Er fühlte nur noch das
eine: Jetzt ist's aus! Alle Haare standen ihm aufrecht auf dem Kopf,
und farblos und entstellt von höchster Angst trat der Peter hinter den
Tannen hervor.
»Nur frisch heran, ohne Umwege«, ermunterte die Großmama. »So, nun sag
mir mal, Junge, hast du das gemacht?«
Der Peter hob seine Augen nicht auf und sah nicht, wohin der
Zeigefinger der Großmama wies. Er hatte gesehen, daß der Öhi an der
Ecke der Hütte stand und daß dessen graue Augen durchdringend auf ihn
gerichtet waren, und neben dem Öhi stand das Schrecklichste, das der
Peter kannte, der Polizeidiener aus Frankfurt. An allen Gliedern
zitternd und bebend, stieß der Peter einen Laut hervor, es war ein
»Ja«.
»Nanu«, sagte die Großmama, »was ist denn das Schreckliche dabei?«
»Daß er… daß er… daß er auseinander ist und man ihn nicht
mehr ganz machen kann«, brachte mühsam der Peter heraus, und nun
schlotterten seine Knie so, daß er fast nicht mehr stehen konnte. Die
Großmama ging nach der Hüttenecke hinüber.
»Mein lieber Öhi, rappelt es denn wirklich ernstlich bei dem armen
Buben?« fragte sie teilnehmend.
»Gar nicht, gar nicht«, versicherte der Öhi. »Der Bube ist nur der
Wind, der den Rollstuhl fortgejagt hat, und nun erwartet er seine
wohlverdiente Strafe.«
Das konnte nun die Großmama gar nicht glauben, denn sie meinte,
boshaft sehe der Peter doch ganz und gar nicht aus, und sonst hätte er
doch keinen Grund gehabt, den so notwendigen Rollstuhl zu zerstören.
Aber dem Öhi war das Geständnis nur die Bestätigung eines Verdachtes
gewesen, der gleich nach der Tat in ihm aufgestiegen war. Die
grimmigen Blicke, die der Peter von Anfang an der Klara zugeworfen
hatte, und andere Merkmale seiner Erbitterung gegen die neuen
Erscheinungen auf der Alp waren dem Öhi nicht entgangen. Er hatte
einen Gedanken an den andern gehängt, und so hatte er genau den
ganzen Gang der Dinge erkannt und teilte ihn jetzt der Großmama in
aller Klarheit mit. Als er zu Ende war, brach die Dame in große
Lebhaftigkeit aus.
»Nein, mein lieber Öhi, nein, nein, den armen Buben wollen wir nicht
weiter strafen. Man muß billig sein. Da kommen die fremden Leute aus
Frankfurt hereingebrochen und nehmen ihm ganze Wochen lang das Heidi
weg, sein einziges Gut und wirklich ein großes Gut, und da sitzt er
allein Tag für Tag und hat das Nachsehen. Nein, nein, da muß man
billig sein; der Zorn hat ihn überwältigt und hat ihn zu der Rache
getrieben, die ein wenig dumm war, aber im Zorn werden wir alle dumm.«
Damit ging die Großmama zum Peter zurück, der noch immerfort bebte und
schlotterte.
Sie setzte sich auf die Bank unter die Tanne und sagte freundlich:
»So, nun komm, mein Junge, da vor mich hin, ich habe dir etwas zu
sagen. Höre auf zu zittern und zu beben und hör mir zu, das will
ich haben. Du hast den Rollstuhl den Berg hinuntergejagt, damit er
zerschmettere. Das war etwas Böses, das hast du recht wohl gewußt,
und daß du eine Strafe verdientest, das wußtest du auch, und damit
du diese nicht erhaltest, hast du dich recht anstrengen müssen, daß
keiner es merke, was du getan hattest. Aber siehst du: Wer etwas Böses
tut und denkt, es weiß keiner, der verrechnet sich immer. Der liebe
Gott sieht und hört ja doch alles, und sobald er bemerkt, daß ein
Mensch seine böse Tat verheimlichen will, so weckt er schnell in dem
Menschen das Wächterchen auf, das er schon bei seiner Geburt in ihn
hineingesetzt hat und das da drinnen schlafen darf, bis der Mensch
ein Unrecht tut. Und das Wächterchen hat einen kleinen Stachel in der
Hand, mit dem sticht es nun in einem fort den Menschen, daß er gar
keinen ruhigen Augenblick mehr hat. Und auch mit seiner Stimme
beängstigt es den Gequälten noch, denn es ruft ihm immer quälend zu:
>Jetzt kommt alles aus! jetzt holen sie dich zur Strafe!< So muß er
immer in Angst und Schrecken leben und hat keine Freude mehr, gar
keine. Hast du nicht auch so etwas erfahren, Peter, eben jetzt?«
Der Peter nickte ganz zerknirscht, aber wie ein Kenner, denn gerade so
war es ihm ergangen.
»Und noch in einer Weise hast du dich verrechnet«, fuhr die Großmama
fort. »Sieh, wie das Böse, das du tatest, zum Besten ausfiel für die,
der du es zufügen wolltest! Weil Klara keinen Sessel mehr hatte, auf
dem man sie hinbringen konnte, und doch die schönen Blumen sehen
wollte, so strengte sie sich ganz besonders an zu gehen, und so lernte
sie's und geht nun immer besser, und bleibt sie hier, so kann sie am
Ende jeden Tag hinauf zur Weide gehen, viel öfter, als sie in ihrem
Stuhle hinaufgekommen wäre. Siehst du wohl, Peter? So kann der liebe
Gott, was einer böse machen wollte, nur schnell in seine Hand nehmen
und für den andern, der geschädigt werden sollte, etwas Gutes daraus
machen, und der Bösewicht hat das Nachsehen und den Schaden davon.
Hast du nun auch alles gut verstanden, Peter, ja? So denk daran,
und jedesmal, wenn es dich wieder gelüsten sollte, etwas Böses zu
tun, denk an das Wächterchen da drinnen mit dem Stachel und der
unangenehmen Stimme. Willst du das tun?«
»Ja, so will ich«, antwortete der Peter, noch sehr gedrückt, denn noch
wußte er ja nicht, wie alles enden würde, da der Polizeidiener immer
noch drüben stand neben dem Öhi.
»So, nun ist's gut, die Sache ist abgetan«, schloß die Großmama. »Nun
sollst du aber auch noch ein Andenken an die Frankfurter haben, das
dich freut. So sag mir nun, mein Junge, hast du auch schon mal was
gewünscht, das du haben möchtest? Was war's denn? Was möchtest du am
liebsten haben?«
Jetzt hob der Peter seinen Kopf auf und starrte die Großmama mit
ganz kugelrunden, erstaunten Augen an. Noch immer hatte er etwas
Schreckliches erwartet, und nun sollte er auf einmal bekommen, was er
gern hätte. Dem Peter kam alles durcheinander in seinen Gedanken.
»Ja, ja, es ist mir Ernst«, sagte die Großmama. »Du sollst etwas
haben, das dich freut, zur Erinnerung an die Leute von Frankfurt und
zum Zeichen, daß sie nicht mehr daran denken, daß du etwas Unrechtes
getan hast. Verstehst du's nun, Junge?«
In dem Peter fing die Einsicht aufzudämmern an, daß er keine Strafe
mehr zu befürchten habe und daß die gute Frau, die vor ihm saß, ihn
aus der Gewalt des Polizeidieners errettet hatte. Jetzt empfand er
eine Erleichterung, als fiele ein Berg von ihm ab, der ihn fast
zusammengedrückt hatte.
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