Jetzt folgte eine ungeheure Wurst;
die hatte Klara ursprünglich für den Peter bestimmt, weil er doch
nie etwas anderes als Käse und Brot bekam. Aber sie hatte sich jetzt
anders besonnen, denn sie fürchtete, der Peter könnte vor Freuden die
ganze Wurst auf einmal aufessen. Darum sollte die Mutter Brigitte
diese bekommen und erst für sich und die Großmutter einen guten Teil
davon nehmen und dem Peter den seinigen in verschiedenen Lieferungen
abgeben. Jetzt kam noch ein Säckchen Tabak; der war für den Großvater,
der ja so gern ein Pfeifchen rauchte, wenn er am Abend vor der Hütte
saß. Zuletzt kam noch eine Anzahl geheimnisvoller Säckchen, Päckchen
und Schächtelchen, welche Klara mit besonderer Freude zusammengekramt
hatte, denn da sollte das Heidi allerhand Überraschungen finden, die
ihm große Freude machen würden. Endlich war das Werk beendet, und ein
stattlicher Ballen lag reisefertig an der Erde. Fräulein Rottenmeier
schaute darauf nieder, in tiefsinnige Betrachtungen über die Kunst zu
packen versunken. Klara ihrerseits warf Blicke froher Erwartung darauf
hin, denn sie sah das Heidi vor sich, wie es vor Überraschung in die
Höhe springen und aufjauchzen würde, wenn das ungeheure Paket bei ihm
anlangte.
Jetzt trat Sebastian herein und hob mit einem starken Schwung den
Ballen auf seine Schulter, um ihn unverzüglich nach dem Hause des
Herrn Doktors zu spedieren.
Ein Gast auf der Alm
Das Frührot glühte über den Bergen, und ein frischer Morgenwind
rauschte durch die Tannen und wogte die alten Äste mächtig hin und
her. Das Heidi schlug seine Augen auf, der Ton hatte es erweckt.
Dieses Rauschen packte das Heidi immer im Innersten seines Wesens und
zog es mit Gewalt hinaus unter die Tannen. Es schoß von seinem Lager
auf und hatte kaum Zeit, sich fertigzumachen; das mußte aber doch
sein, denn Heidi wußte nun recht gut, daß man immer sauber und
ordentlich aussehen muß. Jetzt kam es von dem Leiterchen herunter; des
Großvaters Lager war schon leer; es sprang hinaus. Draußen vor der Tür
stand der Großvater und schaute den Himmel nach allen Seiten hin an,
wie er jeden Morgen tat, um zu sehen, wie der Tag werden wollte.
Es zogen rosige Wölkchen oben hin, und mehr und mehr blaute der
Himmel, und drüben floß es wie lauter Gold über die Höhen und das
Weideland, denn eben kam droben die Sonne über die hohen Felsen
heraufgestiegen.
»O wie schön! O wie schön! Guten Tag, Großvater«, rief das Heidi
heranspringend.
»So, sind deine Augen auch schon hell?« gab der Großvater zurück, dem
Heidi die Hand zum Morgengruß hinhaltend.
Jetzt lief das Heidi unter die Tannen und hüpfte vor Freuden über das
Tosen und Sausen da droben unter den wogenden Ästen herum, und bei
jedem neuen Windstoß und lauten Wipfelbrausen jauchzte es auf vor
Wonne und sprang noch ein wenig höher.
Unterdessen war der Großvater zum Stalle hingegangen und hatte dem
Schwänli und Bärli die Milch abgenommen; dann hatte er beide schön
geputzt und gewaschen zur Bergreise und brachte sie nun auf den Platz
heraus. Als das Heidi seine Freunde erblickte, kam es herangesprungen
und faßte sie beide um den Hals, begrüßte sie zärtlich, und sie
meckerten fröhlich und zutraulich, und jede von den Geißen wollte dem
Heidi mehr Zuneigung beweisen und drückte ihren Kopf noch immer näher
an seine Schultern heran, so daß es zwischen den zweien fast zerdrückt
wurde. Aber das Heidi hatte keine Furcht, und wenn das lebhafte Bärli
gar zu arg bohrte und drängte mit seinem Kopfe, dann sagte das Heidi:
»Nein, Bärli, du stößt ja wie der große Türk«, und augenblicklich zog
Bärli seinen Kopf zurück und stellte sich ganz anständig hin, und das
Schwänli hatte auch schon seinen Kopf in die Höhe gereckt und machte
eine vornehme Gebärde, so daß man deutlich sehen konnte, es dachte bei
sich: Das soll mir denn keiner nachsagen, daß ich mich benehme wie der
Türk. Denn das schneeweiße Schwänli war noch ein wenig vornehmer als
das braune Bärli.
Jetzt hörte man von unten herauf die Pfiffe des Peter ertönen, und
bald kamen sie heraufgesprungen, die lustigen Geißen alle, voran der
flinke Distelfink in hohen Sprüngen. Gleich war das Heidi wieder
mitten in dem Rudel drin, und vor lauter stürmischen Begrüßungen wurde
es hin- und hergeschoben, und dann schob es wieder ein wenig, denn
es wollte zu dem schüchternen Schneehöppli vordringen, das ja von
den größeren immer wieder weggedrängt wurde, wenn es dem Heidi
entgegenstrebte.
Nun kam der Peter heran und tat einen letzten, fürchterlichen Pfiff,
der sollte die Geißen aufscheuchen und der Weide zujagen, denn er
wollte Platz bekommen, um dem Heidi etwas zu sagen. Die Geißen
sprangen ein wenig auseinander auf den Pfiff hin; so konnte der Peter
vorrücken und sich nun vor das Heidi hinstellen.
»Du kannst einmal wieder mitkommen heut«, war seine etwas störrige
Anrede.
»Nein, das kann ich nicht, Peter«, entgegnete das Heidi. »Jeden
Augenblick können sie jetzt von Frankfurt kommen, und dann muß ich
daheim sein.«
»Das hast du schon manchmal gesagt«, brummte der Peter.
»Es gilt aber immer noch, und es gilt, bis sie kommen«, gab das Heidi
zurück. »Oder meinst du etwa, ich müsse nicht daheim sein, wenn sie
von Frankfurt zu mir kommen? Meinst du etwa so etwas, Peter?«
»Sie können zum Öhi kommen«, versetzte der Peter knurrend.
Jetzt ertönte von der Hütte her die kräftige Stimme des Großvaters:
»Warum geht's nicht vorwärts mit der Armee? Fehlt's am Feldmarschall
oder an den Truppen?«
Augenblicklich machte der Peter kehrum, schwang seine Rute in der
Luft, daß sie sauste und alle Geißen, die den Ton wohl kannten, auf
und davon rannten, der Peter hinter ihnen drein, alle miteinander in
vollem Trabe den Berg hinan.
Seit das Heidi wieder daheim beim Großvater war, kam ihm hier und da
etwas in den Sinn, woran es vorher nicht gedacht hatte. So machte es
jetzt alle Morgen mit großer Anstrengung sein Bett zurecht und strich
so lange daran herum, bis es ganz glatt aussah. Dann lief es in der
Hütte hin und her, stellte jeden Stuhl an seinen Ort, und was etwa
da und dort herumlag oder -hing, das kramte es alles in den Schrank
hinein. Dann holte es einen Lappen herbei, kletterte auf einen Stuhl
hinauf und rieb so lange mit seinem Lappen auf dem Tische herum, bis
dieser ganz blank war. Wenn dann der Großvater wieder hereinkam,
schaute er wohlgefällig um sich und sagte etwa: »Bei uns ist's jetzt
immer wie Sonntag, das Heidi ist nicht vergebens in der Fremde
gewesen.«
Auch heute hatte Heidi, nachdem der Peter fortgetrabt war und es mit
dem Großvater gefrühstückt hatte, sich gleich an seine Geschäfte
gemacht, aber es wurde fast nicht fertig damit. Draußen war es heut
morgen gar so schön, und alle Augenblicke geschah wieder etwas, was
das Kind in seiner Tätigkeit unterbrach. Jetzt kam durch das offene
Fenster ein Sonnenstrahl so lustig hereingeschossen, und es war
geradezu, als riefe er: »Komm heraus, Heidi, komm heraus!« Da konnte
es nicht mehr drinnen bleiben, es rannte hinaus. Da lag der funkelnde
Sonnenschein um die ganze Hütte herum, und auf allen Bergen glänzte
er und weit, weit das Tal hinunter, und der Boden dort am Abhang sah
so goldig und trocken aus, es mußte ein wenig darauf niedersetzen
und umherschauen. Dann kam ihm auf einmal in den Sinn, daß das
Dreibeinstühlchen noch mitten in der Hütte stand und der Tisch noch
nicht geputzt war vom Morgenessen. Nun sprang es schnell auf und lief
in die Hütte zurück. Aber es währte gar nicht lange, so sauste es
draußen so mächtig durch die Tannen, daß es dem Heidi in alle Glieder
fuhr, es mußte schon wieder hinaus und ein wenig mithüpfen, wenn alle
Zweige da droben hin und her wogten und rollten. Der Großvater hatte
einstweilen hinten im Schopf allerlei Arbeit zu verrichten; er trat
von Zeit zu Zeit unter die Tür hinaus und schaute lächelnd Heidis
Sprüngen zu.
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