Was Herr Dühring verspricht
Herrn Dührings zunächst hierher gehörige Schriften sind sein »Cursus der Philosophie«, sein »Cursus der National- und Socialökonomie« und seine »Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Socialismus«. Zunächst interessiert uns vorwiegend das erste Werk.[26]
Gleich auf der ersten Seite kündigt Herr Dühring sich an als
»denjenigen, der die Vertretung dieser Macht« (der Philosophie) »in seiner Zeit und für die zunächst absehbare Entfaltung derselben in Anspruch nimmt«.
Er erklärt sich also für den einzig wahren Philosophen der Gegenwart und »absehbaren« Zukunft. Wer von ihm abweicht, weicht ab von der Wahrheit. Viele Leute haben, schon vor Herrn Dühring, so etwas von sich selbst gedacht, aber er ist – außer Richard Wagner – wohl der erste, der es von sich selbst gelassen ausspricht. Und zwar ist die Wahrheit, um die es sich bei ihm handelt,
»eine endgültige Wahrheit letzter Instanz«.
Die Philosophie des Herrn Dühring ist
»das natürliche System oder die Wirklichkeitsphilosophie... die Wirklichkeit wird in ihm in einer Weise gedacht, die jede Anwandlung zu einer traumhaften und subjektivistisch beschränkten Weltvorstellung ausschließt«.
Diese Philosophie ist also so beschaffen, daß sie Herrn Dühring über die von ihm selbst nicht zu leugnenden Schranken seiner persönlich-subjektiven Beschränktheit hinaushebt. Es ist dies allerdings nötig, wenn er imstande sein soll, endgültige Wahrheiten letzter Instanz festzustellen, obwohl wir bis jetzt noch nicht einsehn, wie dies Wunder sich bewerkstelligen soll.
Dies »natürliche System des an sich für den Geist wertvollen Wissens« hat, »ohne der Tiefe des Gedankens etwas zu vergeben, die Grundgestalten des Seins sicher festgestellt«. Von seinem »wirklich kritischen Standpunkt« aus bietet es »die Elemente einer wirklichen und demgemäß auf die Wirklichkeit der Natur und des Lebens gerichteten Philosophie, welche keinen bloß scheinbaren Horizont gelten läßt, sondern in ihrer mächtig umwälzenden Bewegung alle Erden und Himmel der äußeren und inneren Natur aufrollt«; es ist eine »neue Denkweise«, und ihre Resultate sind »von Grund aus eigentümliche Ergebnisse und Anschauungen... systemschaffende Gedanken... festgestellte Wahrheiten«. Wir haben in ihr vor uns »eine Arbeit, die ihre Kraft in der konzentrierten Initiative suchen muß« – was das auch immer heißen möge; eine »bis an die Wurzeln reichende Untersuchung... eine wurzelhafte Wissenschaft... eine streng wissenschaftliche Auffassung von Dingen und Menschen... eine allseitig durchdringende Gedankenarbeit... ein schöpferisches Entwerfen der vom Gedanken beherrschbaren Voraussetzungen und Folgen... das absolut Fundamentale«.
Er gibt uns auf ökonomisch-politischem Gebiet nicht nur
»historisch und systematisch umfassende Arbeiten«, von denen die historischen sich obendrein durch »meine Geschichtszeichnung großen Stils« auszeichnen und welche in der Ökonomie »schöpferische Wendungen« zuwege brachten,[27]
sondern schließt auch mit einem eignen vollständig ausgearbeiteten sozialistischen Plan für die Zukunftsgesellschaft ab, der die
»praktische Frucht einer klaren und bis an die letzten Wurzeln reichenden Theorie«,
und daher ebenso unfehlbar und alleinseligmachend ist wie die Dühringsche Philosophie; denn
»nur in demjenigen sozialistischen Gebilde, welches ich in meinem ›Cursus der National- und Socialökonomie‹ gekennzeichnet habe, kann ein echtes Eigen an die Stelle des bloß scheinbaren und vorläufigen oder aber gewaltsamen Eigentums treten«. Wonach die Zukunft sich zu richten hat.
Diese Blumenlese von Lobpreisungen des Herrn Dühring durch Herrn Dühring ließe sich leicht ums Zehnfache vermehren. Sie dürfte schon jetzt beim Leser einige Zweifel rege gemacht haben, ob er es wirklich mit einem Philosophen zu tun habe oder mit – aber wir müssen den Leser bitten, sein Urteil zurückzuhalten, bis er die besagte Wurzelhaftigkeit wird näher kennengelernt haben. Wir geben obige Blumenlese auch nur, um zu zeigen, daß wir nicht einen gewöhnlichen Philosophen und Sozialisten vor uns haben, der seine Gedanken einfach ausspricht und es der weitern Entwicklung überläßt, über ihren Wert zu entscheiden, sondern mit einem ganz außergewöhnlichen Wesen, das nicht weniger unfehlbar zu sein behauptet, als der Papst, und dessen alleinseligmachende Lehre man einfach anzunehmen hat, wenn man nicht der verwerflichsten Ketzerei verfallen will. Wir haben es keineswegs mit einer jener Arbeiten zu tun, an denen alle sozialistischen Literaturen und neuerdings auch die deutsche überreich sind, Arbeiten, in denen Leute verschiednen Kalibers sich in der aufrichtigsten Weise von der Welt über Fragen klarzuwerden suchen, zu deren Beantwortung ihnen das Material vielleicht mehr oder weniger abgeht; Arbeiten, bei denen, was auch ihre wissenschaftlichen und literarischen Mängel, der sozialistische gute Wille immer anerkennenswert ist. Im Gegenteil, Herr Dühring bietet uns Sätze, die er für endgültige Wahrheiten letzter Instanz erklärt, neben denen jede andre Meinung also von vornherein falsch ist; wie die ausschließliche Wahrheit, so hat er auch die einzige streng wissenschaftliche Methode der Untersuchung, neben der alle andern unwissenschaftlich sind. Entweder hat er recht – und dann stehn wir vor dem größten Genie aller Zeiten, dem ersten übermenschlichen, weil unfehlbaren Menschen. Oder er hat unrecht, und auch dann, wie unser Urteil immer ausfallen möge, wäre wohlwollende Rücksichtnahme auf seinen etwaigen guten Willen immer noch die tödlichste Beleidigung für Herrn Dühring.[28]
Wenn man im Besitz der endgültigen Wahrheit letzter Instanz und der einzig strengen Wissenschaftlichkeit ist, so muß man selbstredend für die übrige irrende und unwissenschaftliche Menschheit eine ziemliche Verachtung haben. Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn Herr Dühring von seinen Vorgängern mit der äußersten Wegwerfung spricht, und wenn nur wenige, ausnahmsweise von ihm selbsternannte große Männer vor seiner Wurzelhaftigkeit Gnade finden.
Hören wir ihn zuerst über die Philosophen:
»Der jeder besseren Gesinnung bare Leibniz,... dieser beste unter allen höfisch möglichen Philosophierern.«
Kant wird noch soeben geduldet; aber nach ihm ging alles drunter und drüber:
es kamen die »Wüstheiten und ebenso läppischen als windigen Torheiten der nächsten Epigonen, also namentlich eines Fichte und Schelling... ungeheuerliche Zerrbilder unwissender Naturphilosophastrik... die nachkantischen Ungeheuerlichkeiten« und »Fieberphantasien«, denen die Krone aufsetzte »ein Hegel«. Dieser sprach einen »Hegel-Jargon« und verbreitete die »Hegel-Seuche« vermittelst seiner »überdies noch in der Form unwissenschaftlichen Manier« und seiner »Kruditäten«.
Den Naturforschern geht's nicht besser, doch wird nur Darwin namentlich aufgeführt, und so müssen wir uns auf diesen beschränken:
»Darwinistische Halbpoesie und Metamorphosenfertigkeit mit ihrer grobsinnlichen Enge der Auffassung und Stumpfheit der Unterscheidungskraft... Unseres Erachtens ist der spezifische Darwinismus, wovon natürlich die Lamarckschen Aufstellungen auszunehmen sind, ein Stück gegen die Humanität gerichtete Brutalität.«
Am schlimmsten aber kommen die Sozialisten weg. Mit Ausnahme von allenfalls Louis Blanc – dem unbedeutendsten von allen – sind sie allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie vor (oder hinter) Herrn Dühring haben sollten.
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