Wenn die Weiber der Gymnosophisten nicht haltbarer gekleidet sind, so – müssen sie entweder sehr häßlich, oder ihre Männer sehr frostig sein.«

Keines von beiden. Ihre Weiber sind wohlgebildet, und ihre Kinder gesund und voller Leben; ein unverwerfliches Zeugnis zu Gunsten ihrer Väter, deucht mich!

»Sie sind ein Liebhaber von Paradoxen, Demokritus, sprach der Matador; aber Sie werden mich in Ewigkeit nicht überreden, daß die Sitten eines Volkes desto reiner seien, je nackender die Weiber desselben sind.«

Wenn ich ein so großer Liebhaber von Paradoxen wäre, als man mich beschuldigt, so würd' es mir vielleicht nicht schwer fallen, Sie dessen durch Beispiele und Gründe zu überführen. Aber ich bin dem Gebrauch der Gymnosophistinnen nicht günstig genug, um mich zu seinem Verteidiger aufzuwerfen. Auch war meine Meinung gar nicht, das zu sagen, was mich der scharfsinnige Kratylus sagen läßt. Die Weiber der Gymnosophisten schienen mir nur zu beweisen, daß Gewohnheit und Umstände in Gebräuchen dieser Art alles entscheiden. Die spartanischen Töchter, weil sie kurze Röcke, und die am Indus, weil sie gar keine Röcke tragen, sind darum weder unehrbarer noch größerer Gefahr ausgesetzt, als diejenigen, die ihre Tugend in sieben Schleier einwickeln. Nicht die Gegenstände, sondern unsre Meinungen von denselben sind die Ursache unordentlicher Leidenschaften. Die Gymnosophisten, welche keinen Teil des menschlichen Körpers für unedler halten als den andern, sehen ihre Weiber, wiewohl sie bloß in ihr angebornes Fell gekleidet sind, für eben so gekleidet an, als die Scythen die ihrigen, wenn sie ein Tigerkatzenfell um die Lenden hangen haben.

»Ich wünschte nicht, daß Demokritus mit seiner Philosophie soviel über unsre Weiber vermöchte, daß sie sich solche Dinge in den Kopf setzten«, sagte ein ehrenfester steifer Abderit, der mit Pelzwaren handelte. »Ich auch nicht«, sagte ein Leinwandhändler. Ich wahrlich auch nicht, sagte Demokritus, wiewohl ich weder mit Pelzen noch Leinwand handle.

»Aber eins erlauben Sie mir noch zu fragen, lispelte die Base, die so gerne lebendige Sphinxe gesehen haben möchte. Sie sind in der ganzen Welt herumgekommen; und es soll da viele wunderbare Länder geben, wo alles anders ist als bei uns –«

(Ich glaube kein Wort davon, murmelte der Ratsherr, indem er, wie Homers Jupiter, das ambrosische Haar auf seinem weisheitschwangern Kopfe schüttelte.)

»Sagen Sie mir doch, in welchem unter allen diesen Ländern es ihnen am besten gefallen hat?«

Wo könnt' es Einem besser gefallen, als – zu Abdera?

»O wir wissen schon, daß dies Ihr Ernst nicht ist. Ohne Complimente! antworten Sie der jungen Dame wie Sie denken«, sagte der Ratsherr.

Sie werden über mich lachen, erwiderte der Philosoph: aber weil Sie es verlangen, schöne Klonarion, so will ich Ihnen die reine Wahrheit sagen. Haben Sie nie von einem Lande gehört, wo die Natur so gut ist, neben ihren eigenen Verrichtungen auch noch die Arbeit der Menschen auf sich zu nehmen, von einem Lande, wo ewiger Friede herrscht; wo niemand Knecht und niemand Herr, niemand arm und jedermann reich ist? wo der Durst nach Golde zu keinen Verbrechen zwingt, weil man das Gold zu nichts gebrauchen kann; wo eine Sichel ein eben so unbekanntes Ding ist als ein Schwert; wo der Fleißige nicht für den Müßiggänger arbeiten muß; wo es keine Ärzte gibt, weil niemand krank wird; keine Richter, weil es keine Händel gibt; keine Händel, weil jedermann zufrieden ist; und jedermann zufrieden ist, weil jedermann alles hat, was er nur wünschen kann; – mit einem Worte, von einem Lande, wo alle Menschen so fromm wie die Lämmer, und so glücklich wie die Götter sind? Haben Sie nie von einem solchen Lande?

»Nicht, daß ich mich erinnerte.«

Dies nenn ich ein Land, Klonarion! Da ist es nie zu warm und nie zu kalt, nie zu naß und nie zu trocken; Frühling und Herbst regieren dort nicht wechselsweise, sondern, wie in den Gärten des Alcinous, zugleich in ewiger Eintracht. Berge und Täler, Wälder und Auen sind mit allem angefüllt, was des Menschen Herz gelüsten kann. Aber nicht etwa, daß die Leute sich die Mühe geben müßten, die Hasen zu jagen, die Vögel oder Fische zu fangen, und die Früchte zu pflücken, die sie essen wollen; oder daß sie die Gemächlichkeiten, deren sie genießen, erst mit vielem Ungemach erkaufen müßten. Nein! alles macht sich da von selbst. Die Rebhühner und Schnepfen fliegen einem gespickt und gebraten um den Mund, und bitten demütig, daß man sie essen möchte; Fische von allen Arten schwimmen gekocht in Teichen von allen möglichen Brühen, deren Ufer immer voll Austern, Krebse, Pasteten, Schinken und Ochsenzungen liegen. Hasen und Rehböcke kommen freiwillig herbeigelaufen, streifen sich das Fell über die Ohren, stecken sich an den Bratspieß, und legen sich, wenn sie gar sind, von selbst in die Schüssel. Allenthalben stehen Tische, die sich selbst decken; und weichgepolsterte Ruhebettchen laden allenthalben zum Ausruhen vom – Nichtstun und zu angenehmen Ermüdungen ein. Neben denselben rauschen kleine Bäche von Milch und Honig, von cyprischem Wein, Citronenwasser und andern angenehmen Getränken; und über sie her wölben sich, mit Rosen und Jasmin untermengt, Stauden voller Becher und Gläser, die sich, so oft sie ausgetrunken werden, gleich von selbst wieder anfüllen. Auch gibt es da Bäume, die statt der Früchte kleine Pastetchen, Bratwürste, Mandelkrapfen und Buttersemmeln tragen; andere, die an allen Ästen mit Geigen, Harfen, Cithern, Theorben, Flöten und Waldhörnern behangen sind, welche von sich selbst das angenehmste Concert machen, das man hören kann. Die glücklichen Menschen, nachdem sie den wärmern Teil des Tages verschlafen, und den Abend vertanzt, versungen und verscherzt haben, erfrischen sich dann in kühlen marmornen Bädern, wo sie von unsichtbaren Händen sanft gerieben, mit feinem Byssus, der sich selbst gesponnen und gewebt hat, abgetrocknet, und mit den kostbarsten Essenzen, die aus den Abendwolken wie feuchter Duft heruntertauen, eingebalsamt werden. Dann legen sie sich auf schwellenden Polstern um volle Tafeln her, und essen und trinken und lachen, singen und tändeln und küssen, die ganze Nacht durch, die ein ewiger Vollmond zum sanftern Tage macht; und – was noch das Angenehmste ist –

»O gehen Sie, Herr Demokritus, Sie haben mich zum besten! was Sie mir da erzählen, ist ja das Märchen vom Schlaraffenlande, das ich tausendmal von meiner Amme gehört habe, wie ich noch ein kleines Mädchen war.«

Aber Sie finden doch auch, Klonarion, daß sichs gut in diesem Lande leben müßte?

»Merken Sie denn nicht, daß unter allem diesem eine geheime Bedeutung verborgen liegt? sagte der weise Ratmann; vermutlich eine Satyre auf gewisse Philosophen, welche das höchste Gut in der Wollust suchen.«

Schlecht geraten, Herr Ratsherr! dachte Demokritus.

»Ich erinnere mich in den Amphiktyonen des Teleklides eine ähnliche Beschreibung des goldnen Alters gelesen zu haben«, sagte Frau Salabanda24.

Das Land, das ich der schönen Klonarion beschrieb, sprach der Naturforscher, ist keine Satyre; es ist das Land, in welches von jedem Dutzend unter euch weisen Leuten zwölfe sich im Herzen hineinwünschen und nach Möglichkeit hineinarbeiten, und in welches uns eure abderitischen Sittenlehrer hineindeclamieren wollen; wenn anders ihre Declamationen irgend einen Sinn haben.

»Ich möchte wohl wissen, wie Sie dies verstehen«, sagte der Ratsherr, der (vermög' einer vieljährigen Gewohnheit, nur mit halben Ohren zu hören, und sein Votum im Rat schlummernd von sich zu geben) nicht gerne die Mühe nahm einer Sache lange nachzudenken.

Sie lieben eine starke Beleuchtung, wie ich sehe, Herr Ratsmeister, erwiderte Demokritus. Aber zu viel Licht ist zum Sehen eben so unbequem, als zu wenig. Helldunkel ist, deucht mich, gerade so viel Licht, als man gebraucht, um weder zu viel noch zu wenig zu sehen. Ich setze zum voraus, daß Sie überhaupt sehen können. Denn wenn dies nicht wäre, so begreifen Sie wohl, daß wir beim Licht von zehentausend Sonnen nicht besser sehen würden, als beim Schein eines Feuerwurms.

»Sie sprechen von Feuerwürmern?« – (sagte der Ratsherr, indem er bei dem Worte Feuerwurm aus einer Art von Seelenschlummer erwachte, in welchen er über dem Gaffen nach Salabandas Busen, während daß Demokritus redete, gefallen war.) – »Ich dachte wir sprächen von den Moralisten.«

Von Moralisten oder Feuerwürmern, wie es Ihnen beliebt, versetzte Demokritus. Was ich sagen wollte, um Ihnen die Sache, wovon wir sprachen, deutlich zu machen, war dies: Ein Land, wo ewiger Friede herrscht, und wo alle Menschen in gleichem Grade frei und glücklich sind; wo das Gute nicht mit dem Bösen vermischt ist, Schmerz nicht an Wollust, und Tugend nicht an Untugend grenzt, wo lauter Schönheit, lauter Ordnung, lauter Harmonie ist, – mit einem Wort, ein Land, wie eure Moralisten den ganzen Erdboden haben wollen, ist entweder ein Land, wo die Leute keinen Magen und keinen Unterleib haben, oder es muß schlechterdings das Land sein, das uns Teleklides schildert, aus dessen Amphiktyonen ich (wie die schöne Salabanda sehr wohl bemerkt hat) meine Beschreibung genommen habe. Vollkommene Gleichheit, vollkommene Zufriedenheit mit dem Gegenwärtigen, immerwährende Eintracht – kurz, die saturnischen Zeiten, wo man keine Könige, keine Priester, keine Soldaten, keine Ratsherren, keine Moralisten, keine Schneider, keine Köche, keine Ärzte und keine Scharfrichter braucht, sind nur in dem Lande möglich, wo einem die Rebhühner gebraten in den Mund fliegen, oder (welches ungefähr eben so viel sagen will) wo man keine Bedürfnisse hat. Dies ist, wie mich deucht, so klar, daß es demjenigen, dem es dunkel ist, durch alles Licht im Feuerhimmel nicht klärer gemacht werden könnte.