Wahrhaft groß sein, heißt,

Nicht ohne großen Gegenstand sich regen, –

Doch einen Strohhalm selber groß verfechten,

Wenn Ehre auf dem Spiel. Wie steh' denn ich,

Den seines Vaters Mord, der Mutter Schande,

Antriebe der Vernunft und des Geblüts,

Den nichts erweckt? Ich seh' indes beschämt

Den nahen Tod von zwanzigtausend Mann,

Die für 'ne Grille, ein Phantom des Ruhms,

Zum Grab gehn wie ins Bett: es gilt ein Fleckchen,

Worauf die Zahl den Streit nicht führen kann;

Nicht Gruft genug und Raum, um die Erschlagnen

Nur zu verbergen. Oh, von Stund' an trachtet

Nach Blut, Gedanken, oder seid verachtet!

Ab.

 

 

Fünfte Szene.

Helsingör. Ein Zimmer im Schlosse.

Die Königin und Horatio treten auf.

 

KÖNIGIN.

– Ich will nicht mir ihr sprechen.

HORATIO.

Sie ist sehr dringend; wirklich, außer sich.

Ihr Zustand ist erbarmenswert.

KÖNIGIN.

Was will sie?

HORATIO.

Sie spricht von ihrem Vater; sagt, sie höre,

Die Welt sei schlimm, und ächzt und schlägt die Brust;

Ein Strohhalm ärgert sie; sie spricht verworren

Mit halbem Sinn nur: ihre Red' ist nichts,

Doch leitet ihre ungestalte Art

Die Hörenden auf Schlüsse; man errät,

Man stückt zusammen ihrer Worte Sinn,

Die sie mit Nicken gibt, mit Winken, Mienen,

So daß man wahrlich denken muß, man könnte

Zwar nichts gewiß, jedoch viel Arges denken.

KÖNIGIN.

Man muß doch mit ihr sprechen: sie kann Argwohn

In Unheil brütende Gemüter streun.

Laßt sie nur vor!

 

Horatio ab.

 

Der kranken Seele, nach der Art der Sünden,

Scheint jeder Tand ein Unglück zu verkünden.

Von so betörter Furcht ist Schuld erfüllt,

Daß, sich verbergend, sie sich selbst enthüllt.

 

Horatio kommt mit Ophelia.

 

OPHELIA.

Wo ist die schöne Majestät von Dänmark?

KÖNIGIN.

Wie geht's, Ophelia?

OPHELIA singt.

Wie erkenn' ich dein Treu-lieb

Vor den andern nun?

An dem Muschelhut und Stab

Und den Sandelschuh'n.

KÖNIGIN.

Ach, süßes Fräulein, wozu soll dies Lied?

OPHELIA.

Was beliebt? Nein, bitte, hört!

 

Singt.

 

Er ist lange tot und hin,

Tot und hin, Fräulein!

Ihm zu Häupten ein Rasen grün,

Ihm zu Fuß ein Stein.

Oh!

KÖNIGIN.

Aber sagt, Ophelia –

OPHELIA.

Bitt' Euch, hört:

 

Singt.

 

Sein Leichenhemd weiß wie Schnee zu sehn –

 

Der König tritt auf.

 

KÖNIGIN. Ach, mein Gemahl, seht hier!

OPHELIA singt.

Geziert mit Blumensegen,

Das unbetränt zum Grab mußt' gehn

Von Liebesregen.

KÖNIG. Wie geht's Euch, holdes Fräulein?

OPHELIA. Gottes Lohn! recht gut! Sie sagen, die Eule war eines Bäckers Tochter. Ach, Herr! wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir werden können. Gott segne Euch die Mahlzeit!

KÖNIG. Anspielung auf ihren Vater.

OPHELIA. Bitte, laßt uns darüber nicht sprechen; aber wenn sie Euch fragen, was es bedeutet, so sagt nur:

 

Singt.

 

Auf morgen ist Sankt Valentins Tag,

Wohl an der Zeit noch früh,

Und ich, 'ne Maid, am Fensterschlag

Will sein Eu'r Valentin.

Er war bereit, tät an sein Kleid,

Tät auf die Kammertür,

Ließ ein die Maid, die als 'ne Maid

Ging nimmer mehr herfür.

KÖNIG. Holde Ophelia!

OPHELIA. Fürwahr, ohne Schwur, ich will ein Ende machen:

 

Singt.

 

Bei unsrer Frau und Sankt Kathrin!

O pfui! was soll das sein?

Ein junger Mann tut's, wenn er kann,

Beim Himmel, 's ist nicht fein.

Sie sprach: Eh' Ihr gescherzt mit mir,

Gelobt Ihr mich zu frein.

Er antwortet:

Ich bräch's auch nicht, beim Sonnenlicht!

Wärst du nicht kommen herein.

KÖNIG. Wie lang' ist sie schon so?

OPHELIA. Ich hoffe, alles wird gut gehn. Wir müssen geduldig sein: aber ich kann nicht umhin zu weinen, wenn ich denke, daß sie ihn in den kalten Boden gelegt haben. Mein Bruder soll davon wissen, und so dank' ich Euch für Euren guten Rat. Kommt, meine Kutsche! Gute Nacht, Damen! gute Nacht, süße Damen! gute Nacht! gute Nacht! Ab.

KÖNIG. Folgt auf dem Fuß ihr doch: bewacht sie recht!

 

Horatio ab.

 

Oh, dies ist Gift des tiefen Grams: es quillt

Aus ihres Vaters Tod. Und seht nun an,

O Gertrud! Gertrud! wenn die Leiden kommen,

So kommen sie wie einzle Späher nicht,

Nein, in Geschwadern. Ihr Vater umgebracht;

Fort Euer Sohn, er selbst der wüste Stifter

Gerechten eignen Banns; das Volk verschlämmt,

Schädlich und trüb im Wähnen und Vermuten

Vom Tod des redlichen Polonius;

Und töricht war's von uns, so unterm Husch

Ihn zu bestatten; dann dies arme Kind,

Getrennt von sich und ihrem edlen Urteil,

Ohn' welches wir nur Bilder sind, nur Tiere.

Zuletzt, was mehr als alles in sich schließt:

Ihr Bruder ist von Frankreich insgeheim

Zurückgekehrt, nährt sich mit seinem Staunen,

Hält sich in Wolken, und ermangelt nicht

Der Ohrenbläser, um ihn anzustecken

Mit gift'gen Reden von des Vaters Tod;

Wobei Verlegenheit, an Vorwand arm,

Sich nicht entblöden wird, uns zu verklagen

Von Ohr zu Ohr. O liebste Gertrud, dies

Gibt wie ein Traubenschuß an vielen Stellen

Mir überflüss'gen Tod.

 

Lärm hinter der Szene.

 

KÖNIGIN.

O weh! was für ein Lärm?

 

Ein Edelmann kommt.

 

KÖNIG.

Herbei! Wo sind die Schweizer? Laßt die Tür bewachen!

Was gibt es draußen?

EDELMANN.

Rettet Euch, mein Fürst:

Der Ozean, entwachsend seinem Saum,

Verschlingt die Nied'rung ungestümer nicht,

Als an der Spitze eines Meuterhaufens

Laertes Eure Diener übermannt.

Der Pöbel nennt ihn Herrn, und gleich als finge

Die Welt erst an, als wär' das Altertum

Vergessen, und Gewohnheit nicht bekannt,

Die Stützen und Bekräft'ger jedes Worts,

Schrein sie: »Erwählen wir! Laertes werde König!«

Und Mützen, Hände, Zungen tragen's jubelnd

Bis an die Wolken: »König sei Laertes!

Laertes König!«

KÖNIGIN.

Sie schlagen lustig an auf falscher Fährte.

Verkehrt gespürt, ihr falschen Dänenhunde!

 

Lärm hinter der Szene.

 

KÖNIG.

Die Türen sind gesprengt.

 

Laertes kommt bewaffnet. Dänen hinter ihm.

 

LAERTES.

Wo ist denn dieser König? – Herrn, bleibt draußen!

DÄNEN.

Nein, laßt uns mit herein!

LAERTES.

Ich bitt', erlaubt mir!

DÄNEN.

Gut, wie Ihr wollt.

 

Sie ziehen sich hinter die Tür zurück.

 

LAERTES.

Dank euch! Besetzt die Tür! –

Du schnöder König, gib mir meinen Vater!

KÖNIGIN.

Guter Laertes, ruhig!

LAERTES.

Der Tropfe Bluts, der ruhig ist, erklärt

Für Bastard mich; schilt Hahnrei meinen Vater,

Brandmarkt die Metze meiner treuen Mutter

Hier zwischen ihre reinen keuschen Brau'n.

KÖNIG.

Was ist der Grund, Laertes, daß dein Aufstand

So riesenmäßig aussieht? – Laßt ihn, Gertrud,

Befürchtet nichts für unsere Person:

Denn solche Göttlichkeit schirmt einen König:

Verrat, der nur erblickt, was er gewollt,

Steht ab von seinem Willen. – Sag, Laertes,

Was bist du so entrüstet? – Gertrud, laßt ihn! –

Sprich, junger Mann!

LAERTES.

Wo ist mein Vater?

KÖNIG.

Tot.

KÖNIGIN.

Doch nicht durch ihn.

KÖNIG.

Laßt ihn nur satt sich fragen!

LAERTES.

Wie kam er um? Ich lasse mich nicht äffen.

Zur Hölle, Treu'! Zum ärgsten Teufel, Eide!

Gewissen, Frömmigkeit, zum tiefsten Schlund!

Ich trotze der Verdammnis; so weit kam's:

Ich schlage beide Welten in die Schanze,

Mag kommen, was da kommt! Nur Rache will ich

Vollauf für meinen Vater.

KÖNIG.

Wer wird Euch hindern?

LAERTES.

Mein Wille, nicht der ganzen Welt Gebot:

Und meine Mittel will ich so verwalten,

Daß wenig weit soll reichen.

KÖNIG.

Hört, Laertes,

Wenn Ihr von Eures teuren Vaters Tod

Das Sichre wissen wollt: ist's Eurer Rache Schluß,

Als Sieger in dem Spiel, so Freund als Feind,

Gewinner und Verlierer fortzureißen?

LAERTES.

Nur seine Feinde.