Ihn führte sein Schicksal sehr ungelegen aus dem Ratskeller dieses Weges am Unglückswagen vorbei. Herr Pretzel packte den edeln Oberzunftmeister mit so fürchterlicher Inbrunst und umklammerte ihn so fest, daß er sich nicht regen konnte. Eine Riesenschlange hätte ihn nicht mächtiger umwickeln können. Dabei schrie der Töpfer mit einer Stimme, die weit hinaus über Tore und Ringmauern der Stadt vernommen werden konnte: »Zur Hilfe! Räuber, Mörder, Diebe!«
Der bedrängte Oberzunftmeister, welcher in der Tat größere Ursache hatte, zu solchen Ausrufungen seine Zuflucht zu nehmen, versäumte sie auch nicht. Freventlicher war nie ein Landfriede gebrochen worden. Im Gefühl seiner Unschuld und Todesgefahr schrie er wetteifernd mit dem Wüterich, der ihm fast die Rippen brach: »Mordio! Feurio! Banditen, Mörder, Straßenräuber!«
Dies Geschrei, dergleichen man seit einem vollen Jahrhundert nicht in Lalenburg gehört hatte, verbreitete über die ganze Nachbarschaft einen panischen Schrecken. Jedermann verriegelte in größter Behendigkeit Haustüren und Fensterladen von innen, weil man eine ganze Diebesbande oder den in anderen Ländern Mode gewordenen Ausbruch einer Revolution in den Straßen vermutete. Und wer auf den Gassen wandelte, floh eilfertig in entgegengesetzter Richtung davon, um den Mördern nicht unter die Fäuste zu kommen. Die Stadtwachen an den Toren, meistens alte, gichtbrüchige Leute, denen der löbliche Magistrat das Gnadenbrot gab, ergriffen zitternd ihre Hellebarden, flohen ins Wachthaus, verrammelten sich darin aufs beste und schworen, alle für einen und einer für alle zu sterben, wenn man sie überfallen und angreifen würde. Der Stadt- und Platzmajor Knoll, welcher zufälligerweise auf dem Heimweg zu seiner Behausung den Lärmen vernahm und das Durcheinanderrufen von Mördern und Räubern, glaubte daran, riß den langen Federbusch von seinem Hut, damit ihn keiner von der Bande für eine Militärperson halte, und flüchtete keuchend in den Ratskeller zurück.
Da nun auf diese Weise den Kämpfern niemand zu Hilfe kam, hörten sie nach einer guten Viertelstunde auf zu schreien, weil ihre Stimmen ziemlich heiser geworden waren. Sie hatten inzwischen ihre Kräfte auf mannigfaltige Weise gegeneinander versucht; mehr als einmal nebeneinander auf dem Erdboden gelegen, mehr als einmal das Gefecht erneuert, ohne daß einer den entscheidenden Sieg errungen hätte. Beide des fruchtlosen Kampfes satt, wollte doch keiner den andern fahren lassen. Sie schleppten einander, jeder in gleicher Absicht, zu einem benachbarten Hause, wo ein Metzger wohnte, der beider Gevatter war. Nach langem Bitten, daß man ihnen die Tür öffne, geschah es. Der Metzger glaubte, in den bekannten Stimmen Mitbürger zu hören, die dem Blutbade auf der Gasse glücklich entronnen wären. Als sich endlich beim hellen Kerzenschein der Schuhmacher und der Töpfer erkannten, erneuerten sie ohne Zeitverlust mit verdoppeltem Zorn ihre Balgerei. Denn sie waren von der Zunft her noch alte Feinde, und jeder glaubte zuverlässig, der andere habe ihm aus Rache einen bösen Streich spielen wollen.
Inzwischen war Hans Dampf in Angst und Schrecken zur Stadt hinausgelaufen, aus gerechter Furcht vor dem Eigentümer der zermalmten Töpfe, von dem er sich verfolgt glaubte. Er vergaß Rosinen und Mandeln und alles Konfekt der Verlobung und Katharinen am Fenster und ihr Entsetzen beim Anblick des leeren Brettes. Er irrte den ganzen Abend umher und fand, da er mit einiger Sicherheit heimkehren zu können glaubte, die Stadttore fest verschlossen. Dies beruhigte ihn ungemein, denn nun überzeugte er sich, daß auch sein Verfolger eingesperrt sei. Er übernachtete also in einem Wirtshause außer der Stadt, wo er vorgab, sich auf einem Spaziergang verspätet zu haben.
Hans Dampf
Folgenden Morgens kehrte er zu guter Zeit in die Stadt zurück, nicht ohne Herzklopfen. Teils konnte der stolze Seckelmeister Piphan sein Ausbleiben von der Verlobung übelgedeutet, teils ihn irgend ein Umstand dem Töpfermeister Pretzel verraten haben als Urheber alles Unheils in seinem Marktkram. Inzwischen hoffte er sich auf jeden Fall mit der ihm eigenen edeln Dreistigkeit durchzuhelfen.
Noch schlief in Lalenburg alles gar friedlich. Wie er aber zu seinem Hause kam, fand er vor demselben drei Eilboten eines benachbarten Dorfes, die schon seit mehreren Stunden auf ihn warteten. Der erste meldete hastig, daß im Dorfe Feuer ausgebrochen sei und man ihn dringend ersuche, die Spritzen zu senden, da er die Schlüssel zum Spritzenhaus habe. Der andere meldete, es wären schon drei Häuser niedergebrannt, doch aber schon mehrere Feuerspritzen aus den umliegenden Gegenden angelangt. Der dritte zeigte an, die Brunst sei glücklich seit einer halben Stunde gelöscht.
Hans Dampf strich nachdenkend das Kinn und sprach zu den Bauern, die mit ehrerbietig entblößten Häuptern vor ihm standen: »Ihr Esel, wenn euer ganzes Dorf abgebrannt wäre, so würde es eure Schuld sein. Denn ihr hättet zu rechter Zeit kommen müssen, ehe das Feuer angegangen, damit ich zu rechter Zeit dazu hätte tun können. In dem Fall würde ich nicht ausgegangen und nicht nachts über Land gewesen sein. Doch ist es gut, daß das Feuer nun gelöscht ist.
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