Besteht doch das Vergnügen der Abwechslung im Grunde genommen einzig in der Erinnerung und fast niemals in der Gegenwart, in dem Augenblicke selbst. Er kostete sonach diese Abwechslung in vollen Zügen, mit aller Bequemlichkeit, ohne jede Anstrengung und ohne die sonst unvermeidlichen Verdrießlichkeiten in dieser erdachten Kajüte.

Bewegung schien ihm zudem überflüssig, da ihm die Einbildung leicht die gewohnte Wirklichkeit des Lebens zu ersetzen vermochte.

Nach seiner Ansicht war es nämlich möglich, sich die Wünsche, die für die schwierigsten gelten, im normalen Leben künstlich selbst zu befriedigen und dies mittels Täuschung durch eine genaue Fälschung der erwünschten Gegenstände zu tun. Ist es doch klar, daß jeder Feinschmecker heutzutage entzückt ist, wenn er in einem wegen der Vortrefflichkeit seines Kellers berühmten Restaurant die teuern Weine schlürft, die nach Pasteurs Methode aus leichten billigen Weinen hergestellt sind. Falsch oder echt, diese Weine haben ganz dasselbe Aroma, dieselbe Farbe, dieselbe Blume und verursachen also auch dasselbe Vergnügen, das man beim Kosten und Genießen echter und reiner Weine empfindet, die infolge starker Nachfrage schließlich für Gold kaum aufzutreiben wären.

Es unterliegt nach alledem keinem Zweifel, daß sich diese berauschende Abweichung, diese geschickte Lüge und Täuschung des Geistes in die Welt des realen Verstandes übertragen lassen und daß man mithin ebenso leicht wie in der materiellen Welt eingebildete Wonnen genießen kann, die fast in allen Punkten den wirklichen gleichen. Kein Zweifel zum Beispiel, daß man im Notfall dem störrisch langsamen Geiste nachhelfen, beim Lesen einer fesselnd geschriebenen Reisebeschreibung ruhig am Kamin verweilen und sich erfolgreich angenehmen Forschungen hingeben kann. Wie man sich auch – ohne Paris zu verlassen – das wohltuende Gefühl eines Seebades suggerieren kann, da es ja genügt, sich nach Vigier zu begeben, dessen Bäder mitten in der Seine liegen.

Wenn man dort das Wasser der Wanne salzen läßt und nach der Vorschrift des Arzneibuches schwefelsaures Sodasalz und Magnesia hinzufügt und ein kleines Ende Kabeltau aus einer Seilerei mitnimmt und dann den Duft, den dieses Tau noch bewahrt hat, einsaugt und dabei eifrig Joannes Handbuch liest, das die Schönheiten des Strandes, an dem man sein möchte, beschreibt; und wenn man sich dann schließlich noch leise von den Wellen schaukeln läßt, die die Dampfschiffe, die an der schwimmenden Badeanstalt vorbeifahren, in der Badezelle aufwerfen, wenn man das Ächzen des Windes hört, der sich unter den Brücken fängt, und dem dumpfen Lärm der Omnibusse lauscht, die wenige Schritte weiter über Pont-Royal hinwegrollen – ist da nicht die Illusion des Meeres unleugbar da?

Es handelt sich eben nur darum, seinen Geist auf einen bestimmten Punkt zu richten.

Da ist nicht eine ihrer Erfindungen, möge sie für noch so feinsinnig oder noch so großartig gelten, die das Genie des Menschen nicht zu schaffen imstande wäre! Da ist kein Wald von Fontainebleau, kein Mondschein, den nicht eine von elektrischem Licht überflutete Dekoration hervorzuzaubern vermöchte; kein Wasserfall, den die Wasserleitungskunst nicht täuschend nachahmen könnte, kein Felsen, der nicht durch Papiermaché herzustellen wäre, keine Blume, die nicht durch besonderen Taffet und zart bemaltes Papier genau so wiedergegeben werden könnte!

Unzweifelhaft hat diese uralte Schwätzerin Natur die gutmütige Bewunderung der wirklichen Künstler erschöpft, und der Augenblick ist gekommen, sie verbessert zu ersetzen, soweit es sich eben durch die Kunst ermöglichen läßt.

Und dann, um ehrlich zu sein: das ihrer Werke, das fraglos als das künstlichste gilt, die ihrer Schöpfungen, deren Schönheit nach Aller Ansicht die ursprünglichste und vollkommenste ist, das Weib – hat der Mensch nicht seinerseits ein ebenso künstliches Wesen voll von Leben geschaffen, das vom Gesichtspunkt der plastischen Schönheit aus ihr vollkommen gleichwertig ist? Gibt es wohl hienieden ein Wesen, das, in Freuden der Brunst empfangen und mit Schmerzen aus der Mutterschaft hervorgegangen, an Form und Rasse strahlender und prächtiger sei, als das der beiden Lokomotiven, die auf der Nordbahn ihren Dienst verrichten?

Die eine, die Crampton, eine entzückende Blondine, mit scharfer Stimme, von hohem, schlankem Wuchs, eingeschnürt in ein glänzendes Kupferkorsett, geschmeidig – nervös wie eine Katze – eine schmucke goldige Blondine, deren außergewöhnliche Anmut nahezu erschreckt, wenn sie ihre Stahlmuskeln steift und den Schweiß ihrer warmen Schenkel dadurch erhöht, daß sie die ungeheure Rosette ihres zarten Rades in Bewegung setzt und wie rasend an der Spitze des Schnellzuges vorwärts stürmt!

Die andre, die Engerth, eine monumentale, dunkle Brünette mit dumpfen rauhen Tönen, mit stämmigen Lenden, eingepreßt in ihren gußeisernen Panzer, ein unförmiges Wesen mit wilder Mähne schwarzen Rauches und mit sechs niedrigen gepaarten Rädern; welche erdrückende Macht, wenn sie die Erde erzittern macht und plump und langsam den schweren Güterzug hinter sich drein schleppt!

Sicherlich gibt es unter den zarten blonden und den majestätischen brünetten Schönheiten keine derartigen Typen zarter Schlankheit und erschreckender Kraft; auch kann man mit Recht sagen: der Mensch hat, in seiner Art, ebenso Gutes geschaffen wie Gott. –

Diese Betrachtungen kamen des Esseintes, wenn ihm der Wind das sanfte Pfeifen der kleinen Eisenbahn zutrug, die sich wie ein Kreisel zwischen Paris und Sceaux hin und her bewegt.

Sein Haus war ungefähr zwanzig Minuten von der Station Fontenay entfernt; aber die Höhe, auf der es stand, und seine einsame Lage ließen nicht den Lärm des gemeinsamen Lebens bis zu ihm dringen.

Das Dorf selbst kannte er kaum. Durch seine Fenster hatte er eines Nachts die stille Landschaft betrachtet, die sich vor ihm ausbreitete und hinunterzog bis zum Fuß des Hügels, auf dessen Spitze die Batterien des Gehölzes von Verrières aufgepflanzt sind.

In der Dunkelheit rechts und links stiegen verworrne Massen stufenweise auf, in der Ferne von andern Batterien und andern Forts überragt, deren hohe Böschungen im Mondlicht wie in Wasserfarben mit schimmerndem Silber auf dunkelm Himmelsgrund gemalt erschienen.

Zusammengeschrumpft im Schatten der Hügel erschien die Ebene in der Mitte wie mit Mehl bestreut und mit weißem Cold-cream bestrichen. In der warmen Luft, die leise die farblosen Gräser fächelte und würzigen Duft verbreitete, schüttelten die wie mit Kreide übertünchten Bäume im Mondlicht ihr fahles Laubwerk und vergrößerten ihre Stämme, deren Schatten den Gipsboden mit schwarzen Streifen furchten, auf dem die Kieselsteine wie Tellerscherben glänzten. Ihres verkünstelt geschminkten Aussehns wegen mißfiel dem Herzog Jean diese Landschaft nicht. Seit dem Nachmittag, den er auf der Suche nach dem Hause im Dörfchen von Fontenay zugebracht hatte, war er niemals mehr am Tage den Weg gegangen. Das grüne Laub dieser Gegend flößte ihm außerdem kein Interesse ein, bot es doch nicht einmal den zarten melancholischen Reiz dar, der der oft rührend kränklichen Vegetation entströmt, die notdürftig zwischen dem Schutt des Weichbildes nahe den Wällen hervorschießt.

Überdies waren ihm an jenem Nachmittage im Dörfchen einige dickbäuchige Einwohner mit Backenbärten und Leute in Gehröcken mit Schnurrbärten begegnet – Köpfe, die ohne Zweifel der Obrigkeit oder dem Militär angehörten; und seit dieser Begegnung hatte sein Widerwille gegen jedes menschliche Gesicht noch mehr zugenommen.

Während der letzten Monate seines Aufenthalts in Paris, als er alles überwunden hatte, empört durch die allgemeine Heuchelei und vom Weltschmerz niedergedrückt, war die Überreiztheit seiner Nerven derartig gestiegen, daß sich der Anblick mancher Gegenstände oder Wesen seinem Gehirn so tief einprägte, daß es mehrerer Tage bedurfte, um nur die Spuren davon zu verwischen. Unangenehme Gesichter, die sein Blick auf der Straße streifte, waren ihm zur wahren Qual geworden.

So litt er entschieden beim Anblick gewisser Physiognomien, deren hausbackner unfreundlicher Typus ihm wie eine Beleidigung erschienen; es wandelte ihn eine wahre Lust an, die zu ohrfeigen, die da langsamen Schrittes mit gelehrter Miene und gesenkten Augen über die Straße gingen, wie auch die, die sich in den Hüften wiegen und sich gar wohlgefällig in Spiegelscheiben zulächeln, oder die andern wieder, die eine ganze Welt von Gedanken zu bewältigen scheinen, indem sie mit der wichtigsten Miene den albernsten Klatsch und den haarsträubendsten Blödsinn der Tagesblätter verschlingen und einfach wiederkäuen.

Er witterte bei allen eine so eingewurzelte Dummheit, einen solchen Abscheu gegen seine eignen Ideen, eine solche Verachtung der Literatur, der Kunst, kurz, was er verehrte, als wäre es ihnen erblich angeboren oder in ihre beschränkten Krämerseelen eingeankert, die, schließlich nur auf Gaunerei und Geld erpicht, wie alle unbedeutenden und schwachen Geister, nur für niedrige Zerstreuungen der gemeinen Politik eingenommen sind, so daß er wütend nach Hause ging, um sich mit seinen Büchern einzuschließen.

Kurz, er haßte mit ganzer Kraft die neuen Generationen, diese Vertreter moderner Flegelei, die das Bedürfnis haben, überall in den Speisesälen und Kaffeehäusern laut zu schrein und unverschämt zu lachen, die uns auf der Straße wüst anrennen, ohne um Verzeihung zu bitten, oder einem auch wohl einen Kinderwagen zwischen die Beine schieben, ohne sich zu entschuldigen oder kaum den Hut zu lüften.

 

Drittes Kapitel.

 

Ein Teil der Büchergestelle, die an den Wänden seines orangegelben und blauen Arbeitszimmers aufgestellt waren, enthielten ausschließlich lateinische Werke; doch nur solcher Autoren, die von den in der Sorbonne gedrillten Fachgelehrten mit dem Sammelnamen »Dekadenten« abgetan werden.

War doch die lateinische Sprache so, wie sie Mode war zu jener Zeit, die die Gelehrten hartnäckig als das große Jahrhundert zu bezeichnen belieben, in der Tat wenig dazu angetan, ihn zu reizen. Jene lackierte Sprache mit ihren berechneten, fast unveränderlichen Wendungen, ohne irgendeine Geschmeidigkeit der Syntax, ohne Farbe, ohne Unterscheidungen. Jene an allen Nähten abgetragne, von holperigen Ausdrücken befreite, wenn auch zuweilen bilderreiche Sprache vermag ebenfalls die seichten Redensarten, die unbestimmten Gemeinplätze amtlicher Perückenstöcke und Laureat-Poeten auszudrücken, erzeugt aber eine solche Langeweile, daß man sich beim Studium ihres Stils fast ins große Jahrhundert des französischen Sonnengottes – Ludwigs XIV. – versetzt wähnen dürfte, wo man einzig einer gleichen Kraftlosigkeit und Entmannung begegnet.

Da ist unter andern der sanfte Virgil, den Schulfüchse gern den Schwan von Mantua nennen, wahrscheinlich darum, weil er nicht in dieser Stadt geboren ist. Virgil kam ihm als einer der schrecklichsten Pedanten und unausstehlich langweiligsten Schwätzer vor, den jemals das Altertum erzeugt hat; was waren denn seine so sauber gewaschnen und herausgeputzten Schäfer, die sich der Reihe nach ganze Töpfe voll gezierter, eiskalter Verse über den Kopf schütten? Vergleicht er seinen Orpheus doch mit einer weinenden Nachtigall! Sein Aristeus, der Sohn des Apollo, ist ein jammernder Bienenzüchter, und sein Äneas eine überaus verwaschne schmächtige Persönlichkeit, die mit steifen Gebärden wie ein Schattenbild in dem fadenscheinigen, lose gebundnen und öligen Gedicht umherwandelt. Alles dieses brachte ihn natürlich außer sich.

Die langweiligen Albernheiten, die diese Gliederpuppen in den Kulissen austauschen, hätte er wie die unverschämten Entlehnungen, die bei Homer, Theokrit, Ennius und Lucrez gemacht sind, selbst nach dem Plagiat, das uns Makrobius als fast wörtliche Abschrift eines Gedichts von Pisander nachweist, – kurz, all die unaussprechliche Leere seiner als klassisch geltenden Gesänge noch allenfalls ruhig hingenommen. Wobei ihn aber wirklich die Gänsehaut überlief, das waren seine sechsfüßigen Verse, dieses wahre Blech, wie eine leere Kanne klingend.

Jene starre Verskunst, der Meisterschmiede des Catull entnommen, phantasiearm, einförmig, vollgestopft mit unnützen Wörtern und Lückenbüßern, eine Anhäufung feststehender Wendungen und dem Homer sklavisch nachgebildeter Epitheta, die schließlich nichts bezeichnen und nichts zeigen – dieser ganze armselige Wortschwall klanglos platter Vergleiche spannte ihn geradezu auf die Folter.

Es muß noch hinzugefügt werden, daß, wenn seine Bewunderung für Virgil schon mehr als mäßig war, der offne Unflat des Ovid noch geringere Anziehungskraft für ihn hatte, wie auch sein Widerwille gegen die ungeschlachte Grazie und das hohle Geschwätz des Horaz, jenes trostlosen Tölpels, der sich mit übertüncht alten Clown-Zoten zierte, schon mehr als grenzenlos war.

Auch Ciceros und Cäsars berühmter Lakonismus vermochte ihn wenig zu begeistern, denn da zeigte sich eine Trockenheit des Redestils, eine Armut des Gedächtnisses, eine unglaubliche Hartleibigkeit.

Somit fand er seine Rechnung weder hier noch dort, ebensowenig bei den Lieblingsschriftstellern, die als Tonangebende falscher Gelehrsamkeit in den Himmel gehoben wurden, wie bei den übrigen allen: Sallust, der weniger farblos als die andern; Titus Livius, der sentimental und schwülstig ist; Seneka, aufgedunsen und matt; Suetonius, lymphatisch und fiebernd; Tacitus, der nervöseste, obgleich in seiner Kürze der schärfste und der muskulöseste von allen.

In der Poesie ließen ihn Juvenal trotz seiner zeitweilig gestiefelten und gespornten Verse, Persius trotz seiner geheimnisvollen Zuflüsterungen völlig kalt. Indem er Tibull und Properz, Quintil und Plinius, Statius und Martial gern überging, vermochte ihm Terenz und selbst Plautus, deren Kauderwelsch von neugebildeten Wörtern und zusammengesetzten Diminutiven wimmelte, schon eher zu gefallen; aber die niedrige Komik und das grobe Salz widerten ihn an.

Herzog Jean fing erst beim Lucan an, sich für die lateinische Sprache zu interessieren, denn da war sie schon reicher und ausdrucksvoller. Seine sorgfältig gearbeiteten, mit Schmelz bedeckten und mit Juwelen gezierten Verse fesselten ihn; aber diese ausschließliche Pflege der leidigen Form, dieser Klang hellschreiender Töne, dieser metallische Glanz verdeckte ihm keineswegs die arge Gedankenleere, das Geschwollne und Aufgeblasne.

Der Schriftsteller aber, den er wirklich gern hatte und der ihn für immer vom Lesen der tönenden Schriften eines Lucan entfernte, war Pretonius.

Dieser war ihm ein scharfsichtiger Beobachter, ein zarter Analytiker, ein vortrefflicher Maler; ruhig, ohne vorgefaßte Meinung und ohne Haß beschreibt er das tägliche Leben in Rom, die Sitten seiner Zeit als muntrer satirischer Erzähler.

Er zeichnet Tatsachen im richtigen Licht und Verhältnis, er stellt sie in der bestimmten Form und Ordnung fest, enthüllt das Kleinleben des Volkes, seine Erlebnisse, seine Roheiten wie sein sinnliches Treiben.

Hier ist es ein Inspektor, der im Hotel garni die Namen der kürzlich angekommenen Reisenden zu wissen verlangt; da sind es verrufne Häuser, in denen Männer um nackte Weiber herumschleichen, während man durch die schlecht schließenden Türen der Kammern den Belustigungen der Paare zusieht; dann wieder in den Villen des tollen Luxus und der unsinnigen Pracht übermütigen Reichtums, wie in den armen Herbergen mit ihren durchwühlten Gurtbetten voll Wanzen bewegt sich die Gesellschaft der Zeit: Schurken wie Ascyltus und Eumolpus auf der Suche nach einem unverhofften Fund; alte Knabenschänder im aufgeschürzten Kleide mit weiß und rot bemalten Backen; sechzehnjährige Liederlinge, feist mit gekräuseltem Haar; Weiber, die eine Beute ihrer hysterischen Anfälle werden; Erbschaftsjäger, die ihre Knaben und Mädchen den Ausschweifungen der Erblasser überliefern – alle diese Typen folgen einander auf der Straße streitend, die Bäder besuchend, sich krumm und lahm schlagend, wie das wohl in einer Pantomime zu geschehn pflegt.

Und dies mit einer Frische erzählt, in schönstem Kolorit und kräftigem Stil aller Mundarten, die Ausdrücke allen in Rom untergegangnen Sprachen entlehnt, alle Grenzen und alle Fesseln des sogenannten großen Jahrhunderts überschreitend. Er läßt jeden seinen Jargon reden: die Freigelaßnen und jeglicher Bildung Baren das Pöbellatein und gemeine Kauderwelsch, die Fremden ihre barbarischen Mundarten, vermischt mit Afrikanisch, Syrisch und Griechisch, und die pedantischen Dummköpfe, wie den Agamemnon des Buches, seine gemachte Redeweise zum besten geben. Diese Menschen sind alle mit einem Federstrich gezeichnet; sie lagern um einen Tisch, tauschen den abgestandnen Ideenbrei Trunkener aus und überbieten sich in der Verausgabung verschimmelter Grundsätze und alberner Sticheleien, das Maul stets gegen Trimalchio gerichtet, der sich in den Zähnen stochert, über die Gesundheit seines Innern und seine Blähungen spricht, indem er die Gäste einladet, es sich bequem zu machen und sich ja keinen Zwang anzutun.

Dieser realistische Roman, dieses aus dem vollen Fleisch des römischen Lebens geschnittne Stück, ohne ängstliche Sorge, wie man darüber urteilen werde, voll von lebendiger Satire, ohne Schielen nach Sitte noch Moral, diese Geschichte, ohne Intrige, fast ohne Handlung, die dieses sodomitische Treiben darstellt und mit seltner Feinheit die Freuden und Schmerzen der Liebeleien in farbenprächtiger Sprache malt, ohne daß der Verfasser nur ein einziges Mal in den Vordergrund tritt – sie packte den Herzog Jean, denn er ersah in der Verfeinerung des Stils, in der Schärfe der Beobachtung, in der Festigkeit der Methode eine eigentümliche Ähnlichkeit mit den wenigen modernen französischen Romanen, die er erträglich fand.

Ernstlich bedauerte er, »Eustion« und »Albutia« nicht zu besitzen, jene beiden Werke des Petronius, die auf immer verloren sind; aber der Bücherliebhaber in ihm tröstete den Gelehrten, besaß er doch die prächtige Ausgabe in Oktav des »Satyricon« mit der Jahresziffer 1585 und dem Drucker J. Dousa, Leyden.

Von Petronius ab leitete seine lateinische Sammlung in das zweite Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung über, zu dem schwülstigen Phrasenhelden Fronto sowie zu den Attischen Nächten des Aulus Gellius, seines Schülers und Freundes, den er ebenfalls überging, um Halt zu machen bei Apulejus, von dem er eine erste Ausgabe in Folio aufbewahrte, gedruckt zu Rom 1469.

Dieser Afrikaner machte ihm Vergnügen. Die lateinische Sprache zeigte sich in seinen »Metamorphosen« in ihrem vollen Glanze.

Er öffnete nur noch selten Tertullians »Schutzrede der Christen« und die »Abhandlung über die Geduld«; höchstens las er einige Seiten aus »De cultu feminarum«, worin Tertullian die Frauen rügt, die sich mit Kleinodien und kostbaren Stoffen putzen, und ihnen den Gebrauch von Schönheitsmitteln verbietet, weil sie zu täuschen versuchen, indem sie die Natur zu verbessern und zu verschönern sich bemühn.

Diese Ideen, die den seinigen schnurstracks widersprachen, machten ihn lächeln. Doch die Rolle, die Tertullian in seiner bischöflichen Residenz Karthago spielte, schien ihn zu süßen Träumereien zu verleiten; mehr als seine Werke zog ihn in Wirklichkeit aber der Mann selbst an.

Hatte er doch während der aufrührerischen Zeiten gelebt, heimgesucht von schrecklichen Aufständen unter Caracalla, unter Macrin, unter dem sonderbaren Hohenpriester-Heliagabal, dessen Predigten und dogmatischen Schriften, dessen Verteidigungsreden und Auszüge aus den Homilien der Kirchenväter er verfaßte, während das Kaiserreich in all seinen Fugen krachte. Mit größter Kaltblütigkeit lehrt er die fleischliche Enthaltsamkeit, Genügsamkeit beim Mahl und Einfachheit der Kleidung, während zur selben Zeit Heliagabal in Silberstaub und Goldsand herumspazierte, auf dem Kopfe die dreifache päpstliche Krone trug, seine Kleider mit kostbaren Steinen besetzte und, umgeben von Eunuchen, sich mit weiblichen Handarbeiten beschäftigte, sich Kaiserin nennen ließ und jede Nacht den Kaiser, den er mit Vorliebe unter Barbieren, Köchen und Zirkusleuten auswählte, wechselte.

Dieser Gegensatz entzückte den Herzog; denn die lateinische Literatur, unter Pretonius zur höchsten Reife gelangt, fing an sich aufzulösen. Die christliche Literatur brach sich Bahn und brachte mit neuen Ideen nie gebrauchte Ausdrücke und neue Satzbildungen, sowie bislang unbekannte Zeit- und Eigenschaftswörter mit weit hergeholten Bedeutungen, abstrakte Begriffe, die in der römischen Sprache selten angewendet und von denen Tertullian als einer der ersten Gebrauch gemacht hatte.

Alles, was nach dem Tode Tertullians von seinen Schülern, dem heiligen Cyprianus, von Arnobius und dem unklaren Lactantius verfaßt wurde, war ohne Reiz für ihn. Jene unvollkommne schwerfällige Mache war ein linkischer Rückschritt zum ciceronianisch hochtrabenden Ton. Ihr fehlte jener besondere Duft des vierten wie der folgenden Jahrhunderte, jener Duft des Christentums, der der heidnischen Sprache den Hautgout des Wildbrets verliehn hatte, der aber mit der Zivilisation der alten Welt gleichzeitig aufhörte.

Ein einziger Dichter, Commodian aus Gaza, vertrat in seiner Bibliothek die Kunst des dritten Jahrhunderts.