Cézanne ist für die alte Dame nicht mehr möglich; aber für uns gilt er und ist rührend und wichtig. Er hat auch (wie Goya) die Wände seines Ateliers in Aix mit Phantasieen ausgemalt (wovon einige Druetsche Photographien da waren).

Dies vom heutigen Sonntag zu Euch …

Briefe I (Clara Rilke, 6. 10. 1907), 182-184.

 

 

Dieser Brief hätte sollen gestern geschrieben sein: denn was wäre natürlicher gewesen, als Ihnen zu schreiben in den Herbst-Nachmittag-Stunden, die ein Jahr über denen liegen, die so sicher in meiner Erinnerung stehn; unverlierbar wie Vergangenes und dabei wie Kommendes, so leicht. Dies werd ich, wie auch mein Leben geht, immer hervorrufen können aus mir: wie der Park sich um mich, den Fahrenden, schloß, und immer, sooft ich will, werd ich innerlich das Rot Ihres Mantels sehen, das mit der Bewegung des Entgegenkommens so seltsam endgültig verbunden war. Und diesen Raum und jenen; das Erkerzimmer, in dem wir, stehend, von der ›Dame à la Licorne‹ sprachen; die Ornamente oben im Treppengestühl, diese Geländeraufsätze, bei denen man sich unwillkürlich vorstellt, daß man sie als Kind entdeckt und sich einbildet, es hänge ein bestimmter Gebrauch damit zusammen; dann Ihr großes Zimmer oben, und der Saal, der tiefe landschaftliche Speisesaal mit den Kredenzen und Kredenzgruppen im Hintergrund. – Mein Gott, wie ist es doch schön um das Sehen und Erleben. Man wird anders davon und immer wieder anders. Man staunt und erkennt mitten im Staunen und lebt, eh mans noch weiß, die Leben von hundert Dingen, tritt in ihre Zusammenhänge, hat ihr Vertrauen und erwidert es: und alles das in einem Augenblick vielleicht. Denn es gibt nichts Nebensächlicheres als die Zeit. – Bin ich nicht wirklich gestern bei Ihnen gewesen? –

Nádherný (3. 11. 1908), 88f.

 

 

Es zeigt sich immer wieder, daß die künstlerischen Ereignisse sich, weit unter der Oberfläche des momentanen Lebens, in einer gleichsam zeitlosen Tiefe vollziehen. Während Mackensen noch damit beschäftigt war, Studien zu malen, die ihm schwer fielen und ihn bedrückten, waren seine Kräfte tiefinnerlich schon um ein werdendes Bild versammelt, das er dann im Herbst in verhältnismäßig kurzer Zeit heruntermalte. Es war schon fertig in ihm, als er vor die Leinwand trat. Es hatte vielleicht schon im Frühjahr, als Idee, irgendwie in ihm geblüht, inzwischen war der Sommer vergangen und nun, im Herbst, fiel es von ihm ab, reif, schwer, ausgewachsen, in Einklang mit der ganzen Natur und mit allen Bäumen dieses Herbstes. Man kann dieses Bild nicht besser kennzeichnen, als es durch diese Übereinstimmung mit dem Gange des Jahres geschieht. Es gleicht einer nordischen Frucht, einem Herbstapfel mit gesunder, starker, farbiger Schale, dessen Duft schon seinen Geschmack ahnen läßt: eine herbe Saftigkeit und zugleich etwas von jener verhaltenen Süße, wie sie gewisse dunkelrote Rosen bei Einbruch der Nacht ausströmen.

Werke V, 47f.

 

 

… es ist immerzu, als wäre man in einem nassen Schwamm, den jemand schwenkt. Wie seltsam das doch wirken kann, so aus der Ordnung herausgehoben zu sein. Die Jahreszeiten sind doch sonst grade so schön und hilfreich durch Zusammenhang und Kontrast, man kann sich halten an ihnen; diesmal aber wars unvermittelt, alles was einsetzte, als blätterte man in einer Enzyklopädie plötzlich zu einem anderen Buchstaben und läse, nach etwas ganz anderem, unter Th oder Y weiter.

Freilich, wäre man so arbeitssicher, wie man sein müßte, so würde das, selbst in Zusammenwirkung mit dem Schnupfen, einen nicht aus der Fassung bringen: man würde eben Dinge sehen und machen aus dieser Verfassung heraus. (Es war eine ähnliche in Schmargendorf, die mich einstmals, ganz unerwartet, wie ich erinnere, die Blätter aus einer Sturmnacht schreiben ließ an einem einzigen Abend.) Aber man ist ja noch immer so weit vom Immer-Arbeiten-Können. Van Gogh konnte vielleicht die Fassung verlieren, aber die Arbeit war noch hinter der Fassung, aus ihr konnte er nicht mehr herausfallen. Und Rodin, wenn er unwohl ist, ist ganz nah an der Arbeit, schreibt schöne Sachen auf unzählige Zettel, liest Platon und denkt ihm nach. Mir ahnt aber, daß das nicht bloß Erziehung ist und Zwang, so zur Arbeit zu sein (es würde sonst ermüden, wie es mich die letzten Wochen ermüdet hat); es ist lauter Freude; es ist das natürliche Wohlsein in diesem Einen, an das nichts anderes heranreicht. Vielleicht muß man deutlicher noch die »Aufgabe« einsehen, die man hat, greifbarer noch, in Hunderten von Einzelheiten erkennbar. Ich fühle ja wohl, was van Gogh an einer gewissen Stelle gefühlt haben muß, und fühle stark und groß: daß alles noch zu machen ist: alles. Aber die Zuwendung zum Nächsten gelingt mir nicht, oder doch nur in den besten Momenten, während sie einem grade in den schlechtesten am nötigsten ist. Van Gogh konnte ein Intérieur d'Hôpital machen und malte in den bangsten Tagen die bangsten Gegenstände. Wie hätte er sonst überstanden. Dazu muß man kommen und, das fühl ich wohl, nicht mit Zwang. Aus Einsicht, aus Lust, aus Nicht-Aufschieben-Können, in Anbetracht des vielen, was zu machen ist. Ach, daß man nicht Erinnerungen hätte an Nicht-Gearbeitet-Haben, die immer noch wohltun.