Die Poeten, die Maler, und alle übrigen Schutzverwandten der Musen, mit dem sämtlichen Frauenzimmer von Abdera an ihrer Spitze, erklärten sich für- die Geister; doch unter der Bedingung, daß es ihnen erlaubt sein müsse, sie in so angenehme Gestalten, als jedem gefällig sei, einzukleiden.

Ich bin nie ein besonderer Freund der Philosophie gewesen, (sagte der Priester Strobylus,) und aus Ursache: aber wenn die Abderiten ihr Grübeln über das Wie und Warum der Dinge nun einmal nicht lassen können, so habe ich gegen die Physik des Dämonax noch immer am wenigsten einzuwenden; unter den gehörigen Einschränkungen verträgt sie sich noch so ziemlich. –

»O sie verträgt sich mit allem in der Welt, sagte Dämonax; dies ist eben die Schönheit davon!«

Soll ich euch meine Meinung sagen? sprach Demokritus. Wenn es euch etwan wirklich darum zu tun sein sollte, die Beschaffenheit der Dinge, die euch umgeben, kennen zu lernen, so deucht mich, ihr nehmt einen ungeheuren Umweg. Die Welt ist sehr groß; und von dem Standort, woraus wir in sie hineingucken, nach ihren vornehmsten Provinzen und Hauptstädten ist es so weit, – daß ich nicht wohl begreife, wie sich einer von uns einfallen lassen kann, die Charte eines Landes aufzunehmen, wovon ihm (sein angebornes Dörfchen ausgenommen) alles übrige, und sogar die Grenzen unbekannt sind. Ich dächte, ehe wir Kosmogonien und Kosmologien träumten, setzten wir uns hin und beobachteten, zum Exempel, den Ursprung einer Spinnewebe; und dies so lange, bis wir so viel davon herausgebracht hätten, als fünf Menschensinne, mit Verstand angestrengt, daran entdecken können. Ihr werdet zu tun finden, das könnt ihr mir auf mein Wort glauben. Aber dafür werdet ihr auch erfahren, daß euch diese einzige Spinnewebe mehr Aufschluß über das große System der Natur, und würdigere Begriffe von seinem Urheber geben wird, als alle die feinen Weltsysteme, die ihr zwischen Wachen und Schlaf aus eurem eignen Gehirne herausgesponnen habt.

Demokritus meinte dies im ganzen Ernst; aber die Philosophen von Abdera glaubten, daß er ihrer spotten wolle. Er versteht nichts von der Pneumatik, sagte der eine. Von der Physik noch weniger, sagte der andere. Er ist ein Zweifler – er glaubt keine Grundtriebe – keinen Weltgeist – keinen Demiurg – keinen Gott! – sagte der dritte, vierte, fünfte, sechste und siebente. Man sollte solche Leute gar nicht im gemeinen Wesen dulden, sagte der Priester Strobylus.

 

Zwölftes Kapitel

 

Demokritus zieht sich weiter von Abdera zurück
Wie er sich in seiner Einsamkeit beschäftigt
Er könnt bei den Abderiten in den Verdacht, daß er Zauberkünste treibe
Ein Experiment, das er bei dieser Gelegenheit mit den abderitischen Damen macht, und wie es abgelaufen

Bei dem allen war Demokritus ein Menschenfreund in der echtesten Bedeutung des Worts. Denn er meinte es gut mit der Menschheit, und freute sich über nichts so sehr, als wenn er irgend etwas Böses verhüten, oder etwas Gutes tun, veranlassen oder befördern konnte. Und wiewohl er glaubte, daß der Charakter eines Weltbürgers Verhältnisse in sich schließe, denen, im Collisionsfall, alle andere weichen müßten: so hielt er sich doch darum nicht weniger verbunden, als ein Bürger von Abdera, an dem Zustande seines Vaterlandes Anteil zu nehmen, und so viel er könnte, zu dessen Verbesserung beizutragen. Allein, da man nur in so fern Gutes tun kann, als das Subject dessen fähig ist: so fand er sein Vermögen durch die unzähligen Hindernisse, die ihm die Abderiten entgegensetzten, in so enge Grenzen eingeschlossen, daß er Ursache zu haben glaubte, sich als eine der entbehrlichsten Personen in dieser kleinen Republik anzusehen. Was sie am nötigsten haben, dacht' er, und das Beste was ich an ihnen tun könnte, wäre, sie klug zu machen. Aber die Abderiten sind freie Leute. Wenn sie nun nicht klug sein wollen: wer kann sie nötigen?

Da er also bei so bewandten Umständen wenig oder nichts für die Abderiten als Abderiten tun konnte, glaubte er hinlänglich gerechtfertigt zu sein, wenn er wenigstens seine eigene Person in Sicherheit zu bringen suchte, und einen so großen Teil als immer möglich von derjenigen Zeit rettete, die er der Erfüllung seiner weltbürgerlichen Pflichten schuldig zu sein vermeinte.

Weil nun seine bisherige Freistätte entweder nicht weit genug von Abdera entfernt war, oder wegen ihrer Lage und anderer Bequemlichkeiten so viel Reiz für die Abderiten hatte, daß er, ungeachtet seines Aufenthalts auf dem Lande, sich doch immer mitten unter ihnen befand: so zog er sich noch etliche Stunden weiter in einen Wald, der zu seinem Gute gehörte, zurück, und bauete sich in die wildeste Gegend desselben ein kleines Haus, wo er die meiste Zeit – in der einsamen Ruhe, die das eigene Element des Philosophen und des Dichters ist, – dem Erforschen der Natur und der Betrachtung oblag.

Einige neuere Gelehrte – ob Abderiten oder nicht, wollen wir hier unentschieden lassen – haben sich von den Beschäftigungen dieses griechischen Bacons in seiner Einsamkeit wunderliche, wiewohl auf ihrer Seite sehr natürliche Begriffe gemacht. »Er arbeitete am Stein der Weisen, sagt Borrichius, und er fand ihn, und machte Gold.« Zum Beweis davon, beruft er sich darauf, daß Demokritus ein Buch von Steinen und Metallen geschrieben habe. Die Abderiten, seine Zeitgenossen und Mitbürger, gingen noch weiter; und ihre Vermutungen – die in abderitischen Köpfen gar bald zur Gewißheit wurden – gründeten sich auf eben so gute Schlüsse, als jener des Borrichius. Demokritus war von persischen Magis erzogen worden27; er war zwanzig Jahre in den Morgenländern herumgereist; hatte mit ägyptischen Priestern, Chaldäern, Brachmanen und Gymnosophisten Umgang gepflogen, und war in allen ihren Mysterien initiert; hatte tausend Arcana von seinen Reisen mit sich gebracht, und wußte zehntausend Dinge, wovon niemals etwas in eines Abderiten Sinn gekommen war. – Machte dies alles zusammengenommen nicht den vollständigsten Beweis, daß er ein ausgelernter Meister in der Magie und allen davon abhängenden Künsten sein mußte? – Der ehrwürdige Pater Delrio hätte Spanien, Portugall und Algarbien auf die Hälfte eines Beweises, wie dieser ist, verbrennen lassen.

Aber die guten Abderiten hatten noch nähere Beweistümer in Händen, daß ihr gelehrter Landsmann – ein wenig hexen könne. Er sagte Sonnen- und Mondfinsterungen, Mißwachs, Seuchen und andre zukünftige Dinge zuvor. Er hatte einem verbuhlten Mädchen aus der Hand geweissagt, daß sie – zu Falle kommen, und einem Ratsherrn von Abdera, dessen ganzes Leben zwischen Schlafen und Schmausen geteilt war, daß er – an einer Unverdaulichkeit sterben würde; und beides war genau eingetroffen. Überdem hatte man Bücher mit wunderlichen Zeichen in seinem Cabinette gesehen; man hatte ihn bei allerlei, vermutlich magischen Operationen mit Blut von Vögeln und Tieren angetroffen; man hatte ihn verdächtige Kräuter kochen gesehen; und einige junge Leute wollten ihn sogar in später Nacht bei sehr blassem Mondschein zwischen Gräbern sitzend überschlichen haben. »Um ihn zu schrecken, hatten wir uns in die scheußlichsten Larven verkleidet, sagten sie: Hörner, Ziegenfüße, Drachenschwänze, nichts fehlte uns, um leibhafte Feldteufel und Nachtgespenster vorzustellen; wir bliesen sogar Rauch aus Nasen und Ohren, und machten es so arg um ihn herum, daß ein Herkules vor Schrecken hätte zum Weibe werden mögen. Aber Demokritus achtete unser nicht; und, da wir es ihm endlich zu lange machten, sagte er bloß: Nun, wird das Kinderspiel noch lange währen28? –«.

Da sieht man augenscheinlich, sagten die Abderiten, daß es nicht recht richtig mit ihm ist; Geister sind nichts Neues für ihn; er muß wohl wissen, wie er mit ihnen steht! – »Er ist ein Zauberer; nichts kann gewisser sein, sagte der Priester Strobylus; wir müssen ein wenig besser Acht auf ihn geben!«

Man muß gestehen, daß Demokritus, entweder aus Unvorsichtigkeit, oder, (welches glaublicher ist,) weil er sich wenig aus der Meinung seiner Landsleute machte, zu diesen und andern bösen Gerüchten einige Gelegenheit gab. Man konnte in der Tat nicht lange unter den Abderiten leben, ohne in Versuchung zu geraten, ihnen etwas aufzuheften. Ihr Vorwitz und ihre Leichtgläubigkeit auf der einen Seite, und die hohe Einbildung, die sie sich von ihrer eignen Scharfsinnigkeit machten, auf der andern, foderten einen gleichsam heraus; und überdies war auch sonst kein Mittel, sich für die Langeweile, die man bei ihnen hatte, zu entschädigen. Demokritus befand sich nicht selten in diesem Falle; und da die Abderiten albern genug waren, alles, was er ihnen ironischer Weise sagte, im buchstäblichen Sinne zu nehmen: so entstunden daher die vielen ungereimten Meinungen und Märchen, die auf seine Rechnung in der Welt herumliefen, und noch viele Jahrhunderte nach seinem Tode von andern Abderiten für bares Geld angenommen, oder wenigstens ihm selbst, unbilliger Weise, zur Last geleget wurden.

Demokritus hatte sich, unter andern, auch mit der Physiognomie abgegeben, und teils aus seinen eigenen Beobachtungen, teils aus dem was ihm andere von den ihrigen mitgeteilt, sich eine Theorie davon gemacht, von deren Gebrauch er (sehr vernünftig, wie uns deucht) urteilte, daß es damit eben so wie mit der Theorie der poetischen oder irgend einer andern Kunst beschaffen sei. Denn so wie noch keiner durch die bloße Wissenschaft der Regeln ein guter Dichter oder Künstler geworden sei und nur derjenige, welchen angebornes Genie, emsiges Studium hartnäckiger Fleiß und lange Übung zum Dichter oder Künstler gemacht, geschickt sei, die Regeln seiner Kunst recht zu verstehen und anzuwenden: so sei auch die Theorie der Kunst, aus dem Äußerlichen des Menschen auf das Innerliche zu schließen, nur für Leute von großer Fertigkeit im Beobachten und Unterscheiden brauchbar, für jeden andern hingegen eine höchst ungewisse und betrügliche Sache; und eben darum müsse sie als eine von den geheimen Wissenschaften oder großen Mysterien der Philosophie immer nur der kleinen Zahl der Epopten29 vorbehalten bleiben.

Diese Art von der Sache zu denken bewies, daß Demokritus kein Scharlatan war; aber den Abderiten bewies sie bloß, daß er ein Geheimnis aus seiner Wissenschaft mache.