Beim Militär. Dann eine herrliche Ode an eine Palmströms Nachtruhe störende Nachtigall, die sich lieber in einen Fisch verwandeln solle – ich möchte die Nachtigall sehen, die sich auf eine solche inbrünstige Bitte hin nicht sofort in eine fliegende Makrele verkleidet. Von den Spatzen ganz zu schweigen, die gegen das Frösteln kleine Pelzchen aus Palmströms Spätzemäntelfabrik m. b. H. anziehen. Und der Herr von Kriegar-Ohs (der so heißt, damit er sich auf Figaros reimt)? Und die herrliche Definition des Bürgers? Lest, lest –!
Und lest vor allem den kleinen Prosa-Anhang, der eine ganz neue Art Humor darstellt.
Wenn das, was man so leichtsinnigerweise ›modernes Leben‹ zu nennen pflegt, und die Romantik zusammenstoßen, dann gibt es einen guten Klang – und es kommt ganz auf den Zusammenstößer an, obs tragisch oder humoristisch ausläuft. Morgenstern ist von der gradezu lächerlichen Schematisierung ausgegangen, die uns gefressen hat – einmal steht bei O. A. H. Schmitz: Nächstens wird man bei einer Aktiengesellschaft etwas einzahlen, und dafür wird man dann gelebt. Das ist es – und was Morgenstern auf ein paar Seiten aus diesem Thema macht, das ist einfach hinreißend. (Man könnte auch umgekehrt die Romantik verbürgerlichen: es wird nächstens von einem Freunde von mir ein Buch erscheinen, das das versucht.) Da wimmelt es bei Morgenstern von Anzeigen, in denen künstliche Köpfe angepriesen werden ... ›English church, aus Gummi, zusammenlegbar; samt Koffer 1250 Mark‹ – oder ›Violinspieler, vorzüglicher – zum Vorspielen für meine Eidechse gesucht –‹: so in der Art tobt das über die Blätter.
Und man weiß zum Schluß nicht, was man mehr bewundern soll: die Clownerie oder die tiefe Weisheit; und es bleibt der tiefe Schmerz übrig, dass dieses reine Herz und dieser Kopf zu früh von uns gegangen ist. Wer ihn liebt, liebt das beste Teil am Deutschtum, fern, fern allen Ludendörffern.
Peter Panter
Die Weltbühne, 11.09.1919, Nr. 38, S. 335.
Stufen
Es war einem Berufenern überlassen worden, das herrliche Buch aus dem Nachlaß Christian Morgensterns: ›Stufen‹ (bei R. Piper & Cie. in München) eingehender und tiefer zu würdigen, als ich imstande gewesen wäre. Ich möchte nur eines dazu sagen.
Es ist mir und meinen Freunden, die an diesem Blatte mitarbeiten, so oft ›Frechheit‹ vorgeworfen worden. Ich weiß sehr gut, dass wir scharf zugepackt haben. Aber ich beiße niemals schärfer, ich bin nie frecher, als wenn ich etwas so Abgeklärtes, etwas so Weises, etwas so Gütiges kennen gelernt habe, wie zum Beispiel Morgensterns Vermächtnis. Wenn man sieht, wie ein Stück Gottestum, solch ein Mann, solange er ernst war, ignoriert wurde; wie man ihn als Schwärmer abtat; wie man ihm dies alles, was er da von der Liebe der Menschen untereinander auf dem Herzen hatte, nur um seiner schnurrigen Galgenlieder willen verzieh – dann darf man schon sagen: Pfui!
Es ist bezeichnend, wie stark die positive Seite dieses tiefen Spaßmachers gewesen ist, die positive Seite, ohne die nun einmal keine Satire, kein Scherz, kein Ulk denkbar ist, und die bei unsern heutigen Herren Humoristen so verdammt schwach geraten ist. Die Satire ist nur die Konkav-Ansicht eines Gemüts; wenn es nach hinten nicht buckelt, klafft vorn keine Höhlung, und das Ganze bleibt platt. In den ›Stufen‹ ist nur ein einziger Satz, der den Verfasser der Galgenlieder erkennen läßt: »Ich hörte einen Vogel Chirurgie pfeifen.« (Übrigens ein typisch Morgensternscher Spaß, den man nur fühlen, nicht erklären kann: wie der Vogel, wahrscheinlich ein Pirol, auf dem Baum sitzt und unheimlich wie im Märchen und fast spöttisch dieses gelehrte blutige Wort pfeift: Chirurrrgie!)
Weil ich aber weiß, dass die große Mehrzahl der Deutschen den Mann abtut, weil ich weiß, dass er wehrlos war und alle gleichklingenden Seelen wehrlos sind, deshalb glaube ich: es muß ein Tier an der Hofmauer liegen und beißen. Es muß einer da sein – nein, das ist gewiß nicht gütig und nicht vorgeschritten in der Erkenntnis –, einer, der dem räubernden Wanderer in die Hosen fährt. Der nimmt ja auch keine Rücksicht; der schlägt kleine Kinder auf den Kopf, weil ihre Mama nicht getraut war; der höhnt ja auch und knallt mit der Peitsche nach dem Bettler – auch Christus war ein Bettler –; der pfeift sich einen, wenn er satt ist, und fragt den Teufel nach angewandter Ethik.
Sie sollen drinnen im stillen Garten ihre Blumen pflanzen und dem Sumsen der Bienen zuhören. Wir aber wollen am Tor liegen, Landsknechte des Geistes, und mit den langen Hellebarden den satten Krämern den Weg sperren. Gott verzeih uns die Sünde! Aber das haben wir von unsern Feinden gelernt, denen es in der Welt gar nicht macchiavellistisch genug zugehen kann – mit Ausnahme ihres Haushaltes; und wenns denn sein muß, wollen wir dem Teutschen, niemals dem Deutschen, gern klar machen, dass der Stärkere befriedigt nach Hause trollt und der Schwächere sich plötzlich heulend auf die Bibel und alle sieben Nothelfer besinnt.
Still. Der Kies knirscht.
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