Er
bekam Lust, ihm gleich noch etwas zu geben. Als nun gerade das
Essen vor sie hingestellt wurde, nickte der behäbige Mann
seinem kleinen Nachbarn zu und sagte: »Das bezahl ich und das
Nachtlager auch; so reichst du morgen mit deinem Vermögen
aus.«
Rico war so müde von der langen Fahrt und all dem Singen
und Geigen, daß er kaum mehr essen konnte; und in der
großen Kammer, wo er zusammen mit seinem Beschützer die
Nacht zu-zubringen hatte, war er kaum in sein Bett gestiegen, als
er sofort in einen tiefen Schlaf sank.
Am frühen Morgen wurde Rico von einer kräftigen Hand
aus dem Schlaf gerüttelt. Er sprang eilends aus seinem Bett;
sein Begleiter stand schon mit dem Stock in der Hand reisefertig
da.
Es währte nicht lange, so stand auch Rico zur Abreise
bereit, die Geige im Arm. Erst traten die heiden in die Wirtsstube
ein, und Ricos Begleiter rief nach Kaffee. Dann ermunterte er den
Jungen, er solle nur recht viel davon zu sich nehmen; denn nun
komme eine lange Fahrt, die werde Hunger machen.
Als das Frühstück beendet war, zogen die Reisenden
aus. Nach einer Strecke des Weges kamen sie um eine Ecke herum, und
-wie mußte Rico da die Augen auftun - auf einmal sah er einen
großen, flimmernden See vor sich, und ganz erregt sagte er:
»Jetzt kommt der Gardasee.«
»Noch lange nicht, Bürschlein; jetzt sind wir am
Comersee«, erklärte sein Schutzherr. Nun stiegen sie in
ein Schiff und fuhren viele Stunden lang dahin. Rico schaute bald
nach den sonnigen Ufern, bald in die blauen Wellen, und es wehte
ihn heimatlich an. - Jetzt legte er plötzlich sein
Silberstück auf den Tisch.
»Was, was, hast du schon zuviel Geld?« fragte der
Schafhändler, der, mit beiden Armen auf seinen Stock
gestützt, erstaunt dem Unternehmen zusah.
»Heute muß ich bezahlen«, sagte Rico,
»Ihr habt's gesagt.«
»Du gibst acht, wenn man dir etwas sagt, das ist etwas
Gutes; aber sein Geld legt man nicht nur so auf den Tisch. Gib
mir's einmal her!«
Damit stand er auf und ging, sich nach der Bezahlung umzusehen.
Als er aber seinen dicken Lederbeutel hervorzog, der ganz voll
solcher Silberstücke war - denn er war auf einer Handelsreise
begriffen, da konnte er es nicht übers Herz bringen, des
Bübleins einziges Stück herzugeben. Er brachte es wieder
zurück samt der Karte und sagte:
»Da, du kannst's morgen noch besser brauchen. Jetzt bist
du noch bei mir, und wer weiß, wie es dir nachher geht. Wenn
du einmal da unten ankommst und ich nicht mehr bei dir bin, findest
du dann auch ein Haus, wo du hineingehen darfst?«
»Nein, ich weiß kein Haus», antwortete Rico.
Der Mann hatte ein großes heimliches Erstaunen zu
bewältigen; des Bübleins Geschichte kam ihm sehr
geheimnisvoll vor. Er ließ aber nichts merken und fragte auch
nicht weiter. Er dachte, da komme er doch nicht ins klare. Der
Kutscher müsse ihm einmal Aufschluß geben, der wisse
wohl mehr von allem, als das Büblein selbst. Mit diesem hatte
er großes Mitleid, denn es mußte bald seinen Schutz
verlieren.
Als das Schiff stillstand, nahm der Mann Rico an die Hand und
sagte: »So verlier ich dich nicht, und du kommst besser nach;
denn jetzt heißt's gut marschieren; die warten nicht.«
Rico hatte zu tun, den langen Schritten nachzukommen.
Er schaute weder rechts noch links, und auf einmal stand er vor
einer langen Reihe sonderbarer Rollwagen. Da stieg er auf einem
Treppchen hinein, dem Begleiter nach, und nun fuhr Rico zum
erstenmal in seinem Leben mit der Eisenbahn. Nachdem man so eine
Stunde lang gefahren war, stand der Schafhandler auf und sagte:
»Jetzt sind wir in Bergamo. Ich muß dich hier
verlassen. Du bleibst ruhig sitzen, bis dich einer herausholt; dann
bist du da. Ich habe all das geregelt.»
»Bin ich dann in Peschiera am Gardasee?« fragte
Rico.« Das bestätigte sein Beschützer. Nun bedankte
sich Rico recht schön; denn er hatte wohl verstanden, wieviele
Guttaten ihm dieser Mann erwiesen hatte, und so schieden sie, und
die Trennung tat jedem leid.
Rico saß nun ganz still in seiner Ecke und hatte Zeit zu
träumen; denn es bekümmerte sich kein Mensch mehr um ihn.
So mochte er wohl gegen drei Stunden unbeweglich dagesessen haben,
als der Zug wieder einmal anhielt, wie schon mehrere Male.
Jetzt trat ein Wagenführer herein, nahm Rico am Arm und zog
ihn in Eile aus dem Wagen und die Treppe hinunter. Dann deutete er
die Anhöhe hinab und sagte: »Peschiera!; und im Nu war
er wieder im Wagen droben und verschwunden. Der Zug sauste
weiter.
Am fernen schönen See
Rico entfernte sich einige Schritte von dem Gebäude, wo der
Zug angehalten hatte, und schaute um sich. Dieses weiße Haus,
der kahle Platz davor, der schnurgerade Weg in die Ferne, alles war
ihm fremd. Das hatte er in seinem Leben nie gesehen, und er dachte
bei sich: »Ich hin nicht am rechten Ort.« Er ging
traurig weiter den Weg hinab, zwischen den Bäumen durch. Nun
machte der Weg eine Wendung, und Rico stand da wie im Traum und
rührte sich nicht mehr. Vor ihm lag funkelnd im hellen
Sonnenschein der himmelblaue See mit den warmen, stillen Ufern, und
drüben kamen die Berge nahe zusammen. In der Mitte lag die
sonnige Bucht, und freundliche Häuser schimmerten
herüber.
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