Gleichwohl ärgern sich eure Moralisten darüber, daß die Welt so ist wie sie ist; und wenn der ehrliche Philosoph, der die Ursachen weiß, warum sie nicht anders sein kann, den Ärger dieser Herren lächerlich findet: so begegnen sie ihm, als ob er ein Feind der Götter und der Menschen wäre; welches zwar an sich selbst noch lächerlicher ist, aber zuweilen da, wo die milzsüchtigen Herren den Meister spielen, einen ziemlich tragischen Ausgang nimmt.

»Aber was wollen Sie denn, daß die Moralisten tun sollen?«

Die Natur erst ein wenig kennen lernen, eh sie sich einfallen lassen, es besser zu wissen als sie; verträglich und duldsam gegen die Torheiten und Unarten der Menschen sein, welche die ihrigen dulden müssen; durch Beispiele bessern, statt durch frostiges Gewäsche zu ermüden, oder durch Schmähreden zu erbittern; keine Wirkungen fodern, wovon die Ursachen noch nicht da sind, und nicht verlangen, daß wir die Spitze eines Berges erreicht haben sollen, ehe wir hinauf gestiegen sind.

»So unsinnig wird doch niemand sein?« – sagte der Abderiten einer.

So unsinnig sind neun Zehnteile der Gesetzgeber, Projectmacher, Schulmeister und Weltverbesserer auf dem ganzen Erdenrund alle Tage! – sagte Demokritus.

Die zeitverkürzende Gesellschaft, welche die Laune des Naturforschers unerträglich zu finden anfing, begab sich nun wieder nach Hause; und dahlte unterwegs, beim Glanz des Abendsterns und einer schönen Dämmerung, von Sphinxen, Einhörnern, Gymnosophisten und Schlaraffenländern; und so viel Mannichfaltigkeit auch unter allen den Albernheiten, welche gesagt wurden, herrschte, so stimmten doch alle darin überein: daß Demokritus ein wunderlicher, einbildischer, überkluger, tadelsüchtiger, wiewohl bei allem dem ganz kurzweiliger Sonderling sei.

»Sein Wein ist das Beste, was man bei ihm findet«, sagte der Ratsherr.

Gütiger Anubis! dachte Demokritus, da er wieder allein war: was man nicht mit diesen Abderiten reden muß, um sich – die Zeit von ihnen vertreiben zu lassen!

 

Eilftes Kapitel

 

Etwas von den abderitischen Philosophen, und wie Demokritus das Unglück hat, sich mit ein paar wohlgemeinten Worten in sehr schlimmen Credit zu setzen

Daß man sich aber gleichwohl nicht einbilde, als ob alle Abderiten, ohne Ausnahme, durch ein Gelübde oder durch ihren Bürgereid verbunden gewesen seien, nicht mehr Verstand zu haben als ihre Großmütter, Ammen und Ratsherren! Abdera, die Nebenbuhlerin von Athen, hatte auch Philosophen, das heißt, sie hatte Philosophen – wie sie Maler und Dichter hatte. Der berühmte Sophist Protagoras war ein Abderit gewesen, und hatte eine Menge von Schülern hinterlassen, die ihrem Meister zwar nicht an Witz und Beredsamkeit gleich kamen, aber ihm dafür auch an Eigendünkel und Albernheit desto überlegener waren.

Diese Herren hatten sich eine bequeme Art von Philosophie zubereitet, vermittelst welcher sie ohne Mühe auf jede Frag' eine Antwort fanden, und von allem, was unter und über der Sonne ist, so geläufig schwatzten, daß – in so ferne sie nur immer Abderiten zu Zuhörern hatten – die guten Zuhörer sich festiglich einbildeten, ihre Philosophen wüßten sehr viel mehr davon als sie selbst; wiewohl im Grunde der Unterschied nicht so groß war daß ein vernünftiger Mann eine Feige darum gegeben hätte. Denn am Ende lief es doch immer darauf hinaus, daß der abderitische Philosoph, etliche lange nichtsbedeutende Wörter abgerechnet, gerade so viel von der Sache wußte, als derjenige unter allen Abderiten, der – am wenigsten davon zu wissen glaubte.

Die Philosophen, vermutlich weil sie es für zu klein hielten, in den Detail der Natur herabzusteigen, gaben sich mit lauter Aufgaben ab, die außerhalb der Grenzen des menschlichen Verstandes liegen. Bis in diese Region, dachten sie, folgt uns niemand, als – wer unsers Gleichen ist; und was wir auch den Abderiten davon vorsagen, so sind wir wenigstens gewiß, daß uns niemand Lügen strafen kann.

Zum Exempel, eine ihrer Lieblingsmaterien war die Frage:

»Wie, warum, und woraus die Welt entstanden sei?«

»Sie ging aus einem Ei hervor, sagte Einer; der Aether war das Weiße, das Chaos der Dotter, und die Nacht brütete es aus25

»Sie ist aus Feuer und Wasser entstanden«, sagte ein Andrer.

»Sie ist gar nicht entstanden, sprach der Dritte. Alles war immer so wie es ist, und wird immer so bleiben wie es war.«

Diese Meinung fand in Abdera wegen ihrer Bequemlichkeit vielen Beifall. Sie erklärt alles, sagten sie, ohne daß man nötig hat, sich erst lange den Kopf zu zerbrechen. Es ist immer so gewesen, war die gewöhnliche Antwort eines Abderiten, wenn man ihn nach der Ursache oder dem Ursprung einer Sache fragte; und wer sich daran nicht ersättigen wollte, wurde für einen stumpfen Kopf angesehen.

»Was ihr Welt nennt, sagte der Vierte, ist eigentlich eine ewige Reihe von Welten, die, wie die Häute einer Zwiebel, über einander liegen, und sich nach und nach ablösen.«

Sehr deutlich gegeben, riefen die Abderiten, sehr deutlich! Sie glaubten den Philosophen verstanden zu haben, weil sie sehr gut wußten, was eine Zwiebel war.

»Schimäre! sprach der Fünfte. Es gibt freilich unzählige Welten; aber sie entstehen aus der ungefähren Bewegung unteilbarer Sonnenstäubchen, und es ist viel Glück, wenn, nach zehntausendmal tausend übelgeratenen, endlich eine herauskömmt, die noch so leidlich vernünftig aussieht wie die unsrige.«

»Atomen geb' ich zu, sprach der Sechste; aber keine Bewegung von Ungefähr und ohne Richtung. Die Atomen sind nichts, oder sie haben bestimmte Kräfte und Eigenschaften, und, je nachdem sie einander ähnlich oder unähnlich sind, ziehen sie einander an, oder stoßen sich zurücke. Daher machte der weise Empedokles (der Mann, der, um die wahre Beschaffenheit des Aetna zu erkundigen, sich weislich mitten in den Crater desselben hineingestürzt haben soll,) Haß und Liebe zu den ersten Ursachen aller Zusammensetzungen; und Empedokles hat Recht.«

»Um Vergebung, meine Herren, ihr habt alle Unrecht, sprach der Philosoph Sisamis. In Ewigkeit wird weder aus euerm mystischen Ei, noch aus euerm Bündnis zwischen Feuer und Wasser, noch aus euern Atomen, noch aus euern Homöomerien, eine Welt herauskommen, wenn ihr keinen Geist zu Hülfe nehmt. Die Welt ist, wie jedes andre Tier, eine Zusammensetzung von Materie und Geist. Der Geist ist es, der dem Stoffe Form gibt; beide sind von Ewigkeit her vereinigt; und, so wie einzelne Körper aufgelöst werden, sobald der Geist, der ihre Teile zusammenhielt, sich zurückzieht, so würde, wenn der allgemeine Weltgeist aufhören könnte das Ganze zu umfassen und zu beleben, Himmel und Erde im nämlichen Augenblick in einen einzigen, ungeheuren, gestaltlosen, finstern und toten Klumpen zusammenfallen.«

Davor wolle Jupiter und Latona sein! riefen die Abderiten, nicht ohne sich zu entsetzen, wie sie den Mann eine so fürchterliche Drohung ausstoßen hörten. Es hat keine Gefahr, sagte der Priester Strobylus; so lange wir die Frösche der Latona in unsern Mauern haben, soll es der Weltgeist des Sisamis wohl bleiben lassen, solchen Unfug in der Welt anzurichten.

»Meine Freunde, sprach der Achte, der Weltgeist des weisen Sisamis ist mit den Atomen, Homöomerien, Zwiebeln und Eiern meiner Collegen von gleichem Schlage. Einen Demiurg müssen wir annehmen, wenn wir eine Welt haben wollen: denn ein Gebäude setzt einen Baumeister oder wenigstens einen Zimmermeister voraus; und nichts macht sich von sich selbst, wie wir alle wissen.«

Aber man spricht doch alle Tage: Dies wird von sich selbst kommen, von sich selbst gehen – sagten die Abderiten.

»Man spricht wohl so, antwortete der Philosoph: allein, wo habt ihr jemals gesehen, daß es wirklich so erfolgt wäre? Ich habe freilich unsre Archonten wohl tausendmal sagen hören: es wird sich schon geben; es wird schon kommen! dies oder jenes wird sich schon machen! Aber wir hatten gut warten! Es gab sich nicht, kam nicht, und machte sich nicht.«

Nur allzuwahr, was die Werke unsrer Archonten betrifft; (sagte ein alter Schuhflicker, der für einen Mann von Einsicht beim Volke galt, und große Hoffnung hatte, bei der nächsten Wahl Zunftmeister zu werden;) aber mit den Werken der Natur, wie die Welt ist, mag es doch wohl anders bewandt sein. Warum sollte die Welt nicht eben so gut aus dem Chaos hervorwachsen können, wie ein Pilz aus der Erde wächst?

»Meister Pfrieme, versetzte der Philosoph, zum Zunftmeister soll er meine und aller meiner Vettern Stimme haben; aber keine Einwürfe gegen mein System, wenn ich bitten darf! Die Pilze wachsen freilich von selbst aus der Erde hervor, weil – weil – weil sie Pilze sind; aber eine Welt wächst nicht von selbst, weil sie kein Pilz ist; versteht Er mich nun, Meister Pfrieme?«

Alle Anwesende lachten von Herzen, daß Meister Pfrieme so abgeführt war. »Die Welt ist kein Pilz; dies ist klar wie Taglicht, riefen die Abderiten; da ist nichts einzuwenden, Meister Pfrieme!« –

Verzweifelt! murmelte der künftige Zunftmeister; aber so geht es, wenn man sich mit den Herren abgibt, welche beweisen können, daß der Schnee weiß ist.

»Schwarz ist, wolltet ihr sagen, Nachbar.«

Ich weiß, was ich gesagt habe, und was ich sagen wollte, antwortete Meister Pfrieme; und ich wünsche nur, daß die Republik –

»Vergeß' Er die vierzehn Stimmen nicht, die ich Ihm verschaffe, Meister Pfrieme!« rief der Philosoph. –

Wohl, wohl! alles wohl! Aber Demiurg – das klingt mir bald so wie Demagog; und ich will weder Demagogen noch Demiurgen haben; ich bin für die Freiheit, und wer ein guter Abderite ist, der schwinge seinen Hut und folge mir!

Und hiemit ging Meister Pfrieme davon, (denn der Leser merkt von selbst, daß alles dies in einer Halle von Abdera gesprochen wurde;) und einige müßige Tölpel, die ihn allerwegen zu begleiten pflegten, folgten ihm.

Aber der Philosoph, ohne zu tun als ob er es gewahr werde, fuhr fort: »Ohne einen Baumeister, einen Demiurgen, oder wie ihr ihn nennen wollt, läßt sich vernünftiger Weise keine Welt bauen. Aber, merket wohl, es kam auf den Demiurg an, ob er bauen wollte; und laßt sehen wie er es anfing. Stellt euch die Materie als einen ungeheuren Klumpen von vollkommen dichtem Krystall vor26; und den Demiurg, wie er mit einem großen Hammer von Diamant diesen Klumpen auf einen Schlag in so viele unendlich kleine Stückchen zerschmettert, daß sie durch den leeren Raum viele Millionen Cubicmeilen herumstieben. Natürlicher Weise brachen sich diese unendlich kleine Stückchen Krystall auf verschiedene Art; und indem sie, mit der ganzen Heftigkeit der Bewegung, die ihnen der Schlag mit dem diamantenen Hammer gab, auf tausendfache Art wider einander fuhren, und sich unter einander auf allen Seiten stießen, schlugen und rieben, so entstund daraus notwendig eine unzählige Menge Körperchen von allerlei regelmäßigen und unregelmäßigen Figuren: dreieckige, viereckige, achteckige, vieleckige, und runde. Aus den runden wurde Wasser und Luft, welche nichts anders als verdünntes Wasser ist; aus den dreieckigen Feuer; aus den übrigen die Erde, und aus diesen vier Elementen setzt die Natur, wie ihr wißt, alle Körper in der Welt zusammen.«

Das ist wunderbar, sehr wunderbar! aber es begreift sich doch, sagten die Abderiten. Ein Klumpen Krystall, ein diamantner Hammer, und ein Demiurg, der den Krystall so meisterhaft in Stücken schlägt, daß aus den Splittern, ohne seine weitere Bemühung, eine Welt entsteht! In der Tat die scharfsinnigste Hypothese, die man sehen kann, und gleichwohl so simpel, daß man dächte, man hätte sie alle Augenblicke selbst erfinden können!

»Ich erkläre mittelst dieser so simpeln Voraussetzung alle möglichen Wirkungen der Natur«, sagte der Philosoph mit selbst zufriednem Lächeln.

»Nicht ein Wespennest, rief ein Neunter, Dämonax genannt, der den Behauptungen seiner Mitbrüder bisher mit stillschweigender Verachtung zugehöret hatte. Es gehören andre Kräfte und Anstalten dazu, ein so großes, so schönes, so wundervolles Werk, als dieses Weltgebäude ist, zu Stande zu bringen. Nur ein höchstvollkommner Verstand konnte den Plan davon erfinden; wiewohl ich gerne gestehe, daß zur Ausführung geringere Werk- meister hinlänglich waren. Er überließ sie verschiedenen Klassen der subalternen Götter, wies einer jeden Klasse ihren besondern Kreis an, in welchem sie arbeitet, und begnügte sich, die allgemeine Aufsicht über das Ganze zu führen. Es ist lächerlich, den Ursprung der Weltkörper, des Erdhodens, der Pflanzen, der Tiere, und alles dessen, was in Luft und Wasser ist, aus Atomen oder Sympathien oder ungefährer Bewegung, oder einem einzigen Hammerschlag erklären zu wollen. Geister sind es, welche in den Elementen herrschen, die Sphären des Himmels drehen, die organischen Körper bilden, das Frühlingsgewand der Natur mit Blumen sticken, und die Früchte des Herbstes in ihren Schoß ausgießen. Kann etwas faßlicher und angenehmer sein als diese Theorie? Sie erklärt alles; sie leitet jede Wirkung aus einer ihr angemessenen Ursache ab; und durch sie begreift man die, in jedem andern System unerklärbare, Kunst der Natur eben so leicht, als man begreift, wie Zeuxis oder Parrhasius mit ein wenig gefärbter Erde eine bezaubernde Landschaft oder ein Bad der Diana erschaffen kann.«

Was für eine schöne Sache es um die Philosophie ist! sagten die Abderiten. Alles, was man daran aussetzen möchte, ist, daß einem unter so viel feinen Theorien die Wahl sauer wird.

Indessen machte doch der Pythagoräer, der alles durch Geister bewerkstelligte, das meiste Glück.