Denn Demokritus lachte dazu, und wurde, aller ihrer Neckereien wegen, nicht einen Augenblick früher grau. O die Abderiten, die Abderiten! rief er zuweilen; da haben sie sich wieder selbst eine Ohrfeige gegeben, in Hoffnung, daß es mir weh tun werde!

»Aber (sagten die Abderiten) kann man auch mit einem Menschen schlimmer daran sein? Über alles in der Welt ist er andrer Meinung als wir. An allem, was uns gefällt, hat er etwas auszusetzen. Es ist doch sehr unangenehm, sich immer widersprechen zu lassen!«

Aber, wenn ihr nun immer Unrecht habt, antwortete Demokritus. – Und laßt doch einmal sehen, wie es anders sein könnte! Alle eure Begriffe habt ihr eurer Amme zu danken; und über alles denkt ihr noch eben so, wie ihr als Kinder davon dachtet. Eure Körper sind gewachsen, und Eure Seelen liegen noch in der Wiege. Wie viele unter euch haben sich die Mühe gegeben, den Grund zu erforschen, warum sie etwas wahr oder gut oder schön nennen? Gleich den Unmündigen und Säuglingen ist euch alles gut und schön, was eure Sinnen kitzelt, was euch gefällt. Und auf was für kleinfügige, oft gar nicht zur Sache gehörende, Ursachen und Umstände kömmt es an, ob euch etwas gefallen soll oder nicht? Wie verlegen würdet ihr oft sein, wenn ihr sagen solltet, warum ihr dies liebt und jenes hasset? Grillen, Launen, Eigensinn, die Gewohnheit, euch von andern Leuten gängeln zu lassen, mit ihren Augen zu sehen, mit ihren Ohren zu hören, und was sie euch vorgepfiffen haben, nachzupfeifen, – sind die Triebfedern, die bei euch die Stelle der Vernunft ersetzen. Soll ich euch sagen, woran der Fehler liegt? Ihr habt euch einen falschen Begriff von Freiheit in den Kopf gesetzt. Eure Kinder von drei oder vier Jahren haben freilich den nämlichen Begriff davon; aber dies macht ihn nicht richtiger. Wir sind ein freies Volk, sagt ihr; und nun glaubt ihr, die Vernunft habe euch nichts einzureden. »Warum sollten wir nicht denken dürfen, wie es uns beliebt? lieben und hassen wie es uns beliebt? bewundern oder verachten was uns beliebt? Wer hat ein Recht uns zur Rede zu stellen, oder unsern Geschmack und unsre Neigungen vor seinen Richterstuhl zu fordern?« – Nun dann, meine lieben Abderiten, so denkt und faselt, liebt und haßt, bewundert und verachtet, wie, wenn, und was euch beliebt! Begeht Torheiten so oft und so viel euch beliebt! Macht euch lächerlich wie es euch beliebt! Wem liegt am Ende was daran? So lang es nur Kleinigkeiten, Puppen und Steckenpferde betrifft, wär es unbillig, euch im Besitze des Rechtes, eure Puppe und euer Steckenpferd nach Belieben zu putzen und zu reiten, stören zu wollen. Gesetzt auch, eure Puppe wäre häßlich, und das, was ihr euer Steckenpferd nennt, sähe von vorn und von hinten einem Öchslein oder Eselein ähnlich: was tut das? Wenn eure Torheiten euch glücklich und niemand unglücklich machen, was geht es andre Leute an, daß es Torheiten sind? Warum sollte nicht der hochweise Rat von Abdera, in feierlicher Procession, einer hinter dem andern, vom Rathause bis zum Tempel der Latona Burzelbäume machen dürfen, wenn es dem Rat und Volke von Abdera so gefällig wäre? Warum solltet ihr euer bestes Gebäude nicht in einen Winkel, und eure schöne kleine Venus nicht auf einen Obelisk setzen dürfen? Aber, meine lieben Landsleute, nicht alle eure Torheiten sind so unschuldig wie diese; und wenn ich sehe, daß ihr euch durch eure Grillen und Aufwallungen Schaden tut, so müßt' ich euer Freund nicht sein, wenn ich stille dazu schweigen könnte. Zum Exempel, euer Frosch- und Mäusekrieg mit den Lemniern, der unnötigste und unbesonnenste der jemals angefangen wurde, um der albernsten Ursache von der Welt, um einer Tänzerin, willen? – Es fiel in die Augen, daß ihr damals unter dem unmittelbaren Einfluß eures bösen Dämons waret, da ihr ihn beschlosset. Allein, alles half nichts, was man euch dagegen vorstellte. Die Lemnier sollten gezüchtiget werden; und wie ihr Leute von lebhafter Einbildung seid, so schien euch nichts leichters, als euch von der ganzen Insel Meister zu machen. Denn die Schwierigkeiten einer Sache pflegt ihr nie eher in Erwägung zu nehmen, als bis euch eure Nase daran erinnert. Doch dies alles möchte noch hingegangen sein, wenn ihr nur wenigstens die Ausführung eurer Entwürfe einem tüchtigen Mann aufgetragen hättet. Aber den jungen Aphron zum Feldherrn zu machen, ohne daß sich irgend ein möglicher Grund davon erdenken ließ, als weil eure Weiber fanden, daß er in seiner prächtigen neuen Rüstung so schön wie ein Paris sei; und – über dem Vergnügen, einen großen feuerfarbenen Federbusch auf seinem hirnlosen Kopfe nicken zu sehen – zu vergessen, daß es nicht um ein Lustgefechte zu tun war: dies, leugnets nur nicht, dies war ein Abderitenstreich! Und nun, da ihr ihn mit dem Verlust eurer Ehre, eurer Galeeren und eurer besten Mannschaft bezahlt habt, was hilft es euch, daß die Athenienser20, die ihr euch in ihren Torheiten zum Muster genommen habt, eben so sinnreiche Streiche, und zuweilen mit eben so glücklichem Ausgang zu spielen pflegen?

In diesem Tone sprach Demokritus mit den Abderiten, so oft sie ihm Gelegenheit dazu gaben; aber, wiewohl dies sehr oft geschah, so konnten sie sich doch unmöglich gewöhnen, diesen Ton angenehm zu finden. »So geht es, sagten sie, wenn man naseweisen Jünglingen erlaubt, in der weiten Welt herum zu reisen um sich ihres Vaterlandes schämen zu lernen, und nach zehn oder zwanzig Jahren mit einem Kopfe voll ausländischer Begriffe als Kosmopoliten zurückzukommen, die alles besser wissen als ihre Großväter, und alles anderswo besser gesehen haben als zu Hause. Die alten Aegyptier, die niemand reisen ließen eh' er wenigstens funfzig Jahre auf dem Rücken hatte, waren weise Leute!«

Und eilends gingen die Abderiten hin, und machten ein Gesetz: daß kein Abderitensohn hinfür weiter als bis an den korinthischen Isthmus, länger als ein Jahr, und anders als unter der Aufsicht eines bejahrten Hofmeisters von altabderitischer Abkunft, Denkart und Sitte, sollte reisen dürfen. »Junge Leute müssen zwar die Welt sehen, sagte das Decret; aber eben darum sollen sie sich an jedem Orte nicht länger aufhalten, als bis sie alles, was mit Augen da zu sehen ist, gesehen haben. Besonders soll der Hofmeister genau bemerken, was für Gasthöfe21 sie angetroffen, wie sie gegessen, und wie viel sie bezahlen müssen; damit ihre Mitbürger sich in der Folge diese ersprießlichen Geheimnachrichten zu Nutze machen können. Ferner soll, (wie das Decret weiter sagt,) zu Ersparung der Unkosten eines allzu langen Aufenthalts an einem Orte, der Hofmeister dahin sehen, daß der junge Abderite in keine unnötige Bekanntschaften verwickelt werde. Der Wirt oder der Hausknecht, als an dem Orte einheimisch, kann ihm am besten sagen, was da merkwürdiges zu sehen ist, wie die dasigen Gelehrten und Künstler heißen, wo sie wohnen, und um welche Zeit sie zu sprechen sind: dies bemerkt sich der Hofmeister in sein Tagebuch; und dann läßt sich in zween oder drei Tagen, wenn man die Zeit wohl zu Rate hält, vieles in Augenschein nehmen.«

Zum Unglück für dieses weise Decret befanden sich zween abderitische junge Herren von großer Wichtigkeit eben außer Landes, als es abgefaßt, und, nach alter Gewohnheit, dem Volk auf den Hauptplätzen der Stadt vorgesungen wurde. Der eine war der Sohn eines Krämers, der, durch Geiz und niederträchtige Kunstgriffe in seinem Gewerbe, binnen vierzig Jahren ein beträchtliches Vermögen zusammengekratzt, und in Kraft desselben seine Tochter (das häßlichste und dümmste Tierchen von ganz Abdera) kürzlich an einen Neffen des kleinen dicken Ratsherrn, dessen oben rühmliche Erwähnung getan worden, verheiratet hatte. Der andere war der einzige Sohn des Nomophylax, und sollte, um seinem Vater je bälder je lieber in diesem Amte beigeordnet werden zu können, nach Athen reisen, und sich mit dem Musikwesen daselbst genauer bekannt machen; während daß der Erbe des Krämers, der ihn begleiten wollte, mit den Putzmacherinnen und Sträußermädchen allda genauere Bekanntschaft zu machen gesonnen war. Nun hatte das Decret an den besondern Fall, worin sich diese jungen Herren befanden, nicht gedacht. Die Frage war also, was zu tun sei? Ob man auf eine Modification des Gesetzes antragen, oder beim Senat bloß um Dispensation für den vorliegenden Fall ansuchen sollte? – Keines von beiden, sagte der Nomophylax, der eben mit der Composition eines neuen Tanzes auf das Fest der Latona fertig, und außerordentlich mit selbst zufrieden war. Um etwas am Gesetze selbst zu ändern, müßte man das Volk deswegen zusammenberufen; und dies würde unsern Mißgünstigen nur Gelegenheit geben, die Mäuler aufzureißen.