Und deswegen lassen wir uns von den ganz großen Exzentriks vortäuschen, wir könnten los. Sie heben scheinbar die Kausalität auf: sie zeigen, dass es einen Kausalzusammenhang nicht gebe. Und wir glauben ja so gern.
So ist Morgenstern. Die schöne Sinnlosigkeit! Da ist eine Geschichte in der neuen vermehrten Auflage, die heißt ›Die Mausefalle‹ und fängt so an: »Palmström hat nicht Speck im Haus dahingegen eine Maus.«
Abgesehen von dem herrlichen ›Dahingegen‹ – diese Geschichte scheint Mir das darzutun, was ich eben auseinandersetzte. »Korf, bewegt von seinem Jammer, baut ihm eine Gitterkammer.« Aber nicht etwa eine Mausefalle im realen Sinn. In Korfs Gebäude muß sich Palmström hineinsetzen – des Nachts – und muß geigen. Und als er so konzertiert – richtig: fällt die Maus auf ihn herein. Da sitzen nun beide in der geschlossenen Falle. Wenn das Gedicht hier aufhörte: dieses Schweigen von Mensch und Tier in der Nacht hat etwas so Erschütterndes, dass man kaum noch lachen kann. Aber nein: römisch II. Korf lädt sie alle drei – die Falle, Palmström und die Maus – auf einen Möbelwagen und fährt sie in den Wald. Hier wird ausgeladen: »Erst spaziert die Maus heraus, und dann Palmstrom, nach der Maus.« Die Maus? Nun, sie genießt die Freiheit. Palmstrom aber fährt glücklich heim.
Dieser Aufwand, der hier vertan wird, sei gesegnet. Denn wer ihn zu vertun hat, ist besser daran als der Arme.
Dies und ›Die Zeit‹ scheinen mir die besten der hinzugekommenen Gedichte. Die Zeit, die, beobachtet man sie, langsam daherschleicht, kaum aber fühlt sie sich unbelauscht, so tobt sie davon, geht durch. Ein Menschenblick und – »Unschuldig lächelnd macht sie wieder die zierlichsten Sekunden-Pas«.
Aber da sehe ich noch die ›Lämmerwolke‹ und den ›Folianten‹ und ›Unverbürgtes Gerücht‹ und muß doch sagen, dass jedes das beste ist.
Peter Panter
Die Schaubühne, 11.09.1913, Nr. 37, S. 876
Der Gingganz
Morgenstern ist der Busch unsrer Tage. Wie unsre Väter sich an den niederdeutschen Holzschnittzeichnungen des großen Philosophen verlustierten – unter uns: in dieser Beziehung bin ich mein eigner Papa –, so kugelt sich ein ganzes junges Geschlecht über Palmström, Korfen und Muhme Kunkel, dass es eine Art hat. Es ist aber auch zu hübsch: man lacht sich krumm, bewundert hinterher, ernster geworden, eine tiefe Lyrik, die nur im letzten Augenblick ins Spaßhafte abgedreht ist – und merkt zum Schluß, dass man einen philosophischen Satz gelernt hat. So kommt es denn, dass es uns gar nicht mehr wundert, in Morgensterns Nachlaß (›Der Gingganz‹ bei Bruno Cassirer in Berlin) Kantsche Sätze in Gedichtform zu finden; dergleichen verdaut man heute, erzogen durch Palmströms Galgenlieder, mühelos.
Das Bändchen enthält vielerlei: Galgenlieder – das sind die schwächsten Seiten; darunter allerdings eine Pallenbergsche Monatstafel (Jaguar, Zebra, Nerz, Mandrill ... ), ein famoses Taschentüchergespenst und ein sehr fein pointiertes Gedicht von drei Advokaten. Dann nachdenkliche und fast wissenschaftliche Gedichte, über die Ohnmacht der Sprache, die Relativität aller Dinge, über das Ding als Ding an sich und Vorstellung, und was man sonst so braucht. Die schönsten Dinge stehen in Abschnitt III: Korfens Rat, in allzulauten Welthändeln einfach die Zeitungen von übermorgen zu lesen, ist sehr aktuell – wenn da aber steht:
Korf erfindet eine Zimmerluft,
die so korpulent, dass jeder
Gegenstand drin stecken bleibt,
so muß gesagt werden, dass er eine solche Luft nicht erst zu erfinden braucht. Es gibt sie.
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