Er trug Klara in ihren Sessel vor
die Hütte zurück, vom Heidi gefolgt, das nicht wußte, wie hoch es vor
Freude springen wollte. Dann lud er gleich die sämtlichen Tücher und
Pelzdecken auf seine Arme und sagte wohlgefällig lächelnd: »Es ist
gut, daß die Frau Großmama so wie zu einem Winterfeldzug gerüstet
hatte: Das können wir brauchen.«
»Mein lieber Öhi«, antwortete die Herzutretende lebhaft, »Vorsicht
ist eine schöne Tugend und schützt vor manchem Ungemach. Wenn man auf
den Reisen über Ihre Gebirge ohne Sturm und Wind und Wolkenbrüche
davonkommt, so kann man nur danken, und das wollen wir tun, und meine
Schutzmittelchen sind auch so noch gut zu gebrauchen; darin sind wir
einig.«
Während dieses kleinen Gespräches waren die beiden nach dem
Heuboden hinaufgestiegen und begannen nun die Tücher über das Bett
hinzubreiten, eins nach dem andern. Da waren ihrer so viele, daß das
Bett zuletzt aussah wie eine kleine Festung.
»Jetzt soll mir noch ein einziger Heuhalm durchstechen, wenn er kann«,
sagte die Großmama, indem sie noch einmal mit der Hand auf allen
Seiten eindrückte, aber die weiche Mauer war so undurchdringlich,
daß wirklich keiner mehr durchstach. Nun stieg sie befriedigt die
Leiter hinunter und trat zu den Kindern heraus, die mit strahlenden
Angesichtern nahe zusammensaßen und ausmachten, was sie nun tun
wollten vom Morgen bis zum Abend, solange Klara auf der Alp bleiben
durfte. Aber wie lange würde das sein? Das war nun die große Frage,
welche augenblicklich der Großmama vorgelegt wurde. Die sagte, das
wisse der Großvater am besten, ihn müßten sie fragen, und als dieser
eben herzutrat und nun die Frage an ihn gerichtet wurde, meinte er,
vier Wochen seien gerade recht, um beurteilen zu können, ob die
Alpluft ihre Schuldigkeit an dem Töchterchen tue oder nicht. Jetzt
jubelten die Kinder erst recht auf, denn die Aussicht auf solches
Zusammenbleiben übertraf alle ihre Erwartungen.
Nun sah man von unten herauf wieder die Sesselträger und den
Pferdeführer mit seinem Tier heranrücken. Die ersteren konnten gleich
wieder umkehren.
Als die Großmama sich anschickte, ihr Pferd zu besteigen, rief Klara
fröhlich aus: »O Großmama, das ist nun gar kein Abschied, wenn du
schon fortreitest, denn nun kommst du von Zeit zu Zeit zu uns zum
Besuch auf die Alp, um zu sehen, was wir machen, und das ist dann so
lustig, nicht, Heidi?«
Heidi, das heute von einem Vergnügen ins andere fiel, konnte seine
zustimmende Antwort nur durch einen hohen Freudensprung ausdrücken.
Nun bestieg die Großmama das feste Saumtier, und der Öhi ergriff
den Zügel und führte das Pferd mit sicherer Hand den steilen Berg
hinunter. Wie auch die Großmama eiferte, er möchte doch nicht so weit
mitgehen, es half nichts: Der Öhi erklärte, er werde ihr sein Geleit
bis zum Dörfli hinunter geben, da die Alp so steil und der Ritt nicht
ohne Gefahr sei.
In dem einsamen Dörfli gedachte die Großmama, nun sie allein war,
nicht zu bleiben. Sie wollte nach Ragaz zurückkehren und von dort aus
dann von Zeit zu Zeit ihre Alpenreise wiederholen.
Noch bevor der Öhi wieder zurückgekehrt war, kam der Peter mit seinen
Geißen dahergerannt. Als diese merkten, wo das Heidi war, stürzten sie
alle der Stelle zu. Im Augenblick war die Klara in ihrem Stuhle samt
dem Heidi mitten in dem Rudel drinnen, und drängend und stoßend guckte
immer eine der Geißen über die andere her, und jede wurde gleich vom
Heidi der Klara genannt und vorgestellt.
So kam es, daß diese in der kürzesten Zeit die langerwünschte
Bekanntschaft mit dem kleinen Schneehöppli, dem lustigen Distelfink,
den sauberen Geißen des Großvaters, mit allen, allen bis hinauf zum
großen Türk gemacht hatte. Der Peter aber stand derweilen abseits und
warf seltsam drohende Blicke auf die vergnügte Klara hin.
Als nun die Kinder beide freundlich zu ihm hinüberriefen: »Gute Nacht,
Peter!«, gab er durchaus keine Antwort, sondern hieb mit seiner
Rute so grimmig in die Luft hinein, als wollte er diese völlig
entzweischlagen. Dann lief er davon und sein Gefolge hinter ihm her.
Zu allem Schönen, das Klara heute auf der Alp schon gesehen hatte, kam
nun noch der Schluß.
Als sie oben auf dem Heuboden auf dem großen, weichen Bette lag, zu
dem nun auch das Heidi emporkletterte, da schaute sie durch das offene
runde Loch gerade mitten in die schimmernden Sterne hinein, und voller
Entzücken rief sie aus:
»O Heidi, sieh, es ist gerade, wie wenn wir auf einem hohen Wagen in
den Himmel hineinfahren würden!«
»Ja, und weißt du, warum die Sterne so voller Freude sind und uns so
mit den Augen winken?« fragte das Heidi.
»Nein, das weiß ich nicht; was meinst du denn?« fragte Klara zurück.
»Weil sie droben im Himmel sehen, wie der liebe Gott alles so gut
einrichtet für die Menschen, daß sie gar keine Angst haben müssen und
ganz sicher sein können, weil alles so kommt, wie es heilsam ist. Das
freut sie so; sieh, wie sie winken, daß wir auch so fröhlich sein
sollen! Aber weißt du, Klara, wir müssen auch nicht vergessen zu
beten, wir müssen recht den lieben Gott bitten, daß er auch an uns
denke, wenn er alles so schön einrichtet, daß wir auch immer so sicher
sein können und uns vor gar nichts fürchten müssen.«
Jetzt richteten sich die Kinder noch einmal auf und sagten jedes
sein Nachtgebet. Dann legte sich das Heidi auf seinen runden Arm und
schlief augenblicklich ein. Aber Klara blieb noch lange wach, denn
etwas so Wunderbares wie diese Schlafstätte im Sternenschein hatte sie
noch in ihrem Leben nicht gesehen.
Sie hatte ja überhaupt kaum je die Sterne gesehen, denn außer dem
Hause war sie des Nachts nie gewesen, und drinnen wurden die dichten
Vorhänge längst niedergelassen, bevor die Sterne kamen. Wenn sie nun
jetzt die Augen zumachen wollte, mußte sie sie gleich noch einmal
aufschlagen, um zu sehen, ob denn die beiden großen, hellen Sterne
immer noch hereinfunkelten und so merkwürdig winkten, wie das Heidi
gesagt hatte. Und immer noch war es so, und Klara konnte es nicht
genug bekommen, in das Flimmern und Leuchten hineinzuschauen, bis
endlich ihre Augen von selbst zufielen und sie nur im Traume noch die
zwei großen, schimmernden Sterne sah.
Wie es auf der Alp weitergeht
Eben war die Sonne hinter den Felsen heraufgestiegen und warf nun ihre
goldenen Strahlen über die Hütte und über das Tal hinab. Der Almöhi
hatte, wie er jeden Morgen tat, still und andächtig zugeschaut, wie
ringsum auf den Höhen und im Tal die leichten Nebel sich lichteten
und das Land aus dem Dämmerschatten herausschaute und zum neuen Tage
erwachte.
Heller und heller wurden oben die lichten Morgenwolken, bis jetzt
die Sonne völlig heraustrat und Fels und Wald und Hügel mit goldenem
Lichte übergoß.
Jetzt trat der Öhi in seine Hütte zurück und ging leise die kleine
Leiter hinauf. Klara hatte eben die Augen aufgeschlagen und schaute in
der höchsten Verwunderung auf die hellen Sonnenstrahlen, die durch das
runde Loch hereindrangen und auf ihrem Bette tanzten und blitzten.
Sie wußte gar nicht, was sie sah und wo sie war. Doch jetzt erblickte
sie das schlafende Heidi an ihrer Seite, und nun ertönte auch die
freundliche Stimme des Großvaters: »Gut geschlafen? Nicht müde?« Klara
versicherte, sie sei nicht müde, und, einmal eingeschlafen, sei sie
auch die ganze Nacht nicht mehr erwacht. Das gefiel dem Großvater,
und nun fing er gleich an und besorgte die Klara so gut und so
verständnisvoll, als wäre es geradezu sein Beruf, kranke Kinder zu
besorgen und es ihnen bequem zu machen.
Das Heidi hatte seine Augen jetzt auch aufgemacht und sah auf einmal
mit Erstaunen, wie der Großvater die schon fertig gerüstete Klara auf
den Arm nahm und forttrug. Da mußte es doch dabeisein. Blitzschnell
ging seine Ausrüstung vor sich. Dann ging's die Leiter hinunter, und
nun war auch das Heidi aus der Tür und stand draußen, mit großer
Verwunderung betrachtend, was der Großvater jetzt wieder ausführte.
Er hatte am Abend vorher, als die Kinder schon oben auf ihrem Lager
angekommen waren, überlegt, wo der breite Rollstuhl unter Dach
gebracht werden könnte. Die Tür der Hütte war ja viel zu schmal, hier
konnte er nie eingefahren werden. Da war ihm ein Gedanke gekommen. Er
machte hinten am Schopf zwei große Laden los, so daß da eine breite
Öffnung entstand.
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