Da waren alte Türme darauf, mit hohen Bäumen ringsum, und
unter den Bäumen ging ein Jäger dahin mit seinen Hunden. Dann war
wieder ein stiller See unter weitschattigen Eichen, und ein Fischer
stand daran und hielt seine Rute weit in das Wasser hinaus. Um den
ganzen Ofen herum ging eine Bank, so daß man da gleich hinsetzen
und die Bilder studieren konnte. Hier gefiel es dem Heidi sogleich.
Sowie es mit dem Großvater in die Stube eingetreten war, lief es
auf den Ofen zu, setzte sich auf die Bank und fing an die Bilder zu
betrachten. Aber wie es, auf der Bank weiter gleitend, bis hinter den
Ofen gelangte, nahm eine neue Erscheinung seine ganze Aufmerksamkeit
in Beschlag: In dem ziemlich großen Raume zwischen dem Ofen und der
Wand waren vier Bretter aufgestellt, so wie zu einem Apfelbehälter.
Darinnen lagen aber nicht Äpfel, da lag unverkennbar Heidis Bett, ganz
so, wie es oben auf der Alm gewesen war: ein hohes Heulager mit dem
Leintuch und dem Sack als Decke darauf. Das Heidi jauchzte auf:
»Oh, Großvater, da ist meine Kammer, o wie schön! Aber wo mußt du
schlafen?«
»Deine Kammer muß nahe beim Ofen sein, damit du nicht frierst«, sagte
der Großvater, »die meine kannst du auch sehen.«
Das Heidi hüpfte durch die weite Stube dem Großvater nach, der auf
der anderen Seite eine Tür aufmachte, die in einen kleinen Raum
hineinführte, da hatte der Großvater sein Lager errichtet. Dann kam
aber wieder eine Tür. Das Heidi machte sie geschwind auf und stand
ganz verwundert still, denn da sah man in eine Art von Küche hinein,
die war so ungeheuer groß, wie es noch nie in seinem Leben eine
gesehen hatte. Da war viel Arbeit für den Großvater gewesen, und es
blieb auch noch immer viel zu tun übrig, denn da waren Löcher und
weite Spalten in den Mauern auf allen Seiten, wo der Wind hereinpfiff,
und doch waren schon so viele mit Holzbrettern vernagelt worden,
daß es aussah, als wären ringsum kleine Holzschränke in der Mauer
angebracht. Auch die große, uralte Tür hatte der Großvater wieder mit
vielen Drähten und Nägeln festzumachen verstanden, so daß man sie
schließen konnte, und das war gut, denn nachher ging es in lauter
verfallenes Gemäuer hinaus, wo dickes Gestrüpp emporwuchs und Scharen
von Käfern und Eidechsen ihre Wohnungen hatten.
Dem Heidi gefiel es wohl in der neuen Behausung, und schon am anderen
Tage, als der Peter kam, um zu sehen, wie es in der neuen Wohnung
zugehe, hatte es alle Winkel und Ecken so genau ausgeguckt, daß es
ganz daheim war und den Peter überall herumführen konnte. Es ließ ihm
auch durchaus keine Ruhe, bis er ganz gründlich alle die merkwürdigen
Dinge betrachtet hatte, die der neue Wohnsitz enthielt.
Das Heidi schlief vortrefflich in seinem Ofenwinkel, aber am Morgen
meinte es doch immer, es sollte auf der Alp erwachen und es müsse
gleich die Hüttentür aufmachen, um zu sehen, ob die Tannen darum nicht
rauschten, weil der hohe, schwere Schnee darauf liege und die Äste
niederdrücke. So mußte es jeden Morgen zuerst lange hin und her
schauen, bis es sich wieder besinnen konnte, wo es war, und jedesmal
fühlte es etwas auf seinem Herzen liegen, das es würgte und drückte,
wenn es sah, daß es nicht daheim sei auf der Alp. Aber wenn es dann
den Großvater reden hörte draußen mit dem Schwänli und dem Bärli und
dann die Geißen so laut und lustig meckerten, als wollten sie ihm
zurufen: »Mach doch, daß du einmal kommst, Heidi«, dann merkte es, daß
es doch daheim war, und sprang fröhlich aus seinem Bette und dann so
schnell als möglich in den großen Geißenstall hinaus. Aber am vierten
Tage sagte das Heidi sorglich: »Heute muß ich gewiß zur Großmutter
hinauf, sie kann nicht so lange allein sein.«
Aber der Großvater war nicht einverstanden. »Heute nicht und morgen
auch noch nicht«, sagte er. »Die Alm hinauf liegt der Schnee
klaftertief, und immer noch schneit es fort; kaum kann der feste
Peter durchkommen. Ein Kleines wie du, Heidi, wäre auf der Stelle
eingeschneit und zugedeckt und nicht mehr zu finden. Wart noch ein
wenig, bis es friert, dann kannst du bequem über die Schneedecke
hinaufspazieren.«
Das Warten machte zuerst dem Heidi ein wenig Kummer. Aber die Tage
waren jetzt so angefüllt von Arbeit, daß immer einer unversehens dahin
war und ein anderer kam. Jeden Morgen und jeden Nachmittag ging das
Heidi jetzt in die Schule im Dörfli und lernte ganz eifrig, was da
zu lernen war. Den Peter sah es aber fast nie in der Schule, denn
meistens kam er nicht. Der Lehrer war ein milder Mann, der nur dann
und wann sagte: »Es scheint mir, der Peter sei wieder nicht da. Die
Schule täte ihm doch gut, aber es liegt auch gar viel Schnee dort
hinauf, er wird wohl nicht durchkommen.« Aber gegen Abend, wenn die
Schule aus war, kam der Peter meistens durch und machte seinen Besuch
beim Heidi.
Nach einigen Tagen kam die Sonne wieder hervor und warf ihre Strahlen
über den weißen Boden hin, aber sie ging ganz früh wieder hinter
die Berge hinab, so als gefalle es ihr lange nicht so gut
herunterzuschauen wie im Sommer, wenn alles grünte und blühte. Aber
am Abend kam der Mond ganz hell und groß herauf und leuchtete die
ganze Nacht über die weiten Schneefelder hin, und am anderen Morgen
glitzerte und flimmerte die ganze Alp von oben bis unten wie ein
Kristall. Als der Peter wie die Tage vorher aus seinem Fenster in den
tiefen Schnee hinabspringen wollte, ging es ihm, wie er nicht erwartet
hatte. Er nahm einen Satz hinaus, aber anstatt ins Weiche hinab zu
kommen, schlug es ihn auf dem unerwartet harten Boden gleich um,
und unversehens fuhr er ein gutes Stück den Berg hinunter wie ein
herrenloser Schlitten. Sehr verwundert kam er schließlich wieder auf
seine Füße, und nun stampfte er mit aller Macht auf den Schneeboden,
um sich zu versichern, daß auch wirklich möglich sei, was ihm soeben
begegnet war. Es war richtig: Wie er auch stampfte und einschlug
mit den Absätzen, kaum konnte er ein kleines Eissplitterchen
herausschlagen. Die ganze Alm war steinhart zugefroren. Das war dem
Peter eben recht: Er wußte, daß dieser Zustand der Dinge nötig war,
damit das Heidi einmal wieder da heraufkommen konnte.
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