Unsres Saums
Wellen-Gefühle suchen nach Bezug
und trösten sich im Offenen als Fahne –
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aber ein Heimweh meint das Haupt des Baums.
Werke II, 180
Der Schauende
Ich sehe den Bäumen die Stürme an,
die aus laugewordenen Tagen
an meine ängstlichen Fenster schlagen,
und höre die Fernen Dinge sagen,
die ich nicht ohne Freund ertragen,
nicht ohne Schwester lieben kann.
Da geht der Sturm, ein Umgestalter,
geht durch den Wald und durch die Zeit,
und alles ist wie ohne Alter:
die Landschaft, wie ein Vers im Psalter,
ist Ernst und Wucht und Ewigkeit.
Wie ist das klein, womit wir ringen,
was mit uns ringt, wie ist das groß;
ließen wir, ähnlicher den Dingen,
uns so vom großen Sturm bezwingen, –
wir würden weit und namenlos.
Was wir besiegen, ist das Kleine,
und der Erfolg selbst macht uns klein.
Das Ewige und Ungemeine
will nicht von uns gebogen sein.
Das ist der Engel, der den Ringern
des Alten Testaments erschien:
wenn seiner Widersacher Sehnen
im Kampfe sich metallen dehnen,
fühlt er sie unter seinen Fingern
wie Saiten tiefer Melodien.
Wen dieser Engel überwand,
welcher so oft auf Kampf verzichtet,
der geht gerecht und aufgerichtet
und groß aus jener harten Hand,
die sich, wie formend, an ihn schmiegte.
Die Siege laden ihn nicht ein.
Sein Wachstum ist: der Tiefbesiegte
von immer Größerem zu sein.
Werke I, 459f.
Liebe Ellen Key, nun ist es Sonntag Abend geworden; man hat die Lampen angezündet und im Kamin brennt ein kleines Feuer; brennt, lebt und duftet. Es wärmt nicht weithin, ist fast nur wie ein Opfer so still und so mit sich selbst beschäftigt, in sein eigenes Brennen versunken, ganz erfüllt davon. Und wir sitzen beisammen und sind voller Nachklang unseres Gehens und voll Erinnerung an Fähren und Fichten und Wege und Wasserläufe; das Durcheinanderklingen der herbstlichen und herbstlicheren Farben lebt noch in uns und die Schwere schwarzer Fichtenäste und einer goldenen Birke spielende Leichtigkeit geht uns noch nach. Lang war dieser Gang, wie ein ganzes Leben so voll Erfahrung und Fügung, Ferne und Nähe …
Hinter dem weißen Hause, das Furuborg gegenüber auf der Anhöhe liegt, gingen wir in den grossen Wald hinein; seine Tiefe begann gleich an seinem Rand, und erst kamen wir sprechend hinein; aber Sie wissen, wie Ihr lieber Freund (den wir so sehr auch als unseren Freund fühlen) zu lauschen versteht; er war der Stillste unter uns, der Wissendste, der uns führte; erst zu dem grossen Geräusch, das durch die Wipfel der erwachsenen Bäume geht, dann, den ganzen fallenden Bach entlang, zu den kleinen Stimmen die, da und da und da – neue bei jeder Wendung – aus dem wandernden Wasser kommen. Stille. Und mit einer leisen Gebärde breitete er den zartesten Stoff vor uns aus, der aus allen diesen Lauten gewoben ist, – das unendlich weiche Gewebe, das den ganzen Wald zusammenhält. Da erwachte in mir das Gedicht, das also eigentlich (wie Sie sehen) sein Gedicht ist, Jimmy's Gedicht, eines seiner schönen lebendigen Gedichte. Ich gab es ihm nur zurück als ich ihm, eine Stunde später, an einem entlegenen Platze über dem Ramsee diese Verse las.
Und nun, meine liebe Ellen Key, geben wir Ihnen (wir vier) diese Verse; fast ist es mir, als müssten Sie sie schon kennen: ist es möglich, dass Sie nicht mitten unter uns gewesen sind, als ich sie unter der grossen Fichte las? Ja Sie waren bei uns; und das Gedicht ist ein Zeichen auch dafür, dass Sie bei uns waren. Hier ist es:
Oben wo die grossen Stimmen wohnen,
in den Kronen dieser hohen Föhren,
kann ich auch mein leises Leben hören,
grösser, um unendliches vermehrt.
Aber unten fügt an jeder Stelle
aus des Baches wechselndem Gefälle
sich ein Reden ein, das von der Schwelle
einer Stille sich mir zugekehrt.
Und so geh ich einsam, ohne Mund
zwischen helleren und dunklen Munden, –
mit des Lebens weitem Hintergrund
durch mein leisestes Gefühl verbunden.
Eine Grösse, die nicht von mir weiss,
(und ich stürbe wenn ich sie verstände)
wächst von ferne bis in meine Hände
und sie schliesst sich wie ein Sagenkreis.
Rainer Maria.
Key (2. 10. 1904), 105-107
Spaziergang
Schon ist mein Blick am Hügel, dem besonnten,
dem Wege, den ich kaum begann, voran.
So faßt uns das, was wir nicht fassen konnten,
voller Erscheinung, aus der Ferne an –
und wandelt uns, auch wenn wirs nicht erreichen,
in jenes, das wir, kaum es ahnend, sind;
ein Zeichen weht, erwidernd unserm Zeichen …
Wir aber spüren nur den Gegenwind.
Werke II, 161
Regengeräusch und Stundenschlagen: daraus wird ein Muster, ein sonntägliches. Wüßte mans nicht: es muß Sonntag sein. So hört sichs in meiner stillen Straße an. Aber wie sehr war es Sonntag, in dem alten Adelsviertel, durch das ich heute morgen ging. Die alten verschlossenen Hotels im Faubourg Saint-Germain mit ihren weißgrauen Fensterläden, den diskreten Gärten und Höfen, den hinter den Stäben dichtgemachten Gittertoren und schweren gut schließenden Eingängen. Einige waren sehr hochmütig und anspruchsvoll und unzugänglich. Das mochten die Talleyrands gewesen sein, die De La Rochefoucaulds, unerreichbare Herrschaften. Aber dann kam eine ebenso stille Straße mit etwas kleineren Häusern, nicht weniger vornehm in ihrer Art und durchaus zurückhaltend. Das eine Tor war im Begriffe zuzugehen; ein Diener in Morgenlivree wandte sich noch einmal zurück und sah mich aufmerksam und nachdenklich an. Und in demselben Augenblick war mir, als müsste nur eine Kleinigkeit irgendwann anders gewesen sein, damit er einen erkennte und zurückträte und die Tür offenhielte. Damit da oben eine alte Dame wäre, eine Grand'mère, die es möglich machte, ihren Lieblingsenkel selbst zu dieser frühen Stunde zu empfangen. Mit einem Lächeln, selber ein wenig zärtlich, richtete es die vertraute Kammerfrau aus und ginge vor einem her durch die verhangene Zimmerflucht, innerlich zurückgewendet und eilend aus Eifer und aus Beunruhigung, vorangehen zu müssen. Ein Fremder begriffe nichts bei solchem Durchgehen; aber man empfände die Gegenwart all der zusammenhangsvollen Dinge: den Blick der Bildnisse, die Zifferblätter der Spieluhren und den Inhalt der Spiegel, in denen die klare Essenz diese Dämmerung aufbewahrt wird. Man hätte in einer Sekunde die lichten Salons wiedererkannt, die ganz hell sind innerhalb des Dunkels. Und den einen Raum, der dunkler scheint, weil das Familiensilber hinten alles Licht an sich genommen hat. Und die Feierlichkeit von alledem ginge auf einen über und bereitete einen vorsichtig vor auf die alte Dame in violettem Weiß, die man sich von einem Mal zum anderen nicht vorstellen kann, weil so vieles zu ihr gehört – – –
Ich ging so durch die stille Straße und war noch immer bei meinen Einbildungen, als ich im Schaufenster eines Confiseurs in der rue de Bourgogne altes schönes Silber sah. Kannen mit etwas schiefgeneigten vollen Silberblumen auf den Deckeln und phantastischen Spiegelbildern in dem geschwundenen Bug.
Nun ist es kaum glaublich, daß dies der Weg war, der in den Salon d'Automne führte. Ich kam aber doch schließlich auf den bunten Bildermarkt, der, so sehr er sich zu Eindrücken anstrengt, meine innere Stimmung doch nicht verscheuchte. Die alte Dame bestand, und ich fühlte, wie sehr es unter ihrer Würde wäre, zu diesen Bildern zu kommen. Ich dachte, ob ich nicht doch etwas fände, wovon ich ihr erzählen könnte, und fand einen Saal mit Bildern der Berthe Morisot (Manets Schwägerin) und eine Wand mit Sachen der Eva Gonzalès (der Schülerin Manets).
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