Ein anderes Mal meldet euch vor Ausbruch desselben, damit man auch Zeit genug habe, die Spritzen vorher zu probieren. So geht denn heim und sagt euern Vorstehern meinen Bescheid.«
Er hatte sie kaum entlassen und sein Frühstück eingenommen, als ihn einer seiner Vettern besuchte, der sich den gestrigen Verlobungsschmaus hatte behagen lassen. Er kam aber mit Aufträgen des Herrn Seckelmeisters Piphan, welchen das Ausbleiben des Staatsbaumeisters so sehr empört hatte, daß er demselben höflichst melden ließ, aus Verlobung, Heirat und Schwiegersohnschaft werde nun und in Ewigkeit nichts werden; er möge sich fernerhin nicht mehr um die Hand der liebenswürdigen, buckligen Rosine weiter bemühen, auch sich wohl hüten, das sehr gekränkte seckelmeisterische Haus jemals wieder zu betreten, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, sehr unsanft aus einem von dessen Fenstern zu fahren.
Was nun die Hand der schönen Rosine betraf, tröstete sich Hans gar bald; auch die angedrohte Fahrt aus dem Fenster schien keinen besonderen Eindruck auf ihn zu machen, da er den ersten Versuch ziemlich gefahrlos gemacht hatte. Doch war ihm die Ungnade des Seckelmeisters darum nicht minder ungelegen. Denn dieser Mann hatte bedeutenden Einfluß auf den Rat der Stadt und Republik, welchen er auch mit allem Recht verdiente, weil er bei aller Geistesarmut einer der reichsten Leute des Ortes war.
Der Vetter gab indessen gar nicht undeutlich zu verstehen, daß Herr Piphan vielleicht die Nachlässigkeit seines Eidams kaum so ungnädig empfunden haben würde, hätte nicht der pfiffige Stadtschreiber Mucker mit seinen gottlosen Anmerkungen den Zorn des Seckelmeisters tapfer angeblasen. Herr Mucker schien nämlich selber auf den Besitz Rosinens und ihrer Schätze gerechnet zu haben; er war ohnedem Dampfs bester Freund nicht, weil dieser ihm einst, da er sich um die Stadtschreiberstelle bewarb und bei dem hochpreislichen Magistrat seinen bittweisen Rundbesuch machte, das Gesicht unter dem Vorwand, es von angespritzten Tintenflecken zu säubern, mit Kienruß gar erschrecklich eingerieben hatte. Mucker war nicht der Mann, welcher solchen Pagenstreich so leicht vergessen konnte, wären auch zwanzig Jahre darüber vergangen gewesen. Er pflegte wenig Worte zu machen, hatte es aber, wie man in Lalenburg zu sagen pflegt, immer dick hinter den Ohren, sah keinem in die Augen, wenn er sprach; aber lächelte immer gar verbindlich, wenn er sprechen mußte und sogar wenn er in der Kirche hinterm vorgehaltenen Hute betete, war dabei auf seine angenehme, hagere Gestalt ein wenig eitel und behauptete mit großer Selbstgenügsamkeit, daß kein Schriftsteller in Europa eine so zierliche Hand schreibe als er.
Hans Dampf erfuhr noch gleichen Tages nicht nur die merkwürdigen Folgen seiner gestrigen Invasion in Pretzels Geschirr, sondern auch, daß der Stadtschreiber Mucker vermute, kein anderer als Hans Dampf könne der Stifter des Unheils gewesen sein. Mucker nämlich hatte, wie er vom Zunftmeister, seinem Nachbar, die Geschichte erfahren, sogleich in eigener Person den Schauplatz der Handlung in Augenschein genommen und die ersten Scherbenspuren vor der Haustür des Staatsbaumeisters nebst einem Perlemutterknopf vom Kleide desselben daneben gefunden. Dies und Hans Dampfens Nichterscheinen zur Verlobung schien miteinander in genauester Verbindung zu stehen. Es ging auch die Rede, daß der Stadtschreiber vor Rat förmlich Anklage gegen Hans Dampf sowohl wegen dieses Vorfalls als Störung des öffentlichen Landfriedens als auch wegen der nicht zur Feuersbrunst gesandten Spritzen erheben werde. Der Staatsbaumeister aber, jederzeit unerschrocken, nahm diese Drohung sehr leicht auf. Und obgleich Seckelmeister Piphan, Zunftmeister Pretzel, der auf reichlichen Ersatz seines Schadens Anspruch machte, die ganze Sippschaft des Pfarrers, der das Unglück bei der Kaffeevisite in allen Häusern verkündigt hatte, und mancher andere um ähnlicher Beschwerden willen die Partei des Stadtschreibers vermehrte, verließ sich Hans Dampf doch auf sein Glück wie ein Cäsar und auf seine Beredsamkeit, wie ein Cicero. Unterdessen zettelte er selbst in der Eile eine Verschwörung, wo nicht gegen den Stadtschreiber doch gegen dessen langen Haarzopf an, auf welchen sich als den allerlängsten in Lalenburg Herr Mucker nicht wenig zu gute tat, während doch laut alter Übung der Stadtschreiber so gut wie ein Bürgermeister verpflichtet war, von Amts wegen eine Lockenperücke zu tragen. Schon vielen rechtschaffenen Bürgern war dieser Haarzopf ein Stein des Anstoßes gewesen, und einige patriotisch denkende Metzger hatten schon einmal geschworen gehabt, ihm denselben vom Kopfe hinwegzuhauen.
Das Gerücht dieser Verschwörung verbreitete sich schnell durch die Stadt. Denn was auch in Lalenburg und selbst im geheimen Rat der Republik geschah, pflegte jedesmal sogleich im größten Vertrauen von Mund zu Ohr, von Ohr zu Mund zu gehen, bis alle Einwohner beiderlei Geschlechts in das Geheimnis eingeweiht waren. Das neugierige und geschwätzige Völkchen befand sich dabei recht wohl und ersparte viel Geld für Zeitungen.
Beide Parteien rüsteten sich also und warben mit großem Eifer für den kommenden Ratstag. Dergleichen ward alle Wochen nur einmal gehalten. Ging die Regierung nach beendigter Sitzung auseinander, regierte sich die beste der Republiken ohne alle Mühe von selbst, denn der eine Bürgermeister verkaufte in den übrigen Wochentagen Kaffee und Gewürz, der andere fabrizierte Band, der Seckelmeister schenkte Wein aus, ein Ratsherr machte Wurst, ein anderer Brot usw. Genug, jeder war beflissen und sich bewußt, die materiellen Interessen des Staats auf diese Weise besser denn durch Schreiberei in Kanzleien und Schreierei im Ratssaal zu befördern.
In allen Gassen
Der große Tag erschien, da die gefährliche Lage der Republik verhandelt werden sollte. Begebenheiten wie die der vergangenen Woche waren seit undenklichen Zeiten nicht geschehen. Hans Dampf war inzwischen nicht müßig gewesen. Er hatte allen Schönen der Stadt den Hof gemacht, allen geschworen, er habe nur ihretwillen des Seckelmeisters bucklige Tochter aufgeopfert. Die dankbaren Schönen hatten dafür ihre Mütter, die Mütter ihre Eheherren, und diese ihre im Rate befindlichen Freunde gegen den ungebührlichen Zopf des Stadtschreibers in Harnisch gebracht. Jedermann erwartete mit Furcht und Zittern den Ausgang der Dinge. Sobald die Ratsglocke läutete, waren alle Lalenburger und Lalenburgerinnen im Geiste auf dem Rathause, wenn sie nicht Berufs wegen dort sein konnten. Viele Handwerker verließen ungeduldig ihre Werkstätten, der Schmied den Amboß, der Müller die Mühle, der Leinweber den Wirkstuhl, um auf dem Platze vor dem Rathaus den Augenblick zu erwarten, da die wohlweisen Herren in Mänteln und Degen die hohen Stiegen aus der Sitzung herabkommen und ihren Bekannten vertraulich den Gang der Sachen offenbaren würden.
Der Rat fand sich in höchster Vollzähligkeit beisammen. Abwechselnd wandten sich die Augen aller während der ersten Stille auf die beiden Parteihäupter, besonders auf den Stadtschreiber, vor welchem auf dem Tisch ein paar Scherben von Kochtöpfen neben einem Perlemutterknopfe lagen.
Nach Beseitigung der ersten Geschäfte forderte Mucker wirklich das Wort und schritt zur Anklage.
»Woher soll ich Worte nehmen«, hob er an, »um das Verderben zu schildern, welches der unruhige Geist eines unserer Mitbürger über die Republik gebracht hat? Seit der Gründung Roms und Lalenburgs haben viele Menschen gelebt, aber nicht einer von allen war fähig, in so kurzer Zeit, mit so geringen Mitteln, in so ungeheuren Spielräumen so unheilbringend zu wirken als Hans Dampf. Ja, ich nenne ihn, o Landesväter, denn schon nennt ihn jedes Kind auf den Gassen als den Stifter alles Übels in der Republik. Oder wo wäre ein Haus, welches nicht über ihn zu klagen hätte? Sind Geheimnisse irgendwo verraten: so war Hans Dampf dabei.
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