Sie enthält viel Unsinn und Phantasterei, aber nicht mehr als die gleichzeitigen unphilosophischen Theorien der empirischen Naturforscher, und daß sie auch viel Sinn und Verstand enthält, fängt man seit der Verbreitung der Entwicklungstheorie an einzusehen. So hat Haeckel mit vollem Recht die Verdienste von Treviranus und Oken anerkannt. Oken stellt in seinem Urschleim und Urbläschen dasjenige als Postulat der Biologie auf, was seitdem als Protoplasma und Zelle wirklich entdeckt worden. Was speziell Hegel angeht, steht er in vieler Beziehung hoch über seinen empirischen Zeitgenossen, die alle unerklärten Erscheinungen erklärt zu haben glaubten, wenn sie ihnen eine Kraft – Schwerkraft, Schwimmkraft, elektrische Kontaktkraft usw. – unterschoben, oder wo dies nicht ging, einen unbekannten Stoff, Lichtstoff, Wärmestoff, Elektrizitätsstoff usw. Die imaginären Stoffe sind jetzt so ziemlich beseitigt, aber der von Hegel bekämpfte Kräfteschwindel spukt z.B. noch 1869 in Helmholtz' Innsbrucker Rede lustig fort (Helmholtz »Populäre Vorlesungen«, II. Heft, 1871, Seite 190). Gegenüber der von den Franzosen des 18. Jahrhunderts überkommnen Vergötterung Newtons, den England mit Ehren und Reichtum überhäufte, hob Hegel hervor, daß Kepler, den Deutschland verhungern ließ, der eigentliche Begründer der modernen Mechanik der Weltkörper, und daß das Newtonsche Gravitationsgesetz bereits in allen drei Keplerschen Gesetzen, im dritten sogar ausdrücklich enthalten ist. Was Hegel in seiner »Naturphilosophie«, § 270 und Zusätze (Hegels Werke, 1842, VII. Band, Seite 98 und 113 bis 115) mit ein paar einfachen Gleichungen nachweist, findet sich als Resultat der neuesten mathematischen Mechanik wieder bei Gustav Kirchhof »Vorlesungen über mathematische Physik«, 2. Auflage, Leipzig 1877, Seite 10, und in wesentlich derselben, von Hegel zuerst entwickelten, einfachen, mathematischen Form. Die Naturphilosophen verhalten sich zur bewußt-dialektischen Naturwissenschaft wie die Utopisten zum modernen Kommunismus.
III
Die nachfolgende Neuauflage ist bis auf einige sehr unbedeutende stilistische Änderungen ein Wiederabdruck der vorigen. Nur in einem Kapitel,[14] dem zehnten des zweiten Abschnitts: »Aus der ›Kritischen Geschichte‹«, habe ich mir wesentliche Zusätze erlaubt, und zwar aus folgenden Gründen.
Wie schon in der Vorrede zur zweiten Auflage erwähnt, rührt dies Kapitel in allem Wesentlichen von Marx her. In seiner ersten, für einen Journalartikel bestimmten Fassung war ich genötigt, das Marxsche Manuskript bedeutend zu kürzen, und zwar grade in denjenigen Partien, wo die Kritik der Dühringschen Aufstellungen mehr zurücktritt gegenüber selbständigen Entwicklungen aus der Geschichte der Ökonomie. Diese aber machen grade den Teil des Manuskripts aus, der auch heute noch vom größten und bleibendsten Interesse ist. Die Ausführungen, worin Marx Leuten wie Petty, North, Locke, Hume die ihnen gebührende Stelle in der Genesis der klassischen Ökonomie anweist, halte ich mich für verpflichtet, möglichst vollständig und wörtlich zu geben; noch mehr aber seine Klarstellung des »ökonomischen Tableaus« von Quesnay, dieses für die ganze moderne Ökonomie unlösbar gebliebnen Sphinxrätsels. Was sich dagegen ausschließlich auf Herrn Dührings Schriften bezog, habe ich, soweit der Zusammenhang dies erlaubte, weggelassen.
Im übrigen kann ich vollständig zufrieden sein mit der Ausbreitung, die die in dieser Schrift vertretnen Anschauungen, seit der vorigen Auflage, im öffentlichen Bewußtsein der Wissenschaft und der Arbeiterklasse gemacht haben, und zwar in allen zivilisierten Ländern der Welt.
London, 23. Mai 1894
F. Engels[15]
Einleitung
I. Allgemeines
Der moderne Sozialismus ist seinem Inhalte nach zunächst das Erzeugnis der Anschauung, einerseits der in der modernen Gesellschaft herrschenden Klassengegensätze von Besitzenden und Besitzlosen, Lohnarbeitern und Bourgeois, andrerseits der in der Produktion herrschenden Anarchie. Aber seiner theoretischen Form nach erscheint er anfänglich als eine weitergetriebne, angeblich konsequentere Fortführung der von den großen französischen Aufklärern des 18. Jahrhunderts aufgestellten Grundsätze. Wie jede neue Theorie, mußte er zunächst anknüpfen an das vorgefundne Gedankenmaterial, sosehr auch seine Wurzel in den ökonomischen Tatsachen lag.
Die großen Männer, die in Frankreich die Köpfe für die kommende Revolution klärten, traten selbst äußerst revolutionär auf. Sie erkannten keine äußere Autorität an, welcher Art sie auch sei. Religion, Naturanschauung, Gesellschaft, Staatsordnung, alles wurde der schonungslosesten Kritik unterworfen; alles sollte seine Existenz vor dem Richterstuhl der Vernunft rechtfertigen oder auf die Existenz verzichten. Der denkende Verstand wurde als alleiniger Maßstab an alles angelegt. Es war die Zeit, wo, wie Hegel sagt, die Welt auf den Kopf gestellt wurde, zuerst in dem Sinn, daß der menschliche Kopf und die durch sein Denken gefundnen Sätze den Anspruch[16] machten, als Grundlage aller menschlichen Handlung und Vergesellschaftung zu gelten; dann aber später auch in dem weitern Sinn, daß die Wirklichkeit, die diesen Sätzen widersprach, in der Tat von oben bis unten umgekehrt wurde. Alle bisherigen Gesellschafts- und Staatsformen, alle altüberlieferten Vorstellungen wurden als unvernünftig in die Rumpelkammer geworfen; die Welt hatte sich bisher lediglich von Vorurteilen leiten lassen; alles Vergangene verdiente nur Mitleid und Verachtung.
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