der Ziemer,
Vom nahen Hügel sprudelte der Quell,
Daneben aber, selber schier ein Hügel,
Lag für die durstigsten der durst'gen Kehlen
Ein Stückfaß goldnen Weines, Vögel sangen,
Nichts fehlte, nur der königliche Gast.
Da scholl ein Horn, und sieh, in raschem Jagen,
Gestrüpp und dichtes Farnkraut leicht durchbrechend,
Erschien auf hohem Roß die hohe Frau,
Und jetzt, voll Kraft sich aus dem Sattel schwingend,
Berührte schon ihr Schleppenkleid den Boden,
Da stutzte sie – des Waldgrunds Feuchte lag,
Ein schwarzer Spiegel, schillernd ihr zu Füßen.
Sie stutzte; wohl! doch Augenblicke nur:
Denn pfeilgeschwind, herab zum Teppichdienste,
Flog Ritter Raleighs goldgestickter Mantel,
Und lächelnd nieder trat Elisabeth.
Das war ein Tag! Noch die Erinnrung dran
Gießt Lebenslust durch des Gefangnen Adern.
Er will nicht sterben; schmeichlerische Träume
Rückspiegeln ihm die Großtat manchen Tags,
Und seines Klägers Unrecht gegenüber
Anklammernd sich an seines Ruhmes Recht,
Springt er jetzt auf und ruft: »Versuch es, Stuart!
Schwer wiegt dein Haß, doch schwerer mein Verdienst.
Irland stand auf – mein Degen warf es nieder;
Cadix bot Trotz – ich brach den Trotz im Sturm,
Und als des finstren Philipps Riesenflotte,
Wie Goliath prahlend, vor Alt-England trat,
Da barg mein Schiff die auserwählte Schleuder –
Gott gab die Kraft, ich aber schwang den Stein.«
Sir Walter spricht's; die Enge seines Kerkers
Mit raschem Schritt durchmessend, preßt er jetzt
– Als such' er Kühlung für die heiße Stirn –
Sein fiebrig Haupt an seines Fensters Gitter,
Und jetzt, durch trübes Scheibenglas hindurch,
Nachblickend der zerrißnen Wolken Zug,
Fährt plötzlich er zurück: ins Glas gekritzelt
Steht »Essex« und ein Sterbekreuz darunter.
Seltsames Spiel! Dieselben Wände sind's,
Drin einst – wie er, verklagt auf Tod und Leben –
Sein Nebenbuhler saß, zugleich sein Opfer,
Und siehe da! durchs Herz ihm, das noch eben,
Gefälschter Schuld und Klage gegenüber,
Von Ruhmes-Recht geträumt, gehn jetzt die Schauer
Wahrhaft'ger, unauslöschbar-tiefer Schuld.
Er zittert, und als scheu zum zweiten Male
Sein Aug' er jetzt erhebt, da sind's des Grafen
Schriftzüge nicht, nein, Züge des Gesichts,
Und eine Grabesstimme ruft ihm zu:
»Irland stand auf – gleich dir, ich warf es nieder,
Cadix bot Trotz – ich nahm's im Sturm, wie du;
All meine Schuld, nicht größer als die deine,
War königlicher Gunst verzognes Kind.
Doch fiel mein Haupt, horch auf, es mußte fallen,
Denn sieh, als leise schon das Wörtchen ›Gnade‹
Den Weg vom Herzen auf die Lippe nahm,
Erschlug die Tücke meines Nebenbuhlers
Das süße Wort – und als der Herrin Huld
Auch da noch schwankte, meinen ›Tod‹ zu schreiben,
Da führte wer die Hand? Sir Walter, du!
Vernimm: die alte Schuld deckt nun die neue;
Bereite dich, du zahlst sie mit dem Tod.«
Die Stimme schwieg; der Morgen kam – die Zelle
War öd' und leer. Doch auf dem Gras des Hofes
Lag Tau der Nacht und Walter Raleighs Blut.
Lady Essex
(Fragment)
1.
In England wüten zwei Tyrannen:
Der König Jakob und die Pest,
Und jener immer rafft von dannen,
Was diese noch am Leben läßt.
Im Staube liegt die heil'ge Sache
Des Volks und bettelt vor dem Thron,
Schon aber weben Haß und Rache
Dein Siegeskleid – Revolution.
Schon atmet Cromwell, schon allnachtens
Tritt Englands Zukunft vor ihn hin
Und legt die Keime künft'gen Trachtens
In seinen ruhmbegier'gen Sinn,
Schon graut der Tag, nur noch ein kurzes,
So steigt die Sonne blutigrot,
Doch für die Zeichen nahnden Sturzes
Ist jede Stuart-Seele tot.
An Jakobs Hof drückt ihren Stempel
Die Lust noch auf jedwede Stirn,
Noch ist sein Schloß ein Bacchustempel,
Die Flasche gilt, es gilt die Dirn,
Und rast die Pest, ein jedes Opfer
Scheint nur zu rufen: ›Frisch gelebt!
Wer weiß es, ob der Tod den Klopfer
Nicht bald an deiner Türe hebt.‹
Es ist, als ob das nahe Sterben
Dem Leben voll're Reize leiht,
Man jagt in Lust darum zu werben,
Genuß ist Losungswort der Zeit.
Bei Hof ist Ball. Sieh, scheint nicht eben
Die Schönheit selbst daher zu schweben?
Wer anders kann sie sein, die Schlanke,
Zu der, wenn sie vorüberrauscht,
Ein jeder Sinn sich und Gedanke
Hinneiget und gefangen lauscht.
An ihrer Schönheit stumpft der Hohn;
Mehr als ein König auf dem Thron,
Wenn seine Blicke zornig irren,
Vermag ihr Auge zu verwirren,
Das bloße Flattern ihrer Locken
Macht schon des Höflings Zunge stocken,
Und selbst der Neid, auf den sie späht,
Bewundert ihre Majestät.
Was ist's, das bis ins tiefste Herze
Die Welt bei Hofe selbst durchbebt,
Wenn anmutvoll, in leichtem Scherze,
Die Lady Essex näherschwebt?
Ist's jener Tugend hoher Geist,
Der selbst die Spötter schweigen heißt
Und Ehrfurcht auch von dem ertrotzt,
Der schier von allen Lastern strotzt?
Wie, oder ist es nur ein Grauen,
Das sich in alle Herzen bahnt,
Weil man die finstren Mächte ahnt,
Die hier im Busen Hütten bauen?
Das ist's. Ein Ahnen flüstert leis:
All dieser Stolz ist Ätna-Eis,
Ist Lüge, die zu leugnen strebt
Die Lavaglut, die drunter lebt.
2.
Der Herbst ist da. Die Lust, zu jagen,
Lockt aus der Stadt nach Windsor-Schloß,
Und jetzt, vorbei an Heck' und Hagen,
Bricht Jakob und sein Jägertroß.
Welch Leben das! Die Rosse schäumen,
Die Meute klafft, die Pfeife gellt,
Der Wald erwacht aus seinen Träumen
Und schauert, wenn ein Opfer fällt.
Schon dunkelt's. Doch das Blutvergeuden
Es dauert fort bis in die Nacht,
Bis Dürsten nach des Mahles Freuden
Dem Durst nach Blut ein Ende macht.
Heim ruft das Horn. Bald in den Räumen
Des Schlosses lärmt man beim Bankett,
Man zecht, und statt der Rosse Schäumen
Schäumt Wein und Lust jetzt um die Wett',
Toaste schallen hunderttönig,
Der Wein verschwistert Alt und Jung,
Und lüstern bringt zuletzt der König
Den Damen seine Huldigung.
»Die Schönen hoch!« Der trunkne Alte,
Matt blinzelnd ruft er's durch den Saal,
Sie aber, der sein Hoch erschallte,
Die Lady Essex fehlt beim Mahl.
Dieweil der königliche Zecher
Umsonst nach ihren Zügen gafft,
Leert sie den ysopbittren Becher
Zurückgewiesner Leidenschaft.
Sie, die bei tausend Huldigungen
Ihr Herz mit kaltem Stolz bewährt,
Sieht jeden Sieg, den sie errungen,
In Niederlage jetzt verkehrt,
Sie glüht, und hinter Teppichwänden
Hervor aus wohlgeborgnem Schrank
Nimmt sie den aus ital'schen Händen
Heut erst erkauften Liebestrank.
»Der tu' es!«
Und schon weiter bauend,
Das Fläschchen in gekrampfter Hand,
Stutzt plötzlich sie, sich selbst erschauend
Genüber in der Spiegelwand.
Es ist, als fasse sie ein Staunen
Vor ihrem eignen Ebenbild,
Sie hört den Stolz im Busen raunen:
»Du bist es, draus dir Rettung quillt.«
Hin klirrt das Glas in Splitterscherben:
»Fahr wohl! ... Du kümmerlicher Saft
Sollst nicht um Liebe für mich werben
Und spotten meiner eignen Kraft.
Traun, ob der alte Höllenmeister
Auch selber dich bereitet hätt',
Gilt's Herrschaft über Sinn und Geister,
Ich biete dir und ihm die Wett';
Nur fort der letzte Rest von Lüge,
All Schein und Maske fahre hin,
Sehn soll er meine wahren Züge,
Und siegen werd' ich, wie ich bin ...«
Puritanerpredigt
(Cheapside, London, 1645)
... Landsleute, Volk von London, hört mich an:
Ihr denkt, der König ist's; der ist es nicht,
Der fühlt wie wir. Das Unglück kommt von drüben,
Von Frankreich kommt's und nennt sich Kön'gin-Mutter.
Und dazu Medici. Ein schlimmer Name.
Papistisch alle, Gott dem Herrn ein Greul,
Am meisten aber sie, das blut'ge Buhlweib,
Das Frankreichs Thron befleckte: Katharina.
Landsleute, tretet näher, hört mich an,
Von diesem Buhlweib will ich euch erzählen.
Bluthochzeit feierte die Stadt Paris,
Der Glocke Zeichen war in Nacht verklungen,
Und durch die Straßen, wie gehetztes Wild,
Wehschreiend, betend, floh der Hugenott.
Schon zog ein Blutstreif durch den Seine-Fluß,
Schon lag verstümmelt, siebenfach durchbohrt,
Auf offnem Platz der greise Coligny,
Und immer noch, den Mord zum Morde mahnend,
»Laßt Ader!« schrie der tückische Tavannes.
Im Schlosse aber, das sie Louvre nennen,
An jener hohen Bogenfenster einem,
Stand König Karl, der neunte seines Namens,
Und zitterte. Der ungeheure Frevel
Griff ihm ins Herz. Trotz Licht und Fackelglanz
Nacht war's um ihn. Er warf die Büchse fort:
»Ich kann nicht schießen, Mutter!« rief der König.
Da trat sie selber vor, schwarz war ihr Haar,
Schwarz wie der Sammet ihres Schleppenkleides,
Und ihrem Aug' entflammte tiefre Glut
Als dem Rubin, der ihr am Nacken blitzte.
»Bist du ein Mann?« so raunte sie ihm zu,
»Ein König und so feig? ich mag's nicht glauben.«
Das zündete.
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