E. ihre Augen und andre Augen verglich; und dies ist alles, was ich mit meinem Ideal sagen wollte.
»Indessen (erwiderte der Gelehrte,) werden Sie doch nicht behaupten wollen, daß diese Gulleru schlechterdings die schönste unter allen schwarzen Mädchen vor ihr, neben ihr, und nach ihr gewesen sei? ich meine, die Schönste in Vergleichung mit dem Modelle, wovon Sie sagten.«
Ich wüßte nicht, warum ich dies behaupten sollte, versetzte Demokritus.
»Es konnte also eine geben, die z. E. noch kleinere Augen, noch dickere Lippen, noch größere Ohren hatte?«
Möglicher Weise, so viel ich weiß.
»Und in Absicht dieser letztern gilt ohne Zweifel die nämliche Voraussetzung, und so ins Unendliche. Die Aethiopier hatten also kein Modell der Schönheit; man müßte denn sagen, daß sich unendlich kleine Augen, unendlich dicke Lippen, unendlich große Ohren denken lassen?«
Wie subtil die abderitischen Gelehrten sind! dachte Demokritus. Wenn ich eingestund, sagte er, daß es ein schwarzes Mädchen geben könne, welche kleinere Augen oder dickere Lippen hätte als Gulleru, so sagte ich damit noch nicht, daß dieses schwarze Mädchen den Aethiopiern darum schöner hätte vorkommen müssen als Gulleru. Das Schöne hat notwendig ein bestimmtes Maß, und was über solches ausschweift, entfernt sich eben so davon, wie das, was unter ihm bleibt. Wer wird daraus, daß die Griechen in der Größe der Augen und in der Kleinheit des Mundes ein Stück der vollkommenen Schönheit setzen, den Schluß ziehen: eine Frau, deren Augapfel einen Daumen im Durchschnitt hielten, oder deren Mund so klein wäre, daß man Mühe hätte, einen Strohhalm hineinzubringen, müßte von den Griechen für desto schöner gehalten werden?
Der Abderite war geschlagen, wie man sieht; und er fühlte es. Aber ein abderitischer Gelehrter hätte sich eher erdrosseln lassen, als so was einzugestehen. Waren nicht Philinnen und Lysandren, und ein kurzer dicker Ratsherr da, an deren Meinung von seinem Verstand ihm gelegen war? Und wie wenig kostete es ihm, Abderiten und Abderitinnen auf seine Seite zu bringen? – In der Tat wußte er nicht sogleich, was er sagen sollte. Aber in fester Zuversicht, daß ihm wohl noch was einfallen werde, antwortete er indessen durch ein höhnisches Lächeln; welches zugleich andeutete, daß er die Gründe seines Gegners verachte, und daß er im Begriff sei, den entscheidenden Streich zu führen. »Ists möglich, rief er endlich in einem Ton, als ob dies die Antwort auf die letzte Rede des Demokritus sei17, können Sie die Liebe zum Paradoxen so weit treiben, im Angesicht dieser Schönen zu behaupten, daß ein Geschöpf, wie Sie uns diese Gulleru beschrieben haben, eine Venus sei?«
Sie haben vergessen, versetzte Demokrit sehr gelassen, daß die Rede nicht von mir und diesen Schönen, sondern von Aethiopiern war. Ich behauptete nichts; ich erzählte nur was ich gesehen hatte. Ich beschrieb Ihnen eine Schönheit nach äthiopischem Geschmack. Es ist nicht meine Schuld, wenn die griechische Häßlichkeit in Aethiopien Schönheit ist. Auch seh ich nicht, was mich berechtigen könnte, zwischen den Griechen und Aethiopiern zu entscheiden. Ich vermute, es könnte sein, daß beide Recht hätten.
Ein lautes Gelächter, dergleichen man aufschlägt, wenn jemand etwas unbegreiflich Ungereimtes gesagt hat, wieherte dem Philosophen aus allen anwesenden Hälsen entgegen.
»Laß hören, laß doch hören, rief der dicke Ratsherr, indem er seinen Wanst mit beiden Händen hielt, was unser Landsmann sagen kann, um zu beweisen, daß beide Recht haben! Ich höre für mein Leben gerne so was behaupten. Wofür hätte man auch sonst euch gelehrte Herren? – Die Erde ist rund; der Schnee ist schwarz; der Mond ist zehnmal so groß als der ganze Peloponnesus; Achilles kann keine Schnecke im Laufen einholen – Nicht wahr, Herr Antistrepsiades? – Nicht wahr, Herr Demokritus? – Sie sehen, daß ich auch ein wenig in Ihren Mysterien eingeweiht bin. Ha, Ha, Ha!«
Die sämtlichen Abderiten und Abderitinnen erleichterten sympathetischer Weise ihre Lungen abermals, und Herr Antistrepsiades, der einen Anschlag auf die Abendmahlzeit des jovialischen Ratsherrn gemacht hatte, unterstützte gefällig das allgemeine Gelächter mit lautem Händeklatschen.
Fünftes Kapitel
Unerwartete Auflösung des Knotens, mit einigen neuen Beispielen von abderitischem Witz
Demokritus war in der Laune, sich mit seinen Abderiten und den Abderiten mit sich Kurzweile zu machen. Zu weise, ihnen irgend eine von ihren National- oder Individualunarten übel zu nehmen, konnt' er es sehr wohl leiden, daß sie ihn für einen überklugen Mann ansahen, der seinen abderitischen Mutterwitz auf seiner langen Wanderschaft verdünstet hatte, und nun zu nichts gut wäre, als ihnen mit seinen Einfällen und Grillen etwas zu lachen zu geben. Er fuhr also, nachdem sich das Gelächter über den witzigen Einfall des dicken Ratsherrn endlich gelegt hatte, mit seinem gewöhnlichen Phlegma fort, wo ihn der kleine jovialische Mann unterbrochen hatte.
Sagte ich nicht, wenn die griechische Häßlichkeit in Aethiopien Schönheit sei, so könnte wohl sein, daß beide Teile Recht hätten?
»Ja, ja, das sagten Sie, und ein Mann steht für sein Wort.«
Wenn ich es gesagt habe, so muß ich's wohl behaupten; das versteht sich, Herr Antistrepsiades?
»Wenn Sie können.«
Bin ich etwan nicht auch ein Abderit? Und zudem brauch ich hier nur die Hälfte meines Satzes zu beweisen, um das Ganze bewiesen zu haben: denn daß die Griechen Recht haben, darf nicht erst bewiesen werden; dies ist eine Sache, die in allen griechische Köpfen schon längst ausgemacht ist. Aber daß die Aethiopier auch Recht haben, da liegt die Schwierigkeit! Wenn ich mit Sophismen fechten, oder mich begnügen wollte, meine Gegner stumm zu machen, ohne sie zu überzeugen; so würd' ich, als Anwalt der äthiopischen Venus, die ganze Streitfrage dem innern Gefühl zu entscheiden überlassen. Warum, würd' ich sagen, nennen die Menschen diese oder jene Figur, diese oder jene Farbe, schön? Weil sie ihnen gefällt. Gut; aber warum gefällt sie ihnen? Weil sie ihnen angenehm ist. Und warum ist sie ihnen angenehm? – O mein Herr, würde ich sagen, Sie müssen endlich aufhören zu fragen, oder – ich höre auf zu antworten. Ein Ding ist uns angenehm, weil es – einen Eindruck auf uns macht, der uns angenehm ist. Ich fordre alle Ihre Grübler heraus, einen bessern Grund anzugeben. Nun würd' es lächerlich sein, einem Menschen abstreiten zu wollen, daß ihm angenehm sei, was ihm angenehm ist; oder ihm zu beweisen, er habe Unrecht, sich wohlgefallen zu lassen, was einen gefallenden Eindruck auf ihn macht. Wenn also die Figur einer Gulleru seinen Augen wohl tut, so gefällt sie ihm, und wenn sie ihm gefällt, so nennt er sie schön, oder es müßte nur kein solches Wort in seiner Sprache sein.
»Und wenn – und wenn ein Wahnwitziger Pferdäpfel für Pfirschen äße?« sagte Antistrepsiades.
»Pferdäpfel für Pfirschen! – gut gesagt, bei meiner Ehre! gut gesagt, rief der Ratsherr. Knacken Sie das auf, Herr Demokritus?« –
»Fi, Fi, doch, Demokritus, lispelte die schöne Myris, indem sie die Hand vor die Nase hielt; wer wird auch von Pferdäpfeln reden? Schonen Sie wenigstens unsrer Nasen!«
Jedermann sieht, daß sich die schöne Myris mit diesem Verweise an den witzigen Antistrepsiades hätte wenden sollen, der die Pferdäpfel zuerst aufgetragen hatte, und an den Ratsherrn, der dem Demokritus gar zumutete sie aufzuknacken.
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