Das Heidi aber blieb auf derselben Stelle
stehen und winkte fort und fort mit seiner Hand, solange es nur noch
ein Pünktchen von dem forteilenden Herrn entdecken konnte. Als dieser
zum letztenmal sich umwandte und nach dem winkenden Heidi und der
sonnigen Alp zurückschaute, sagte er leise vor sich hin: »Dort oben
ist's gut sein, da können Leib und Seele gesunden, und man wird wieder
seines Lebens froh.«
Der Winter im Dörfli
Um die Almhütte lag der Schnee so hoch, daß es anzusehen war, als
ständen die Fenster auf dem flachen Boden, denn weiter unten war von
der ganzen Hütte gar nichts zu sehen, auch die Haustür war völlig
verschwunden. Wäre der Almöhi noch oben gewesen, so hätte er dasselbe
tun müssen, was der Peter täglich ausführen mußte, weil es gewöhnlich
über Nacht wieder geschneit hatte. Jeden Morgen mußte dieser jetzt aus
dem Fenster der Stube hinausspringen, und war es nicht sehr kalt, so
daß über Nacht alles zusammengefroren war, so versank er dann so tief
in dem weichen Schnee, daß er mit Händen und Füßen und mit dem Kopf
auf alle Seiten stoßen und werfen und ausschlagen mußte, bis er sich
wieder herausgearbeitet hatte. Dann bot ihm die Mutter den großen
Besen aus dem Fenster, und mit diesem stieß und scharrte der Peter nun
den Schnee vor sich weg, bis er zur Tür kam. Dort hatte er dann eine
große Arbeit, denn da mußte aller Schnee abgegraben werden, sonst fiel
entweder, wenn er noch weich war und die Tür aufging, die ganze große
Masse in die Küche hinein, oder er fror zu, und nun war man ganz
vermauert drinnen, denn durch diesen Eisfelsen konnte man nicht
dringen, und durch das kleine Fenster konnte nur der Peter
hinausschlüpfen. Für diesen brachte dann die Zeit des Gefrierens viele
Bequemlichkeiten mit sich. Wenn er ins Dörfli hinunter mußte, öffnete
er nur das Fenster, kroch durch und kam draußen zu ebener Erde auf dem
festen Schneefelde an. Dann schob ihm die Mutter den kleinen Schlitten
durch das Fenster nach, und der Peter hatte sich nur daraufzusetzen
und abzufahren, wie und wo er wollte, er kam jedenfalls hinunter, denn
die ganze Alm um und um war dann nur ein großer, ununterbrochener
Schlittweg.
Der Öhi war nicht auf der Alm den Winter; er hatte Wort gehalten.
Sobald der erste Schnee gefallen war, hatte er Hütte und Stall
abgeschlossen und war mit dem Heidi und den Geißen nach dem Dörfli
hinuntergezogen. Dort stand in der Nähe der Kirche und des Pfarrhauses
ein weitläufiges Gemäuer, das war in alter Zeit ein großes Herrenhaus
gewesen, was man noch an vielen Stellen sehen konnte, obschon jetzt
das Gebäude überall ganz oder halb zerfallen war. Da hatte einmal ein
tapferer Kriegsmann gewohnt; der war in spanische Dienste gegangen und
hatte da viele tapfere Taten verrichtet und viele Reichtümer erbeutet.
Dann war er heimgekommen nach dem Dörfli und hatte aus seiner Beute
ein prächtiges Haus errichtet; darinnen wollte er nun wohnen. Aber
es ging gar nicht lange, so konnte er es in dem stillen Dörfli nicht
mehr aushalten vor Langweile, denn er hatte zu lange draußen in der
lärmvollen Welt gelebt. Er zog wieder hinaus und kam gar niemals mehr
zurück. Als man nach vielen, vielen Jahren sicher wußte, daß er tot
war, übernahm ein ferner Verwandter unten im Tal das Haus, aber es
war schon am Verfallen, und der neue Besitzer wollte es nicht mehr
aufbauen. So zogen arme Leute in das Haus, die wenig dafür bezahlen
mußten, und wenn ein Stück abfiel von dem Gebäude, so ließ man es
liegen. Seit jener Zeit waren nun wieder viele Jahre darübergegangen.
Schon als der Öhi mit seinem jungen Buben Tobias hergekommen war,
hatte er das verfallene Haus bezogen und darin gelebt. Seither hatte
es meistens leer gestanden, denn wer nicht verstand, vorweg dem
Verfalle ein wenig zu begegnen und die Löcher und Lücken, wo sie
entstanden, gleich irgendwie zu stopfen und zu flicken, der konnte da
nicht bleiben. Der Winter droben im Dörfli war lang und kalt. Dann
blies und wehte es von allen Seiten durch die Räume, daß die Lichter
auslöschten und die armen Leute vom Frost geschüttelt wurden. Aber der
Öhi wußte sich zu helfen. Gleich nachdem er zu dem Entschluß gekommen
war, den Winter im Dörfli zuzubringen, hatte er das alte Haus wieder
übernommen und war den Herbst durch öfter heruntergekommen, um
darin alles so herzurichten, wie es ihm gefiel. Um die Mitte des
Oktobermonats war er dann mit dem Heidi heruntergezogen.
Kam man von hinten an das Haus heran, so trat man gleich in einen
offenen Raum ein, da war auf einer Seite die ganze Wand und auf der
anderen die halbe eingefallen. Über dieser war noch ein Bogenfenster
zu sehen, aber das Glas war längst weg daraus, und dicker Efeu rankte
sich darum und hoch hinauf bis zur Decke, die noch zur Hälfte fest
war. Die war schön gewölbt, und man konnte gut sehen, das war die
Kapelle gewesen. Ohne Tür kam man weiter in eine große Halle hinein,
da waren hier und da noch schöne Steinplatten auf dem Boden, und
zwischendurch wuchs das Gras dicht empor. Da waren die Mauern auch
alle halb weg und große Stücke der Decke dazu, und hätten da nicht
ein paar dicke Säulen noch ein festes Stück der Decke getragen, so
hätte man denken müssen, diese könne jeden Augenblick auf die Köpfe
derer niederfallen, die darunter standen. Hier hatte der Öhi einen
Bretterverschlag ringsum gemacht und den Boden dick mit Streu belegt,
denn hier in der alten Halle sollten die Geißen logieren. Dann ging
es durch allerlei Gänge, immer halb offen, daß einmal der Himmel
hereinguckte und einmal wieder die Wiese und der Weg draußen. Aber
zuvörderst, wo die schwere, eichene Tür noch fest in den Angeln hing,
kam man in eine große, weite Stube hinein, die war noch gut. Da waren
noch die vier festen Wände mit dem dunkeln Holzgetäfel ohne Lücken,
und in der einen Ecke stand ein ungeheurer Ofen, der ging fast bis an
die Decke hinauf, und auf die weißen Kacheln waren große, blaue Bilder
hingemalt.
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