Herr Koloman Isbaregg, dessen Heldentaten während des Weltkrieges des öfteren in der.Morgenpost' rühmende Erwähnung gefunden hatten, erzählte dem Chef der Sicherheitspolizei anlässlich seines Verhöres, daß er vor etwa vierzehn Tagen Zeuge gewesen sei, wie ein junges Mädchen nach einem heftigen Wortwechsel das Zimmer des Herrn Geiger
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weinend verlassen hatte. Frau Dr. Schlüter habe ihm erzählt, daß dies die Nichte des Ermordeten sei, die sich vergeblich an ihren Onkel um materielle Hilfe gewendet habe. Frau Dr. Schlüter bestätigte dies und fügte hinzu, daß das Mädchen um eine kleine Mitgift zur Gründung eines Hausstandes, da sie sich verheiraten wollte, gebeten habe, aber ziemlich schroff abgewiesen worden sei. Dieses junge Mädchen wurde im Laufe des Nachmittages unschwer zur Stelle gebracht. Es ist dies die einundzwanzigjährige Grete Altmann, ein zartes, hübsches Mädchen mit gewinnenden Manieren. Sie lebt mit ihrer Mutter, der verwitweten Beamtensgattin Anna Altmann, in recht bescheidenen Verhältnissen und gibt Klavierunterricht, da die Pension der Mutter zum Leben nicht ausreicht. Fräulein Altmann war über das schreckliche Ende ihres Onkels ersichtlich erschüttert und gab ohne weiters zu, in tiefstem Groll von ihm geschieden zu sein, nicht so sehr, weil er ihr die erbetene Hilfe abgeschlagen hatte, sondern wegen der zynischen Art und Weise, wie er dies getan. Ihr Bräutigam sei der Arzt Dr.
Heinrich Thalmann, der seit einem Monat im Sanatorium Tobelbad eine Stellung als Assistenzarzt bekleide. Eine sofortige telephonische Anfrage in diesem bekannten Sanatorium ergab, daß Dr. Thalmann seit Antritt seiner Stellung die Anstalt noch nie verlassen und in der gestrigen Nacht bei einer schwierigen Unterleibsoperation assistiert habe.
Jeder, auch nur der leiseste Verdacht muß also nach dieser Richtung als beseitigt erklärt werden, und die Polizei hat nunmehr ihren ganzen Apparat in Tätigkeit gesetzt, um des angeblichen Spaniers habhaft zu werden. Heute, wenn unsere Leser diese Zeilen zu Gesicht bekommen, werden schon in ganz Deutschösterreich die Steckbriefe des Mörders verbreitet und überall Plakate affichiert sein, die eine Belohnung von 5000
Kronen für die Ergreifung des ruchlosen Gesellen ankündigen."
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VIII. KAPITEL
Dies war der erste Bericht der „Morgenpost", der in ganz Wien enormes Aufsehen erregte und zu einer wahren Panik in allen Fremdenpensionen führte. Die Mittagsausgabe des Blattes brachte aber einen weiteren umfangreichen Bericht, der auf die Sensationslust der Massen noch anregender wirkte. Der zweite Artikel, der ebenfalls der Feder des Reporters Finkelstein entstammte, hatte folgenden Wortlaut: „Während wir in unserer Morgenausgabe als das einzige Wiener Blatt einen lückenlosen Bericht über den grauenhaften Mord in der vornehmen Pension Metropolis veröffentlichen konnten, sind wir jetzt in der Lage, auf Grund der Erhebungen der Polizei wie der privaten Nachforschungen unseres Spezialberichterstatters neue Mitteilungen über die Person des Ermordeten, Herrn Geiger, zu bringen, die der ganzen dusteren Affäre ein noch sensationelleres und aufregenderes Gepräge geben. In den späten Abendstunden des gestrigen Tages wurden die Effekten, Briefe und Geschäftspapiere des Ermordeten einer genauen Durchsicht unterzogen und das Resultat war nach mehr als einer Richtung verblüffend. Es ging nämlich aus aufgefundenen Briefen, Notizen und Kopien abgeschickter Briefe hervor, daß Herr Geiger in der Schweiz ein Vermögen besitzt, das er jeder Abgabe und Besteuerung auf geradezu raffinierte Weise zu entziehen wusste. Die Höhe dieses Vermögens wird auf etwa fünf Millionen Franken beziffert. Es fand sich aber in dem Nachlass noch etwas vor, was von den Polizeibeamten als ganz unwesentlich und nicht beachtenswert beiseite gelegt wurde, in Wirklichkeit aber den wichtigsten Fingerzeig über das Motiv zur Ermordung Geigers und die Höhe der Beute bildet. Es ist dies nämlich eine Quittung des Wiener Bankvereines über die Bezahlung der Miete eines Tresorfaches per Monat Mai. Unser Spezialberichterstatter begab sich sofort in das Gebäude des
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Bankvereines, wo er folgende sensationelle Tatsachen erfuhr: Herr Geiger hatte sich genau acht Tage vor seiner Ermordung in der Tresorabteilung der Bank eingefunden, die gesamten Wertpapiere, Aktien und Pfandbriefe, die in seinem Fach lagen, mit sich genommen, sich sodann nach der Wechselstube im selben Gebäude begeben und dort die Papiere für den Gesamtbetrag von rund einer Million Kronen verkauft. Diesen großen Betrag barg er nach übereinstimmender Aussage des Kassiers wie eines Bankdieners in einer mitgebrachten schwarzen Aktentasche, sicher derselben, die nach der Ermordung auf dem Teppich neben dem erbrochenen Koffer lag.
Die Schlüsse sind hieraus leicht zu ziehen. Herr Geiger hatte aus eigenem Antrieb oder auf Veranlassung einer anderen Person ein Vermögen zu Bargeld gemacht und dieses nicht mehr der Bank anvertraut, sondern mit sich in die Pension genommen, wo er es in dem Koffer verbarg. Davon muß nun der Mörder Kenntnis gehabt haben. Genau zwei Tage nach der Geldtransaktion zog der fremde Mann in der Maske eines Spaniers in die Pension Metropolis, um eine Woche später seine wohlvorbereitete Tat zu begehen. Aus dem Umstande, daß sich in der Brieftasche des Ermordeten kaum tausend Kronen befunden haben, kann man mit einiger Sicherheit den Schluss ziehen, daß die Million dem Mörder in die Hände gefallen ist.
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