Der Fürst – in falscher Scham

Ergriff er neu das Rohr, sie aber rief:

»Schau dort das Weib, das Hugenottenweib,

Sie flieht und birgt den Säugling an der Brust,

Zertritt das Raupennest! Der König schoß;

Ein Wehschrei klang herauf; sie aber klatschte

Dem Schützen Beifall ...

Katharina hieß sie.

 

Die unsre heißt Marie. Das ist das Ganze –

Sonst Medici, die damals und die heute.«

 

 

Die Stuarts

 

(Puritaner-Lied)

 

Sie dünken nach Gnad' und göttlichem Recht

Sich dieses Landes Erben,

Und sind doch ein verloren Geschlecht

Und müssen alle sterben.

 

Sie machten von je den sündigen Leib

Zum Herrscher ihrer Seelen –

Ihre Ahnfrau war das Babelweib,

Von dem die Bücher erzählen.

 

Sie mußten zweimal das Schafott

Mit ihrem Blute färben,

Doch unversöhnt ist unser Gott:

Sie müssen alle sterben.

 

Sie konnten errichten Jehovahs Thron,

Sie sind zu schwach befunden,

Nun klopfen an Tür und Tore schon

Ihres Hauses letzte Stunden.

 

Es kommt ein Wetter, es braust ein Strom,

Die Lüge muß verderben –

Die Stuarts stehen all zu Rom

Und müssen alle sterben.

 

 

Cromwells letzte Nacht

 

Mir sagt's nicht nur des Arztes ernste Miene,

Selbst fühl' ich's: meine Stunden sind gezählt ...

 

Ein wüster Traum war's! Wüßt' ich, diese Nacht

Wird mir der Schlaf ein gleiches Schrecknis bringen,

So möchte diese Stunde noch der Tod

Statt jenes Stuart an mein Lager treten.

Ernst stand er vor mir; um den nackten Hals

Trug, statt des Schmucks, er einen roten Streifen,

Und als er, wie vordem, zu leichtem Gruß

Nach dem Barett auf seinem Haupte faßte,

Nahm er den Kopf von seinem blut'gen Rumpf.

Mein Auge schloß sich; als ich's scheu geöffnet,

Sah wieder ich den purpurfarbnen Streifen,

Er winkte mit dem Finger mir zu folgen,

Und schwand dann, rückwärts schreitend, in der Tür.

 

Was schreckt das Traumbild mich des toten Mannes

Und weckt in mir den alten Aberglauben

An eines Königs Unverletzlichkeit?

Das Schwert des Henkers wär' wie Glas zersprungen,

Wenn Gottes Will' ihn unverletzlich schuf.

Der kühne Normann, der bei Hastingsfield

Den König Harald in den Staub geworfen,

Was war er Beßres als der Cromwell heut,

Der jenen Karl bei Marston-Moor geschlagen?

 

Es soll nicht mehr dies blut'ge Haupt mich schrecken!

Daß ich mein Tun mit seinem Tod besiegelt,

Es war Notwendigkeit; er mußte sterben,

Es war sein Blut der Mörtel meines Baus.

 

Ich sah das Schiff, vom Sturm umhergeschlagen,

Der Klippe nah, an der es scheitern mußte,

Und sprang hinzu – von seinem Platze drängt' ich

Den schwachen Steurer, und mit fester Hand

Bracht' ich das Schiff, geborgen, in den Hafen.

Es war noch immer, wo es galt zu retten,

Das Recht des Stärkern nicht das schlechtste Recht.

 

Wenn in die Sendung, die an mich ergangen,

Sich Selbstsucht, Stolz und Eitelkeit gemischt,

So weißt du, Gott, der meine Nächte kennet,

Wie für die Schwachheit bitter ich gebüßt.

Mein Leben war das Leben des Tyrannen;

Ob nimmer auch in Blut ich mich gebadet,

Haß fand ich dort, wo festen Arms ich drückte,

Und Eifersucht, wo milden Arms ich hob.

 

Erfüllt ist, was ich mußte; Gott, ich wollte,

Des Mannes Blut wär' nicht an meinen Händen!

Hab' ich gefehlt, sei mir ein gnäd'ger Richter –

In deine Hand befehl' ich meinen Geist.

 

 

Thomas Harrison

 

»Harrison, du zitterst?«

 

»Ich zittre nicht von verlorenem Mut,

Ich zittre von all dem verlorenen Blut,

Von all dem Blute, das ich verlor

Bei Edgehill, Nasby und Marston-Moor,

Das ich verlor im Kampf wider euch –

Ich zittre nicht vor dem Todesstreich.«

 

 

Lied des James Monmouth

 

Es zieht sich eine blutige Spur

Durch unser Haus von alters,

Meine Mutter war seine Buhle nur,

Die schöne Lucy Walters.

 

Am Abend war's, leis wogte das Korn,

Sie küßten sich unter der Linde,

Eine Lerche klang und ein Jägerhorn –

Ich bin ein Kind der Sünde.

 

Meine Mutter hat mir oft erzählt

Von jenes Abends Sonne,

Ihre Lippen sprachen: Ich habe gefehlt!

Ihre Augen lachten vor Wonne.

 

Ein Kind der Sünde, ein Stuartkind,

Es blitzt wie Beil von weiten:

Den Weg, den alle geschritten sind,

Ich werd' ihn auch beschreiten.

 

Das Leben geliebt und die Krone geküßt

Und den Frauen das Herz gegeben,

Und den letzten Kuß auf das schwarze Gerüst –

Das ist ein Stuart-Leben.

 

 

Die Hamiltons oder

Die Locke der Maria Stuart

Lord William kam zu sterben,

Lord William Hamilton;

Er spricht zu seinem Sohne:

»Nun höre mich an, Sir John!

 

Ich lasse dir Land und Leute,

Unsren Namen und unsren Ruhm,

Und ich lasse dir, mehr als alles,

Dieser Locke Heiligtum.

 

Ich sah die Locke fallen,

Ich hörte der Schere Schnitt –

Und als Maria gebetet,

Da betete leis ich mit.

 

Da hab' ich still geschworen:

Zu tragen in Leid und Lust,

Zu tragen in Jubel und Tränen

Diese Locke auf der Brust.

 

Ich hab' sie in Tränen getragen

Und lass' erst im Tode davon –

Für die Stuarts zu leben und sterben,

Das schwör' auch du, Sir John.«

 

Lord William hat es gesprochen,

Sir John hat's treu gemeint:

Erst barg er still die Locke,

Dann hat er still geweint.

 

Er trug sie zwanzig Jahre,

Und als sein Stündlein kam,

Er mit des Vaters Worten

Die Locke vom Herzen nahm.

 

Er gab sie seinem Sohne,

Und der Sohn dem Enkel dann,

Ihr Erbteil war die Treue

Und der Locke Talisman.

 

Und als auf blinkendem Zelter

König James gen London zog,

Und als auf schwarzem Schafotte

Karls Haupt vom Rumpfe flog,

 

Und als an der Boyne wieder

»Stuart« das Feldgeschrei, –

In Lust und Leid, die Locke

Und die Hamiltons waren dabei.

 

Und waren dabei zuletzt auch,

Als auf Cullodens Plan

Ihre Augen das Distelbanner

Noch einmal flattern sahn.

 

's war wieder ein Lord William

Und wieder ein Sir John,

Ein Alter und ein Junger,

Doch jeder ein Hamilton.

 

Der Junge focht zu Fuße,

Der Alte focht zu Roß,

Bis eine englische Kugel

Ihn aus dem Sattel schoß.

 

Hin reicht' er seinem Sohne

Die Locke, rot von Blut,

Er hatte nicht Zeit zu sprechen,

Er sprach nur: »Wahre sie gut!«

 

Er wahrte sie gut, der Junge,

Manchen Mond und manches Jahr,

Der Junge ward ein Alter –

Das Herz blieb, wie es war.

 

Und als in letzten Tagen

Ihm Kunde kam ins Haus:

»Sie trugen im fernen Süden

Den letzten Stuart hinaus«,

 

Da sprach er, als er sterbend

Seinem Sohne die Locke gab:

»Die Stuarts sind gestorben,

Doch die Treue kennt kein Grab.«

 

Und siehe, die Hamiltons wahren

Bis heut ihren alten Ruhm,

Doch eines mehr als alles:

Der Locke Heiligtum.

 

 

General Sir John Moores Begräbnis

 

(Rückzug von Corunna, 1809)

 

Kein Trommelwirbel, kein Grablied hohl,

Als wir an den Wallrand lenkten,

Kein Schuß rief über ihn hin: »Fahr wohl«,

Als wir ihn niedersenkten;

Wir senkten ihn nieder um Mitternacht,

Sein Grab, ohne Prunk und Flimmer,

Wir hatten's mit Bajonetten gemacht,

Bei Mond- und Windlicht-Schimmer.

 

Viel Zeit zum Beten hatten wir nicht,

Nicht Zeit zu Klagen und Sorgen,

Wir starrten dem Toten ins Angesicht

Und dachten: ›Was nun morgen?‹

Kein Grabtuch da, kein Priester nah,

Kein Sterbekleid und kein Schragen,

Wie ein schlafender Krieger lag er da,

Seinen Mantel umgeschlagen.

 

Und kaum noch, daß unser Tun vollbracht,

Heim rief uns die Glock' von den Schiffen,

Und über uns hin jetzt, durch die Nacht,

Des Feindes Kugeln pfiffen;

So ließen wir ihn auf seinem Feld,

Blutfeucht von Heldentume,

Da liegt er und schläft er allein, unser Held,

Allein mit seinem Ruhme.

 

Wir dachten, als wir den Hügel gemacht

Über seinem Bette der Ehre:

›Bald drüber hin zieht Feindes Macht,

Und wir – weit, weit auf dem Meere;

Sie werden schwätzen viel auf und ab

Von Ehre, die kaum gerettet –

Doch nichts von allem dringt in sein Grab,

Drin wir Britischen ihn gebettet.‹

 

 

Walter Scotts Einzug in Abbotsford

 

Sir Walter, er zieht von Edinburg her

Gen Abbotsford, das noch öd' und leer,

Drum führt er mit sich, für Hof und Haus,

Was ein Schloßherr braucht jahrein jahraus:

Kisten und Kasten, groß und klein,

Diener, Doggen und Papagein,

Und dazwischen alles, was jahrelang

Er altertümernd erwarb, errang –

Für ein Museum übergenug,

Ein Dreiundzwanzigwagenzug.

 

Der erste Wagen, erinnerungsvoll

Ist er an Bruce und Balliol:

Ein Steinkreuz, ein Kamm, eine Totenurn',

Alles vom Felde von Bannockburn,

Auch ein Lehnschwert mit Runenschrift auf und ab,

Das König Robert dem Douglas gab.

 

Auf dem zweiten: ein Felsstück aus dem Donjon,

Drin gefangen saß Richard Coeur de Lion,

Eine Harfe von Blondel (neu zu beziehn),

Ein Säbel von Sultan Saladin,

Eschenbogen und Tartsche von Robin Hood

Und ein Stock Bruder Tucks aus dem Nottingham-Wood.

 

Und auf dem dritten, von Nancy her,

Das Zelt von Charles le Téméraire,

Der Spieß, der dem Herzog, eh' er's gedacht,

Von Bauernhand den Tod gebracht;

Barbierzeug (Becken von goldener Bronze)

– Prachtstück aus den Tagen von Louis onze –

Zuletzt auch die Leiter, drauf, Strick in Hand,

Ehren-Tristan des Winks gewärtig stand.

 

Dann, bunt durcheinander, aus Heimat und Fremd',

Erzne Schienen und ein Kettenhemd,

Ein blutroter Mantel von Meister Hans,

Ein Dragonersattel von Preston-Pans,

Spinnrad und Spule von Königin Maud,

Inful und Krummstab von Erzbischof Laud,

Zwei Bildnisse, Kreid' und in Pastell,

Von der weißen Dame von Avenell,

Eine Spitzenkrause, die Darnley trug,

Eine dito von Bothwell, der Darnley erschlug,

Eine Schildpattwiege, drin einen Tag,

(Als man sie taufte) Queen Mary lag,

 

Ihr Hinrichtungsblock aus Fotheringhay,

Gebetbuch der Johanna Gray,

Kanzel und Sanduhr von John Knox,

Eine Riesenperücke des älteren Fox,

Eine Cromwell-Pistole mit Kugel im Lauf,

Von Floddenfield ein verrosteter Knauf,

Auf türmt sich's (und mehr noch) Zoll um Zoll,

Dreiundzwanzig Wagen voll.

 

Und auf dem letzten, sonnumblitzt,

Sir Walter selber, ein Glücklicher, sitzt,

Er lächelt und träumt und führt im Geist

Den Stab schon, der allem die Stelle weist.

Eine Stelle find't jedes irgendwo,

Sei's in Quentin Durward, in Ivanho,

Eine Stelle find't jedes, früh oder spat,

In Abt oder Kloster oder Pirat,

Eine Stelle haben, finden sie,

Sei's in Woodstock oder in Waverlie.

 

Requisitenkammer, Schatzkammer noch mehr,

So kommt der Zug von Edinburg her.

Dreiundzwanzig Wagen. Nun ladet ab

Und, Sir Walter, schwinge den Zauberstab!

 

 

Walter Scott in Westminster-Abtei

 

Ganz London flaggt und jubelt und rennt:

»Heut wird er König, der Prinz-Regent!«

Schon wartet seiner die Klerisei

Vorm Altar der Westminster-Abtei,

Vorm Eingang aber, in Plaid und Kilt

Und im Helme, draus der Helmbusch quillt,

Über den Platz hin, zieht Spalier

Das Regiment Schottische Füsilier!

 

Und wie gefegt der ganze Plan.

Wer aber die zwei, die da sich nahn?

Sie hoffen auf Zutritt, auf Gunst und Glück;

Umsonst. Kommandoruf: »Zurück!«

Und die Menge, sie lacht, und der eine wird bleich,

Aber der andre: »Dacht' es gleich;

Das alte Lied vom Schaden und Spott,

Lachen wir mit, Sir Walter Scott!«

 

Und sieh, eh' noch der Name verklang,

In die Front ein blutjunger Fähnrich sprang,

Seinen Degen senkt salutierend er:

»Richt't euch; präsentiert das Gewehr!

Hoch König Georg und segn' ihn Gott,

Aber Platz, Füsiliers, für Sir Walter Scott!«

 

Der Weg ist offen, der Weg ist frei,

Sir Walter betritt die Westminster-Abtei.

Die Schotten flüstern: »Das war er!«

 

Der Krönungszug kam weit hinterher.

 

 

Das Trauerspiel von Afghanistan

 

Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,

Ein Reiter vor Dschellalabad hält.

»Wer da!« – »Ein britischer Reitersmann,

Bringe Botschaft aus Afghanistan.«

 

»Afghanistan!« er sprach es so matt;

Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,

Sir Robert Sale, der Kommandant,

Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.

 

Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,

Sie setzen ihn nieder an den Kamin,

Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,

Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

 

»Wir waren dreizehntausend Mann,

Von Kabul unser Zug begann,

Soldaten, Führer, Weib und Kind

Erstarrt, erschlagen, verraten sind.

 

Zersprengt ist unser ganzes Heer,

Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,

Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,

Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.«

 

Sir Robert stieg auf den Festungswall,

Offiziere, Soldaten folgten ihm all,

Sir Robert sprach: »Der Schnee fällt dicht,

Die uns suchen, sie können uns finden nicht.

 

Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,

So laßt sie's hören, daß wir da,

Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,

Trompeter, blast in die Nacht hinaus!«

 

Da huben sie an und sie wurden's nicht müd',

Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,

Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,

Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.

 

Sie bliesen die Nacht und über den Tag,

Laut, wie nur die Liebe rufen mag,

Sie bliesen – es kam die zweite Nacht,

Umsonst, daß ihr ruft, umsonst, daß ihr wacht.

 

Die hören sollen, sie hören nicht mehr,

Vernichtet ist das ganze Heer,

Mit dreizehntausend der Zug begann,

Einer kam heim aus Afghanistan.

 

 

Der Tower-Brand

 

Wenn's im Tower Nacht geworden, wenn die Höfe leer und stumm,

Gehn die Geister der Erschlagnen in den Korridoren um,

Durch die Lüfte bebt Geflüster klagend dann, wie Herbsteswehn,

Mancher hat im Mondenschimmer schon die Schatten schreiten sehn.

 

Vor dem Zug, im Purpurmantel, silberweiß von Bart umwallt,

Schwebt des sechsten Heinrichs greise, gramverwitterte Gestalt,

Lady Gray dann, mit den Söhnen König Edwards an der Hand –

Leise rauscht der Anna Bulen langes seidenes Gewand.

 

Zahllos ist das Heer der Geister, das hinauf, hinunter schwebt,

Das da murmelt: »Fluch dir, Tower, dran das Blut der Unschuld klebt;

Schutt und Trümmer sollst du werden!« Aber machtlos ist ihr Fluch,

Ehern hält den Bau zusammen böser Mächte Zauberspruch.

 

Wieder nachtet's, wieder ziehn sie durch die Räume still und weit,

Plötzlich stockt der Zug und schart sich um ein glimmend Tannenscheit,

Dann geschäftig tragen Schnitzwerk, Fahnen, Fransen sie herzu,

Und zur hellen Flamme schüren sie die matte Glut im Nu.

 

Wie das prasselt, wie das flackert! Einen sprüh'nden Feuerbrand

Nehmen sie zum nächt'gen Umzug jetzt als Fackel in die Hand,

Weithin wird die Saat der Funken in den Zimmern ausgestreut,

Flammen sollen draus erwachsen; hei, der Fluch erfüllt sich heut!

 

Alles schläft; doch auf vom Lager springt im Nu der rasche Sturm,

Und er wirft sich in das Feuer, und das Feuer in den Turm,

An des Towers Felsenwände peitscht er schon das Flammenmeer,

Und den Segen drüber sprechend, wogt auf ihm das Geisterheer.

 

Doch, als ob das Salz der Tränen feuerfest die Wände macht,

Wie wenn Blut der beste Mörtel, den ein Meister je erdacht –

Seht, wie durstig auch die Flamme sich von Turm zu Turme wirft,

Hat sie doch, als wären's Becher, nur den Inhalt ausgeschlürft.

 

Wieder, wenn es Nacht geworden, wenn's im Tower leer und stumm,

Gehn die Geister der Erschlagnen in den Korridoren um,

Durch die Lüfte weht Geflüster, klagend dann wie Herbsteswehn,

Mancher wird im Mondenschimmer noch die Schatten schreiten sehn.

 

 

Balaklawa

 

Der Angriff der Leichten Brigade,

 

25. Oktober 1854

 

(Frei nach Alfred Tennyson)

 

»Eine halbe Meil', eine halbe Meil',

Auf Sattel und Schabracke,

Vor, in Sturmeseil',

Vor, zur Attacke.

Zählt nicht der Kanonen Zahl,

Hinein, hinein ins Todestal ...«

(Alle hören's verwundert)

»Vorwärts, Leichte Brigade, vor« –

Und hinein ins Feuer- und Höllentor

Reiten die Sechshundert.

 

Leichte Brigade, der Siegespreis

Ist heute hoch, ist heute heiß,

Aber kein Murren, nicht laut, nicht leis,

Keines, obwohlen ein jeder weiß,

's ward irgendwo geblundert –

Vorwärts; sie fragen und zagen nicht,

Vorwärts; sie wanken und schwanken nicht,

Vorwärts, gehorchen ist einzige Pflicht,

Ins Todestal,

In voller Zahl,

Reiten die Sechshundert.

 

Vorwärts! Kanonen rechts und links,

Kanonen in Front, gewärtig des Winks,

Selbst die Feinde sehen's verwundert.

Schrapnell und Kartätschenschuß,

Todesgruß und Todeskuß,

Falle, was da fallen muß,

In den Höllenrachen, ins Todestal,

Noch voll in Zahl,

Reiten die Sechshundert.

 

Säbel heraus! Die Klingen fein

Blinken und blitzen im Sonnenschein,

Und die Leichte Brigade, nun ist sie hinein,

Fast über sich selber verwundert;

Ihre Säbel, in Rauch und Pulverqualm,

Singen manch einem den letzten Psalm,

Aber endlich, aus Qualm und Rauch

Und ermattet bis auf den letzten Hauch,

Abgejagt und abgehetzt,

Müssen sie rückwärts, rückwärts jetzt –

Nicht mehr Sechshundert.

 

Kanonen rechts, Kanonen links,

Kanonen im Rücken, gewärtig des Winks;

Verdoppelt jetzt Salv' um Salve kracht,

Rückwärts, rückwärts wogt die Schlacht,

Und wen es aus dem Sattel schoß,

Den Reiter zertritt sein eigen Roß,

Das Fahnentuch mit flatterndem Band

Geht schon in dritt' und vierte Hand,

Ist zerschossen und zerzundert,

Der Tod mäht rascher von Schritt zu Schritt,

Leichte Brigade, was bringst du noch mit?

Dein Siegesritt war ein Todesritt,

Ein Todesritt der Sechshundert.

 

Wird je verblassen euer Ruhm?

Nimmer. Ihr strahlt in Heldentum,

Und die Welt, sie staunt und wundert.

Hoch unsre Balaklawa-Schlacht,

Und die Leichte Brigade, die's gemacht,

Hoch die Sechshundert!

 

 

Volkslied

 

(In den Londoner Straßen gesungen im Winter 1855)

 

All, die ihr schlaft auf Dunen, behaglich, wohlgemut,

Denkt unsrer armen Brüder, die kalt sind bis aufs Blut,

Die in den Gräbern liegen, krank, hungrig, starr und stumm,

Die Blüte unsres Landes, im Schlammbett kommt sie um.

 

Vom Balaklawa-Hafen bis an die Stadt heran,

Vor Karren und Geschützen sie selber als Gespann,

So haben sie's gehalten, dann kam die stille Nacht,

So viele gingen schlafen, so wenig sind erwacht.

 

Ich hört' ein Mädchen klagen, sie rief: »Was fang' ich an?

Mein Vater liegt und schlummert im Tal von Inkerman,

Mein Bruder liegt verwundet, genesen wird er nie,

Es kann kein Christ genesen in jenem Skutari.«

 

Gott, schütze unsre Brüder mit deiner mächt'gen Hand,

Leih ihnen Sieg und führe sie heim ins Vaterland,

Beschütz' auch, was sie lieben, Weib, Vater, Mutter, Kind,

Und sei ein Tröster aller, die schweren Herzens sind.

 

 

Die Brück' am Tay

 

(28. Dezember 1879)

 

When shall we three meet again?

Macbeth

 

»Wann treffen wir drei wieder zusamm?«

»Um die siebente Stund', am Brückendamm.«

»Am Mittelpfeiler.«

 

»Ich lösche die Flamm.«

»Ich mit.«

 

»Ich komme vom Norden her.«

»Und ich vom Süden.«

»Und ich vom Meer.«

 

»Hei, das gibt einen Ringelreihn,

Und die Brücke muß in den Grund hinein.«

 

»Und der Zug, der in die Brücke tritt

Um die siebente Stund'?«

»Ei, der muß mit.«

»Muß mit.«

 

»Tand, Tand

Ist das Gebilde von Menschenhand!«

 

Auf der Norderseite, das Brückenhaus –

Alle Fenster sehen nach Süden aus,

Und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh

Und in Bangen sehen nach Süden zu,

Sehen und warten, ob nicht ein Licht

Übers Wasser hin »Ich komme« spricht,

»Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,

Ich, der Edinburger Zug.«

 

Und der Brückner jetzt: »Ich seh' einen Schein

Am anderen Ufer. Das muß er sein.

Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,

Unser Johnie kommt und will seinen Baum,

Und was noch am Baume von Lichtern ist,

Zünd' alles an wie zum heiligen Christ,

Der will heuer zweimal mit uns sein, –

Und in elf Minuten ist er herein.«

 

Und es war der Zug. Am Süderturm

Keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,

Und Johnie spricht: »Die Brücke noch!

Aber was tut es, wir zwingen es doch.

Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,

Die bleiben Sieger in solchem Kampf.

Und wie's auch rast und ringt und rennt,

Wir kriegen es unter, das Element.

 

Und unser Stolz ist unsre Brück';

Ich lache, denk' ich an früher zurück,

An all den Jammer und all die Not

Mit dem elend alten Schifferboot;

Wie manche liebe Christfestnacht

Hab' ich im Fährhaus zugebracht

Und sah unsrer Fenster lichten Schein

Und zählte und konnte nicht drüben sein.«

 

Auf der Norderseite, das Brückenhaus –

Alle Fenster sehen nach Süden aus,

Und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh

Und in Bangen sehen nach Süden zu;

Denn wütender wurde der Winde Spiel,

Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel',

Erglüht es in niederschießender Pracht

Überm Wasser unten ... Und wieder ist Nacht.

 

»Wann treffen wir drei wieder zusamm?«

»Um Mitternacht, am Bergeskamm.«

»Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.«

 

»Ich komme.«

» Ich mit.«

»Ich nenn' euch die Zahl.«

»Und ich die Namen.«

»Und ich die Qual.«

»Hei!

Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.«

 

»Tand, Tand

Ist das Gebilde von Menschenhand.«

 

 

John Maynard

 

John Maynard!

 

»Wer ist John Maynard?«

 

»John Maynard war unser Steuermann,

Aus hielt er, bis er das Ufer gewann,

Er hat uns gerettet, er trägt die Kron',

Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.

John Maynard.«

 

Die »Schwalbe« fliegt über den Eriesee,

Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee,

Von Detroit fliegt sie nach Buffalo –

Die Herzen aber sind frei und froh,

Und die Passagiere mit Kindern und Fraun

Im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,

Und plaudernd an John Maynard heran

Tritt alles: »Wie weit noch, Steuermann?«

Der schaut nach vorn und schaut in die Rund':

»Noch dreißig Minuten ... Halbe Stund«.

 

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei –

Da klingt's aus dem Schiffsraum her wie Schrei,

»Feuer!« war es, was da klang,

Ein Qualm aus Kajüt' und Luke drang,

Ein Qualm, dann Flammen lichterloh,

Und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

 

Und die Passagiere, buntgemengt,

Am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,

Am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,

Am Steuer aber lagert sich's dicht,

Und ein Jammern wird laut: »Wo sind wir? wo?«

Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo.

 

Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,

Der Kapitän nach dem Steuer späht,

Er sieht nicht mehr seinen Steuermann,

Aber durchs Sprachrohr fragt er an:

»Noch da, John Maynard?«

»Ja, Herr. Ich bin.«

»Auf den Strand! In die Brandung!«

»Ich halte drauf hin.«

Und das Schiffsvolk jubelt: »Halt aus! Hallo!«

Und noch zehn Minuten bis Buffalo.

 

»Noch da, John Maynard?« Und Antwort schallt's

Mit ersterbender Stimme: »Ja, Herr, ich halt's!«

Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,

Jagt er die »Schwalbe« mitten hinein.

Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.

Rettung: der Strand von Buffalo.

 

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.

Gerettet alle. Nur einer fehlt!

 

Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell'n

Himmelan aus Kirchen und Kapell'n,

Ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,

Ein Dienst nur, den sie heute hat:

Zehntausend folgen oder mehr,

Und kein Aug' im Zuge, das tränenleer.

 

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,

Mit Blumen schließen sie das Grab,

Und mit goldner Schrift in den Marmorstein

Schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

»Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand

Hielt er das Steuer fest in der Hand,

Er hat uns gerettet, er trägt die Kron',

Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.

John Maynard.«

 

 

Goodwin-Sand

 

Das sind die Bänke von Goodwin-Sand,

Sie sind nicht Meer, sie sind nicht Land,

Sie schieben sich, langsam, satt und schwer,

Wie eine Schlange hin und her.

 

Und die Schiffe, die mit dem Sturm gerungen

Und die schäumende Wut der Wellen bezwungen,

Und die gefahren über die Welt,

Unzertrümmert, unzerschellt,

Sie sehen die Heimat, sie sehen das Ziel,

Da schiebt sich die Schlange unter den Kiel

Und ringelt Schiff und Mannschaft hinab,

Zugleich ihr Tod, zugleich ihr Grab.

 

Die See ist still, die Ebb' ist nah,

Mastspitzen ragen hier und da,

Und wo sie ragen in die Luft,

Da sind es Kreuze über der Gruft;

Ein Kirchhof ist's, halb Meer, halb Land –

Das sind die Bänke von Goodwin-Sand.

 

 

3. Deutsches. Märkisch-Preußisches

 

Treu-Lischen

»Mein Lischen, stell das Weinen ein,

Auf Regen folgt ja Sonnenschein,

Ich kehr' mit Schwalb' und Flieder

Und wohl noch früher wieder.«

 

Der Bursche sprach's. Vom Giebeldach

Sah ihm Treu-Lischen lange nach,

Bis Hoffnung wiederkehrte

Und ihren Tränen wehrte.

 

Die Äuglein wurden wieder klar,

Das Herze jeden Kummers bar,

Sie wußte: mit dem Flieder

Kam ihr der Liebste wieder.

 

Der Frühling kam mit Duft und Klang,

Treu-Lischen harrte mondenlang,

Herbstwind durchfuhr den Garten –

Vergeblich war ihr Warten.

 

Wohl kam der Frühling viele Mal,

Ihr Liebster nimmermehr ins Tal,

Doch Lenz um Lenz aufs neue

Rief sie: »Nun kommt der Treue!«

 

Es konnt' ihr Herz, das Jahr um Jahr

Dem Liebsten treu geblieben war,

Es konnt's ihr Herz nicht fassen,

Er habe sie verlassen.

 

Grau ward ihr Haar, welk ihr Gesicht,

Das Alter kam, sie wußt' es nicht,

Ihr Hoffen und ihr Lieben,

Ihr Herz war jung geblieben.

 

Und als der Tod sie heimgeführt,

Hat ihn das treue Herz gerührt,

Und mit des Liebsten Mienen

Ist er vor ihr erschienen.

 

 

Silvesternacht

 

Das Dorf ist still, still ist die Nacht,

Die Mutter schläft, die Tochter wacht,

Sie deckt den Tisch, sie deckt für zwei,

Und sehnt die Mitternacht herbei.

 

Wem gilt die Unruh? wem die Hast?

Wer ist der mitternächt'ge Gast?

Ob ihr sie fragt, sie kennt ihn nicht,

Sie weiß nur, was die Sage spricht.

 

Die spricht: Wenn wo ein Mädchen wacht

Um zwölf in der Silvesternacht,

Und wenn sie deckt den Tisch für zwei,

Gewahrt sie, wer ihr Künft'ger sei.

 

Und hätt' ihn nie gesehn die Maid,

Und wär' er hundert Meilen weit,

Er tritt herein und schickt sich an,

Und ißt und trinkt, und scheidet dann. –

 

Zwölf schlägt die Uhr, sie horcht erschreckt,

Sie wollt', ihr Tisch wär' ungedeckt,

Es überfällt sie Angst und Graun,

Sie will den Bräutigam nicht schaun.

 

Fort setzt der Zeiger seinen Lauf,

Niemand tritt ein, sie atmet auf,

Sie starrt nicht länger auf die Tür –

Herr Gott, da sitzt er neben ihr.

 

Sein Aug' ist glüh, blaß sein Gesicht,

Sie sah ihn all' ihr Lebtag nicht,

Er blitzt sie an und schenket ein

Und spricht: »Heut Nacht noch bist du mein.

 

Ich bin ein stürmischer Gesell',

Ich wähle rasch und freie schnell,

Ich bin der Bräut'gam, du die Braut,

Und bin der Priester, der uns traut.«

 

Er faßt sie um – ein einz'ger Schrei,

Die Mutter hört's und kommt herbei;

Zu spät, verschüttet liegt der Wein,

Tot ist die Tochter und – allein.

 

 

»Und alles ohne Liebe«

 

Die Mutter spricht: »Lieb Else mein,

Wozu dies Grämen und Härmen?

Man lebt sich ineinander ein,

Auch ohne viel zu schwärmen;

Wie manche nahm schon ihren Mann,

Daß sie nicht sitzen bliebe,

Und dünkte sich im Himmel dann

Und – alles ohne Liebe.«

 

Jung-Else hört's. Sie schloß das Band,

Das ew'ge, am Altare,

Und lächelnd nahm des Gatten Hand

Den Kranz aus ihrem Haare;

Ihr war's, als ob ein glühend Rot

Sich auf die Stirn ihr schriebe,

Sie gab ihr Alles, nach Gebot,

Und – alles ohne Liebe.

 

Der Mann ist schlecht; er liebt das Spiel

Und guten Trunk nicht minder,

Sein Weib zu Hause weint zu viel,

Und ewig schrei'n die Kinder;

Spät kommt er heim, er kost, er schlägt,

Nachgiebig jedem Triebe,

Sie trägt's, wie nur die Liebe trägt,

Und – alles ohne Liebe.

 

Sie wünscht sich oft, es wär' vorbei,

Wenn nicht die Kinder wären,

So aber sucht sie stets aufs neu

Zum Guten es zu kehren,

Sie schmeichelt ihm, und ob er dann

Auch kalt beiseit' sie schiebe,

Sie nennt ihn »ihren liebsten Mann«

Und – alles ohne Liebe.

 

 

»Denkst du verschwundener Tage, Marie?«

 

(Nach dem Englischen)

 

»Denkst du verschwundener Tage, Marie,

Wenn du starrst ins Feuer bei Nacht?

Wünschst du die hellen Tage zurück,

Wo du selbst wie die Sonne gelacht?«

 

»Ich denk' der verschwundenen Tage, Johann,

Und denk' an all ihr Glück,

Doch der sonnigste Tag, der über mich kam,

Ich wünsch' ihn nicht zurück.«

 

»Denkst du an gestorbenes Hoffen, Marie,

Wenn du starrst ins Feuer bei Nacht?

Der Tau, der auf dein Hoffen fiel,

Hat dich um die Ernte gebracht.«

 

»Ich denk' an gestorbenes Hoffen, Johann,

Aber tu's in stillem Sinn,

Es starb, wie eine Rose stirbt, –

Und was hin ist, ist hin.«

 

»Denkst du gestorbener Freunde, Marie,

Wenn du starrst ins Feuer bei Nacht?

Wünschst du sie zurück an den einsamen Herd,

Den sie einst dir so heimisch gemacht?«

 

»Ich denk' der gestorbenen Freunde, Johann,

Sie sind allezeit mein Glück,

Doch, die mir die liebsten gewesen sind,

Ich wünsche sie nicht zurück.«

 

 

Junker Dampf

 

Aus einem edlen Stamme

Sproß er, der Junker Dampf:

Das Wasser und die Flamme,

Sie zeugten ihn im Kampf;

Doch hin und her getragen,

Ein Spielball jedem Wind,

Schien aus der Art geschlagen

Das Elementenkind.

 

Ja, frei an Füß' und Händen

Ist er ein lockrer Fant,

Doch hinter Kerkerwänden,

Da wird er ein Gigant:

In tausend Trümmerreste

Zerschlägt er jede Haft,

Mit ihrer Dicht' und Feste

Wächst seine Riesenkraft.

 

Selbst da, wo seiner Zelle

Ein schmales Pförtlein blieb,

Ringt er nach Luft und Helle

Mit solchem Sturmestrieb,

Daß, wenn ihn beim Entwischen

Des Tores Enge hemmt,

Den Kerker unter Zischen

Er auf die Schulter klemmt.

 

Und so, trotz eh'rner Fessel

An Füßen noch und Hand,

Reißt er den Kerkerkessel

Im Fluge mit durchs Land,

Reißt ganze Häuserreihen

Mit fort, wie Wirbelwind,

Bis wieder er im Freien

Nichts als – ein spielend Kind.

 

 

Die große Karthause vor Papst Paul

 

Und es sprach Papst Paul: »Die große Karthaus

In der Freigrafschaft treibt es mir zu kraus;

Auch Frommsein trägt Gefahren im Schoß,

Kasteien zieht den Hochmut groß,

Kasteien ist ihnen Zweck und Ziel,

Ewiges Fasten, das ist zu viel.

Ich sehe kommen der Dinge Lauf:

Ohne Zehrung zehren sie selbst sich auf,

Und ihr Orden wird ein schwächlicher Schaft,

Morsch und mürb' ohne Saft und Kraft.«

 

Des kam ihnen Kund' in einem Brief.

Der Abt die Mönche zusammenrief;

Und es sprach der Abt: »Frei sei's gesagt,

Es haben uns unsre Feinde verklagt,

Ein Neider oder ein Leckerling

Den heiligen Vater hinterging,

Der sieht nun die Dinge von Grund aus schief,

Sonst schrieb' er uns nicht einen solchen Brief.

Ich aber schick' Antwort. Bruder Gregor

Und Eustach und Rollo, tretet vor,

Und Cyrill und Gaston und du, Bruder Hugh –

Hugh, du bist neunzig, du führst den Zug.«

 

Da traten die Sechs zum Zuge zusamm;

Und winters, über den Gotthard-Kamm,

Einzeln und nebeneinanderher,

Ein jeder achtzig oder mehr,

So passierten sie Gletscher und Wald und Strom,

Bis daß sie hielten vorm ewigen Rom.

 

Und der Papst empfing sie. »Was euer Begehr?«

»Die große Karthause schickt uns her.

Die große Karthaus' ist, was sie war,

Zusammen sind wir fünfhundert Jahr;

Was gab uns die Jahre? Was ließ uns gedeihn?

Fasten war es und Kastein;

Dem Leib gehorchen, zehrt auf das Mark,

Den Leib bezähmen, macht stählern und stark.

Im Schneesturm, über die Berge hin,

Zogen wir; wende deinen Sinn;

Daß morsch wir würden, noch hat es nicht Not,

Heil'ger Vater, nimm von uns dein Gebot.«

 

Da lächelt Papst Paul: »Ihr meidet den Wein,

An meinen Tisch sonst lüd' ich euch ein.

Doch kenn' ich ein andres, das gilt euch mehr:

In eure Karthause die Wiederkehr.

Ihr habt mich besiegt: aller Größe Keim,

Er heißt Entsagung ... Zieht heim, zieht heim.«

 

 

Der Tag von Hemmingstedt

 

Denk an den Tag von Hemmingstedt,

Wo siebentausend abgemäht!

Schläft Ditmars Vater unterm Sand,

Ist Ditmars Sohn noch bei der Hand.

 

Und über Johann von Dänemark kam seine finstre Stunde –

Er murmelt: »Es brennt im Herzen mir die alte Ditmarsenwunde!

Beim Himmel, es soll nicht Messer, nicht Scher' mir Bart noch Haupthaar stutzen

Bis daß ich wieder ins Joch gebeugt dies bauernstolze Trutzen.«

 

Und Boten sendet er in die Marsch, die künden allerwegen:

»Drei Schlösser will unser König und Herr in eure Lande legen,

Nach Meldorf eins, an den Elbstrom eins und das dritt' an die Lundner Fähre« –

Es brachte da Zornes viel ins Land die königliche Märe.

 

Und von den Bauern Wolf Isebrand, der sprach: »Er mag nur kommen!

Wir haben aus keines Königs Hand dies Land zu Lehn genommen,

Wir sind zudem vom Aufrechtgehn versteift in unsern Hälsen,

Und wer seine Schlösser auf Marschgrund baut, der baut sie nicht auf Felsen.

 

Dies Land ist unser, wir haben's im Kampf der Sturmflut abgerungen,

Wir bangen vor keines Königs Zorn, wir, die wir das Meer bezwungen,

Unser altes Recht, unser alter Mut – so werden wir nicht zu Schanden;

Noch lebt der Gott, der bei Bornhövd auf unsrer Seite gestanden.«

 

Da gingen die Boten. Bei Rendsburg war's, wo sie den König trafen,

Der lagerte da, drei Nächte schon, samt seinen Fürsten und Grafen,

Es stieß dazu viel kriegerisch Volk von Jütland und von Fühnen,

All' wollten sie brechen den Bauernstolz und die Schmach des Königs sühnen.

 

Von Deutschland auch viel edele Herrn hernieder ins Lager kamen:

Zwei junge Grafen von Oldenburg, Adolf und Otto mit Namen,

Mit ihnen zugleich manch Holsten-Geschlecht um den Danebrog sich scharte:

Fünf Rantzaus, sieben von Ahlefeld und vierzehn Wackerbarte.

 

Und Söldner auch; – Gesindel war's aus Rheinland, Franken und Sachsen,

All' hatten sich längst, durch Mord und Brand, in die Schlinge hineingewachsen.

Die ›sächsische Garde« hieß man sie, wohl auch die »schwarze Bande«,

Verheerend, wie der schwarze Tod, zogen sie durch die Lande.

 

Ihr Führer aber war der Junker Slenz, der maß sechs rheinische Schuhe,

Heut brach er am Wege die Schlösser ab und morgen an der Truhe,

In Flechten hing sein flachsenes Haar wie Stricke herab, zum Würgen,

Er hatte zwei Feuerräder im Kopf und hieß – der lange Jürgen.

 

Und Jürgen Slenz, an der Seite Johanns, vorauf die gepanzerten Glieder,

So führt er heut, unter schmetterndem Klang, das Heer in die Marsch hernieder,

Zwölftausend sind's, schon dringen sie vor auf der Marschen getrocknetem Schlamme –

Um Rache schreit in die Nacht hinein brennender Dörfer Flamme.

 

Die Bauern aber, kaum tausend Mann, zogen sich rasch zurücke,

Bis daß sie kamen, um Mitternacht, an die Hemmingstedter Brücke,

Sie fanden da Wall und Graben noch aus der Zeit der alten Sassen,

Und es sprach Wolf Isebrand: »Hier sei's, hier wollen wir auf sie passen!«

 

Man hielt. Nur einer murmelte bang: »Das mög' unser Heiland nicht wollen,

Wir sind hier am Tausend-Teufels-Wall, wo die Moorelfen tanzen und tollen,

Mit den Flammenbüscheln das Irrlichtvolk, es haust hier unterm Rasen,

Und bei Vollmond kommt das Feuerpferd, um die Büschel abzugrasen. «

 

Da stutzten die andern; Wolf aber rief: »Was Irrlicht und was Elfen,

Wenn droben der Himmel mit uns ist, muß auch die Hölle helfen.

Die Nacht ist schwarz, wir brauchen Licht, laßt's nur da unten flimmern,

Wir wollen ein christlich Bollwerk hier trotzdem zusammenzimmern.«

 

Da griffen sie freudig nach Spaten und Axt, vorbei war Murren und Stutzen,

Sie schleppten das Brückengebälk herbei, als Pfahlwerk es zu nutzen,

Sie füllten und stopften, mit Moor und Schlamm, des alten Erdwalls Lücken

Und warfen zuletzt ihm Rasen und Sand, drei Fuß hoch, auf den Rücken. –

 

So kam der Tag, und mit ihm kam, goldblinkend, die sächsische Garde,

Hell spiegelte sich der Morgenstrahl auf Harnisch und Hellebarde,

Die trotzige Schar, rasch rückte sie vor, gegliedert und dicht geschlossen,

Nicht kümmerte sie der Hagelgruß von Steinen und Wurfgeschossen.

 

Jetzt war sie heran, zwischen ihr und dem Wall war nur noch des Grabens Quere,

Da schnürten die Vordersten schnell in eins je zwölf ihrer kantigen Speere,

Sie warfen wie Balken querüber dann die Bündel aus Speer und Lanze,

Und über die fliegende Brücke hinweg wollten sie gegen die Schanze.

 

Umsonst; man stieß sie rücklings hinab – es fehlte das Brückengelände –,

Da nahmen die Folgenden, springstockgleich, ihren Speerschaft in die Hände,

Sie setzten ihn auf, und war es mißglückt, im Sturmschritt vorzudringen,

So sollte nun Sprung- und Hebelkraft im Flug sie hinüber-schwingen.

 

Umsonst auch das; sie sprangen zu kurz; wer dennoch das Ufer erklettert,

Der ward, unter wildem Freudengeschrei, von den Bauern zu Boden geschmettert,

Dumpf dröhnte die Axt – bis plötzlich jetzt die Freudenrufe verklangen,

Wolf Isebrand murmelte vor sich hin: »Hilf Himmel, wir sind umgangen! «

 

So war's. Zu schwanken begann der Kampf, immer mächtiger wurden die Dränger,

Da trat Gott selbst für die Schwachen ein und rief: »Ich will es nicht länger! «

Und er schickte die Flut, die stieg am Strand bis hoch an die Schleusenpforte

Und rüttelte dran und rief: »Macht auf! da drinnen bin ich am Orte.«

 

Die Wächter am Strande zögerten noch, da sieh, unter Schäumen und Kochen,

– Die Hilfe Gottes kam mit Gewalt! – wurde die Schleuse zerbrochen,

Schon über die Felder von Hemmingstedt hinbrausten Wogen und Wetter, –

Das Meer, der Marsen alter Feind, heut kommt es als ihr Retter.

 

Sie nahmen jetzt wieder festen Stand hinterm Tausend – Teufels – Walle,

Da waren sie sicher vor der Flut und behielten den Feind in der Falle,

Der wandte sich rechts und wandte sich links, doch der Tod war immer zur Stelle,

Wer floh, den faßte die Marsenfaust, wer stand, den faßte die Welle.

 

Nur Jürgen Slenz, der ritt an den Wall, als wäre noch nichts verloren,

Ein stieß er tief, zum Sprunge bergan, seinem friesischen Hengste die Sporen;

Jetzt war er hinauf – er schaute sich um, wie wohl in besseren Tagen,

Und rief: »Wer ein Herz im Leibe hat, der mag es mit mir wagen! «

 

Das hörte der Reimer von Wimerstedt, der hatte Lust zum Streite,

Er sprang heran und schlug mit der Axt den Speer des Junkers zur Seite,

Er holte dann aus, einen vollen Hieb auf die stählerne Brust zu führen,

Und – fest im Panzer stak die Axt, tät sich nicht rücken, nicht rühren.

 

Der Hieb war gut, doch unversehrt waren des Jürgen Glieder,

Da riß der Reimer und wuchtete traun am Axtstiel ihn hernieder,

Er trat ihm dann, fünf Finger breit, das Eisen zwischen die Rippen,

Es kam kein Laut, kein Seufzer mehr über des Junkers Lippen.

 

Das war das Ende von Jürgen Slenz; mit ihm zu Tode kamen

– Die Knechte und Söldner ungezählt – viel hundert tapfere Namen,

Zumal auch, was von Holstein her um den Danebrog sich scharte:

Fünf Rantzaus, sieben von Ahlefeld und vierzehn Wackerbarte.

 

Der König aber floh zu Schiff bis in seine Stadt am Sunde,

Er trug zu der alten Narbe heim eine neue brennende Wunde,

Die neue Wunde – bis in den Tod wollt' ihm die nie verharschen –,

Das war der Tag von Hemmingstedt, der Brauttag der Dithmarschen.

 

 

Der 6.