Die Totenstille des Erstaunens verwandelte sich plötzlich in ein heftiges Geschrei, weil jeder zuerst reden und zu Protokoll geben wollte, er habe in gestriger Sitzung gegen die Verhaftung des Staatsbaumeisters protestiert. Keiner war dabei verlegener als der arme Stadtschreiber Mucker. Während die andern in Lobeserhebungen des göttlichen Hans Dampf ausbrachen, den sie den Stolz und die Zierde ihrer Vaterstadt nannten, während sie herrechneten, was sie ihm den Abend vorher aus treuer Anhänglichkeit durchs Gitterloch des Staatsgefängnisses von köstlichen Speisen und Getränken zugesteckt hatten, kaute Mucker seine Schreibfeder zuschanden und machte Pläne, sich mit dem Erbfeind zu versöhnen.
Er trug also zuerst darauf an, eine Deputation des Rates müsse den fürstlichen Hofrat aus dem Gefängnis abholen und im Triumph zum Rathaus führen; hier müsse wegen gestrigen Mißverständnisses förmlich um Verzeihung gebeten, dem Hofrat der Ehrenplatz zur Rechten des regierenden Bürgermeisters eingeräumt und ihm das fürstliche Schreiben vorgelesen werden; dann wollte und sollte er, der Stadtschreiber nämlich, feierliche Abbitte tun und sich und die Vaterstadt in die Gewogenheit des erhabenen Mitbürgers empfehlen, damit Hans Dampf nicht gegen Lalenburg wie Koriolan einst gegen Rom zöge.
Man muß sich über diesen plötzlichen Umschwung der Gesinnungen gar nicht wundern. Mit den Umständen änderten sich bei ihnen Grundsätze, Freundschaften, Feindschaften, Versprechungen, Schwüre und Neigungen so sehr, daß die, welche gestern, im Glück aufgeblasen, dem andern Fußtritte gaben, heute vor dem Gleichen untertänigst auf allen vieren krochen. Das hieß bei ihnen Weltlauf, Politik und Feinheit, und sie befanden sich recht wohl dabei, so schief es auch oft dabei ging.
Hans Dampf
Hans Dampf, der seine Mitbürger sehr gut kannte, saß wohlgemut und furchtlos zu Hause, wo ihn seine alte Haushälterin verpflegte. Er wußte sehr gut, daß in wenigen Tagen alles anders werden könnte, daß seine lieben Lalenburger, groß in Worten, klein in Taten, ihm, auch wenn er entdeckt werden sollte, kein Haar krümmen würden. Ohnehin tröstete ihn sein gutes Gewissen, denn er hatte dem Fürsten von Luchsenstein noch nie eine Fliege totgeschlagen.
Wie er aber von der treuen Haushälterin, die von Zeit zu Zeit ausging, Staatsneuigkeiten und Ratsverhandlungen zu erfahren, die seltsame Mär hörte, er sei zum Hofrat des Fürsten ernannt, um dessen Leibhund Unterricht in der deutschen Grammatik zu geben, die Ratsdeputation habe ihm im Staatsgefängnis vergebens ihre Aufwartung gemacht, die ganze Stadt wäre in außerordentlicher Bestürzung, sowohl wegen seines Verschwindens als wegen der unergründlichen Art desselben, da, aufs genaueste untersucht, Mauer-und Gitterwerk, Nägel und Amtssiegel unversehrt gefunden worden, so bereute er fast seine Flucht. Um also die Sache so bald als möglich ins Gleis zu bringen, kleidete er sich aufs prächtigste, zündete seine Tabakspfeife an, legte sich damit weit ins offene Fenster, rauchte ganz harmlos und grüßte freundlich die Vorübergehenden. Er erreichte damit seinen Zweck, denn jeder blieb stehen und gaffte verwundert herauf. Das Gerücht flog wetterschnell durch die Stadt, der wunderbar verschwundene Hofrat rauche zum Fenster heraus seine Pfeife; alles lief hin, sich von der Wahrheit des Gerüchtes selbst zu überzeugen, je weniger man daran glaubte. In einer halben Stunde war die Gasse gedrängt voller Menschen von einem Ende bis zum andern; die Honoratioren der Stadt, in die Nachbarschaft zu Bekannten und Freunden geeilt, sahen rechts und links gegenüber Kopf an Kopf gedrängt zu den Fenstern heraus, während Schornsteinfeger, Maurer Zimmerleute und freche Buben ihre bequemen Plätze auf den Dächern gegenüberstehender Häuser wählten, den neuen Hofrat zu sehen, der mit eben so großer Neugier und Freude das Volksgewimmel betrachtete, wie er von demselben angestaunt wurde.
Mit unsäglicher Mühe arbeitete sich die Ratsdeputation durch das Gewühl der Gaffer zu seinem Hause. Er empfing sie mit herablassender Huld. Der Bürgermeister selbst hatte sich nun an ihre Spitze gestellt und eröffnete seine Rede mit den Worten: »Hoch- und wohlgeborner Herr fürstlicher Hofrat! Leider ist in unserer teuren Vaterstadt wahr geworden, was jener spricht: ›Kein Prophet gilt weniger als in seinem Vaterlande.‹« Aus diesem Text spann der Konsul nun eine lange Glückwunschsrede, die sich mit schmeichelnden Komplimenten und Entschuldigungen wegen der gestrigen Übereilung eines wohlweisen Rates endete. Darauf ward das Schreiben des Fürsten überreicht. Alle Ratsherren weinten Freudentränen. Der potenzierte Staatsbaumeister hielt ihm nun eine vortreffliche Gegenrede, die so lange währte, bis sich das Volk auf den Straßen verlaufen und die Deputation vollkommen aufgehört hatte, Freudentränen zu vergießen. Dann erschien der fürstliche Kutscher und meldete, daß Se. Durchlaucht befohlen, der Hofrat solle noch diesen Abend sich in der Residenz zur Audienz einfinden.
Da war nun nicht zu säumen. Der entzückte Hans Dampf packte ein und saß nach einer Stunde schon in der fürstlichen Kutsche. Eine ungeheure Volksmenge war wieder versammelt, ihn einsteigen zu sehen. Jeder nahm in tiefer Ehrerbietung den Hut oder die Kappe bei dem Anblick des goldverbrämten Kutschers und des bestäubten Reisewagens ab. Denn so stolz auch jeder Lalenburger auf seine republikanische Unabhängigkeit und Freiheit war, und wiewohl auch der ärmste Teufel sich als freier Bürger einem König gleich dünkte, hatte doch jeder Lalenburger immerdar eine geziemende knechtische Ehrfurcht vor allem, was fürstlich war.
Hans Dampf mußte noch den gleichen Abend zu Sr. Durchlaucht. Fürst Nikodemus war ein vortrefflicher Herr, dem nur ein Kaisertum fehlte, um einer der größten Monarchen zu sein; so aber war er nur ein kleiner mit großen Schulden. Zu seinen edelsten Vergnügungen rechnete er wie billig die Jagd, und daraus läßt sich erklären, daß an seinem Hofe mehr Hunde als Menschen lebten. Gesellschaften liebte er sonst nicht. Obwohl er eigentlich kein Menschenfeind war, äußerte er doch manchmal in vertrauten Zirkeln, daß er viel darum geben würde, wenn er, mit Ausnahme des Jagdpersonals, alle seine lieben und treuen Untertanen in Hirsche, Rehe, Wildschweine, Hasen, wilde Gänse, Enten, Schnepfen, Rebhühner und dergleichen verwandeln könnte. Er glaubte, sie würden ihm dann mehr Vergnügen machen und Nutzen bringen.
»Hör Er einmal!« redete der Fürst seinen neugeschaffenen Hofrat an, der ihm in untertänigster Untertänigkeit den Rockzipfel küßte: »Ist Er's also, der die Hunde sprechen lehren kann? Sieht er hier die Fidele? Schade, daß das arme Tier sich nicht mündlich auszudrücken versteht; aber auf Ehre, was ich dem Geschöpf sage, begreift es.« Darauf befahl Nikodemus dem Hunde auf deutsch, französisch und italienisch allerlei, und der Hund vollzog die Aufträge mit bewundernswürdiger Pünktlichkeit.
»He, was sagt Er dazu?« fragte der Fürst mit freudeglänzenden Augen.
»Wie Ew. Durchlaucht befehlen!« antwortete der Lalenburger.
»Hofft Er die Fidele zum Sprechen zu bringen?«
»Wenn man uns beiden Zeit genug läßt –«
»Daran soll es nicht fehlen. Hör' Er einmal, fange Er nur mit dem Deutschen an.
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