Hier setzte sich der Großvater hin, nachdem er erst die Tannen ringsum mit Heidi hatte beschauen müssen, nahm das Kind auf seinen Schoß, wickelte es um und um in den Sack ein, damit es hübsch warm bleibe, und drückte es fest mit dem linken Arm an sich, denn das war nötig bei der kommenden Fahrt. Dann umfasste er mit der rechten Hand die Stange und gab einen Ruck mit beiden Füßen. Da schoss der Schlitten davon die Alm hinab mit einer solchen Schnelligkeit, dass das Heidi meinte, es fliege in der Luft wie ein Vogel, und laut aufjauchzte. Auf einmal stand der Schlitten still, gerade bei der Hütte vom Geißenpeter. Der Großvater stellte das Kind auf den Boden, wickelte es aus seiner Decke heraus und sagte:

"So, nun geh hinein, und wenn es anfängt dunkel zu werden, dann komm wieder heraus und mach dich auf den Weg." Dann kehrte er um mit seinem Schlitten und zog ihn den Berg hinauf.

Heidi machte die Tür auf und kam in einen kleinen Raum hinein, da sah es schwarz aus, und ein Herd war da und einige Schüsselchen auf einem Gestell, das war die kleine Küche; dann kam gleich wieder eine Tür, die machte Heidi wieder auf und kam in eine enge Stube hinein, denn das Ganze war nicht eine Sennhütte, wie beim Großvater, wo ein einziger, großer Raum war und oben ein Heuboden, sondern es war ein kleines, uraltes Häuschen, wo alles eng war und schmal und dürftig. Als Heidi in das Stübchen trat, stand es gleich vor dem Tisch, daran saß eine Frau und flickte an Peters Wams, denn dieses erkannte Heidi sogleich. In der Ecke saß ein altes, gekrümmtes Mütterchen und spann. Heidi wusste gleich, woran es war; es ging geradaus auf das Spinnrad zu und sagte: "Guten Tag, Großmutter, jetzt komme ich zu dir; hast du gedacht, es währe lang, bis ich komme?"

Die Großmutter erhob den Kopf und suchte die Hand, die gegen sie ausgestreckt war, und als sie diese erfasst hatte, befühlte sie dieselbe erst eine Weile nachdenklich in der ihrigen, dann sagte sie: "Bist du das Kind droben beim Alm-Öhi, bist du das Heidi?"

"Ja, ja", bestätigte das Kind, "jetzt gerade bin ich mit dem
Großvater im Schlitten heruntergefahren."

"Wie ist das möglich! Du hast ja eine so warme Hand! Sag,
Brigitte, ist der Alm-Öhi selber mit dem Kind heruntergekommen?"

Peters Mutter, die Brigitte, die am Tisch geflickt hatte, war aufgestanden und betrachtete nun mit Neugierde das Kind von oben bis unten; dann sagte sie: "Ich weiß nicht, Mutter, ob der Öhi selber heruntergekommen ist mit ihm; es ist nicht glaublich, das Kind wird's nicht recht wissen."

Aber das Heidi sah die Frau sehr bestimmt an und gar nicht, als sei es im Ungewissen, und sagte: "Ich weiß ganz gut, wer mich in die Bettdecke gewickelt hat und mit mir heruntergeschlittelt ist; das ist der Großvater."

"Es muss doch etwas daran sein, was der Peter so gesagt hat den Sommer durch vom Alm-Öhi, wenn wir dachten, er wisse es nicht recht", sagte die Großmutter; "wer hätte freilich auch glauben können, dass so etwas möglich sei; ich dachte, das Kind lebte keine drei Wochen da oben. Wie sieht es auch aus, Brigitte!" Diese hatte das Kind unterdessen so von allen Seiten angesehen, dass sie nun wohl berichten konnte, wie es aussah.

"Es ist so fein gegliedert, wie die Adelheid war", gab sie zur Antwort; "aber es hat die schwarzen Augen und das krause Haar, wie es der Tobias hatte und auch der Alte droben; ich glaube, es sieht den zweien gleich."

Unterdessen war Heidi müßig geblieben; es hatte ringsum geguckt und alles genau betrachtet, was da zu sehen war. Jetzt sagte es: "Sieh, Großmutter, dort schlägt es einen Laden immer hin und her, und der Großvater würde auf der Stelle einen Nagel einschlagen, dass er wieder fest hält, sonst schlägt er auch einmal eine Scheibe ein; sieh, sieh, wie er tut!"

"Ach, du gutes Kind", sagte die Großmutter, "sehen kann ich es nicht, aber hören kann ich es wohl und noch viel mehr, nicht nur den Laden; da kracht und klappert es überall, wenn der Wind kommt, und er kann überall hereinblasen; es hält nichts mehr zusammen, und in der Nacht, wenn sie beide schlafen, ist es mir manchmal so angst und bang, es falle alles über uns zusammen und schlage uns alle drei tot; ach, und da ist kein Mensch, der etwas ausbessern könnte an der Hütte, der Peter versteht's nicht."

"Aber warum kannst du denn nicht sehen, wie der Laden tut, Großmutter? Sieh jetzt wieder, dort, gerade dort." Und Heidi zeigte die Stelle deutlich mit dem Finger.

"Ach Kind, ich kann ja gar nichts sehen, gar nichts, nicht nur den
Laden nicht", klagte die Großmutter.

"Aber wenn ich hinausgehe und den Laden ganz aufmache, dass es recht hell wird, kannst du dann sehen, Großmutter?"

"Nein, nein, auch dann nicht, es kann mir niemand mehr hell machen."

"Aber wenn du hinausgehst in den ganz weißen Schnee, dann wird es dir gewiss hell; komm nur mit mir, Großmutter, ich will dir's zeigen." Heidi nahm die Großmutter bei der Hand und wollte sie fortziehen, denn es fing an, ihm ganz ängstlich zumute zu werden, dass es ihr nirgends hell wurde.

"Lass mich nur sitzen, du gutes Kind; es bleibt doch dunkel bei mir, auch im Schnee und in der Helle, sie dringt nicht mehr in meine Augen."

"Aber dann doch im Sommer, Großmutter", sagte Heidi, immer ängstlicher nach einem guten Ausweg suchend; "weißt, wenn dann wieder die Sonne ganz heiß herunterbrennt und dann 'gute Nacht' sagt und die Berge alle feuerrot schimmern und alle gelben Blümlein glitzern, dann wird es dir wieder schön hell?"

"Ach, Kind, ich kann sie nie mehr sehen, die feurigen Berge und die goldenen Blümlein droben, es wird mir nie mehr hell auf Erden, nie mehr."

Jetzt brach Heidi in lautes Weinen aus. Voller Jammer schluchzte es fortwährend: "Wer kann dir denn wieder hell machen? Kann es niemand? Kann es gar niemand?"

Die Großmutter suchte nun das Kind zu trösten, aber es gelang ihr nicht so bald. Heidi weinte fast nie; wenn es aber einmal anfing, dann konnte es auch fast nicht mehr aus der Betrübnis herauskommen. Die Großmutter hatte schon allerhand probiert, um das Kind zu beschwichtigen, denn es ging ihr zu Herzen, dass es so jämmerlich schluchzen musste. Jetzt sagte sie: "Komm, du gutes Heidi, komm hier heran, ich will dir etwas sagen. Siehst du, wenn man nichts sehen kann, dann hört man so gern ein freundliches Wort, und ich höre es gern, wenn du redest; komm, setz dich da nahe zu mir und erzähl mir etwas, was du machst da droben und was der Großvater macht, ich habe ihn früher gut gekannt; aber jetzt hab ich seit manchem Jahr nichts mehr gehört von ihm als durch den Peter, aber der sagt nicht viel."

Jetzt kam dem Heidi ein neuer Gedanke; es wischte rasch seine Tränen weg und sagte tröstlich: "Wart nur, Großmutter, ich will alles dem Großvater sagen, er macht dir schon wieder hell und macht, dass die Hütte nicht zusammenfällt, er kann alles wieder in Ordnung machen."

Die Großmutter schwieg stille, und nun fing Heidi an, ihr mit großer Lebendigkeit zu erzählen von seinem Leben mit dem Großvater und von den Tagen auf der Weide und von dem jetzigen Winterleben mit dem Großvater, was er alles aus Holz machen könne, Bänke und Stühle und schöne Krippen, wo man für das Schwänli und Bärli das Heu hineinlegen könnte, und einen neuen großen Wassertrog zum Baden im Sommer, und ein neues Milchschüsselchen und Löffel, und Heidi wurde immer eifriger im Beschreiben all der schönen Sachen, die so auf einmal aus einem Stück Holz herauskommen, und wie es dann neben dem Großvater stehe und ihm zuschaue und wie es das alles auch einmal machen wolle. Die Großmutter hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, und von Zeit zu Zeit sagte sie dazwischen: "Hörst du's auch, Brigitte? Hörst du, was es vom Öhi sagt?"

Mit einem Mal wurde die Erzählung unterbrochen durch ein großes Gepolter an der Tür, und herein stampfte der Peter, blieb aber sogleich stille stehen und sperrte seine runden Augen ganz erstaunlich weit auf, als er das Heidi erblickte, und schnitt die allerfreundlichste Grimasse, als es ihm sogleich zurief: "Guten Abend, Peter!"

"Ist denn das möglich, dass der schon aus der Schule kommt", rief die Großmutter ganz verwundert aus. "So geschwind ist mir seit manchem Jahr kein Nachmittag vergangen! Guten Abend, Peterli, wie geht es mit dem Lesen?"

"Gleich", gab der Peter zur Antwort.

"So, so", sagte die Großmutter ein wenig seufzend, "ich habe gedacht, es gäbe vielleicht eine Änderung auf die Zeit, wenn du dann zwölf Jahre alt wirst gegen den Hornung hin."

"Warum muss es eine Änderung geben, Großmutter?", fragte Heidi gleich mit Interesse.

"Ich meine nur, dass er es etwa noch hätte lernen können", sagte die Großmutter, "das Lesen mein ich. Ich habe dort oben auf dem Gestell ein altes Gebetbuch, da sind schöne Lieder drin, die habe ich so lange nicht mehr gehört, und im Gedächtnis habe ich sie auch nicht mehr; da habe ich gehofft, wenn der Peterli nun lesen lerne, so könne er mir etwa ein gutes Lied lesen; aber er kann es nicht lernen, es ist ihm zu schwer."

"Ich denke, ich muss Licht machen, es wird ja schon ganz dunkel", sagte jetzt Peters Mutter, die immer emsig am Wams fortgeflickt hatte; "der Nachmittag ist mir auch vergangen, ohne dass ich's merkte."

Nun sprang Heidi von seinem Stühlchen auf, streckte eilig seine Hand aus und sagte: "Gut Nacht, Großmutter, ich muss auf der Stelle heim, wenn es dunkel wird", und hintereinander bot es dem Peter und seiner Mutter die Hand und ging der Tür zu. Aber die Großmutter rief besorgt: "Wart, wart, Heidi; so allein musst du nicht fort, der Peter muss mit dir, hörst du? Und gib Acht auf das Kind, Peterli, dass es nicht umfällt, und steh nicht still mit ihm, dass es nicht friert, hörst du? Hat es auch ein dickes Halstuch an?"

"Ich habe gar kein Halstuch an", rief Heidi zurück, "aber ich will schon nicht frieren"; damit war es zur Tür hinaus und huschte so behend weiter, dass der Peter kaum nachkam. Aber die Großmutter rief jammernd: "Lauf ihm nach, Brigitte, lauf, das Kind muss ja erfrieren, so bei der Nacht, nimm mein Halstuch mit, lauf schnell!" Die Brigitte gehorchte. Die Kinder hatten aber kaum ein paar Schritte den Berg hinan getan, so sahen sie von oben herunter den Großvater kommen, und mit wenigen rüstigen Schritten stand er vor ihnen.

"Recht so, Heidi, Wort gehalten!", sagte er, packte das Kind wieder fest in seine Decke ein, nahm es auf seinen Arm und stieg den Berg hinauf. Eben hatte die Brigitte noch gesehen, wie der Alte das Kind wohl verpackt auf seinen Arm genommen und den Rückweg angetreten hatte. Sie trat mit dem Peter wieder in die Hütte ein und erzählte der Großmutter mit Verwunderung, was sie gesehen hatte. Auch diese musste sich sehr verwundern und ein Mal über das andere sagen: "Gott Lob und Dank, dass er so ist mit dem Kind, Gott Lob und Dank! Wenn er es nur auch wieder zu mir lässt, das Kind hat mir so wohl gemacht! Was hat es für ein gutes Herz und wie kann es so kurzweilig erzählen!" Und immer wieder freute sich die Großmutter, und bis sie ins Bett ging, sagte sie immer wieder: "Wenn es nur auch wiederkommt! Jetzt habe ich doch noch etwas auf der Welt, auf das ich mich freuen kann!" Und die Brigitte stimmte jedes Mal ein, wenn die Großmutter wieder dasselbe sagte, und auch der Peter nickte jedes Mal zustimmend mit dem Kopf und zog seinen Mund weit auseinander vor Vergnüglichkeit und sagte: "Hab's schon gewusst."

Unterdessen redete das Heidi in seinem Sack drinnen immerzu an den
Großvater heran; da die Stimme aber nicht durch den achtfachen
Umschlag dringen konnte und er daher kein Wort verstand, sagte er:
"Wart ein wenig, bis wir daheim sind, dann sag's."

Sobald er nun, oben angekommen, in seine Hütte eingetreten war und Heidi aus seiner Hülle herausgeschält hatte, sagte es: "Großvater, morgen müssen wir den Hammer und die großen Nägel mitnehmen und den Laden festschlagen bei der Großmutter und sonst noch viele Nägel einschlagen, denn es kracht und klappert alles bei ihr."

"Müssen wir? So, das müssen wir? Wer hat dir das gesagt?", fragte der Großvater.

"Das hat mir kein Mensch gesagt, ich weiß es sonst", entgegnete Heidi, "denn es hält alles nicht mehr fest und es ist der Großmutter angst und bang, wenn sie nicht schlafen kann und es so tut, und sie denkt: 'Jetzt fällt alles ein und gerade auf unsere Köpfe'; und der Großmutter kann man gar nicht mehr hell machen, sie weiß gar nicht, wie man es könnte, aber du kannst es schon, Großvater; denk nur, wie traurig es ist, wenn sie immer im Dunkeln ist und es ihr dann noch angst und bang ist und es kann ihr kein Mensch helfen als du! Morgen wollen wir gehen und ihr helfen; gelt, Großvater, wir wollen?"

Heidi hatte sich an den Großvater angeklammert und schaute mit zweifellosem Vertrauen zu ihm auf. Der Alte schaute eine kleine Welle auf das Kind nieder, dann sagte er: "Ja, Heidi, wir wollen machen, dass es nicht mehr so klappert bei der Großmutter, das können wir; morgen tun wir's."

Nun hüpfte das Kind vor Freude im ganzen Hüttenraum herum und rief ein Mal ums andere: "Morgen tun wir's! Morgen tun wir's!"

Der Großvater hielt Wort. Am folgenden Nachmittag wurde dieselbe
Schlittenfahrt ausgeführt. Wie am vorhergehenden Tag stellte der
Alte das Kind vor der Tür der Geißenpeter-Hütte nieder und sagte:
"Nun geh hinein, und wenn's Nacht wird, komm wieder." Dann legte er
den Sack auf den Schlitten und ging um das Häuschen herum.

Kaum hatte Heidi die Tür aufgemacht und war in die Stube hineingesprungen, so rief schon die Großmutter aus der Ecke: "Da kommt das Kind! Das ist das Kind!", und ließ vor Freude den Faden los und das Rädchen stehen und streckte beide Hände nach dem Kinde aus. Heidi lief zu ihr, rückte gleich das niedere Stühlchen ganz nahe an sie heran, setzte sich darauf und hatte der Großmutter schon wieder eine große Menge von Dingen zu erzählen und von ihr zu erfragen. Aber auf einmal ertönten so gewaltige Schläge an das Haus, dass die Großmutter vor Schrecken so zusammenfuhr, dass sie fast das Spinnrad umwarf, und zitternd ausrief: "Ach du mein Gott, jetzt kommt's, es fällt alles zusammen!" Aber Heidi hielt sie fest um den Arm und sagte tröstend: "Nein, nein, Großmutter, erschrick du nur nicht, das ist der Großvater mit dem Hammer, jetzt macht er alles fest, dass es dir nicht mehr angst und bang wird."

"Ach, ist auch das möglich! Ist auch so etwas möglich! So hat uns doch der liebe Gott nicht ganz vergessen!", rief die Großmutter aus. "Hast du's gehört, Brigitte, was es ist, hörst du's? Wahrhaftig, es ist ein Hammer! Geh hinaus, Brigitte, und wenn es der Alm-Öhi ist, so sag ihm, er soll doch dann auch einen Augenblick hereinkommen, dass ich ihm auch danken kann."

Die Brigitte ging hinaus. Eben schlug der Alm-Öhi mit großer Gewalt neue Kloben in die Mauer; Brigitte trat an ihn heran und sagte: "Ich wünsche Euch guten Abend, Öhi, und die Mutter auch, und wir haben Euch zu danken, dass Ihr uns einen solchen Dienst tut, und die Mutter möchte Euch noch gern eigens danken drinnen; sicher, es hätte uns das nicht gerad einer getan, wir wollen Euch auch dran denken, denn sicher—"

"Macht's kurz", unterbrach sie der Alte hier; "was Ihr vom Alm-Öhi haltet, weiß ich schon. Geht nur wieder hinein; wo's fehlt, find ich selber."

Brigitte gehorchte sogleich, denn der Öhi hatte eine Art, der man sich nicht leicht widersetzte. Er klopfte und hämmerte um das ganze Häuschen herum, stieg dann das schmale Treppchen hinauf bis unter das Dach, hämmerte weiter und weiter, bis er auch den letzten Nagel eingeschlagen, den er mitgebracht hatte. Unterdessen war auch schon die Dunkelheit hereingebrochen, und kaum war er heruntergestiegen und hatte seinen Schlitten hinter dem Geißenstall hervorgezogen, als auch schon Heidi aus der Tür trat und vom Großvater wie gestern verpackt auf den Arm genommen und der Schlitten nachgezogen wurde, denn allein da drauf sitzend, wäre die ganze Umhüllung vom Heidi abgefallen, und es wäre fast oder ganz erfroren.