Aber es war nun einmal darauf abgesehen, den Demokritus lächerlich zu machen; der Instinct vertrat bei den sämtlichen Anwesenden hierin die Stelle einer Verabredung, und Myris konnte diese schöne Gelegenheit zu einem Stich, der die Lacher auf ihre Seite brachte, unmöglich entwischen lassen. Denn gerade der Umstand, daß Demokrit, der ohnehin an den Pferdäpfeln des Antistrepsiades genug zu schlucken hatte, noch obendrein einen Verweis deswegen erhielt, kam den Abderiten und Abderitinnen so lustig vor, daß sie alle zugleich zu lachen anfingen, und sich völlig so gebärdeten, als ob der Philosoph nun aufs Haupt geschlagen sei und gar nicht wieder aufstehen könne.
Zu viel ist zu viel. Der gute Demokritus hatte zwar in zwanzig Jahren viel erwandert: aber seitdem er aus Abdera gegangen war, war ihm kein zwotes Abdera aufgestoßen; und nun, da er wieder drin war, zweifelte er zuweilen auf einen oder zween Augenblicke, ob er irgendwo sei? Wie war es möglich, mit solchen Leuten fertig zu werden?
»Nun, Vetter? – sagte der Ratsherr, kannst du die Pferdäpfel des Antistrepsiades nicht hinunter kriegen? Ha, ha, ha!«
Dieser Einfall war zu abderitisch, um die Zärtlichkeit der sämtlichen gebogenen, stumpfen, viereckigen und spitzigen Nasen in der Gesellschaft nicht zu überwältigen.
Die Damen kicherten ein zirpendes Hi, hi, hi, in das dumpfe donnernde Ha, ha, ha, der Mannspersonen.
Sie haben gewonnen, rief Demokritus; und zum Zeichen daß ich mein Gewehr mit guter Art strecke, sollen Sie sehen, ob ich die Ehre verdiene, Ihr Landsmann und Vetter zu sein. Und nun fing er an, mit einer Geschicklichkeit, worin ihm kein Abderite gleich kam, von der untersten Note stufenweise Crescendo, bis zum Unisono mit dem Hi, hi, der schönen Abderitinnen, ein Gelächter aufzuschlagen, dergleichen, so lang Abdera auf thracischem Boden stund, nie erhört worden war.
Anfangs machten die Damen Miene, als ob sie Widerstand tun wollten; aber es war keine Möglichkeit, gegen das verzweifelte Crescendo auszuhalten. Sie wurden endlich davon wie von einem reißenden Strom ergriffen; und da die Gewalt der Ansteckung noch dazu schlug, so kam es bald so weit, daß die Sache ernsthaft wurde. Die Frauenzimmer baten mit weinenden Augen um Barmherzigkeit. Aber Demokritus hatte keine Ohren, und das Gelächter nahm überhand. Endlich ließ er sich, wie es schien, bewegen, ihnen einen Stillstand zu bewilligen; allein in der Tat bloß, damit sie die Peinigung, die er ihnen zugedacht, desto länger aushalten könnten. Denn kaum waren sie wieder ein wenig zu Atem gekommen, so fing er die nämliche Tonleiter, eine Terze höher, noch einmal zu durchlachen an, aber mit so vielen eingemischten Trillern und Rouladen, daß sogar die runzlichten Beisitzer des Höllengerichts, Minos, Aeakus und Rhadamanthus, in ihrem höllenrichterlichen Ornat, aus der Fassung dadurch gekommen wären.
Zum Unglück hatten zwo oder drei von unsern Schönen nicht daran gedacht, ihre Personen gegen alle mögliche Folgen einer so heftigen Leibesübung in Sicherheit zu setzen. Scham und Natur kämpften auf Leben und Tod in den armen Mädchen. Vergebens flehten sie den unerbittlichen Demokritus mit Mund und Augen um Gnade an; vergebens forderten sie ihre vom Lachen gänzlich erschlafften Sehnen zu einer letzten Anstrengung auf. Die tyrannische Natur siegte, und in einem Augenblicke sahe man den Saal, wo sich die Gesellschaft befand, unter **********
Der Schrecken über eine so unversehene Naturerscheinung (die desto wunderbarer war, da das allgemeine Auffahren und Erstaunen der schönen Abderitinnen zu beweisen schien, daß es eine Wirkung ohne Ursache sei,) unterbrach die Lacher auf etliche Augenblicke, um sogleich mit verdoppelter Gewalt wieder loszudrücken. Natürlicher Weise gaben sich die erleichterten Schönen alle Mühe, den besondern Anteil, den sie an dieser Begebenheit hatten, durch Grimassen von Erstaunen und Ekel zu verbergen, und den Verdacht auf ihre schuldlosen Nachbarinnen fallen zu machen, welche durch unzeitige, aber unfreiwillige Schamröte den unverdienten Argwohn mehr als zu viel bestärkten. Der lächerliche Zank, der sich darüber unter ihnen erhub; Demokrit und Antistrepsiades, die sich boshafter Weise ins Mittel schlugen, und durch ironische Trostgründe den Zorn derjenigen, die sich unschuldig wußten, noch mehr aufreizten; und mitten unter ihnen allen der kleine dicke Ratsherr, der unter berstendem Gelächter einmal über das andre ausrief, daß er nicht die Hälfte von Thracien um diesen Abend nehmen wollte; alles dies zusammen machte eine Scene, die des Griffels eines Hogarth würdig gewesen wäre, wenn es damals schon einen Hogarth gegeben hätte.
Wir können nicht sagen, wie lange sie gedaurt haben mag: denn es ist eine von den Tugenden der Abderiten, daß sie nicht aufhören können. Aber Demokritus, bei dem alles seine Zeit hatte, glaubte, daß eine Komödie, die kein Ende nimmt, die langweiligste unter allen Kurzweilen sei. Er packte also alle die schönen Sachen, die er zur Rechtfertigung der äthiopischen Venus hätte sagen können, wofern er es mit vernünftigen Geschöpfen zu tun gehabt hätte, ganz gelassen zusammen, wünschte den Abderiten und Abderitinnen – was sie nicht hatten, und ging nach Hause, nicht ohne Verwunderung über die gute Gesellschaft, die man anzutreffen Gefahr lief, wenn man – einen Ratsherrn von Abdera besuchte.
Sechstes Kapitel
Eine Gelegenheit für den Leser, um sein Gehirn aus der schaukelnden Bewegung des vorigen Kapitels wieder in Ruhe zu setzen
Gute, kunstlose, sanftherzige Gulleru, – sagte Demokritus, da er nach Hause gekommen war, zu einer wohlgepflegten krauslockigen Schwarzen, die ihm mit offnen Armen entgegenwatschelte – komm an meinen Busen, ehrliche Gulleru! Zwar bist du schwarz wie die Göttin der Nacht; dein Haar ist wollicht, und deine Nase platt; deine Augen sind klein, deine Ohren groß, und deine Lippen gleichen einer aufgeborstnen Nelke. Aber dein Herz ist rein und aufrichtig und fröhlich, und fühlt mit der ganzen Natur. Du denkst nie Arges, sagst nie was Albernes, quälst weder andre noch dich selbst, und tust nichts, was du nicht gestehen darfst. Deine Seele ist ohne Falsch, wie dein Gesicht ohne Schminke. Du kennst weder Neid noch Schadenfreude; und nie hat sich deine ehrliche platte Nase gerümpft, um eines deiner Nebengeschöpfe zu höhnen oder in Verlegenheit zu setzen. Unbesorgt, ob du gefällst oder nicht gefällst, lebst du, in deine Unschuld eingehüllt, im Frieden mit dir selbst und der ganzen Natur; immer geschickt Freude zu geben und zu empfangen, und wert, daß das Herz eines Mannes an deinem Busen ruhe! Gute, sanftherzige Gulleru! Ich könnte dir einen andern Namen geben; einen schönen, klangreichen, griechischen Namen auf ane oder ide, arion oder erion: aber dein Name ist schön genug, weil er dein ist; und ich bin nicht Demokritus, oder die Zeit soll noch kommen, wo jedes ehrliche gute Herz dem Namen Gulleru entgegenschlagen soll!
Gulleru begriff nicht allzuwohl, was Demokritus mit dieser empfindsamen Anrede haben wollte; aber sie sah, daß es eine Ergießung seines Herzens war, und so verstund sie gerade so viel davon, als sie vonnöten hatte.
»War diese Gulleru seine Frau?«
Nein.
»Seine Beischläferin?«
Nein.
»Seine Sklavin?«
Nach ihrem Anzug zu schließen nicht.
»Wie war sie denn angezogen?«
So gut, daß sie eine Fille d'honneur der Königin von Saba hätte vorstellen können. Schnüre von großen feinen Perlen zwischen den Locken, und um Hals und Arme; ein Gewand voll schön gebrochner Falten, von dünnem feuerfarbnem Atlaß mit Streifen von welcher Farbe ihr wollt, unter ihrem Busen von einem reichgestickten Gürtel zusammengehalten, den eine Agraffe von Smaragden schloß; und – was weiß ich alles –
»Der Anzug war reich genug.«
Wenigstens können Sie mir glauben, daß, so wie sie war, kein Prinz von Senegal, Angola, Gambia, Congo und Loango sie ungestraft angesehen hätte.
»Aber –«
Ich sehe wohl, daß Sie noch nicht am Ende Ihrer Fragen sind. – Wer war denn diese Gulleru? War es eben die, von welcher vorhin gesprochen wurde? Wie kam Demokritus zu ihr? Auf welchen Fuß lebte sie in seinem Hause? – Ich gesteh' es, dies sind sehr billige Fragen; aber sie zu beantworten, seh' ich vor der Hand keine Möglichkeit. Denken Sie nicht, daß ich hier den Verschwiegnen machen wolle, oder daß ein besonderes Geheimnis unter der Sache stecke. Die Ursache, warum ich sie nicht beantworten kann, ist die aller simpelste von der Welt. Tausend Schriftsteller befinden sich tausendmal in dem nämlichen Falle; nur ist unter Tausend kaum einer aufrichtig genug, in solchen Fällen die wahre Ursache zu bekennen. Soll ich Ihnen die meinige sagen, Sie werden gestehen, daß sie über alle Einwendung ist. Denn, kurz und gut, – ich weiß selbst kein Wort von allem dem, was Sie von mir wissen wollen; und da ich nicht die Geschichte der schönen Gulleru schreibe, so begreifen Sie, daß ich in Absicht auf diese Dame zu nichts verbunden bin. Sollte sich (was ich nicht vorhersehen kann,) etwa in der Folge Gelegenheit finden, von Demokritus oder von ihr selbst etwas näheres zu erkundigen: so verlassen Sie sich darauf, daß Sie alles von Wort zu Wort erfahren sollen.
Siebentes Kapitel
Patriotismus der Abderiten
Ihre Vorneigung für Athen als ihre Mutterstadt
Ein paar Proben von ihrem Atticismus, und von der unangenehmen Aufrichtigkeit des weisen Demokritus
Demokritus hatte noch keinen Monat unter den Abderiten gelebt, als er ihnen, und zuweilen auch sie ihm, schon so unerträglich waren, als Menschen einander sein müssen, die mit ihren Begriffen und Neigungen alle Augenblicke wider einander stoßen.
Die Abderiten hegten von sich selbst und von ihrer Stadt und Republik eine ganz außerordentliche Meinung. Ihre Unwissenheit alles dessen, was außerhalb ihrem Gebiet in der Welt Merkwürdiges sein oder geschehen möchte, war zugleich eine Ursache und eine Frucht dieses lächerlichen Dünkels.
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