Meine Mühle steht, ach, wie lange steht meine Mühle, der schöne Strom, der über sie stürzte, ist zu Eis geworden, daran konnte ein Sommer nichts ändern, der draußen vorüberging, ohne mich irgendwie zu berühren. Nun allerdings, da eine frühe Herbstlichkeit ihn abzulösen beginnt, traur ich ihm nach, obwohl er mir nichts gebracht hat, und merke, wieviel Hoffnung ich darauf gesetzt habe, daß die Jahreszeit mich irgendwie mitnehmen, mitreißen und erfüllen würde, ein Gleichnis der Natur hervorbringend in meinen ariden Fähigkeiten. Im Mündlichen gelingt es mir noch manchmal, lebendig zu sein und den Brennpunkt in mir zur Strahlung einzustellen, darum ist es so arg schade, daß damals aus Ihrer Reise nichts geworden ist; was ich zu einem Briefe zusammentrage, ist so spreuig und welk, daß ich, wo ich mich zu einem überwinde, eher Trennung stifte als Mittheilung: denn wie sollen auch die nächsten Freunde mich in dieser Zeilen-Mühsal und Unbeholfenheit erkennen?
Taxis II (6. 9. 1918), 557f.
Auch heute gab es Sonne bis zur Dämmerung; ein Fensterflügel konnte sogar offen stehen und nun war die Gartenstille übersetzt in dem Rauschen der Fontäne, auf das ich unermüdlich einzugehen vermag und dem ich folge in allen seinen Veränderungen: wie spannend jedesmal ist der Augenblick, wenn ein Eingriff der Luft den stürzenden Strahl von der einen Teichseite nach der anderen hinüberzieht, durch seinen eigenen Aufstieg durch, so daß er den Bruchtheil einer zögernden Minute unhörbar in sich selber fällt; und wie dann, über jeder Veränderung, sein Niederfall anders aufklang, das war von so reicher Abwandlung, daß ich neidisch wurde auf mein Gehör und noch obendrein hinaussah. Die Gestalt des Strahls war nicht weniger überraschend als seine Vertonung. Sie stand fast weiblich da auf dem runden hell blendenden Wasserkreis, um den herum die übrige Fläche des Teichs dunkel und offen spiegelnd ausgebreitet war; fast feierlich der Park, in der Tiefe offen gegen den verblassenden Irchel, blässer darüber und rasch abendlich nachgebend, der Himmel, das schmale neue Mond-Viertel oben, durchglänzend durch den Rand der Tanne – –: wie Sie das alles erkennen werden! Der zunehmende Mond: so neu –, plötzlich empfand ich ihn als ein Zeichen des Anfangs, wie er so in der Mitte meines stillen Ausblicks stand; aber zugleich kam ich mir schon so völlig an meinem Standort befestigt vor, daß ich beinahe begriff, wie die Anspielung auf ein nun Beginnendes nur noch so allgemein möglich war und mit jener offenbaren Diskretion, die die des Himmels ist.
Schweizer Freunde (Lily Ziegler, 14. 11. 1920), 127f.
Liebe Fürstin, was hab ich nur mit diesem Herzen, meinem, für Mißbrauch getrieben, daß es jetzt nicht Zeugnis giebt von unserer Tröstbarkeit! Ich hab Ihnen die letzten Jahre sooft anklagend von diesem Herzen gesprochen, schmähend, es herabsetzend unter die mindesten –, aber immer noch zu gut, immer noch zu hoffnungsvoll. Könnt ich sagen von ihm, daß es von Bitternis überfließt, daß es starr ist vor Schmerz, aber nein, als ob sein Inhalt einfach zu unförmigen Klumpen geballt sei, so trag ichs herum. Es giebt einen Ausweg, dies krank zu nennen, und manchen Tag bin ich auch wirklich nichts als das, krank, das ist wenig, und bilde mir ein, der gute Stauffenberg hätte das ändern können; denn dazu war ich ja hierhergekommen. Vor einem Jahr, – vor diesem Jahr! Sie sehen schon, theuere Fürstin, heute ists nicht mit mir auszuhalten, ich wollte, wir säßen in Ihrem Boudoir in Duino oder oben im Versteck der Kapelle, wo ich Ihnen aus meinem Taschenbuch vorlas, denn mündlich stöhnen ist immer noch rücksichtsvoller, aber Stöhnen auf dem Papier ist feige, ich weiß – – und trotzdem … .
Fürstin, ich räthselte im Stillen wie alle Welt über die gemeinsame Zukunft, unser aller, ob ich gleich da auf weniger Voraussetzungen angewiesen bin, als irgend ein Eckensteher, denn die Geschichte ist mir dunkel, auch vermuth ich, es ist gar nicht die Geschichte, was man wissen und woraus man schließen könnte, sondern eine wunderliche Auswahl aus Zufälligem und Gesetzmäßigem, in der der Mensch sich erkennt, weil das fortwährende Durcheinander von beidem ihm das vertrauteste Gefühl ist. Aber nun wird es so plötzlich, überholend Herbst, wenigstens hier, ich sehe von fremden Fenstern aus die Baumufer an der Isar gilben und die Gelb, unter dem kalten Regen, nehmen nicht der Reihe nach zu, sondern es sind schon gleich vorletzte Töne da, dann kommt der Blätterfall. Diese Regennächte und dieser Winter vor der Thür –, da schießt mir die ausgebreitete Noth zur eigensten zusammen, zur Rathlosigkeit vor meinem eigenen Morgen und Übermorgen, – wohin wohin? Ein münchner Jahr ist vorüber, ich habe nicht viel damit angestellt, im Gegentheil, ich komme mir in jeder Beziehung zurückgegangen vor, wie thu ichs nun besser? Mein Inneres ist so unwirtlich, daß ichs gar nicht unternehmen kann, Sie darin herumzuführen, ja es ist wahrscheinlich verstellt und ungangbar, – restons dehors. Mein ganzes Wissen beschränkt sich auf die höchst negative Einsicht, daß ich nicht weiter in München bleiben sollte, die Menschen stellen hier zu viel Ansprüche an einen, man soll fertig sein oder sich als solcher geben – et moi, si j'ai encore quelque avenir, ce sera en recommençant humblement que j'y parviendrai, denn was etwa in meinen Büchern für (bis zu einem gewissen Grade) fertig gelten darf, das ist auch abgethan für mich, seit fünf Jahren, seit sich der Malte Laurids hinter mir geschlossen hat, steh ich als ein Anfänger da, freilich, als einer, der nicht anfängt. Also anfangen –, aber wie?!
Meine Situation ist gewissermaßen noch wahrer geworden, dadurch, daß ich, wie ich vorgestern erfuhr, alle meine pariser Habe, also ungefähr alles, was ich besaß, wirklich verloren habe: der ganze Inhalt meiner Wohnung ist im April versteigert worden! Sie wissen, daß ich das nicht schwer nehme, längst war ich geneigt, alles, was sich seit den zwölf Jahren in Paris um mich angesetzt hatte, als Nachlaß des M. L. Brigge anzusehen, und vielleicht ist mit allen diesen mitwissenden Dingen und Büchern und den paar Erbstücken, die Obsession der Gestalt von mir genommen, von der endgültig abzusehen, ich doch reinlich entschlossen war. Und doch, liebe Freundin, Ihnen darf ichs gestehen, geh ich seit jener Nachricht aus Paris in einem wunderlichen Gefühle herum, etwa wie einer, der einen Sturz gethan hat, schmerzlos aufgestanden ist und doch irgendwie den Verdacht nicht los wird, es könne plötzlich in seinen Eingeweiden ein nachträglicher Schmerz ausbrechen und ihn zum Schreien bringen. Im Ganzen hatte ich längst alles aufgegeben und mich geübt, meinen Verzicht an dem Bewußtsein der paar Gegenstände zu erproben, die mir am fühlbarsten waren –, es ging; jetzt aber, merke ich, sie waren immerhin noch da; seit ich weiß, daß alles fort ist, rührt sich eine seltsame Furcht in mir, als wäre es denkbar, plötzlich von der Erinnerung an einen mitverlorenen Gegenstand erfaßt zu werden, der völlig unentbehrlich ist, ein Blättchen Papier vielleicht, ein Bild, ein Brief in einem der hundert Briefpakete, was weiß ich –, als könne etwas unscheinbar Liebes anhanden gekommen sein, das mit der Mitte des Lebens durch einen leichten feinen Faden verbunden war, der nun zerrissen ist …
Taxis I (6. 9. 1915), 436-439
O ich möchte meine Stimme heben
aus der Welt, in der sie wirr verweht,
an Verlornes bindet sich mein Leben
und ich weiß, daß meine Zeit vergeht.
Aufgerichtet aus dem Ungewissen
fühl ich meinen letzten Richter nahn;
wehe, meine Hand wird ausgerissen,
denn sie lebte und hat nichts getan.
Und ich bin schon jetzt wie ausgestreute
welke Blätter, die sich raschelnd rühren;
über meine Seele gehn die Leute
und mich treibt der Wind an ihre Türen.
Gott, ich hab es dir ja doch gesagt
Daß ich nicht für deine Tage tauge
weißt du noch es hat mein Kinderauge
schon ganz frühe zu dir aufgeklagt.
Warum ließest du mich dennoch leben,
warum geh ich immer noch, wohin?
Hast du mir noch eine Pflicht zu geben, –
So befiehl mir eh ich müde bin.
Wenn du willst, so werd ich noch einmal
in die Rüstung steigen, deren Stahl
fast noch neu ist, ohne Riß und Sprung …
Werke III, 768f.
Die Brandstätte
Gemieden von dem Frühherbstmorgen, der
mißtrauisch war, lag hinter den versengten
Hauslinden, die das Heidehaus beengten,
ein Neues, Leeres. Eine Stelle mehr,
auf welcher Kinder, von Gott weiß woher,
einander zuschrien und nach Fetzen haschten.
Doch alle wurden stille, sooft er,
der Sohn von hier, aus heißen, halbveraschten
Gebälken Kessel und verbogne Tröge
an einem langen Gabelaste zog, –
um dann mit einem Blick als ob er löge
die andern anzusehn, die er bewog
zu glauben, was an dieser Stelle stand.
Denn seit es nicht mehr war, schien es ihm so
seltsam: phantastischer als Pharao.
Und er war anders. Wie aus fernem Land.
Werke I, 592f.
Ich widme jetzt ab und zu, angethan wie ein Taucher, einen Tag dem Ordnen der aus Paris, von vor 1914, stammenden Papiere. »Mémoires de ma vie morte«. Da kommt manches Merkwürdige an den Tag, manches, was mein Gedächtnis vor mir bloßstellt. Wie viel Menschen, wie viel Lebensfäden, einmal durch meine Hände gezogen, losgelassen längst, zerrissen seit wie lange! Es ist trist, bestürzend oft, fühlt sich kalt an und doch noch wärmer, als ich jetzt bin. Und, seltsam, heißt mehr: ›Ich‹, totes Ich, aber doch ›Ich‹, als was die Briefe und Papiere des letzten pariser Aufenthalts mir zu bedeuten vermögen, wenn ich sie an mich halte. Die letzten Monate dort war ich schon der, der ich jetzt mehr und mehr geworden bin, ein mir Unbekannter, so unbekannt, daß ich mich manchmal, Momente lang, auf einen außer mir verlasse, der ›Ich‹ sein müßte, jenes andere, auch im Trüben irgendwie tiefer versicherte Ich, als das ich mich doch sonst zuverlässig erfuhr. Sie fragen, besorgt, drei, vier liebe Fragen: ich kann, ich darf nicht antworten. Ja, es ist unendlich schwer jetzt allein zu sein, und voraussichtlich ganz unnütz.
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