Die gesunde Vernunft ist nicht für so warme Köpfe gemacht, wie der deinige. Wie leicht, wenn du mich zu verstehen fähig gewesen wärest, hättest du dir den Einwurf selbst beantworten können, daß die Grundsätze der Sophisten und Weltleute verderblich wären, wenn sie allgemein würden? Die Natur hat schon davor gesorgt, daß sie nicht allgemein werden, – doch ich würde mir selbst lächerlich sein, wenn ich deine begeisterte Apostrophe beantworten, oder dir zeigen wollte, wie sehr auch der Affect der Tugend das Gesicht verfälschen kann. Sei tugendhaft, Callias; fahre fort dich um den Beifall der Geister, und die Gunst der Eherischen Schönen zu bewerben; rüste dich, dem Ungemach, das dein Platonismus dir in dieser Unterwelt zuziehen wird, großmütig entgegen zu gehen, und tröste dich, wenn du Leute siehst, die niedrig genug sind, sich an irdischen Glückseligkeiten zu weiden, mit dem frommen Gedanken, daß sie in dem andern Leben, wo die Reihe an dich kommt, glücklich zu sein, sich in den Flammen des Phlegeton wälzen werden.
Mit diesen Worten stund Hippias auf, warf einen verächtlich mitleidigen Blick auf den Agathon, und wandte ihm den Rücken zu, um ihm mit einer unter seines gleichen gewöhnlichen Höflichkeit zu verstehen zu geben, daß er sich zurückziehen könne.
Viertes Buch
Erstes Capitel
Geheimer Anschlag, den Hippias gegen die Tugend unsers Helden macht
Wir vermuten, daß es einigen Lesern scheinen werde, Hippias habe in seinem Discurs bei Agathon einen größern Mangel von Erfahrung und Kenntnis der Welt vorausgesetzt, als er, nach allem, was bereits mit ihm vorgegangen war, haben konnte. Wir müssen also zur Entschuldigung dieses Weisen sagen, daß Agathon, aus Ursachen die uns unbekannt geblieben, für gut befunden habe, von dem glänzenden Teil seiner Begebenheiten, und sogar von seinem Namen ein Geheimnis zu machen. Denn sein Name war durch die Rolle, die er zu Athen gespielt hatte, in den griechischen Städten allzubekannt worden, als daß er es nicht auch dem Hippias hätte sein sollen; ob dieser gleich, seit dem er in Smyrna wohnte, sich wenig um die Staatsangelegenheiten der Griechen bekümmerte, die er in den Händen seiner Freunde und Schüler ganz wohl versorgt hielte. Da nun Agathon so sorgfältig gewesen war, ihm alles zu verbergen, was einigen Verdacht hätte erwecken können, daß er jemals etwas mehr als ein Aufwärter in dem Tempel zu Delphi gewesen; so konnte Hippias mit desto besserm Grunde voraussetzen, daß er noch ein vollkommner Neuling in der Welt sei, als weder die Denkungsart noch das Betragen dieses jungen Menschen so beschaffen war, daß ein Kenner auf günstigere Gedanken hätte gebracht werden sollen. Leute von seiner Art können, in der Tat zehen Jahre hinter einander in der großen Welt gelebt haben, ohne daß sie dieses fremde und entlehnte Ansehen verlieren, welches beim ersten Blick verkündiget, daß sie hier nicht einheimisch sind; geschweige, daß sie fähig wären, sich jemals zu dieser edeln Freiheit von den Fesseln der gesunden Vernunft, zu dieser weisen Gleichgültigkeit gegen alles was die schwärmerischen Seelen Empfindung nennen, und zu dieser verzärtelten Feinheit des Geschmacks zu erheben, wodurch die Weltleute sich auf eine so vorteilhafte Art unterscheiden. Solche Leute können wohl Beobachtungen machen; allein da ihnen dieser Instinct, dieses sympathetische Gefühl mangelt, mittelst dessen jene einander so schnell und zuverlässig ausfündig machen; oder deutlicher zu reden, da sie von allem auf eine andre Art gerührt werden, als jene; und sich, so sehr sie sich auch anstrengten, niemals an ihre Stelle setzen können: so bleiben sie doch immer in einem unbekannten Lande, wo ihre Erkenntnis nur bei Mutmaßungen stehen bleibt, und ihre Erwartung alle Augenblicke durch unbegreifliche Zufälle und unverhoffte Veränderungen betrogen wird. Mit allen seinen Vorzügen war Agathon doch in eben dieser Classe, und es ist also kein Wunder, daß er, ungeachtet der tiefen Betrachtungen die er über seine Unterredung mit dem Hippias bei sich selbst anstellte, sehr weit entfernt war, die Gedanken zu erraten, womit dieser Sophist izt umging, dessen Eitelkeit durch den schlechten Fortgang seines Vorhabens, und den Eigensinn dieses seltsamen Jünglings weit mehr beleidiget war, als er sich hatte anmerken lassen. Agathon, wenn er das würklich wäre, was er zu sein schien, wäre (dachte der weise Mann nicht ohne Grund) eine lebendige Widerlegung seines Systems. Wie? sagte er zu sich selbst, (ein Umstand, der ihm selten begegnete) ich habe mehr als vierzig Jahre in der Welt gelebt, und unter einer unendlichen Menge von Menschen von allen Ständen und Classen, nicht einen einzigen angetroffen, der meine Begriffe von der menschlichen Natur nicht bestätiget hätte, und dieser junge Mensch sollte mich noch an die Tugend glauben lehren? Es kann nicht sein; er ist ein Phantast oder ein Heuchler. Was er auch sein mag, ich will es ausfündig machen. – – Gut! Das ist ein vortrefflicher Einfall! Ich will ihn auf eine Probe stellen, wo er unterliegen muß, wenn er ein Schwärmer, und wo er die Maske ablegen wird, wenn er ein Comödiant ist. Er hat gegen Cyane ausgehalten, dies hat ihn stolz und sicher gemacht. Aber das beweist noch nichts. Wir wollen ihn auf eine stärkere Probe setzen; wenn er in dieser den Sieg erhält, so muß er – ja, so will ich meine Nymphen entlassen, mein Haus den Priestern der Cybele vermachen, und an den Ganges ziehen, und in der Höhle eines alten Palmbaums, mit geschloßnen Augen und den Kopf zwischen den Knien, so lange in der nämlichen Positur sitzen bleiben, bis ich, allen meinen Sinnen zu trotz, mir einbilde, daß ich nicht mehr bin! – Dies war ein hartes Gelübde; auch hielt sich Hippias sehr überzeugt, daß es so weit nicht kommen würde, und damit er keine Zeit versäumen möchte; so machte er noch an demselbigen Tag Anstalt, seinen Anschlag auszuführen.
Zweites Capitel
Hippias stattet einer Dame einen Besuch ab
Die Damen zu Smyrna hatten damals eine Gewohnheit, welche ihrer Schönheit mehr Ehre machte als ihrer Sittsamkeit. Sie pflegten sich in den warmen Monaten gemeiniglich alle Nachmittage eines kühlenden Bades zu bedienen, und, um keine lange Weile zu haben, nahmen sie um diese Zeit die Besuche derjenigen Mannspersonen an, die das Recht eines freien Zutritts in ihren Häusern hatten. Diese Gewohnheit war in Smyrna eben so unschuldig als es der Gebrauch bei unsern westlichen Nachbarinnen ist, Mannspersonen bei der Toilette um sich zu haben; auch kam diese Freiheit nur den Freunden zu statten, und, den besondern Fall ausgenommen, wenn die hartnäckige Blödigkeit eines noch unerfahrnen Neulings einiger Aufmunterung nötig hatte, waren die Liebhaber gänzlich davon ausgeschlossen. Unter einer großen Anzahl von Schönen, bei denen der weise Hippias dieses Vorrecht genoß, war auch eine, die unter dem Namen Danae den ersten Rang in derjenigen Classe von Frauenzimmern einnahm, die man bei den Griechen Freundinnen, oder noch eigentlicher Gesellschafterinnen zu nennen pflegte. Diese Gattung von Damen war damals unter ihrem Geschlecht, was die Sophisten unter dem männlichen; sie stunden in keiner geringern Achtung, und konnten sich rühmen, daß die vollkommensten Modelle aller Vorzüge ihres Geschlechts, wenn man die strenge Tugend ausnimmt, die Aspasien, die Leontium und die Phrynen sich kein Bedenken machten von ihrem Orden zu sein. Was die Danae betrifft, so machten die Mannspersonen zu Smyrna kein Geheimnis daraus, daß sie, ihrem Urteil nach, an Schönheit und Artigkeit alle andre Frauenzimmer, galante und spröde, tugendhafte und andächtige, übertreffe. Es ist wahr, die Geschichte meldet nicht, daß die Damen sich sehr beeifert hätten, das Urteil der Mannspersonen durch ihren öffentlichen Beitritt zu bestätigen; allein soviel ist gewiß, daß keine unter ihnen war, die sich selbst nicht gestanden hätte, daß, eine einzige Person ausgenommen, die sie niemals öffentlich nennen wollten, die schöne Danae alle übrigen eben so weit übertreffe, als sie von dieser einzigen Ungenannten übertroffen werde. In der Tat war ihr Ruhm von dieser Seite so festgesetzt, daß man das Gerücht nicht unwahrscheinlich fand, welches versicherte, daß sie in ihrer ersten Jugend den berühmtesten Malern zum Modell gedient habe; und daß sie bei einer solchen Gelegenheit den Namen erhalten, unter welchem sie in Jonien berühmt war. Izo hatte sie zwar das dreißigste Jahr schon zurückgelegt, allein ihre Schönheit hatte dadurch mehr gewonnen als verloren; und der blendende Jugendglanz, der mit dem Mai des Lebens zu verschwinden pflegt, wurde durch tausend andre Reizungen ersetzt, welche ihr, nach dem Urteil der Kenner, eine gewisse Anziehungskraft gaben, die man, ohne sich eines schwülstigen Ausdrucks schuldig zu machen, in gewissen Umständen für unwiderstehlich halten konnte. Dem ungeachtet scheute sich, unter der Aegide der Gleichgültigkeit, worin ihn damals ordentlicher Weise auch die schönsten Figuren zulassen pflegten, der weise Hippias nicht, seine Tugend öfters dieser Gefahr auszusetzen. Er war der schönen Danae unter dem Titel eines Freundes vorzüglich angenehm, und die geheime Geschichte sagt so gar, daß sie ihn ehmals nicht unwürdig gefunden, ihm eine Zeitlang eine noch interessantere Stelle, bei ihrer Person anzuvertrauen; eine Stelle die nur von den liebenswürdigsten seines Geschlechts bekleidet zu werden pflegte. Diese Dame war es, deren Beihülfe Hippias sich zu Ausführung seines Anschlags wider den Agathon bedienen wollte, dessen schwärmerische Tugend, seinen Gedanken nach, eine Beschimpfung seiner Grundsätze war, die er viel weniger leiden konnte, als die allerscharfsinnigste Widerlegung in forma. Er begab sich also zu der gewöhnlichen Stunde zu ihr, und war kaum in den Saal getreten, wo sie sich befand, und in den Bedürfnissen des Bades, von zween jungen Knaben, welche eher ein paar Liebesgötter zu sein schienen, bedient wurde als sie schon in seinem Gesicht etwas bemerkte, das mit seiner gewöhnlichen Heiterkeit einen Absatz machte. Was hast du, Hippias, sagte sie zu ihm, daß du eine so tiefsinnige Mine mitbringst? Ich weiß nicht, antwortete er, warum ich tiefsinnig aussehen sollte, wenn ich eine Dame im Bade besuche; aber das weiß ich, daß ich dich noch nie so schön gesehen habe, als in diesem Augenblick. Gut, sagte sie, das beweist, daß ich recht geraten habe.
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