Als er den Rico hinunterschwang, hielt er ihm sorgfältig die Mütze fest, denn da war all das Geld drin, und Rico hatte genug zu tun, seine Geige zu halten.

Der Kutscher war ganz vergnügt, als er die Mütze in Ricos Hand abgab und sagte: »So ist's recht, nun kannst du auch Mittag halten.«

Die Studenten sprangen hinunter, einer nach dem andern, und alle wollten den Geiger betrachten. Sie hatten ihn nicht recht sehen können von ihren Sitzen aus, und als sie nun das schmächtige Bürschlein sahen, gingen die Verwunderung und die Heiterkeit erst recht wieder an. Sie hätten der guten Stimme nach einen größeren Menschen erwartet, nun war der Spaß noch größer. Sie nahmen das Büblein in ihre Mitte und zogen mit Gesang ins Wirtshaus ein. Da mußte denn an dem schön gedeckten Tisch der Rico zwischen zwei Herren sitzen, und sie sagten, er sei ihr Gast und legten ihm alle drei miteinander jeder ein Stück auf den Teller; denn keiner wollte ihm weniger geben. Solch reichhaltiges Mittagessen hatte Rico noch nie genossen.

»Und von wem hast du dein schönes Lied, Geigerlein?« fragte einer von den dreien.

»Von Stineli, sie hat es selbst gemacht«, antwortete Rico ernsthaft.

Die drei sahen sich an und brachen in ein neues, schallendes Lachen aus.

»Das ist schön von Stineli«, rief einer, »wir wollen sie gleich hochleben lassen.«

Rico mußte auch anstoßen und tat es fröhlich auf Stinelis Gesundheit.

Nun war die Zeit um, und als man wieder zum Wagen herantrat, kam ein dicker Mann auf Rico zu, der hatte einen so gewaltigen Stock in der Hand, daß man denken mußte, er habe einen jungen Baum ausgerissen. Er war in einen festen, gelb-grauen Stoff gekleidet von oben bis unten.

»Komm her, Kleiner«, sagte der, »du hast so schön gesungen. Ich habe dich hier im Wagen gehört, und ich habe auch mit Schafen zu tun wie du. Ich bin ein Schafhändler, und weil du so schön von den Schafen singen kannst, mußt du von mir auch etwas haben.« Damit legte er ein schönes Stück Silbergeld in Ricos Hand; denn die Mütze war indessen geleert und alles in die Tasche gesteckt worden.

Der Mann stieg in den Wagen an seinen Platz, und Rico wurde vom Kutscher wie eine Feder hinauf gehoben. Dann ging's wieder davon.

Wenn der Wagen nicht zu rasch fuhr, wollten die Studenten immer gleich Musik haben, und Rico spielte alle Melodien, deren er sich nur erinnern kannte vom Vater her, und zuletzt spielte er noch: »Ich singe dir mit Herz und Mund.«

Bei dieser Melodie mußten die Studenten ganz sanft eingeschlafen sein; denn im Wagen war's still geworden. Auch die Geige schwieg. Der Abendwind kam milde herangeweht, und leise stiegen die Sternlein auf am Himmel, eins nach dem andern, bis sie ringsum strahlten, wo Rico hinsah. Er dachte an Stineli und die Großmutter, und es fiel ihm ein, daß um diese Zeit die Abendglocke läutete und die beiden ihr Vaterunser beteten. Das wollte er auch tun; es war dann so, wie wenn er bei ihnen wäre. Und er faltete die Hände und betete unter dem leuchtenden Sernenhimmel andächtig sein Vaterunser.

Die Weiterreise

Rico war auch eingeschlafen. Er erwachte davon, daß ihn der Kutscher packte, um ihn herunterzunehmen. Nun stieg alles aus, und die drei Studenten kamen noch auf Rico zu, schüttelten ihm die Hand und wünschten ihm viel Glück auf seiner Reise. Und einer rief: »Grüß auch Stineli freundlich von uns!«

Dann verschwanden sie in einer Straße, und Rico hörte, wie sie noch einmal anstimmten: »Und die Schäflein, und die Schäflein.«

Rico stand in der dunklen Nacht und hatte gar keinen Begriff, wo er war, und auch nicht, was er tun sollte. Da fiel ihm ein, daß er nicht einmal dem Kutscher gedankt hatte, der ihn doch so weit hatte mitfahren lassen, und er wollte es gleich noch tun. Aber der Kutscher war mitsamt den Pferden verschwunden, und es war ringsum dunkel. Jedoch drüben hing eine Laterne, auf diese ging Rico zu. Sie hing an der Stalltiir, wo die Pferde eben hineingeführt wurden. Daneben stand der Schafhändler mit dem dicken Stock; er schien auf den Kutscher zu warten. Rico stellte sich auch hin und wartete.

Der Schafhändler schien ihn in der Dunkelheit nicht gleich erkannt zu haben. Auf einmal sagte er erstaunt: »Was, bist du auch noch da, Kleiner, wo bringst du denn die Nacht zu?«

»Ich weiß nicht, wo«, antwortete Rico.

»Das wäre der Tausend! Um elf Uhr in der Nacht ein solches Bißchen von einem Buben wie du, und im fremden Lande -« Der Schafhändler konnte den Satz nicht beenden; denn Rico lief auf den Kutscher zu, der aus dem Stall herauskam und sagte: »Ich muß mich noch bedanken für das Mitnehmen.«

»Das ist gerade gut, daß du noch kommst; jetzt hätte ich dich über den Pferden vergessen und wollte dich doch da einem Bekannten übergeben. - Eben wollte ich Euch fragen, guter Freund«, fuhr er, zum Schafhändler gewandt, fort, »ob Ihr nicht das Büblein mitnehmen würdet, weil Ihr doch ins Bergamaskische hinabgeht. Es muß an den Gardasee hinunter, irgendwohin; es ist eins von denen, die so hin und her - Ihr versteht mich schon.«

Dem Schafhändler kamen allerhand Geschichten von gestohlenen und verlorenen Kindern vor Augen. Er schaute Rico im Schein der Laterne mitleidsvoll an und sagte halblaut zum Kutscher: »Er sieht auch so aus, als stecke er nicht in seinem richtigen Anzug. Er wird wohl in ein Herrenmäntelchen hineingehören. Ich nehme ihn mit.«

Nachdem er noch einen Schafhandel mit dem Kutscher besprochen hatte, nahmen die beiden Abschied voneinander, und der Schafhändler winkte Rico, er solle mit ihm kommen.

Nach einer kurzen Wanderung trat der Mann in eine große Wirtsstube ein, wo er sich mit Rico in einer Ecke niederließ.

»Nun wollen wir einmal deine Barschaft ansehen«, sagte er zu Rico, »daß wir wissen, wie weit du damit kommst. Wohin mußt du unten am See?«

»Nach Peschiera am Gardasee«, war Ricos unveränderliche Antwort. Er zog nun seine Geldstücke alle hervor, ein ansehnliches Häuflein kleiner Münzen und oben darauf das größere Silberstück.

»Hast du nur das eine gute Stück?« fragte der Händler.

»Ja, nur das, von Euch hab ich's«, entgegnete Rico.

Dem Mann gefiel es, daß er allein ein großes Stück gegeben hatte und daß es der Junge wußte.