Aber siehst du: Wer etwas Böses
tut und denkt, es weiß keiner, der verrechnet sich immer. Der liebe
Gott sieht und hört ja doch alles, und sobald er bemerkt, daß ein
Mensch seine böse Tat verheimlichen will, so weckt er schnell in dem
Menschen das Wächterchen auf, das er schon bei seiner Geburt in ihn
hineingesetzt hat und das da drinnen schlafen darf, bis der Mensch
ein Unrecht tut. Und das Wächterchen hat einen kleinen Stachel in der
Hand, mit dem sticht es nun in einem fort den Menschen, daß er gar
keinen ruhigen Augenblick mehr hat. Und auch mit seiner Stimme
beängstigt es den Gequälten noch, denn es ruft ihm immer quälend zu:
>Jetzt kommt alles aus! jetzt holen sie dich zur Strafe!< So muß er
immer in Angst und Schrecken leben und hat keine Freude mehr, gar
keine. Hast du nicht auch so etwas erfahren, Peter, eben jetzt?«
Der Peter nickte ganz zerknirscht, aber wie ein Kenner, denn gerade so
war es ihm ergangen.
»Und noch in einer Weise hast du dich verrechnet«, fuhr die Großmama
fort. »Sieh, wie das Böse, das du tatest, zum Besten ausfiel für die,
der du es zufügen wolltest! Weil Klara keinen Sessel mehr hatte, auf
dem man sie hinbringen konnte, und doch die schönen Blumen sehen
wollte, so strengte sie sich ganz besonders an zu gehen, und so lernte
sie's und geht nun immer besser, und bleibt sie hier, so kann sie am
Ende jeden Tag hinauf zur Weide gehen, viel öfter, als sie in ihrem
Stuhle hinaufgekommen wäre. Siehst du wohl, Peter? So kann der liebe
Gott, was einer böse machen wollte, nur schnell in seine Hand nehmen
und für den andern, der geschädigt werden sollte, etwas Gutes daraus
machen, und der Bösewicht hat das Nachsehen und den Schaden davon.
Hast du nun auch alles gut verstanden, Peter, ja? So denk daran,
und jedesmal, wenn es dich wieder gelüsten sollte, etwas Böses zu
tun, denk an das Wächterchen da drinnen mit dem Stachel und der
unangenehmen Stimme. Willst du das tun?«
»Ja, so will ich«, antwortete der Peter, noch sehr gedrückt, denn noch
wußte er ja nicht, wie alles enden würde, da der Polizeidiener immer
noch drüben stand neben dem Öhi.
»So, nun ist's gut, die Sache ist abgetan«, schloß die Großmama. »Nun
sollst du aber auch noch ein Andenken an die Frankfurter haben, das
dich freut. So sag mir nun, mein Junge, hast du auch schon mal was
gewünscht, das du haben möchtest? Was war's denn? Was möchtest du am
liebsten haben?«
Jetzt hob der Peter seinen Kopf auf und starrte die Großmama mit
ganz kugelrunden, erstaunten Augen an. Noch immer hatte er etwas
Schreckliches erwartet, und nun sollte er auf einmal bekommen, was er
gern hätte. Dem Peter kam alles durcheinander in seinen Gedanken.
»Ja, ja, es ist mir Ernst«, sagte die Großmama. »Du sollst etwas
haben, das dich freut, zur Erinnerung an die Leute von Frankfurt und
zum Zeichen, daß sie nicht mehr daran denken, daß du etwas Unrechtes
getan hast. Verstehst du's nun, Junge?«
In dem Peter fing die Einsicht aufzudämmern an, daß er keine Strafe
mehr zu befürchten habe und daß die gute Frau, die vor ihm saß, ihn
aus der Gewalt des Polizeidieners errettet hatte. Jetzt empfand er
eine Erleichterung, als fiele ein Berg von ihm ab, der ihn fast
zusammengedrückt hatte. Aber nun hatte er auch begriffen, daß es
besser geht, wenn man gleich eingestellt, was gefehlt ist, und auf
einmal sagte er:
»Und das Papier hab ich auch verloren.«
Die Großmama mußte sich ein wenig besinnen, aber der Zusammenhang kam
ihr bald in den Sinn, und sie sagte freundlich: »So, so, es ist recht,
daß du's sagst! Immer gleich bekennen, was nicht recht ist; dann
kommt's wieder in Ordnung. Und jetzt, was hättest du gern?«
Nun konnte der Peter auf der Welt wünschen, was er nur wollte.
Es wurde ihm fast schwindelig. Der ganze Jahrmarkt von Maienfeld
flimmerte vor seinen Augen mit all den schönen Sachen, die er oft
stundenlang angestaunt und für immer unerreichbar gehalten hatte, denn
Peters Besitztum hatte nie einen Fünfer überstiegen, und alle die
lockenden Gegenstände kosteten immer das Doppelte. Da waren die
schönen roten Pfeifchen, die er so gut für seine Geißen brauchen
konnte. Da waren die lockenden Messer mit runden Heften, Krötenstecher
genannt, mit denen man in allen Haselrutenhecken die besten Geschäfte
machen konnte.
Tiefsinnig stand der Peter da, denn er überdachte, welches von den
zweien das Wünschbarste wäre, und er fand den Entscheid nicht. Aber
jetzt kam ihm ein lichtvoller Gedanke; so konnte er sich noch bis zum
nächsten Jahrmarkt besinnen.
»Einen Zehner«, antwortete Peter jetzt entschlossen.
Die Großmama lachte ein wenig.
»Das ist nicht übertrieben. So komm her!« Sie zog jetzt ihren Beutel
heraus und nahm einen großen, runden Taler heraus; darauf legte sie
noch zwei Zehnerstückchen.
»So, wir wollen gerade Rechnung machen«, fuhr sie fort; »das will ich
dir erklären. Hier hast du nun gerade so viele Zehner, als Wochen im
Jahre sind! So kannst du jeden Sonntag einen Zehner hervornehmen und
verbrauchen, das ganze Jahr durch.«
»Meiner Lebtag?« fragte der Peter ganz harmlos.
Jetzt mußte die Großmama so ungeheuer lachen, daß die Herren drüben
ihr Gespräch unterbrechen mußten, um zu hören, was da vorgehe.
Die Großmama lachte immer noch.
»Das sollst du haben, Junge, das gibt einen Passus in mein Testament,
hörst du, mein Sohn? Und nachher geht er in das deinige über, also:
Dem Geißenpeter einen Zehner wöchentlich, solange er am Leben ist.«
Herr Sesemann nickte zustimmend und lachte auch herüber.
Der Peter schaute noch einmal auf das Geschenk in seiner Hand, ob es
auch wirklich wahr sei. Dann sagte er: »Danke Gott!« Und nun rannte er
davon in ganz ungewöhnlichen Sprüngen, aber diesmal blieb er doch auf
den Füßen, denn jetzt trieb ihn nicht der Schrecken davon, sondern
eine Freude, wie der Peter noch gar keine gekannt hatte sein Leben
lang. Alle Angst und Schrecken waren vergangen, und jede Woche hatte
er einen Zehner zu erwarten sein Leben lang.
Als später die Gesellschaft vor der Almhütte das fröhliche Mittagsmahl
beendet hatte und nun noch in allerlei Gesprächen zusammensaß, da nahm
Klara ihren Vater, der ganz strahlte vor Freude und jedesmal, wenn er
sie wieder anschaute, noch ein wenig glücklicher aussah, bei der Hand
und sagte mit einer Lebhaftigkeit, die man nie an der matten Klara
gekannt hatte:
»O Papa, wenn du nur wüßtest, was der Großvater alles für mich getan
hat! So viel alle Tage, daß man es gar nicht nacherzählen kann, aber
ich vergesse es in meinem ganzen Leben nicht. Und immer denke ich,
wenn ich nur dem lieben Großvater auch etwas tun könnte oder etwas
schenken, das ihm so recht Freude machen würde, auch nur halb soviel,
wie er mir Freude gemacht hat.«
»Das ist ja auch mein größter Wunsch, liebes Kind«, sagte der Vater.
»Ich sinne schon immer darüber nach, wie wir unserem Wohltäter unseren
Dank auch nur einigermaßen dartun könnten.«
Herr Sesemann stand jetzt auf und ging zum Öhi hinüber, der neben der
Großmama saß und sich ausnehmend gut mit ihr unterhalten hatte. Er
stand aber jetzt auch auf. Herr Sesemann ergriff seine Hand und sagte
in der freundschaftlichsten Weise: »Mein lieber Freund, lassen Sie uns
ein Wort zusammen sprechen! Sie werden es verstehen, wenn ich Ihnen
sage, daß ich seit langen Jahren keine rechte Freude mehr kannte. Was
war mir all mein Geld und Gut, wenn ich mein armes Kind anblickte, das
ich mit keinem Reichtum gesund und glücklich machen konnte? Nächst
unserm Gott im Himmel haben Sie mir das Kind gesund gemacht und mir,
wie ihm, damit ein neues Leben geschenkt. Nun sprechen Sie, womit
kann ich Ihnen meine Dankbarkeit zeigen? Vergelten kann ich nie, was
Sie uns getan haben, aber was ich vermag, das stelle ich zu Ihrer
Verfügung.
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