Als aber die Gäste, die am nächsten Tisch saßen, die Geige sahen, riefen gleich mehrere von ihnen: »Da gibt's Musik«, und einer rief: »Spiel auf, Kleiner, gleich lustig!« Und alle riefen so durcheinander, daß der Wirt kaum fragen konnte, was Rico für eine Sprache rede und woher er komme. Rico antwortete nun in seiner Sprache, daß er über den Malojapaß heruntergekommen sei, und daß er alles verstehe, was sie hier sagten, aber nicht so reden könne. Der Wirt verstand ihn und sagte, er sei auch schon da droben gewesen, und sie wollten später noch miteinander reden, aber jetzt solle er etwas geigen, denn die Gäste riefen noch immerfort, sie wollten Musik haben.

Da fing Rico gehorsam an zu spielen, und zwar wie immer mit seinem Liede und sang dazu. Aber von den Gästen verstand keiner ein Wort von dem Gesang, und die Melodie kam diesen Zuhörern wohl ein wenig einfach vor. Die einen fingen an zu schwatzen und zu lärmen, die anderen riefen, sie wollten etwas anderes, einen Tanz oder etwas Schönes.

Rico sang unentwegt sein Lied zu Ende; denn wenn er einmal angefangen hatte, dann sang er es durch. Als er fertig war, besann er sich: einen Tanz konnte er nicht spielen, er kannte keinen. Das Lied der Großmutter ging noch langsamer, und sie konnten wieder nichts verstehen. Jetzt kam ihm ein passendes in den Sinn, und er stimmte an:

»Una sera in Peschiera«

Kaum waren die ersten melodischen Töne dieses Liedes erklungen, so entstand eine völlige Stille, und mit ,einem Male ertönten von da und dort von allen Tischen her die Stimmen, und es wurde ein Chor, so schön, wie Rico nie einen gehört hatte. Er kam in Begeisterung und spielte immer feuriger, und die Männer sangen immer eifriger. War ein Vers zu Ende, so fing Rico mit festem Zuge den neuen an; denn er wußte noch vom Vater her, wo es aufhörte. Als der Schluß kam, brach nach dem schönen Gesang ein solcher Lärm los, wie Rico noch keinen gehört hatte. Alle die Menschen riefen und schrien durcheinander und schlugen vor Freude die Fäuste auf den Tisch, und dann kamen sie alle mit ihren Gläsern auf Rico los, und aus jedem sollte er trinken. Zwei schüttelten ihm die Hände und einer klopfte ihn auf die Schultern, und alle miteinander schrien ihn an und machten vor lauter Freudenspektakel dem Rico Angst und Bange, so daß er immer ängstlicher wurde. Er hatte ihr PeschieraLied gespielt, das nur ihnen gehörte und das nie ein Fremder lernen konnte, und er hatte es fest und rein gespielt, als wäre er einer von Peschiera. Die lebhaft empfindenden Peschierianer konnten dies nicht genug aussprechen und sich freuen über den Wundergeiger; sie wollten Brüderschaft mit ihm trinken.

Nun kam die Wirtin dazwischen mit einem Teller voll Reis und einem großen Stück Huhn oben darauf. Sie winkte dem Rico und sagte den Leuten, sie sollten ihn in Ruh lassen. Er müsse nun essen, er sei ja ganz blaß vor Anstrengung. Dann stellte sie seinen Teller auf einen kleinen Tisch in der Ecke, setzte sich zu ihm und ermunterte ihn, brav zu essen, das könne einem so mageren Bürschchen nur gut tun.

Rico fand auch sein Nachtessen vortreffiich; denn seit dem Kaffee am frühen Morgen hatte er keinen Bissen mehr gesehen, und zu dem Fasten hatte er so viel erlebt heute!

Sobald er seinen Teller leer hatte, fielen ihm die Augen zu vor Müdigkeit. Der Wirt war an den Tisch getreten und lobte Rico für sein Spiel und fragte ihn, wem er angehöre und wohin er wolle. Rico sagte, während er seine Augen mit Mühe offenhielt, er gehöre niemandem, und er wolle nirgends hin.

Da ermunterte ihn der Wirt freundlich, er solle nur ohne Sorgen schlafen gehen. Morgen könne er dann die Frau Menotti wieder besuchen, die ihn hierher geschickt habe; die sei eine gar gute Frau und könne ihn vielleicht als Knechtlein gebrauchen, wenn er nicht wisse wohin.

Die Wirtin zog den Mann am Ärmel und wollte ihn hindern weiterzusprechen. Er redete aber doch fertig, denn er begriff nicht, was sie wollte.

Nun begannen die Männer an den Tischen wieder zu lärmen, sie wollten noch einmal ihr Lied gespielt haben. Da rief die Wirtin: »Nein, nein, am Sonntag wieder. Er fällt ja um vor Müdigkeit.« Damit nahm sie Rico an der Hand und führte ihn hinauf in eine große Kammer. Ein Pferdegeschirr hing dort an der Wand; in einer Ecke war Korn aufgeschüttet, in der anderen stand ein Bett. In wenigen Minuten lag Rico darin und schlief tief und fest.

Später, als in dem Hause alles still geworden war, saß der Wirt noch an dem Tischchen, wo Rico gesessen, und die Frau stand vor ihm; denn sie räumte auf und sagte mit Eifer: »Den solltest du der Frau Menotti nicht wieder zuschicken. Ein solches Bürschlein kann ich gerade zu allerhand Geschäften gebrauchen, und hast du denn nicht bemerkt, wie er geigen kann~ Sie wurden ja alle wild davon. Gib acht, das wird ein Geiger, wie einer ist von unseren dreien, und Tänze spielen lernt der schon. Dann hast du ihn umsonst an allen Tanztagen und kannst ihn noch ausleihen. Den darfst du nicht mehr aus der Hand lassen. Er sieht gut aus und gefällt mir; den behalten wir.«

»Es ist mir auch recht«, sagte der Wirt und sah ein, daß seine Frau etwas Vorteilhaftes ausgedacht hatte.

Neue Freundschaft, und die alte nicht vergessen

Am Morgen darauf stand die Wirtin unter der Haustür und schaute nach dem Wetter, und was sich etwa über Nacht ereignet habe.